Gesundheitspolitik

Weg frei für neue Regeln für Medizinprodukte

EU-Parlament verabschiedet Verordnungen zu Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika

BERLIN (hb/ks) | Nach viereinhalb Jahren zäher Verhandlungen ist der Weg für den neuen Europäischen Rechtsrahmen für Medizinprodukte und In-­vitro-Diagnostika frei. Das Europäische Parlament hat die entsprechenden Verordnungen am 4. April in zweiter Lesung ver­abschiedet. Bis sie wirksam werden, dauert es aber noch.

Der letztlich gefundene Kompromiss sieht eine Reihe von Neuerungen für diesen Marktsektor vor. Unter anderem wird es künftig schärfere Kontrollen für besonders risikoträchtige Produkte wie Implantate geben. Vor dem Inverkehrbringen eines solchen Produkts auf EU-Ebene muss künftig ein Sachverständigenpool konsultiert werden. Zudem werden sowohl klinische Prüfungen mit ­Medizinprodukten als auch die Stellen, die befugt sind, das Inverkehrbringen dieser Produkte zu genehmigen (in Deutschland sind dies vor allen Dingen TÜV und DEKRA), einer strengeren Aufsicht unterworfen. Außerdem fallen nun auch bestimmte, ästhetischen Zwecken dienende und früher nicht regulierte Medizinprodukte unter die neuen Vorschriften, zum Beispiel gefärbte Kontaktlinsen, die keine Sehkorrektur bewirken.

Bessere Überwachung

Ferner sollen die Transparenz des Marktes und die Rückverfolgbarkeit der einzelnen Produkte verbessert werden. So wird in Zukunft jedes Produkt eine einmalige Produktnummer tragen, damit es über die neue europäische Datenbank für Medizinprodukte EUDAMED identifiziert werden kann. Last not least werden die Sicherheits- und Marktüberwachung der Produkte intensiviert. Wenn ein Produkt auf dem Markt erhältlich ist, werden die Hersteller Daten über dessen Leistung erheben müssen. Die EU-Mitgliedstaaten werden sich bei der Marktüber­wachung stärker koordinieren.

Der derzeit geltende Rechtsrahmen stammt aus den 1990er-Jahren. Er besteht aus drei Richtlinien, die nun durch zwei EU-Verordnungen abgelöst werden. Probleme aufgrund abweichender Auslegungen und Anwendung der Vorschriften, der technische Fortschritt und Vorfälle durch fehlerhafte Medizinprodukte, allem voran der Skandal um die Brustimplantate der französischen Firma PiP, hatten eine Überarbeitung dringend nötig gemacht. Im September 2012 hatte die Kommission schließlich Legislativvorschläge zu Medizinprodukten und zu In-vitro-Diagnostika vorgelegt. Bis sie wirklich verabschiedet werden konnten, wurde allerdings noch hart um Einzelheiten gerungen.

Die zuständige EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska ist mit dem Ergebnis zufrieden: „Ich freue mich außerordentlich, dass die von uns angestrebte Verschärfung der Kontrollen von Medizinprodukten auf dem EU-Binnenmarkt nun tatsächlich eintritt.“ Im Interesse der Bürger müsse stärker kontrolliert werden – egal ob es sich um Medizinprodukte, Autos oder andere Waren handele. „Statt auf den nächsten Skandal zu warten, sollten wir darüber reden, wie die Marktüberwachungstätigkeiten der Mitgliedstaaten von der EU stärker beaufsichtigt werden können“, sagte Bieńkowska.

Liese: Im Interesse der Patienten und der Hersteller

Für den CDU-Europaabgeordneten Dr. Peter Liese war es „höchste Zeit, dass wir in Europa ein besseres Medizinprodukterecht bekommen“. Er verwies darauf, dass kürzlich der Europäische Gerichtshof ein Urteil zum PiP-Skandal ­gefällt habe. Dabei habe er festgestellt, dass die benannten Stellen, in diesem Fall der TÜV, bisher nicht verpflichtet waren, die Einhaltung der Regeln vor Ort zu kontrollieren. „Dies zeigt, dass die bisherige Rechtslage nicht tragbar war“, sagte Liese. Und es gab auch noch bei anderen Produkten gravierende Probleme, wie der Europa-Politiker betont. Etwa bei Hüftimplantaten, Stents, die in die Gefäße zur Versorgung des Gehirns eingepflanzt werden, oder HIV-Tests. „In Zukunft wird vorgeschrieben, dass nicht nur Papier kontrolliert wird, sondern auch vor Ort Kontrollen stattfinden müssen, und zwar unangemeldet“, so Liese. Er meint zudem, der gefundene Kompromiss sei „nicht nur im Interesse der Patientensicherheit, sondern auch gut für die vielen mittelständischen Hersteller in Deutschland“: Endlich gebe es Planungs­sicherheit und Überbürokratie habe vermieden werden können.

Die Industrie ihrerseits spricht überwiegend von recht guten Kompromissen – denn es hätte auch schlimmer kommen können. Von Lieses Aussagen ist der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) jedoch nur bedingt überzeugt: Hier meint man, die neuen Vorschriften würden besonders kleine und mittelständische Unternehmen zusätzlich stark belasten.

Doch es bleibt Zeit, sich vorzubereiten: Die neue Verordnung über Medizinprodukte gilt erst drei Jahre nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU, die noch in diesem Monat erfolgen könnte. Die Verordnung über In-vitro-Diagnostika sogar erst fünf Jahre später. Teilweise werden die Regelungen auch noch später in die Praxis umgesetzt, weil zunächst entsprechende Funktionalitäten geschaffen werden müssen. Außerdem wird die Verordnung über Medizinprodukte durch 32 neue durchführende und weitere elf delegierte Rechtsakte ergänzt, deren Erarbeitung noch bevorsteht. |

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