Arzneimittel und Therapie

„Treat to target“ oder „Fire and forget“?

In der Behandlung der Dyslipidämie verfolgen Europa und die USA unterschiedliche Strategien

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und die europäische Atherosklerose-Gesellschaft (EAS) haben die Leitlinien zum Management von Dyslipidämien aktualisiert: „Treat to target“ lautet nach wie vor die gültige Devise. Nach diesem Prinzip wird abhängig vom individuellen Risiko des Patienten ein Statin ausgewählt, um einen definierten LDL-Zielwert zu erreichen. Die Amerikaner empfehlen feste Statin-Dosierungen unabhängig vom Cholesterol-Spiegel.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen enden für mehr als vier Millionen Menschen jedes Jahr in Europa tödlich. Die größten Risikofaktoren Diabetes mellitus und Adipositas sind dabei weiter auf dem Vormarsch. In den neuen europäischen Leitlinien zu Dyslipidämie wird Prävention daher noch stärker betont als bisher. Durch populationsbasierte Ansätze wie Lebensstiländerungen zur Reduktion von Risikofaktoren könnten nach Ansicht der Autoren 80% aller kardiovaskulären Erkrankungen vermieden werden. Rauchverzicht, körperliche Bewegung, ein adäquater Body-Mass-Index (BMI) und entsprechender Taillenumfang zählen neben einem definierten Blutdruck von < 140/90 mmHg und einem HbA1c-Wert < 7% zu den essenziellen Empfehlungen der Leitlinie.

In der PREDIMED-Studie zeigte sich außerdem, dass eine mediterrane Ernährung einen unerwartet positiven Einfluss auf die Rate von Herz-Kreislauf-Ereignissen nimmt. Charakteristisch für diese Diät ist der regelmäßige Verzehr von nativem Olivenöl, Obst, Nüssen, Gemüse und Getreide. Darüber hinaus bleibt das Konzept einer an Zielwerten orientierten Senkung des LDL- Cholesterols in Abhängigkeit vom individuellen Risiko eines Patienten weiter bestehen. Die Nüchtern-Messung des LDL-Spiegels ist ratsam, jedoch nicht mehr zwingend erforderlich.

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Treat to target Eine auf den Zielwert abgestimmte Lipidsenkung erfordert eine engmaschige Betreuung.

Zehn-Jahres-Risiko berechnen

Für die Bestimmung des kardiovaskulären Risikos empfehlen ESC und EAS das Systemic Coronary Risk Estimation System (SCORE), anhand dessen sich das Zehn-Jahres-Risiko für ein töd­liches kardiovaskuläres Ereignis ermitteln lässt. Generell wird eine Risiko-bestimmung ab einem Alter von 40 Jahren bei asymptomatischen Erwachsenen ohne kardiovaskuläre Erkrankung, Diabetes mellitus, Nierenfunktionsstörung oder familiäre Hypercholesterinämie empfohlen. Liegt eine manifeste koronare Herzkrankheit (KHK), Diabetes mellitus mit Endorganschäden oder eine individuelle Häufung mehrerer Risikofaktoren (u. a. Hypertonie, Dyslipidämie) vor, fallen diese Patienten in die Kategorie „sehr hohes Risiko“ (SCORE ≥ 10% für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis in den nächsten zehn Jahren). Präzisiert wurden die Angaben zu Niereninsuffizienz. Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate (GRF) < 30 ml/min zählen ebenfalls zur Hochrisikogruppe. Empfohlen wird in diesen Fällen eine Senkung des LDL-Werts auf < 70 mg/dl (1,8 mmol/l) bzw. eine mindestens 50%ige Reduktion, wenn der Ausgangswert zwischen 70 und 135 mg/dl (1,8 bis 3,5 mmol/l) liegt.

Nach einem Myokardinfarkt sollte eine Statin-Therapie unabhängig vom Gesamtcholesterolspiegel in Betracht gezogen werden. Bei Patienten der Kategorie „hohes Risiko“ (SCORE 5% bis 10% für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis in den nächsten zehn Jahren) sollte ein LDL-Spiegel von < 100 mg/dl (< 2,6 mmol/l) angestrebt werden. Alternativ wird eine Senkung des LDL-Cholesterols um mindestens 50% angeraten, wenn der Ausgangswert im Bereich zwischen 100 mg/dl und 200 mg/dl (2,6 bis 5,2 mmol/l) liegt. Eine GFR von 30 bis 59 ml/min wird neuerdings in die Kategorie „hohes Risiko“ eingeordnet. Für Patienten mit niedrigem oder nur moderat erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ist nach wie vor ein Zielwert von < 115 mg/dl (< 3 mmol/l) vorgegeben. Neben den erforderlichen Lebensstilinterventionen erfolgt die medikamentöse Einstellung des definierten LDL-Zielwerts durch die Auswahl eines Statins mit entsprechender Potenz. Dieser individuelle risikobasierte Ansatz „treat to target“ unterscheidet sich von den US-Leitlinien, die ein vereinfachtes Vorgehen nach dem Prinzip „Fire and forget“ mit festen Statin-Dosen favorisieren. Grundsätzlich wird in den Leitlinien der American Heart Association (AHA) und des American College of Cardiology (ACC) eine Statin-Therapie für folgende Patientengruppen unabhängig vom Cholesterol-Spiegel empfohlen: Patienten mit klinisch manifester kardio­vaskulärer Erkrankung, Diabetiker im Alter zwischen 40 und 75 Jahren, Personen mit einem Zehn-Jahres-Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung von ≥ 7,5% und Patienten mit einem LDL-Wert ≥ 190 mg/dl. Diese Empfehlung basiert wie die der europäischen Leitlinien auf den Ergebnissen randomisiert-kontrollierter Studien (RTCs).

Wenn Statine nicht reichen

Einig sind sich die Fachgesellschaften darüber, dass Statine als Mittel der ersten Wahl zur LDL-Senkung eingesetzt werden sollten. Eine Reduktion des LDL-Spiegels um weitere 15 bis 20% ist durch die Kombination des Statins mit Ezetimib möglich. Darüber hinaus findet Ezetimib bei Statin-Intoleranz bevorzugt Verwendung. Alternativ kann ein Gallensäurebinder allein oder in Kombination mit Ezetimib in Erwägung gezogen werden. Die neuen PCSK9-Inhibitoren gelten lediglich als Ultima ratio. Der Einsatz kann erwogen werden, wenn LDL-Cholesterolwerte unter einem Statin plus Ezetimib nicht ausreichend gesenkt werden können, ebenso bei Statin-Unverträglichkeit und -Kontraindikation. Neben Evolocumab (Repatha®). Alirocumab (Praluent®) zur Verfügung. Fibrate kommen insbesondere bei hohen Triglycerid-Spiegeln (> 200 mg/dl) infrage. Dabei kann Fenofibrat im Gegensatz zu Gemfibrozil bei entsprechendem Monitoring mit einem Statin kombiniert werden. |


Apothekerin Damaris Mertens-Keller


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