Arzneimittel und Therapie

Keine Therapie ist auch keine Lösung

Viele Schwangere setzen Antidepressiva ab und können damit sich und ihr Kind gefährden

rr | Bei Depressionen während der Schwangerschaft stehen Ärzte vor der Entscheidung, welche Folgen eine Weiterbehandlung für das Kind oder eine Nichtbehandlung für die Mutter haben könnte. Es gibt kein Antidepressivum, das ausdrücklich zur Anwendung in der Schwangerschaft zugelassen ist. Doch mit den gesammelten Daten lassen sich Empfehlungen generieren. Eine davon lautet: Die Medikation sollte nicht abrupt abgesetzt werden.

In einer großen Kohortenstudie mit 228.876 Schwangerschaften lag der Anteil von Frauen, die präkonzeptionell Antidepressiva einnahmen, bei etwa zehn Prozent. Drei Viertel von ihnen nahmen im zweiten und dritten Trimenon keine Antidepressiva mehr. Eine aktuelle Untersuchung der Barmer GEK bestätigt diesen Trend für Deutschland mit den Daten von 2724 Versicherten, die im Jahr 2012 ein Kind zur Welt brachten: Mit Beginn der Schwangerschaft setzte nur noch jede zweite Frau die antidepressive Therapie fort, im letzten Trimenon weniger als jede dritte.

Grund für einen Therapieabbruch ist in der Regel die Angst vor Fehlbildungen und Schädigungen beim Kind. Zu bedenken ist allerdings, dass ungeplante Schwangerschaften in der Regel erst nach fünf bis sechs Wochen erkannt werden, nachdem das erste Trimenon zur Hälfte um ist. Ein Absetzen zu dieser Zeit bietet keine Garantie, dass es nicht bereits zu einer Störung der Organentwicklung gekommen ist. Im Gegenteil kann das abrupte Absetzen der Medikation bei der Mutter eine Destabilisierung des psychischen Zustands auslösen.

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Depressionen in der Schwangerschaft können z. B. mit SSRIs behandelt werden.

Antidepressiva off label

Die Verordnung von Psychopharmaka in der Schwangerschaft ist eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung. Aus ethischen Gründen verbieten sich klinische Studien mit Schwangeren: Es steht deshalb kein zugelassenes Antidepressivum für diese Patientengruppe zur Verfügung. Die Verunsicherung bei Ärzten ist nachvollziehbar, dennoch ist der Verzicht auf eine Therapie aus Angst vor den Folgen keine Lösung. Gerichtsurteile haben eine Nicht-Verordnung bereits als unterlassene Hilfeleistung gewertet. Auf der anderen Seite kann eine unrealistische Risikoeinschätzung auch zu einem Abbruch einer erwünschten und intakten Schwangerschaft führen.

Prof. Dr. Christof Schaefer, Leiter des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums an der Charité, kennt das Problem: „Gynäkologen sind mit der Facharztmedikation überfordert und die Psychiater mit der Schwangerschaft. Teilweise wird auf eigene Faust abgesetzt, teils auch auf ärztlichen Rat.“ Ein regelmäßiger Austausch zwischen psychiatrischen Fachärzten und Gynäkologen ist im Versorgungsalltag wünschenswert.

Die Datenlage

Prof. Schaefer ist Autor der Datenbank Embryotox, in der sich sowohl Ärzte als auch Patientinnen über die Anwendung von Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit informieren können. Nach Erfahrungen aus Studien und Fallserien gelten die häufigsten Antidepressiva darin als relativ sicher. Die meisten Daten liegen für selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) vor. Sie werden wegen ihres günstigeren Nebenwirkungsprofils häufiger verordnet als die älteren trizyklischen Antidepressiva.

Deutlich weniger umfangreich sind die Daten zu den Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern, wie Venlafaxin und Duloxetin, und dem tetrazyklischen Antidepressivum Mirtazapin.

Was also kann man empfehlen?

Die Gabe von Antidepressiva während der Schwangerschaft sollte grundsätzlich nur nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Eine strenge Indikation vorausgesetzt können SSRIs und trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Imipramin) während einer Schwangerschaft eingesetzt werden. Sertralin oder Citalo­pram scheinen nach derzeitiger (umfangreicher) Datenlage nicht mit einem erhöhten Risiko für strukturelle Malformationen assoziiert zu sein. Wegen des geringfügig erhöhten Risikos für Fehlbildungen sollten Paroxetin und Fluoxetin nicht als Antidepressiva der ersten Wahl in der Schwangerschaft neu verordnet werden. ­Dennoch sieht Prof. Schaefer keinen Grund, eine schwer einstellbare Patientin wegen einer Schwangerschaft umzustellen. Günstiger ist es seiner Ansicht nach jedoch, für alle Frauen im gebärfähigen Alter von vornherein Citalopram oder Sertralin zu bevorzugen – unabhängig von der Familienplanung. Wenn die Nebenwirkungen toleriert werden, kommen auch trizyklische Antidepressiva infrage. Bei chronischen Erkrankungen sollte der Kinderwunsch generell in der Therapieplanung berücksichtigt werden.

Leitliniengerecht

Die überarbeitete S3-Leitlinie zur unipolaren Depression empfiehlt für den Fall, dass eine Therapie mit Antidepressiva während der Schwangerschaft fortgeführt werden soll, folgende Punkte zu berücksichtigen:

  • eine Monotherapie mit der geringsten effektiven Dosis anstreben
  • ein regelmäßiges Monitoring der Wirkstoffspiegel durchführen
  • die Medikation nicht abrupt absetzen

Für Valproinsäure, die in der Phasenprophylaxe bei manisch-depressiven Erkrankungen eingesetzt wird, gilt eine teratogene Wirkung als gesichert. Prof. Schaefer hält diesen Arzneistoff in der Psychiatrie jedoch sowieso für entbehrlich.  |

Quellen

Hayes RM, et al. Am J Obstet Gynecol 2012;207(1):49.e1–49.e9

Pharmakotherapie in der Schwangerschaft, Auszug aus BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell 2016

S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“, 2015, gültig bis 15.11.2020, AWMF-Register-Nr.: nvl-005

Schaefer C, Peters P, Miller RKM. Drugs during pregnancy and lactation, 3rd ed. Elsevier/Academic Press, New York 2015

Rohde A, Dorsch V, Schaefer C. Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit, 4. Auflage. Thieme, Stuttgart 2016

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