Arzneimittel und Therapie

Schmerztherapie ohne Nebenwirkung?

Vom Placebo-Effekt bei kindlicher Migräne

Kopfschmerzen und Migräne treten vermehrt bereits im Kindesalter auf. Neben einer entsprechenden Diagnostik muss auch die Therapie an das kindliche Alter angepasst werden. Eine aktuelle US-amerikanische Studie untersuchte die Wirksamkeit von Amitriptylin und Topiramat bei pädiatrischer Migräne. Beide Arzneistoffe wirkten nicht besser als Placebo – auf den ersten Blick vielleicht ein überraschendes Ergebnis. Oder doch nicht?

Kopfschmerzen gehören zu den häufigsten gesundheitlichen Problemen bei Kindern. In Deutschland werden jährlich schätzungsweise eine Million Schultage wegen Kopfschmerzen versäumt. Fünf bis zehn Prozent aller 7- bis 15-Jährigen leiden unter Migräne. Bei den 7-Jährigen ist die Migräneprävalenz in den letzten 20 Jahren von 1,9 auf 5,2% gestiegen. Insgesamt nehmen chronische Schmerzen bei Kindern zu.

Foto: athomass – Fotolia.com
Viele bunte Smarties gegen Migräne? Der Placebo-Effekt sollte in der Schmerztherapie nicht unterschätzt werden - aber auch nicht überschätzt.

Schmerzmessung bei Kindern

Da Schmerzen ein subjektives Phänomen sind, steht die Pädiatrie vor einer speziellen diagnostischen Herausforderung. Während der verbale Selbstbericht bei schulfähigen Kindern und Erwachsenen vorwiegend zur Schmerzmessung herangezogen wird, fällt dieses Instrument bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern weg. Hier kann mit der Fremdbeobachtungs-Skala „FLACC“ analog zu „KUSS“ (kindliche Unbehagen- und Schmerz-Skala) gearbeitet werden. Bei Vorschul- und Schulkindern, die global oder sprachlich in ihrer Entwicklung verzögert oder situationsabhängig durch Angst eingeschränkt sind, kann ebenfalls auf FLACC zurückgegriffen werden. Ab dem fünften Lebensjahr kann eine Gesichterskala zur Schmerzselbsteinschätzung verwendet werden. Daneben sind auch immer die Angaben der Eltern zu berücksichtigen.

Amitriptylin oder Topiramat?

In einer klinischen Studie wurde kürzlich die Wirksamkeit von Ami­triptylin und Topiramat bei kindlicher Migräne untersucht. In einem randomisierten Doppelblind-Design erhielten 328 Kinder im Alter von 8 bis 17 Jahren Amitriptylin (1 mg/kg täglich), Topiramat (2 mg/kg täglich) oder Placebo über einen Zeitraum von 24 Wochen. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit: Bei 52% der Kinder in der Amitriptylin-Gruppe, 55% der Kinder in der Topiramat-Gruppe und 61% der Kinder in der Placebo-Gruppe kam es zu einer Verringerung der Kopfschmerz-Frequenz. Die Rate der Nebenwirkungen war in den beiden Verum-Gruppen jedoch signifikant höher als nach Placebo-Gabe. Neben Müdigkeit und Mundtrockenheit in der Amitriptylin-Gruppe und Parästhesien und Gewichtsabnahme in der Topiramat-Gruppe traten zusätzlich schwerwiegende Nebenwirkungen auf, darunter Stimmungsveränderungen bei drei Amitriptylin-Probanden und ein Selbstmordversuch bei einem Topiramat-Probanden. Aufgrund dieser Daten muss sowohl bei Amitriptylin als auch bei Topiramat von einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis in der Indikation pädiatrische Migräne ausgegangen werden.

Analgetische Placebo-Effekte

Grundsätzlich ist eine hohe Placebo-Response bei klinischen Studien zu Migräne bekannt. Mit Ansprechraten von 50 bis 60% ist durchaus zu rechnen. Erklären lässt sich dieser Placebo-Effekt durch drei neurobiologische Theorien: die klassische Konditionierung, das soziale Lernmodell und das Erwartungsverhalten. Während bei der klassischen Konditionierung der Körper lernt, dass auf die Tabletteneinnahme eine Analgesie folgt, basiert das soziale Lernmodell auf dem sogenannten Beobachtungslernen, z. B. durch Beobachten eines anderen Patienten, der ein bestimmtes Medikament einnimmt und eine Wirkung verspürt. Beim Erwartungsverhalten schließlich wird der Patient informiert, dass ein bestimmtes Medikament seine Schmerzen lindern wird. Die dadurch geweckte Erwartung trägt ebenfalls zum Placebo-Effekt bei. Beim Nocebo-Effekt hingegen werden statt der positiven Erwartungen negative Effekte in den Vordergrund bzw. ins Bewusstsein gerückt, etwa potenzielle Nebenwirkungen.

Insgesamt lässt sich durch Placebo-Effekte die Wirkung eines Schmerzmittels besser nutzen oder sogar verstärken. Die Kunst des Arztes (aber auch des Apothekers!) liegt darin, das Potenzial der Placebo-Wirkung bestmöglich zu nutzen.  |

Quellen

Powers SW et al. Trial of Amitriptyline, Topiramate, and Placebo for Pediatric Migraine. NEJM 2016. doi: 10.1056/NEJMoa1610384

Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) und der Gesellschaft für Neuropädiatrie, Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter, AWMF-Leitlinien-Register 2008.

Zernikow B & Hechler T. Pain Therapy in Children and Adolescents. Dt. Ärztebl. 2008; 105, 28-29. doi: 10.3238/arztebl.2008.0511

Bei Schmerzen auch Placeboeffekt nutzen / Deutscher Schmerzkongress 2013. Medical Tribune, 2014

Apothekerin Dr. Birgit Benedek

Das könnte Sie auch interessieren

Keine Migräne­prophylaxe bei Kindern

Mehr Risiken als Nutzen

Ein Gastkommentar von Raymund Pothmann, Hamburg

Kein Placebo für bedürftige Kinder!

Neuerungen betreffen vor allem die medikamentöse Prophylaxe

Leitliniengerecht gegen Migräne

Neue Leitlinie zum Medikamenten-Übergebrauch beschreibt Auswege aus dem Teufelskreis

Kopfschmerzen durch zu viele Kopfschmerzmittel

Auch Kinder können unter Migräne leiden

Hämmern im Kopf

Migräneprophylaxe

Hilft Magnesium bei Migräne?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.