Gesundheitspolitik

„Die Preisbindung ist nur mit dem Rx-Versandverbot zu erhalten“

Interview mit Cosima Bauer und Professor Uwe May zum May / Bauer / Dettling-Gutachten

Das System der Rx-Preisbindung in Verbindung mit der ­flächendeckenden Apothekenversorgung und dem Sachleistungsprinzip ist effizienter und kosteneffektiver als ein freier ­Preiswettbewerb bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Zu diesem Ergebnis kommt das gesundheitsökonomische Gutachten von Prof. Dr. Uwe May, Cosima Bauer und Dr. Heinz-Uwe Dettling. Im Interview mit DAZ.online* erklären May und Bauer, warum das Rx-Versandverbot jetzt so wichtig ist.

AZ: Frau Bauer, Herr May, Sie haben zusammen mit Dr. jur. Heinz-Uwe Dettling ein gesundheitsökonomisches Gutachten erstellt, das sich mit verschiedenen Folgeszenarien als Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beschäftigt. Wozu bedurfte es dieses Gutachtens?

Foto: May und Bauer-Konzepte
Cosima Bauer

Cosima Bauer: Die EuGH-Richter verlangen in ihrem Urteil plausible ökonomische Belege, warum die in Deutschland bestehende Preisbindung für Rx-Arzneimittel geeignet und notwendig ist, die Versorgungsqualität sicherzustellen. In der Tat muss ein so gravierender Eingriff in den Markt in einem ansonsten marktwirtschaftlichen System ordnungspolitisch und ökonomisch legitimiert sein. Diesen Beleg sieht der EuGH bis heute als nicht erbracht an und stellt ­daher fest, dass zumindest für ausländische Versandapotheken die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht gilt. Wir wollen mit unserem Gutachten die geforderten Nachweise beibringen.

AZ: Um zu vermeiden, dass in Deutschland die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel fällt, schlägt der Bundesgesundheitsminister als Reaktion auf das EuGH-Urteil ein generelles Versandhandelsverbot für Rx-Arzneimittel vor. Ist ein solches Versandhandelsverbot notwendig und gerechtfertigt?

Bauer: Zunächst ist die Preisbindung notwendig, um die flächendeckende Versorgung mit Vor-Ort-Apotheken, deren Bedeutung auch von den politischen Befürwortern des Versandhandels ja nicht in Abrede gestellt wird, zu gewährleisten. Da die Preisbindung nach dem EuGH-Urteil faktisch nur mit einem Rx-Versandverbot zu erhalten ist, ist dieses aus Sicht der Gutachter gerechtfertigt. Dahinter steht auch die Feststellung, dass im Hinblick auf die Versorgungsqualität keine Alternative zu einer Versorgung durch Vor-Ort-Apotheken besteht. Wie unter anderem die Compliance-Forschung belegt, beruht eine zielführende pharmazeutische Betreuung auf subjektiven Faktoren wie Vertrauen, Emotionalität und Empathie, die nur im persönlichen und verstärkt im wiederkehrenden Kontakt erreichbar sind. So kann in vielen Fällen die verhaltensbestimmende Laienhypothese mit dem medizinisch Rationalen in Einklang gebracht werden.

AZ: Was ist aus ökonomischer Sicht für Sie persönlich die wichtigste Erkenntnis aus Ihrer Untersuchung?

Foto: May und Bauer-Konzepte
Prof. Dr. Uwe May

Uwe May: Eine Feststellung, die uns sehr wichtig erscheint, ist, dass hier offenbar der seltene Fall vorliegt, dass die bessere Lösung für die Patienten, nämlich die ­Arzneimittelversorgung durch Vor-Ort-Apotheken, gleichzeitig unter dem Strich auch die kostengünstigere Lösung für das Gesundheitssystem ist. Der typische Zielkonflikt zwischen Ökonomie und ­Versorgungsqualität ist hier nicht gegeben.

AZ: Wie kann das sein? Für viele Beobachter scheint es offensichtlich, dass der Versandhandel vielleicht nicht besser, aber zumindest doch kostengünstiger ist als die Versorgung durch Vor-Ort-Apotheken, oder?

May: Die Verteilung von Arzneimitteln über den Versandhandel mag billiger sein, aber nicht kostengünstiger im Sinne eines Preis-Leistungs-Verhältnisses. Eine gesundheitsökonomische Betrachtung verlangt nach der Erfassung aller Kostenarten und aller Nutzenaspekte. Auf der Nutzenseite sind Versandhandel und Vor-Ort-Apotheke nicht vergleichbar, sodass jeder Kostenvergleich von vornherein hinkt. Auf der Kostenseite gibt es zwar Vorteile des Versandhandels, die durch Nachteile in der Versorgung, die ihrerseits zu Folgekosten führen, wieder aufgezehrt werden.

AZ: Es gibt ja auch Vorschläge, die im Kern darauf abzielen, die Preisbindung, aber auch den Versandhandel zu erhalten, zum Beispiel das Modell begrenzter Boni. Was halten Sie davon?

May: Grundsätzlich würde dies zu einer Doppelstruktur führen, in der neben den Versandapotheken auch die Vor-Ort-Apotheken wirtschaftlich existenzfähig sein müssten. Um Letzteres zu erreichen, wären Verluste an den Versandhandel durch Honorarerhöhungen oder eine direkte Subventionierung auszugleichen. Dabei sind begrenzte Boni sicherlich vernünftiger als unbegrenzte Boni. Ein guter Kompromiss sind sie deshalb noch nicht. Auch begrenzte Boni führen dazu, dass finanzielle Erwägungen zu einem (unsachlichen) Kriterium für die Kaufentscheidung des Patienten zugunsten des Versandhandels werden. Deshalb werden die Vor-Ort-Apotheken im Wettbewerb gezwungen sein, Boni zu gewähren. Der wirtschaftliche Verlust durch die Boni-Gewährung oder alternativ die Abwanderung von Kunden, wenn keine Boni gewährt werden, reichen aus, um insbesondere Landapotheken in ihrem Bestand zu gefährden.

AZ: Ist es angemessen, gleich von einer Existenzbedrohung vieler Apotheken zu sprechen? Die Freunde des Versandhandels halten dies für maßlos übertrieben …

Bauer: Unsere Überlegungen und Berechnungen haben gezeigt, dass schon relativ moderate Marktanteile, die der Versandhandel gewinnen könnte, ausreichen, um insbesondere Apotheken auf dem Land in ihrer Existenz zu gefährden. Dies liegt an der spezifischen betriebswirtschaftlichen Situation von Apotheken, die es bedingt, dass Umsatzverluste im Rx-Geschäft eine überproportional große Hebelwirkung auf die Gewinnsituation und somit die Rentabilität der Apotheke haben.

AZ: Wie sehen Sie aus gesundheitsökonomischer Sicht die Bedeutung der aktuellen Diskussion und den Stellenwert der Vor-Ort-Apotheke für die Zukunft?

May: Perspektivisch ist es aus ­gesundheitsökonomischer Sicht angeraten, den niederschwelligen Versorgungszugang in den Apotheken noch breiter und intensiver zu nutzen, um den Effizienzgrad der Arzneimitteltherapie zu steigern und die Apotheken verstärkt zur Entlastung des ambulanten Versorgungssystems zu nutzen. Eine Gefährdung der ­flächendeckenden Apotheken­versorgung durch den Versandhandel und die Aufhebung der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel würde diesem zukunftsorientierten Bestreben zuwiderlaufen. |

*Das Interview erschien am 28. März auf DAZ.online.

Lesen Sie dazu außerdem „Gute Gründe – Ein Versandverbot für ­verschreibungspflichtige Arzneimittel ist wettbewerbsökonomisch und gesundheitspolitisch begründet“ und „Wo liegen die Grenzen der ­Bonus-Reklame? Zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 19. Oktober 2016 auf § 7 Heilmittelwerbegesetz“, beides finden Sie in DAZ 2017, Nr. 13, S. 22 ff.

Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Uwe May und die Politikwissenschaftlerin Cosima Bauer M.A. sind Gründer der Unternehmensberatung „May und Bauer - Konzepte im Gesundheitsmarkt”. Zusammen mit dem Stuttgarter Juristen Dr. Heinz-Uwe Dettling haben sie im Auftrag der Noweda und des Deutschen Apotheker Verlags das Gutachten „Wettbewerbsökonomische und gesundheitspolitische Begründetheit eines Versandverbots verschreibungspflichtiger Arzneimittel” erstellt.

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