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Zahngesundheit
Besser Vorsicht als Nachsicht
Parodontitis ist irreversibel, aber es gibt wirksame Maßnahmen zur Vorbeugung
Gesundes Zahnfleisch ist straff, zartrosa, leicht getüpfelt und blutet bei Berührung sowie beim Zähneputzen nicht (Abb. 1). Die Zähne sind mit einem feinen, hochaktiven Wurzelhäutchen überzogen, das mit einem dichten, gut durchbluteten Fasernetzwerk mit dem Knochen im Zahnfach verwachsen ist. Darüber liegt das Zahnfleisch in 1 bis 2 mm dicker Schicht. Gesundes Zahnfleisch haftet mit vielen kleinen Saugnäpfchen am Zahnhalsbereich des Zahnes an. Dieses hindert die Bakterien und die Plaque daran, zwischen Zahnfleisch und Zahn bis zum Kieferknochen vorzudringen.
Vermehrte Plaqueanlagerung, Bakterienansiedlung (Biofilm), Belag- oder Zahnsteinbildung können jedoch zu Zahnfleischentzündungen führen. Ursächlich sind die Bakterien in den Zahnbelägen, die zu einer vermehrten Durchblutung und Auflockerung des Zahnfleisches führen. Das Zahnfleisch schwillt an, wird prall und blutet bei Berührung oder beim Zähneputzen. Solche Zahnfleischentzündungen sind oft nach gründlicher professioneller Zahnreinigung reversibel und können durch gute Zahnputztechnik vermieden werden. Zahnfleischentzündungen können aber auch Ausdruck hormoneller Wechselwirkungen sein, beispielsweise während einer Schwangerschaft.
Irreversibler Knochenschwund
Bei gesunden Menschen besteht zwischen natürlicher, unvermeidbarer bakterieller Infektion am Zahnfleischsaum und der immunologischen Abwehr im Zahnfleisch eine ausgewogene Wechselwirkung. Genetisch bedingte oder im Laufe des Lebens erworbene Risikofaktoren wie Allgemeinerkrankungen (z. B. Diabetes, Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Autoimmunerkrankungen), Arzneimittel (z. B. Antihypertensiva, Antiepileptika), Lebensgewohnheiten (z. B. Rauchen) oder Stress können zu überschießenden Immunreaktionen am Zahnhalteapparat führen. Der Körper bildet auf die (normale) bakterielle Infektion Botenstoffe, die zum Abbau des zahnfixierenden Fasernetzwerkes und des knöchernen Zahnfaches führen. Knochen und (oft) Zahnfleisch ziehen sich zurück (Abb. 2). Es kommt zu freiliegenden Wurzeloberflächen, nicht selten mit Überempfindlichkeiten, Zahnwanderung und -lockerung. Im Endstadium ist das Zahnfach am Kieferknochen abgebaut, und die Zähne fallen aus. Der Körper hilft sich selbst: Durch den Abbau des Zahnhalteapparats wird eine Infektion des Kieferknochens verhindert.
Vorsicht Rezessionen
Bei manchen Menschen kommt es zu Knochenschwund an den äußeren Wurzeloberflächen. Nicht selten in Verbindung mit Überempfindlichkeiten oder sogenannten keilförmigen Defekten am Zahnhals. Diese haben nichts mit Parodontitis gemein. Ursächliche Faktoren können genetisch bedingte dünne oder gefensterte Knochenlamellen des knöchernen Zahnfaches, schnelle kieferorthopädische Wurzelbewegungen oder falsche Zahnputztechnik (meist zu hoher Anpressdruck der Zahnbürste) sein. Im Vordergrund dieser Erscheinung stehen jedoch in aller Regel die ästhetischen Beeinträchtigungen durch lange Zahnhälse (Abb. 3). Solche Defekte können heute oftmals mikrochirurgisch durch Zahnfleischverschiebungen oder -transplantationen erfolgreich behandelt werden. Rezessionen führen in aller Regel nicht zum Zahnverlust.
Verlauf nicht immer gleich
Besonders kritisch ist die sogenannte aggressive Parodontitis, die in aller Regel bei Patienten schon in jüngeren Jahren (vor dem 40. Lebensjahr) auftreten kann und rasch fortschreitet. Oftmals sind Zahnentfernungen notwendig. Die chronische Parodontitis tritt nach dem 40. Lebensjahr auf und verläuft langsamer. Ihre Prognose ist insgesamt besser: In aller Regel können die Zähne langfristig erhalten werden. Bei sogenannten mit Allgemeinerkrankungen assoziierten Parodontitiden hängt die Prognose mit von der Grunderkrankung ab. Die Behandlung erfolgt in aller Regel interdisziplinär in Zusammenarbeit von Zahnarzt und behandelndem Facharzt.
Früherkennung – das A und O
Warnsignalen wie Zahnfleischbluten, Zahnfleischrückgang, Mundgeruch oder Zahnwanderung sollte frühzeitig nachgegangen werden. Der Zahnarzt kann durch einen einfachen sogenannten Parodontalen Screening Index eine Parodontitis binnen weniger Sekunden ausschließen. Mithilfe von Taschenbefunden, Röntgenuntersuchungen oder speziellen Risikotests werden die Ursachen und der Fortschritt der Erkrankung festgestellt. Die gesetzliche Krankenversicherung zahlt jedoch nur ein sehr reduziertes Diagnostik-Portfolio.
Parodontitis oder Parodontose?
Früher glaubte man, „Parodontose“ wäre ein altersbedingter Knochenschwund im Sinne eines Knochenumbaus mit fortschreitendem Alter. Man dachte auch, dass Überbelastungen der Zähne zu Knochenschwund führen können. Heute weiß man jedoch, dass „Parodontitis“ eine entzündliche Krankheit ist, die zwar bakteriellen Ursprungs ist, aber durch immunologische Überreaktion zustande kommt.
Keine Angst vor Therapie
Das Schreckensgespenst „Operation“ oder „Abschaben der Wurzeloberflächen“ ist längst umgänglich geworden. Heutzutage gibt es schonende Behandlungsalternativen: Mit dünnen, im Schall- oder Ultraschallbereich schwingenden Sonden werden befallene Wurzeloberflächen sorgfältig von Auflagerungen wie Bakterienschichten oder Zahnstein gereinigt. Die Feinreinigung der Poren an der Wurzeloberfläche erfolgt mit Pulverpartikeln in einem Luft-/Wasserspray, das in die Zahnfleischtaschen eingesprüht wird. Taschen ab 5 mm Tiefe können danach mit blauem Farbstoff beschichtet und mit Laserlicht desinfiziert werden (photoaktivierte Therapie, PACT). Letztere ersetzt oftmals die bis vor Kurzem übliche Antibiotika-Gabe. Bei sehr tiefen Taschen können regenerationsfördernde Gele in die Tasche appliziert werden. Eine solche Behandlung ist in aller Regel schmerzarm, mit schonender Anästhesie sogar schmerzfrei. Nachwirkungen gibt es extrem selten.
Heilung auf Zeit
Nach der erfolgreichen Parodontal-Erstbehandlung strafft sich das Zahnfleisch und bildet im günstigsten Fall neue feine saugnapfartige Haftstrukturen auf der gereinigten Zahnwurzeloberfläche. Eine knöcherne Regeneration bleibt jedoch in aller Regel aus. Die Grundneigung zur Parodontitis und die damit verbundene Neigung zur immunologischen Überreaktion bleiben in aller Regel unbeeinflusst. Insofern ist Parodontitis dem Grunde nach „unheilbar“. Der entzündungsfreie Zustand und damit verbunden der Stillstand für weiteren Knochenabbau bleiben von Mensch zu Mensch verschieden nur für ein gewisses Zeitintervall stabil. Dieses muss individuell bestimmt werden, um die Parodontitis-Therapie (unterstützende Parodontaltherapie, UPT) in abgewandelter oder analoger Form in diesen Abständen lebenslang zu wiederholen.
Regelmäßige Vorbeugung
Eine professionelle Zahnreinigung umfasst Zahnsteinentfernung und Zahnreinigung der sichtbaren Zahnoberflächen oberhalb des Zahnfleisches. Durch diese Reinigung werden die Bakterienbeläge auf der Wurzeloberfläche unterhalb des Zahnfleischsaumes nicht beeinflusst. Gerade die Letzteren sind es aber, die eine Parodontitis verursachen und vorantreiben. Aus diesem Grunde müssen die Wurzeloberflächen auch unterhalb des Zahnfleischsaumes bis zum Beginn der Haftstrukturen an der Wurzeloberfläche regelmäßig gereinigt werden. Die erste Kontrolle findet in der Regel sechs bis acht Wochen nach der Parodontitis-Ersttherapie statt, danach nach drei Monaten. Der Dreimonatsabstand wird unter regelmäßiger Kontrolle je nach Entzündungsneigung auf sechs, neun oder zwölf Monate verlängert oder bei Wiederaufkommen (z. B. Schwangerschaft, Wechseljahre, Allgemeinerkrankungen, Medikamenteneinnahme) verkürzt. Wissenschaftliche Studien zur Parodontitis zeigen, dass nur dadurch die Zähne mit sehr hohen Erfolgsprognosen über lange Zeiträume (20 Jahre) erhalten werden können. Leider werden die Maßnahmen der UPT nicht routinemäßig von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. |
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