Phytoforschung

Orthosiphonblätter

Wässriger Extrakt hemmt die Adhäsion pathogener Bakterien im Harntrakt

Unkomplizierte Harnwegsinfektionen (uncomplicated urinary tract infections, UTI) zählen in der westlichen Welt zu den häufigsten Infektionen. Sie werden in über 90 Prozent der Fälle durch uropathogene Escherichia coli (UPEC) hervorgerufen. Eine Harnwegsinfektion wird als unkompliziert bewertet, wenn keine relevanten Nierenfunktionsstörungen oder Begleiterkrankungen und auch keine funktionellen oder anatomischen Anomalien im Harntrakt vorliegen, welche Harnwegsinfektionen oder gravierende Komplikationen begünstigen. | Von Andreas Hensel und Shabnam Sarshar

Eine untere Harnwegsinfektion (Cystitis) wird angenommen, wenn sich die akuten Symptome nur auf den unteren Harntrakt begrenzen, z. B. neu auftretende Schmerzen beim Wasserlassen (Dysurie), imperativer Harndrang, häufiges Wasserlassen kleiner Mengen (Pollakisurie) oder Schmerzen oberhalb der Schambeinfuge (Symphyse). Eine obere Harnwegsinfektion (Pyelonephritis) wird angenommen, wenn sich bei den akuten Symptomen zusätzlich z. B. Flankenschmerz, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und/oder Fieber > 38 °C einstellen [1]. Von rezidivierenden Harnwegsinfektionen spricht man, wenn mindestens zwei symptomatische Episoden pro Halbjahr oder mindestens drei Ereignisse pro Jahr auftreten [1].

UPEC-spezifische Oberflächenadhäsine bewerkstelligen, dass das Bakterium die Wirtszelle erkennt und sich spezifisch an sie anheftet, woran sich seine Invasion in die Wirtszelle anschließt. Das so infizierte Gewebe kann nachfolgend durch verschiedene UPEC-Virulenzfaktoren (z. B. α-Hämolysin) und die dadurch induzierte Inflammation massiv geschädigt werden. UPEC-spezifische Faktoren inhibieren zusätzlich die lokale Immunabwehr, wodurch sich die Bakterien ungestört vermehren können. Die Bildung von extra- und intrazellulären Biofilmen durch UPEC bewirkt eine Abgrenzung bakterieller Kolonien und damit auch die Möglichkeit der Ausbildung persistierender und immunologisch schlecht beeinflussbarer Kolonien im Blasengewebe; im Prinzip können diese „schlafenden“ Reservoirs bei Auftreten bestimmter Reize (z. B. lokaler Kältereiz) oder bei geschwächter Abwehr sehr schnell in proliferierende Kolonien übergehen und eine rezidivierende Infektion auslösen. Eine aktuelle Zusammenfassung zur molekularen Infektiosität von UPEC findet sich in [2].

Aufgrund der dramatisch zunehmenden Resistenz vieler UPEC-Stämme gegenüber Antibiotika, die auch in der derzeitigen S3-Leitlinie dokumentiert wird [1], rücken neue therapeutische Alternativen derzeit in den Fokus der Forschung. Hierbei werden auch wieder zunehmend pflanzliche Extrakte hinsichtlich ihrer pharmakodynamischen Eigenschaften bei UTI geprüft.

Im Rahmen der Behandlung von UTI werden Extrakte aus den Blättern von Orthosiphon stamineusBenth. (syn. O. aris­tatus Miq.) eingesetzt. Die diesbezügliche HMPC-Monografie liefert die Grundlage für eine formalrechtliche Registrierung von Fertigarzneimitteln, die O. stamineus enthalten, im Sinne eines „traditional use“, also basierend auf langjähriger Erfahrung [3].

Pflanzenporträt

O. stamineus

aus der Familie der Lippenblütler ist im tro­pischen Asien beheimatet und wird häufig in Indonesien (früher: Niederländisch-Indien) angebaut. Im Volksmund findet sich für die Pflanze auch die Bezeichnung Katzenbart, da die sehr langen Staubfäden der Blüten durchaus Ähnlichkeit mit den Schnurrhaaren des Tigers haben können (Abb. 1). Die Blattware findet sich im Drogenhandel auch unter den Bezeichnungen Javatee, Indischer Nierentee und Koemis koe­tjing (niederländische Schreibweise) oder Kumis kucing.

Foto: Hensel
Abb. 1: Blütenstand von Orthosiphon stamineus Benth.

Die offizinelle Droge enthält 0,5 bis 0,7 Prozent Flavonoide mit teils ungewöhnlicher Struktur, Rosmarinsäure, Dicaffeoylweinsäure, Di- und Triterpene sowie ca. 0,04 Prozent ätherisches Öl.

Bezüglich der bisher dokumentierten pharmakologischen Wirkungen wurden in älteren Arbeiten diuretische Effekte im Tiermodell beschrieben [4, 5, 6], auch für rein wässrige Extrakte [7]. Demgegenüber konnte im Humanversuch an 40 gesunden Probanden nach Applikation des Extraktes keine gesteigerte Urinausscheidung innerhalb von zwölf bis 24 Stunden gemessen werden [8], was in einer Nachfolge­studie bestätigt wurde [9]. Zwei weitere Humanstudien ­kamen bezüglich einer potenziellen diuretischen Wirkung zu konträren Ergebnissen [5, 10].

Unter Betrachtung dieser inkohärenten Studienlage stellt sich natürlich die Frage, inwiefern eventuelle andere Mechanismen den traditionellen Einsatz der Droge bei UTI begründen könnten. In den letzten Jahren wurden vermehrt Berichte über antiadhäsive Eigenschaften von Naturstoffen gegen bakterielle und virale Pathogene beschrieben, die durch Hemmung der Adhäsionsmoleküle der Erreger die Erkennung und spezifische Interaktion mit den Wirtszellen unterbinden, womit das Andocken und die nachfolgende Internalisierung in die Zelle unterbunden wird.

In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen mit einem durch Heißwasserextraktion hergestellten Orthosiphonblattextrakt (DEV 5 : 1), der mittels HPLC bezüglich der Gehalte an Kaffeesäure, Cichoriensäure und Rosmarinsäure standardisiert worden war, wurden kürzlich veröffentlicht [11]. Der Extrakt zeigte stark ausgeprägte antiadhäsive Wirkungen gegen UPEC (Abb. 1). Er erwies sich aber in vitro als nicht zyto­toxisch gegenüber unterschiedlichen UPEC-Stämmen und zeigte auch keinerlei Schädigungen von humanen T24-­Blasenzellen im Zellkulturexperiment.

In einem In-vitro-Adhäsionsassay, bei dem das spezifische Andocken von fluoreszenzmarkierten UPEC an Blasenzellen quantifiziert werden kann, zeigte sich, dass die Vorbehandlung der Bakterien mit dem Extrakt in gepooltem humanem Urin dosisabhängig die bakterielle Adhäsion an T24-Blasenzellen unterbindet (Abb. 2).

Abb. 2: Einfluss verschiedener Konzentrationen eines wässrigen Extraktes aus Orthosiphonblättern auf die Adhäsion uro­pathogener E. coli (UPEC, Stamm NU14) an T24-Blasenzellen in vitro. Die angegebenen Werte beziehen sich auf die maximale Adhäsion in der unbehandelten Kontrolle (= 100%).

Inwieweit dieser Befund aus dem Zellkulturmodell tatsächlich Auswirkungen auf die Ausbildung einer Infektion hat, wurde im Tierexperiment an weiblichen Mäusen untersucht. Hierzu wurden die Tiere transurethral mit entweder 108 oder 107 Bakterien der UPEC-Stämme NU14 oder CFT073 infiziert. Die Mäuse wurden 24 bzw. 48 Stunden post infectionem getötet, die komplette Blase und die Nieren entnommen, das Gewebe homogenisiert und nach Ausplattieren auf Medien die entsprechende UPEC-Kolonienzahl ermittelt, die im Prinzip mit dem Infektionsgrad im jeweiligen Gewebe korreliert. Tatsächlich zeigten sich teils hochsignifikante Reduktionen der bakteriellen Besiedlung im Blasengewebe der Tiere, die mit dem Extrakt vorbehandelt worden waren (500 oder 750 mg/kg KG p. o.; Abb. 3).

Abb. 3: Anzahl der Kolonie-bildenden Einheiten (KBE) von UPEC im Blasengewebe von Mäusen, die vier oder sieben Tage lang einen wässrigen Extrakt aus Orthosiphonblättern (500 oder 750 mg/kg Körpergewicht) getrunken hatten und anschließend transurethral mit dem UPEC-Stamm NU14 infiziert worden waren; Vergleich mit unbehandelten Mäusen.

Spannend war auch der Befund, dass der Extrakt das Aufsteigen der Infektion in das Nierengewebe signifikant reduzierte, teilweise sogar verhinderte (Abb. 4). Aus diesen Befunden kann gefolgert werden, dass der antiadhäsive Effekt von wässrigem Orthosiphonextrakt tatsächlich das Ausmaß einer UPEC-Infektion positiv beeinflussen kann.

Abb: 4: Anzahl der Kolonie-bildenden Einheiten (KBE) von UPEC im Blasen- und Nierengewebe von Mäusen, die nach der Infektion mit dem UPEC-Stamm CFT073 fünf Tage lang einen wässrigen Extrakt aus Orthosiphonblättern (750 mg/kg Körpergewicht) getrunken hatten. Vergleich: unbehandelte Mäuse sowie mit Norfloxacin (100 mg/kg KG) behandelte Mäuse.

Weiterführende In-vitro-Untersuchungen mit dem Ortho­siphonblattextrakt zeigten, dass er in UPEC die Expression des wichtigen Adhäsionsproteins FimH signifikant herunterreguliert. Dies könnte erklären, warum das Bakterium weniger gut an die Blasenzellen adhärieren kann. Im Gegenzug wurde aber eine starke Heraufregulierung des Gens fliC beobachtet, welches für die Motilität des Bakteriums wichtig ist. Die Autoren der Studie bewerten dies so, dass das Bakterium in einer Gegenreaktion auf die Hemmung des Adhäsionsfaktors seine Beweglichkeit erhöht, um besser in Kontakt mit den Wirtszellen zu kommen. Diese erhöhte Beweglichkeit konnte auch in spezifischen Motilitätsassays phäno­typisch gezeigt werden.

Weiterhin zeigt Orthosiphonextrakt deutliche Hemmwirkungen auf die Biofilmbildung von UPEC, was wiederum auf die Inhibition des sogenannten quorum-sensings zurückzuführen ist, also der Fähigkeit der einzelnen Bakterien, über sezernierte Signalmoleküle miteinander zu kommunizieren und so koordinierte Biofilmreservoirs zu bilden.

Insgesamt erscheinen die Effekte von Orthosiphonextrakt spezifisch gegen UPEC gerichtet zu sein, und dies könnte durchaus eine moderne Erklärung sein, warum diese traditionelle Droge heute noch in Blasen-Nieren-Tees enthalten ist. Darüber hinaus sollte Orthosiphonextrakt auch in ­modernen Fertigarzneimitteln gegen UTI Verwendung ­finden. |

Literatur

 [1] S3-Leitlinie Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen, unkompliziert bakteriell ambulant erworben: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management. AWMF-Registernummer 043/044 (Stand 1.6.2010)

[2] Dhakal B, Kulesus RR, Mulvey MA. Mechanisms and consequences of bladder cell invasion by uropathogenic Escherichia coli. Eur J Clin Invest 2008;38:2-11

[3] www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Herbal_-_Community_herbal_monograph/2011/01/WC500100376.pdf

[4] Fevrier C. Beiträge zur Kenntnis der Inhaltsbestandteile von Ortho­siphon stamineus Benth. Diss phil, Basel 1933

[5] Mercier F, Mercier LJ. L’Orthosiphon stamineus, Médicament hépato­rénal. Stimulant de la depuration urinaire. Bulletin Médical 1936;523-531

[6] Chow SY, et al. Pharmacological effects of Orthosiphonis Herba. J Formosan Med Assoc 1979;78:953-60

[7] Casadebaig-Lafon J, et al. Elaboration d’extraits végétaux adsorbés, realization d’extraits secs d’Orthosiphon stamineus Benth. Pharm ­Acta Helv 1989;64:220-224

[8] Doan DD, et al. Studies on the individual and combined diuretic ­effects of four Vietnamese traditional herbal remedies (Zea mays, ­Imperata cylindrica, Plantago major and Orthosiphon stamineus). J Ethnopharmacol 1992;36:225-231

[9] Nirdnoy M, Muangman V. Effects of Folia Orthosiphonis on urinary stone promotors and inhibitors. J Med Assoc Thai 1991;74:318-321

[10] Tiktinsky OL, Bablumyan YA. The therapeutic effect of Java tea and Equisetum arvense in patients with uratic diathesis. Urol Nefrol 1983;19:47-50

[11] Sarshar S, Asadi Karam MR, Habibi M, Bouzari S, Brandt S, Hensel A. Zytoprotektive und antiadhäsive Effekte eines wässrigen Extraktes aus Blättern von Orthosiphon stamineus Benth. gegen uropathogene E. coli. Jahrestagung der Gesellschaft für Phytotherapie, 2. bis 4. Juni 2016, Bonn

Autoren


Prof. Dr. Andreas Hensel studierte Pharmazie an der Universität Regensburg. Seit 2004 Geschäftsführender Direktor des Institutes für Pharmazeu­tische Biologie und Phytochemie der Universität Münster. Hauptarbeitsgebiete: Phytochemie, Glycobiologie, anti­adhäsive Naturstoffe gegen Pathogene, Naturstoffe und Arzneipflanzen zur Wundheilung.

Shabnam Sarshar studierte an der Shahit Beheshti University of Teheran Phytochemie und arbeitet seit 2013 als wissenschaftliche Angestellte am Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie. Forschungsgebiet: Funktionalität und Phytochemie traditioneller Arzneipflanzen bei Blasen-Nieren-Erkrankungen. 2016 Dissertationspreis der Verspohl-Stiftung.

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