Aus den Ländern

„Vertrauen und Vernetzung“

Bericht vom 6. Westfälisch-Lippischen Apothekertag

MÜNSTER (diz) | Er bekannte sich voll und ganz zur Vor-Ort-Apotheke: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ließ die rund 1200 Teilnehmer des 6. Westfälisch-Lippischen Apothekertags in Münster wissen, dass die Antwort auf das EuGH-Urteil nur das Rx-Versand­verbot sein kann. Kein Verständnis zeigte er für die Blockade seines ­Gesetzentwurfs durch die SPD. Und die Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen, Barbara Steffens, hielt der SPD vor, das Apothekenwesen in eine unklare Situation zu steuern. Auch die Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Gabriele R. Overwiening, attackierte die SPD-Bundestagsfrak­tion und forderte die SPD-Bundesministerien auf, dem Gesetzentwurf endlich zuzustimmen.
Foto: AKWL/Münsterview
Rund 1200 Teilnehmer zählte der 6. Westfälisch-Lippische Apothekertag, der am 18. und 19. März 2017 in Münster stattfand.

Die Apothekerkammer Westfalen-­Lippe hatte ihren 6. Apothekertag – es ist der größte regionale Apothekertag in Deutschland – am 18. und 19. März unter das aktuelle Motto „Vertrauen und Vernetzung“ gestellt. Wie Kammerpräsidentin Overwiening in ihrer Eröffnungsrede erklärte, nehme dieses Motto gleich zwei zentrale Herausforderungen in den Blick, denen sich Apothekerinnen und Apotheker derzeit stellen müssten: „Es geht ums Vertrauen der Patientinnen und Patienten in unsere Beratung und Betreuung. Und zum anderen wird die Vernetzung im Gesundheitswesen – Stichworte sind hier E-Health und Big Data – uns neue Chancen eröffnen, aber auch Risiken und Gefahren beinhalten.“

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Kammerpräsidentin Gabriele R. Overwiening: Die Antwort auf das EuGH-Urteil kann nur ein Rx-Versandverbot sein.

SPD soll zustimmen

Berufspolitisch standen das EuGH-Urteil und das von Bundesgesundheitsminister Gröhe auf den Weg gebrachte Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Mittelpunkt des Apothekertags. Overwiening nannte das Urteil der europäischen Richter „absurd“. Sie übersetzte die Argumentation des EuGH, wonach der Preiswettbewerb die einzige Wettbewerbsmöglichkeit für niederländische Apotheken sei, um am deutschen Markt mitzumischen, in ein anschauliches Beispiel aus dem Fußball. Auf den Fußball übertragen würde das Urteil bedeuten: „Weil holländische Fußballer den deutschen Spielern unterlegen sind, dürfen sie ab sofort nicht mehr nur mit Kopf und Füßen spielen. Nein, damit sie auch wirklich ein Tor erzielen können, dürfen sie auch mit den Händen spielen. Deutsche Fußballer dagegen werden weiterhin bestraft, wenn sie mit den Händen spielen.“ Mit ihrem Urteil zeigten die Richter, dass sie das Arzneimittel als ordinäre Ware sähen: „Wer so argumentiert, hat die Grundprinzipien des deutschen Gesundheitswesens nicht verstanden“, so Overwiening. „Die GKV ist nach dem Solidaritätsprinzip organisiert. Wenn jemand ­etwas benötigt, dann soll er es nicht er- oder verhandeln“, betonte Over­wiening. Außerdem sei es unverständlich, dass sich zuzahlungsfreie Patienten nach dem EuGH-Urteil bei EU-Versendern „was dazu verdienen“ könnten. Die Antwort auf das Urteil könne daher nur ein Rx-Versandverbot sein, sagte die Kammerpräsidentin und sicherte Gröhe die volle Unterstützung für seinen Gesetzentwurf zu. Mit deutlichen Worten wandte sich Overwiening an die SPD-Bundestagsfraktion: „Auch wenn Sie derzeit an Selbstbewusstsein zulegen, sind Sie immer noch Teil dieser Bundesregierung, die sich dadurch auszeichnet, Probleme ernst zu nehmen. Vertagen Sie das Problem nicht, versuchen Sie nicht, Zeit zu gewinnen!“ Denn wäre die Koalition sich einig ­gewesen, wären wir schon am Ziel. „Liebe SPD“, brachte es die Kammerpräsidentin auf den Punkt, „wer auf Zeit spielt und das Gröhesche Gesetz schlechtredet und selbst nur Luftnummern als Vorschläge macht, der handelt weder sozial noch demokratisch.“ Overwiening hielt der SPD ­zudem vor, dass mittlerweile selbst die Deutsche Parkinson Vereinigung ihren Patienten rate, sich von den Vor-Ort-Apotheken versorgen zu lassen. Der eindringliche Appell der Kammerpräsidentin an die SPD: ­Machen Sie den Weg frei für die ­Zurückführung des Versandhandels auf OTC-Arzneimittel!“

Gröhe verärgert über SPD

„Vertrauen und Vernetzung“ sei ein schönes Motto, freute sich Bundesgesundheitsminister Gröhe, „das wollen die Menschen, das Vertrauen stärken und sich vernetzen, darum gehe es im Kern im Gesundheitswesen“. Und in Richtung Apotheke ergänzte er: „Apothekerinnen und Apotheker sind für viele Menschen der erste Ansprechpartner im Gesundheitswesen. Daher stehe ich dazu: Was sich bewährt hat, sollen wir erhalten. Dazu gehören die Apothekenpflicht, das Fremd- und Mehrbesitzverbot, die Freiberuflichkeit.“ Lobend stellte er die Fortschritte auf dem Gebiet der Arzneimitteltherapiesicherheit heraus, wodurch viele vermeidbare Fehler entdeckt würden. „Wir brauchen mehr Wertschätzung von Beratung und nicht mehr Relativierung von ­Beratung“, so Gröhe.

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Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: Deutliche Kritik in Richtung SPD.

Über das EuGH-Urteil habe er sich „sehr geärgert“, obgleich er ein leidenschaftlicher Europäer sei:

„Leider müssen wir uns nach diesem Urteil grundsätzlich damit auseinandersetzen, welche Rolle sich der EuGH in der Gesundheitsversorgung anmaßt.“ Die EU-Versandapotheken beschuldigte er, einen Kompromiss aufgekündigt zu haben, dass nämlich der Rx-Versand erlaubt sein könne, allerdings die Preisbindung bei Rx-Arzneimitteln erhalten bleibe. „Deswegen müssen wir das Verbot zum Schutz der Apothekenlandschaft jetzt durchsetzen“, zeigte sich der Bundesgesundheitsminister entschlossen. Für ihn ist, wie er hervorhob, Arzneimittel­versorgung mehr als Arzneimittel­verkauf.

Der CDU-Minister attackierte die SPD aufs Schärfste: „Ich bin schon sehr überrascht, dass unser Koalitions­partner, der sich sonst für Solidarität einsetzt, jetzt die Marktradikalität einfordert.“

Von der persönlichen Kritik der Medien an ihm zeigte sich Gröhe unbeeindruckt. So wurde er beispielsweise von Spiegel und Stern als „Apothekenminister“ bezeichnet. Gröhe dazu: „Ich empfinde das nicht als Beschimpfung.“ Weil die Erhaltung der Apothekenstruktur vor allem den Versicherten zugutekomme, sehe er sich in erster Linie als „Versichertenminister“.

Verärgert zeigte sich Gröhe auch über die Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD). „Ich würde mir wünschen, dass das Bundeswirtschaftsministerium bei der Rettung von 150.000 Beschäftigten in Apotheken die gleiche Leidenschaft hinlegt wie bei der Rettung von circa 16.000 Tengelmann-Mitarbeitern“, womit er auf den persönlichen Einsatz des Wirtschaftsministers Gabriel anspielte, als es um die Rettung von Arbeitsplätzen bei der Fusion der Supermarktketten Edeka und Kaisers/Tengelmann ging. Gröhe machte deutlich, dass es derzeit nur am Bundeswirtschaftsministerium liege, dass das Notifizierungsverfahren auf EU-Ebene zum Rx-Versandverbot noch nicht eingeleitet sei. Die Kritik dieses Ministeriums am Gesetzentwurf sei nicht berechtigt: „Wir haben auch Mittel unterhalb eines Verbots geprüft, aber wir finden nichts.“ Und so rief er der SPD zu: „Ich rate ­allen SPDlern, die derzeit noch wacker auf der Suche nach irgendwelchen ­Alternativen sind: Sie werden nichts finden, beenden Sie diese Suche!“

Gröhe wies in seiner Rede auf dem Westfälisch-Lippischen Apothekertag auch auf einige Punkte hin, die die ­Regierung für die Apotheken auf den Weg gebracht hatte, beispielsweise den Schutz vor Retaxationen durch Krankenkassen und die Beendigung von Ausschreibungen bei Zytostatika. Zur Erhöhung der Vergütung für Rezepturen und die BtM-Dokumentation merkte der Minister an, dass diese Anpassung nach 30 Jahren überfällig war: „Die 100 Mio. Euro, die die Apotheker hierfür von der GKV bekommen, sind im Sinne der Versicherten gut angelegt.“ Und beim Medikationsplan stellte er den Apotheken in Aussicht, ab 2018 an einer Vergütung beteiligt zu werden, wenn dieser Plan auf der Gesundheitskarte elektronisch zur Verfügung stehe und in Apotheken elektronisch aktualisiert werden könne.

Steffens: Wir brauchen Sie!

Den Stellenwert der Apotheke in der wohnortnahen Versorgung hob die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Die Grünen) hervor, die zugleich als Schirmherrin des Apothekertags fungierte. Dies könne man nicht hoch genug bewerten. „Wir brauchen Sie“, rief sie den Apothekerinnen und Apothekern zu, „wenn wir die Apotheken nicht hätten, hätten wir keine adäquate ­Versorgung in Stadt und Land.“

Beim EuGH-Urteil sei sie mit Bundesgesundheitsminister Gröhe einer Meinung. „Übrigens, meine beste Freundin war plötzlich meine Kollegin Huml aus Bayern, mit der ich sonst nie etwas zu tun hatte“, scherzte Steffens im Nebensatz. Es sei zutiefst bedauerlich, dass das EU-Notifizierungsverfahren des Gesetzes zum Rx-Versandverbot noch nicht einge­leitet ­worden sei, so Steffens, und sie fügte hinzu: „Ich finde es zutiefst bedenklich, dass die SPD dem EU-Notifizierungsverfahren immer noch im Wege steht. Ich habe das ungute Gefühl, man sitzt das einfach aus. Ich würde mir wünschen, dass es noch vor der Bundestagswahl auf den Weg gebracht wird. Alles andere heißt: Wir gehen in eine wirklich unklare Situation!“ Die Verlässlichkeit in der wohnortnahen Versorgung, die Apothekennotdienste, die persönliche Beratung, die Face-to-Face-Beratung in der Apotheke seien nicht zu ersetzen, unterstrich die Ministerin ihre Über­zeugung.

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NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens findet es zutiefst bedenklich, dass die SPD dem EU-Notifizierungsverfahren immer noch im Wege steht.

Vor dem Hintergrund des Mottos dieses Apothekertags setzte sich Steffens auch für die Vernetzung und Digitalisierung im Gesundheitswesen ein. In Zukunft brauche man auch die Telematik, sie könne Effizienzen bringen. In Richtung Medikationsplan merkte sie kritisch an: „Ich hätte die Patienten entscheiden lassen, ob sie z. B. ihre Arzneimitteltherapiesicherheit über ihre Apotheke steuern lassen wollen, weil sie dort viele OTC-Arzneimittel zusätzlich beziehen. Das ist heute mit dem E-Health-Gesetz so nicht gegeben. Heute liegt der Medikationsplan in der Hand der Ärzte. Mir geht das alles viel zu langsam voran. Ich glaube, wenn wir den Wettbewerb zwischen Ärzten und Apothekern gehabt hätten, wäre alles schneller auf dem Weg, und das wäre gut für die Patienten.“

Man sollte sich auch überlegen, wo die Rolle des Apothekers in Zukunft sein kann, so Steffens. Für sie ist der Apotheker ein Heilberuf, der eine andere Aufgabe habe, als möglichst billig zu sein: „Drei Schachteln Paracetamol zum Preis von zwei ist unwürdig für einen Heilberuf.“

Steffens ist auch der Auffassung, dass man nicht nur in der Theorie auf die Compliance achten solle. Ihre Vision leitet sich dabei vom ärztlichen Bereich ab, wo unter dem Schlagwort der Schwester Agnes eine medizinische Fachangestellte Hausbesuche macht: „Warum haben wir nicht die Weiterentwicklung der PTA, die Hausbesuche macht, um zu schauen, ob die ­Arzneimitteltherapiesicherheit in der Praxis auch umsetzbar ist?“, fragte die Ministerin, „wir hätten viele Fehlsteuerungen und Nebenwirkungen weniger.“ Man müsse auch das Berufsbild der Apotheker weiterentwickeln, zeigte sie sich überzeugt, „und wir müssen Apotheke nochmal breiter denken“.

Steffens kann sich außerdem die Einführung telemedizinischer Sprechstunden vorstellen. Schließlich könne man auch sektorübergreifend zwischen Apotheken und Ärzten diskutieren, ob man im ländlichen Raum nicht eine engere Zusammenarbeit zwischen beiden Heilberufen erreichen könne, regte die Ministerin an.

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Kammerpräsidentin im Glück zwischen Bundesgesundheitsminister Gröhe und NRW-Gesundheitsministerin Steffens.

Fortbildung von Big Data bis Cannabis

Den Teilnehmern des Apothekertags (Apothekerinnen und Apotheker, Pharmaziestudierende und PTA) ­wurde ein aktuelles und reichhaltiges Fortbildungsprogramm geboten. Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger, Big-Data-Experte vom Oxford Internet Institute, sieht das Datensammeln als Schlüssel für die Zukunft. Er zeigte, wie unsere Wirtschaft und Gesellschaft von Big Data profitieren können. Prof. Dr. Gerd Antes, Direktor des deutschen Cochrane Zentrums, warnte dagegen vor unkritischem ­Umgang mit Big Data. Es werden hier mitunter Visionen an die Wand gemalt, die wissenschaftlichen Regeln widersprächen und oft als unseriös bezeichnet werden müssten.

Prof. Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker, ging auf die Knackpunkte beim Medikationsplan ein. So haben beispielsweise meist ältere Menschen auch Probleme mit der Verständlichkeit des bundesweit einheitlich aufgebauten Medikationsplans. Er machte deutlich, dass selbst ein aktueller und vollständiger Plan nicht die intensivierte apothekerliche Beratung ersetzt.

Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen führte in seinem Vortrag aus, wie die Medien das private, politische und wirtschaftliche Leben bis in den letzten Winkel durchdringen: Schon heute sind viele von uns fortwährend online, stets erreichbar, immer in der Angst, etwas zu verpassen. Die Vorstellung medienfreier Räume ist eine Illusion von gestern.

Einen aktuellen Überblick über das Thema Cannabis und Cannabinoide gab Prof. Dr. Burkhard Hinz, Direktor des Instituts für Toxikologie und Pharmakologie, Rostock. Er befasste sich mit der Entwicklung des medizinischen Einsatzes von Cannabis, mit den Änderungen betäubungsmittelrecht­licher Vorschriften und Überlegungen, ob Cannabis bei der Behandlung von Krebs eine Rolle spielen kann.

Neuerungen bei der Herstellung von Kapseln in der Apothekenrezeptur stellte Dr. Holger Reimann, Leiter des Pharmazeutischen Laboratoriums NRF, vor und ging auf Fragen dazu aus dem Praxisalltag ein.

Auf dem Programm des Apothekertags standen zudem mehrere Vorträge und Workshops für die PTA.

Ausstellung und Party

Über 50 Aussteller präsentierten sich den Teilnehmern des Westfälisch-Lippischen Apothekertags in einem eigenen Raum der Münsterland-Halle.

Für Partystimmung, italienisches Flair, Comedy und tanzbare Musik sorgte die Abendveranstaltung am ersten Kongresstag des Apothekertags. Rund 400 Gäste feierten in der Jovel Music Hall und erlebten ein Improvisationstheater, an dem auch Comedian Bernhard Hoëcker beteiligt war. Darüber hinaus gab es verschiedene Aktionen zum Hilfsprojekt „Eine Dosis Zukunft“, das die Apothekerkammer Westfalen-Lippe seit 2009 in Partnerschaft mit der Kindernothilfe unterstützt. |

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