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Dagegen kann man nicht einfach klagen

Inländerdiskriminierung: Welche rechtlichen Möglichkeiten haben deutsche Apotheken?

STUTTGART (daz) | Die deutschen (Versand-)Apotheken beklagen sich über die seit knapp drei Wochen herrschende Inländerdiskriminierung. Anders als ihre niederländische Konkurrenz müssen sie sich weiterhin an die Rx-Preisbindung halten. Welche rechtlichen Möglichkeiten haben sie nun? Das fragten wir die Kölner Rechtsanwältin Dr. Sabine Wesser.

Das EuGH-Urteil, nach dem die deutsche Rx-Preisbindung für grenzüberschreitenden Arzneimittelversandhandel europarechtswidrig ist, hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf deutsche Apotheken. Es betrifft, ebenso wie die in seinem Mittelpunkt stehende Warenverkehrsfreiheit, allein grenzüberschreitende Sachverhalte. Dies führt dazu, dass für die hiesigen Apotheken alles beim Alten bleibt, während EU-ausländische Apotheken ihren Kunden nun Boni für die Rezept­einreichung gewähren dürfen (wobei sich allerdings wegen § 2b RahmenV die Frage stellt, ob dies auch dann gilt, wenn die Arzneimittel im Rahmen des Sachleistungssystems des SGB V auf Kosten der Krankenkassen abgegeben werden sollen). Diese Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Marktteilnehmern wird Inländerdiskriminierung genannt.

Foto: Wesser
Was tun? Dr. Sabine Wesser hat für die DAZ analysiert, welche Möglichkeiten deutsche Apotheker haben, gegen die derzeit herrschende Inländerdiskriminierung vorzugehen.

Einer solchen Inländerdiskriminierung sind durch das Grundgesetz Grenzen gesetzt, erklärt die Kölner Rechtsanwältin und Apothekenrechtsexpertin Dr. Sabine Wesser. Relevant sind das Grundrecht der Berufsfreiheit sowie das Recht auf Gleichbehandlung. Eine Apotheke, die wegen Verstoßes gegen § 78 AMG und die auf dieser Norm beruhenden Arzneimittelpreisverordnung in Anspruch genommen wird, zum Beispiel von einem Mitbewerber, der Wettbewerbszentrale oder der Aufsichtsbehörde, kann geltend machen, durch die gesetzlich angeordnete Preisbindung in ihren Grundrechten verletzt zu sein.

Preisbindung schränkt Berufsausübungsfreiheit ein

Die gesetzlichen Vorgaben für die Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel betreffen die Apotheken in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), denn sie dürfen nicht selbst bestimmen, zu welchem Preis sie verschreibungspflichtige Arzneimittel für den Endverbrauch abgeben. Der Gesetzgeber hat die Berufsausübungsfreiheit hier bewusst eingeschränkt. Das kann er aus Gründen des Allgemeinwohls tun. Sinn und Zweck der Rx-Preisbindung ist insbesondere, die im öffent­lichen Interesse gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen.

Doch infolge des EuGH-Urteils gelten diese Preisregelungen nun für Apotheken aus anderen EU-Mitgliedstaaten nicht mehr. Deswegen stellt sich die Frage, ob das von ihnen verfolgte Ziel (die flächendeckende Versorgung sicherzustellen) mit dieser Maßnahme überhaupt noch erreicht werden kann. Für Wesser stellt sich diese Frage nach der (fortbestehenden) Eignung besonders deswegen, weil der „EuGH seine Urteilsgründe ja gerade mit der Feststellung schließt, dass sich eine solche Beschränkung als nicht geeignet erweise, die angeführten Ziele zu erreichen, und deshalb auch nicht als durch die Verwirklichung dieser Ziele gerechtfertigt angesehen werden“ könne.

Wesser weist aber auch darauf hin, dass der Gesetzgeber einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum hat, ob eine Regelung zur Erreichung des mit ihr bezweckten Ziels geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist, wenn er die Berufsfreiheit zur Verhütung von Gefahren für die Allgemeinheit einschränkt. Wesser: „Dieser Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlerhaft sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die ergriffenen Maßnahmen abgeben können.“ Dies dürfte auf die Arzneimittelpreisbindung selbst dann nicht zutreffen, wenn ein kleiner Kreis von Apotheken (nämlich die ausländischen Versandapotheken) von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen ist. Wesser weist auch darauf hin, dass der ­Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes diesen Wertungsspielraum des Gesetzgebers in der Frage der Preisbindung verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht als überschritten angesehen hatte.

Dass die gesetzgeberische Maßnahme der Preisbindung bisher nicht offensichtlich ungeeignet zur Erreichung ihres Zieles war, sei doch schon dadurch belegt, dass es eine flächendeckende Arzneimittelversorgung ­gegeben hat und gibt. Wesser: „Demgegenüber dürfte die vom EuGH ­angestellte Erwägung, eine Arzneimittelversorgung in ländlichen Gebieten dadurch sicherzustellen, dass dort ­höhere Arzneimittelpreise verlangt werden können, dem Anliegen des deutschen Gesetzgebers, eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der (Gesamt-) Bevölkerung sicherzustellen, kaum Rechnung tragen.“

Sollten sich allerdings die Verhältnisse aufgrund des EuGH-Urteils ändern, zum Beispiel weil ausländische Versandapotheken lukrative Versorgungsbereiche an sich ziehen und den heimischen Apotheken nur noch die kostenintensiven Bereiche verbleiben, müssten Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der die Berufsausübung von Apotheken beschränkenden Preisbindung erneut überprüft werden, mahnt Wesser.

Gleichbehandlung als Grundsatz

Verfassungsrechtliche Grenzen der Inländerdiskriminierung können sich auch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG ergeben. Die Inhaber von in Deutschland niedergelassenen Apotheken werden nun anders behandelt als die Inhaber von im EU-Ausland niedergelassenen. Dass die Andersbehandlung auf EU-Recht zurückgeht, sollte daran nichts ändern, weil die Anwendbarkeit des europäischen Rechts auf deutschem Recht (dem Zustimmungsgesetz zu den supranationalen Verträgen) beruht. Doch Wesser gibt zu bedenken, dass sich ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung meist daraus ergeben werde, dass die Besserstellung der grenzüberschreitend Tätigen der Herstellung eines freien EU-Binnenmarktes dient.

Rechtsschutz ist nicht einfach

Was könnten (Versand-)Apotheker nun tun, die gegen die Inländerdiskriminierung vorgehen wollen? Das ist gar nicht so einfach, denn man kann nicht einfach „gegen Inländerdiskriminierung“ klagen. Generell hat nur das Bundesverfassungsgericht das „Verwerfungsmonopol“, das heißt, nur das Bundesverfassungsgericht kann gesetzliche Regelungen für verfassungswidrig erklären. Dadurch wird die Autorität des Gesetzgebers gewahrt, erklärt Wesser: Gesetze, die unter der Herrschaft des Grundgesetzes erlassen worden sind, sollen befolgt werden, solange nicht das Bundesverfassungsgericht ihre Nichtigkeit oder Unwirksamkeit allgemeinverbindlich festgestellt hat. Außerdem dient das Verwerfungsmonopol der Rechtssicherheit, weil es verhindert, dass es über die Gültigkeit von Gesetzen zu einander widersprechenden Gerichtsentscheidungen kommt. Das gilt natürlich auch für die von § 78 Abs. 2 AMG angeordnete Einheitlichkeit der Apothekenabgabepreise.

Wenn nun ein Fachgericht, das sich mit der Frage der Arzneimittel-Preisbindung beschäftigt – ob aufgrund einer wettbewerbsrechtlichen oder berufsgerichtlichen Klage oder wegen einer aufsichtsbehördlichen Maßnahme – diese für verfassungswidrig hält, hat es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Solange aber das Bundesverfassungsgericht § 78 Abs. 2 AMG nicht als verfassungswidrig erkannt hat, bleibt die Pflicht zur Gewährleistung einheitlicher Apothekenabgabepreise bestehen. Lediglich für grenzüberschreitend tätige EU-Versandapotheken greift der Anwendungsvorrang des EU-Gemeinschaftsrechts ein. Unterlässt das Fachgericht die Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht, kann der betroffene Apothekeninhaber gegebenenfalls Urteilsverfassungsbeschwerde einlegen. Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz, so Wesser, dürfte dagegen ausscheiden, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche unzulässig ist, soweit der Beschwerdeführer vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Fachgerichte erlangen kann. Damit soll neben der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage entscheiden muss. |

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