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Meinung

(Zu) Kurz gesprungen

Die flächendeckende Versorgung als Argument ernst nehmen! Ein Meinungsbeitrag von Andreas Kaapke

Das komplexe und gleichzeitig filigrane System der Arzneimittelversorgung in Deutschland steht von mehreren Seiten unter Beschuss. Die Apotheker argumentieren in diesen Auseinandersetzungen, dass die flächendeckende Versorgung in Gefahr sei durch die Folgen aus dem EuGH-Urteil, durch die unzureichende Anpassung ihrer Honorierung und durch womöglich bevorstehende Rabattkürzungen des pharmazeutischen Großhandels. Die Apothekerschaft täte gut daran, dieses Argument ernst zu nehmen und nicht zur Kaschierung pekuniärer Interessen vorzuschieben, findet der Stuttgarter Handelsforscher und „Apotheken-Ökonom“ Professor Andreas Kaapke.

Der deutsche Apothekenmarkt ist von starken Eingriffen des Staates gekennzeichnet. Diese Regulierung erfolgt in einer sozialen Marktwirtschaft vor allem dann, wenn das freie Spiel der Marktmechanismen Verwerfungen nach sich ziehen und die Wahrung des Gemeinwohls behindern oder gar verhindern würde. Diese Verwerfungen sind bei der Distribution von Arzneimitteln denkbar. Deshalb hat sich der deutsche Staat, wie viele andere auch, vor langer Zeit entschieden, die Wertschöpfungskette Arzneimittel einer strengen Kontrolle zu unterstellen. Diese Kontrollen erfolgen auf zwei Arten: zum einen durch das Festlegen von Regeln. Je nachdem, wie stark eingegriffen werden muss oder soll, sind diese Regeln enger oder weiter gefasst, werden vollumfänglich oder nur punktuell angewendet. Für die Apotheken wurde ein nahezu vollumfänglicher und vergleichsweise ­enger Regelkanon festgelegt. Zum anderen müssen im Nachgang die festgelegten Regeln regelmäßig einer Überprüfung unterzogen werden. Insbesondere deren Einhaltung bzw. Exekutierung muss – will man das schützenswerte System nicht aushöhlen – kontinuierlich kontrolliert werden.

Aus dem engen Regelkorsett für die Apotheken ergibt sich die Konsequenz eines filigranen und gleichzeitig fragilen Systems. Da alles mit allem zusammenhängt, kann eine Veränderung an der einen Stelle mit erheblichen Konsequenzen an ganz anderen Stellen verbunden sein. Jede Änderung zieht einen „Rattenschwanz“ an notwendigen Anpassungen nach sich bzw. würde diese Anpassungen bei konsequenter Umsetzung erforderlich machen.

Diese filigrane Komplexität könnte ein Grund dafür sein, dass insbesondere aus der Apothekerschaft selbst heraus die Bereitschaft zu konstruktiven Vorschlägen, wie das System verändert oder gar im besten Sinne weiter entwickelt werden kann, eher zurückhaltend bis nicht wahrnehmbar ist. Dies hat auch mit der Atomisierung des Marktes mit kleineren, inhabergeführten Einheiten zu tun. Eher hat man sich darauf verständigt, den Änderungswillen anderer – insbesondere des Staates oder auch von Krankenkassen – kritisch zu beäugen und ggf. zu verhindern. Diese durchaus nachvollziehbare Politik kann guten Gewissens als defensiv bezeichnet werden, ketzerischer könnte man sagen, dass so der Eindruck der Besitzstandswahrung entsteht und es den Apothekern nicht um die Fortentwicklung des Systems, sondern allein um die Konservierung der eigenen Position geht.

Regelungswut oder gute Regelung?

Gegenwärtig haben es die Apotheker mit diversen Verfahren zu tun, die das Korsett der Regelungen empfindlich stören könnten. Aus ökonomischer Sicht sind drei davon von herausragender Bedeutung:

  • Das EuGH-Urteil und das seitens des Bundesgesundheitsministeriums geplante Verbot des Versandhandels,
  • das schwebende Gerichtsverfahren zur Zulässigkeit der Großhandels-Skonti,
  • das vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag ge­gebene Gutachten über die Honorierung der Apothekenleistung.

Folgt man den Ausführungen der verfassten Apothekerschaft, ist insbesondere die flächendeckende Versorgung ein zu bewahrender Wert. Dabei stehen die Betriebsform der besonderen Art „Apotheke“ und die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln in einem interdependenten Verhältnis zueinander. Kann die flächendeckende Versorgung nicht aufrechterhalten werden (oder steht sie seitens der politisch Verantwortlichen zur Disposition), müssen alternative Versorgungsangebote greifen und die Betriebsform der besonderen Art Apotheke würde zuerst aufgeweicht, dann bagatellisiert mit der finalen Gefahr einer schleichenden Abschaffung. Gelingt es andererseits nicht, die Wirtschaftlichkeit der Apotheke auf Dauer zu sichern, werden sich flächendeckende Versorgungsstrukturen nur dort etablieren, wo auch rentable Betriebsführungen möglich sind. Damit stünde ein Flickenteppich anstelle einer Flächendeckung zu befürchten.

Fall 1: EuGH-Urteil

Im Rahmen des EuGH-Urteils haben die Apotheken vergleichsweise schnell Versandhandel mit Arzneimitteln in den Fokus genommen und alle Argumente darauf ausgerichtet, dass dieser vom zuständigen Ministerium verboten wird. Bedenken, ob dies kompatibel zu einem europäischen Rechtsrahmen ist oder ob es angesichts einer insgesamt beobachtbaren Digitalisierung in die Zeit passe, wurden überhört oder beiseite geschoben. Ein nachvollziehbarer erster Reflex, da das GMG 2004 mit der Versandhandelserlaubnis eine strukturelle Ungerechtigkeit manifestiert hatte. In dem Maße, in dem zum damaligen Zeitpunkt der Versand von Arzneimitteln erlaubt wurde ohne dass allfällige klassische Aufgaben einer Offizinapotheke gleichermaßen von den Versandapotheken erbracht werden müssen (Rezeptur, Nacht- und Notdienste), hat der Gesetzgeber auf indirektem Wege bei für Versandhändler gleicher Vergütung wie Offizin-Apotheken die Versandapotheken bei Minderleistung den Offizin-Apotheken gleichgestellt. Seitdem ist manche Attacke der Apotheken gegen den Versand geritten worden, jedoch ohne finalen Erfolg. Von daher käme es jetzt einem späten Genugtuungs-Erfolg gleich, würde nun doch noch 13 Jahre später eine späte Einsicht folgen. Wenn aber der Versandhandel verboten wird, stellt sich die Frage, was dies für die von den Apothekern immer wieder ins Feld geführte flächendeckende Versorgung bedeuten würde. Schon heute gibt es in ländlichen Regionen Situationen, die von Betroffenen so bewertet werden, dass sie die flächendeckende Versorgung an diesen Stellen nicht mehr gewährleistet sehen. Auch wenn der Wegfall des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln solche Situationen vielleicht nicht verschlimmern würde, so fiele doch eine Vertriebs­alternative weg. Dieser Umstand würde keineswegs die Aufrechterhaltung des Versandhandels rechtfertigen, zur Ablehnung des Internetversands seitens der organisierten Apotheker gehört aber ein Vorschlag, wie man die flächendeckende Versorgung dann zu bewerkstelligen gedenkt. Ohne ein substanzielles Konzept setzen sich die Apotheker erneut dem Verdacht aus, dass es ihnen in erster Linie um die Wahrung ihrer Besitzstände geht. Und hier darf auch nicht das Vehikel der Vergütung herangezogen werden. Zunächst muss die Versorgungsfrage geklärt werden (Leistung), bevor die Vergütungsfrage daran angepasst wird (Gegenleistung). Dies ist im Übrigen in allen anderen Wirtschaftsbereichen ebenso.

Kommt hier in absehbarer Zeit kein eigener Vorschlag, muss das Argument der flächendeckenden Versorgung als Sonntagsrede entlarvt gelten. Dann wäre es ein Mogel­argument, das immer dann gespielt wird, wenn es opportun erscheint, aber saft- und kraftlos bleibt, wenn es verbindlich wird. Welche Ausnahmen ließen die Apotheken demnach zu?

An dieser Stelle zeigt sich die ganze Filigranität der Regeln und die Anfälligkeit des Systems Apotheke als enges Regelkorsett. Denn wenn aus ökonomischen Gründen die Niederlassungsfreiheit keine befriedigenden Ergebnisse zeitigt und die Flächendeckung kaum Anreize für weniger frequentierte Standorte zulässt, stellt sich die Frage, unter welchen Auflagen Ausnahmen davon das Problem lösen könnten und wie ein Ausnahmetatbestand begründet und kontrolliert würde, ohne dass deshalb die Niederlassungsfreiheit ge­opfert werden müsste.

Fall 2: Gutachten zur Honorierung der Apothekenleistung

Der Wechsel im Bundeswirtschaftsministerium Anfang 2017 von Sigmar Gabriel zu Brigitte Zypries hat in der ABDA offenbar zu der Einschätzung geführt, dass das dort vor rund einem Jahr in Auftrag gegebene Gutachten zur Honorierung der apothekerlichen Leistung nur noch nachrangig zu behandeln ist. Zudem scheint das mit der Gutachtenerstellung beauftragte Büro – die jüngst verteilte Befragung zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt nährt diese Einschätzung – bei der Bearbeitung in Verzug geraten zu sein, so dass mit einem Ergebnis nicht in der sich zum Ende neigenden Legislaturperiode zu rechnen ist. Zwischenzeitlich kam seitens des Auftragnehmers der Hinweis, dass man mit dem Rücklauf aus der Befragung zufrieden sei und sich rund 10 Prozent der 16.000 befragten Apotheken beteiligt hätten. Wie aber eine neue Regierungskonstellation ein dann „altes“ Gutachten in die eigenen Überlegungen einpflegt, hängt stark von der zukünftigen Farbenkonstellation und den zuständigen Ministern ab. Frau Zypries zu­mindest wird eigenen Aussagen zufolge nicht mehr Wirtschaftsministerin sein – sie kandidiert nicht mehr für den Bundestag. Sie hat damit den Status eines Interimsmanagers bis zur Wahl.

Grundsätzlich hätte ein solches Gutachten von der ABDA genutzt werden können, die eigenen Wünsche und Vorstellungen stark zu platzieren. Dies ist insofern eingeschränkt möglich, als die ABDA ähnlich wie der Verband der Pharma-Großhändler Phagro Mitglied im Beirat des Projektes ist, mehr aber nicht. Vor diesem Hintergrund des beschränkten Einflusses wäre es von Anfang sinnvoll gewesen, parallel und im Verborgenen eine eigene gutachterliche Stellungnahme vorzubereiten. Man hätte Personen beauftragen können, die das Apothekenwesen einschließlich der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen gut kennen, um im entscheidenden Moment gewappnet zu sein. So hätte man sich gegenüber ggf. nicht praktikablen Lösungen zeitnah und professionell wehren können. Nun da das Gutachten bei der ABDA ob der oben geschilderten Umstände aber etwas in den Hintergrund zu geraten scheint, folgt man wieder dem erlernten Reflex des Zurückziehens und der Defensive – es ist noch immer gut gegangen. Dieser Reflex resultiert auch aus der einseitigen Interpretation des standesrechtlichen Auftrags, dass die einzelne Apotheke zu schützen sei. Dieser Ansatz ist jedoch im Kern falsch. Das System Apotheke ist zu schützen! Dabei geht es aber nicht per se um die Erhaltung aller Apotheken-Betriebsstätten zum Zeitpunkt x, sondern um den Schutz der Idee Apotheke. Dabei gilt es, die flächendeckende Versorgung zu sichern, nicht um Einzelschicksale. Die Schließung einer Apotheke ist für die Betroffenen bedauerlich, vielleicht sogar persönlich tragisch – gesundheitsökonomisch betrachtet aber nichts per se Schlechtes. Marktbereinigungen gibt es in allen Wirtschaftsbereichen. Diese Markt­bereinigung muss dann aber zur Vorsicht mahnen, wenn dadurch kurz- bis mittelfristig die flächendeckende Versorgung gefährdet wird und langfristig eine Bagatellisierung der Betriebsform Apotheke droht (siehe oben).

Fall 3: Skonto-Gewährung des pharmazeutischen Großhandels

Besonders bizarr sind die Statements einzelner Standesvertreter zum Gerichtsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Großhandels-Skonti. Die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) regelt u. a. die Preisspanne der pharmazeutischen Großhandlungen. Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wurde die gesetzliche Großhandelsspanne für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheken gemäß § 2 AMPreisV grundsätzlich neu geregelt. Seit dem 1. Januar 2012 erhält der pharmazeutische Großhandel auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) ohne Umsatzsteuer einen Höchstzuschlag von 3,15 Prozent – bei einer Kappungsgrenze von 37,80 Euro (bis dahin 72 Euro) für Arzneimittel mit einem ApU von über 1200 Euro. Dazu kommt ein Festzuschlag in Höhe von 70 Cent pro Packung. Der prozentuale Anteil soll die preisabhängigen Kosten (wie Finanzierung, Transportversicherung etc.) abdecken und ist zwingend zum Erhalt des (Leistungs-) Wettbewerbs auf der Großhandelsstufe (Investitionen, Realisierung von Rationalisierungsspielräumen), zur Deckung von Handlings-Risiken (Bruch) oder zum Ausgleich regionaler Unterschiede (Flächenstaat, Ballungsgebiete) notwendig. Er soll ferner einen Preiswettbewerb durch Anreize zur rationellen Bestellweise von Apotheken initiieren und schließlich einen angemessenen Gewinn des Großhandels ermöglichen. Der nicht rabattierfähige Fixzuschlag in Höhe von 70 Cent soll hingegen die preisunabhängigen Kosten z. B. für Personal (gut 50 Prozent), Transport, Verwaltung und sonstige Sach- und Kapitalkosten (Abschreibungen, Zinsen, Leasing, Mieten) abdecken. Im Zuge der Sparmaßnahmen des AMNOG forderte die damalige Bundesregierung jedoch vom Großhandel einen Beitrag in Höhe von 200 Millionen Euro. Mit der Festlegung des Festzuschlags auf 70 Cent und der Quasi-Halbierung der Kappungsgrenze wurde dieser Sparbeitrag zeitlich unbegrenzt in der gesetzlichen Großhandelsspanne festgeschrieben. Nach der Halbierung seiner Spanne durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) im Jahr 2004 musste der Großhandel dadurch erneut erhebliche Einbußen schultern. Im Ergebnis ist die Großhandelsmarge seit dem Jahr 2003 von 12,63 auf nur noch rund 4,50 Prozent (Stand 2017) gefallen. Die sich daraus ableitenden Spielräume für Rabatte welcher Art sind signifikant eingeschränkt. Die Großhandelsmarge basiert auf einer Mischkalkulation, da sich nicht für jede Lager- und Transporttätigkeit eine artikelbezogene Kostenkalkulation und Vergütung aufstellen lässt. Seit dem AMNOG gab es im Arzneimittelmarkt mit der überproportionalen Zunahme von handlingsintensiven Arzneimitteln wie Betäubungsmitteln oder Kühlartikeln sowie der drastischen Zunahme von hochpreisigen Arzneimitteln gravierende Veränderungen. So ist es aus Sicht des Phagro angebracht, die Höhe der aktuellen Großhandelsvergütung nun erneut zu überprüfen.

Der Rechtsstreit zwischen der Wettbewerbszentrale und dem Großhändler AEP über die Rechtmäßigkeit eines Großhandelsskontos hat diverse Fragen aufgeworfen. Zunächst stellt sich die Frage, ob ein Skonto überhaupt Teil des Rabatts ist, der vom Gesetzgeber limitiert wurde. Von jeher zählt gemäß herrschender betriebswirtschaftlicher Meinung ein Skonto zu den Rabattarten, ist also Teil des Überbegriffs Rabatt (Preisnachlässe) und wird neben anderen Rabattarten wie Bonus, Mengen-, Treue- oder auch Naturalrabatt geführt. In einigen hat sich in den letzten Jahrzehnten dieses allgemeine Begriffsverständnis von der gelebten Praxis entkoppelt. So wird bei der Distribution von Arzneimitteln vom pharmazeutischen Großhandel und den Apotheken seit geraumer Zeit zwischen Rabatt und Skonto explizit unterschieden. Beide Arten wurden auf vielen Großhandelsrechnungen auch getrennt ausgewiesen. Der Gesetzgeber hat die Rabattierung der Apotheken durch den Großhandel mit dem AMNOG 2012 limitiert. Natürlich muss er damit auch implizit Skonti gemeint haben, alles andere würde die damals getroffene Regelung ad absurdum führen, wenn der einzelne Großhändler die durch das Gesetz limitierte Rabattvergabe durch üppige Skontogewährungen aushebeln könnte. Dass die Skontogewährung vom Gesetzgeber nicht explizit genannt wurde, wird seitdem von dem einen oder anderen Gesetzgeber aber in genau dieser Weise zur Schaffung eines Wettbewerbsvorteils ausgenutzt.

Vor diesem Hintergrund ist das bereits erwähnte Gerichtsverfahren zwischen der Wettbewerbszentrale und AEP zu betrachten (s. Kasten), das inzwischen beim Bundesgerichtshof (BGH) angekommen ist. Es soll an dieser Stelle keine Abschätzung abgegeben werden, wie der BGH zu entscheiden hat, genau dafür gibt es die entsprechenden Instanzen. Aber die Reaktionen auf das Urteil des Oberlandesgerichts, dass der Großhandels-Festzuschlag von 70 Cent nicht rabattiert werden darf, sollen aufzeigen, wie grotesk das System inzwischen geworden ist.

Das Skonto-Verfahren

Ausgangspunkt für den Rechtsstreit waren die Konditionen, die der Branchen-Neuling AEP seinen Kunden öffentlich anbot: ein Rabatt von 3 Prozent für verschreibungspflichtige Arzneimittel mit einem Einkaufspreis unter 70 Euro bzw. 2 Prozent bei einem Einkaufspreis über 70 Euro plus 2,5 Prozent Skonto bei Dekadenzahlung. In der Summe liegt der Preisnachlass also über der variablen Großhandelsmarge von 3,15 Prozent. Die Wettbewerbszentrale war der Meinung, nur diese stehe dem Großhandel für Nachlässe zur Verfügung, und klagte. In der 1. Instanz wies das Landgericht Aschaffenburg die Klage ab, da Skonto und Rabatt aus Sicht des Gerichts zwei unterschiedliche Dinge seien. Dieses 2015 getroffene Urteil wurde 2016 vor dem Oberlandesgericht Bamberg in 2. Instanz anders entschieden: Der Festzuschlag von 70 Cent sei ein Fixum, der durch keine Art von Preisnachlass reduziert werden dürfe, sondern stets zu erheben sei. Gegen dieses Urteil hat AEP Revision eingelegt, was das Oberlandesgericht Bamberg ausdrücklich zugelassen hat. Der Fall ist zwischenzeitlich beim Bundesgerichtshof gelandet, eine Entscheidung wird in den nächsten zwei Jahren erwartet.

So führte der Vorsitzende des Bundesverbands der Apothekenkooperationen BVDAK, Dr. Stefan Hartmann, dazu Ende des vergangenen Jahres in einer Pressemitteilung aus: „Es tickt noch immer die Skontobombe mit einer sehr großen Brisanz für die wirtschaftliche Situation der Apotheken.“ Hartmann weiter: „Wenn der BGH diese Auffassung bestätigen sollte, sprengt dies das Betriebsergebnis jeder Vor-Ort-Apotheke. Verliert die Apotheke die marktüblichen Skonti in Höhe von 2 bis 3 Prozent, verliert sie in der Folge schätzungsweise ein Drittel bis die Hälfte vom Betriebsergebnis.“ Diese erheblichen finanziellen Einschnitte führten unweigerlich zu weiteren Apothekenschließungen, wodurch langfristig die flächendeckende Arzneimittelversorgung gefährdet werde. Damit macht Hartmann deutlich, dass die Skontierung durch den Großhandel aus seiner Sicht maßgeblich die flächendeckende Versorgung sichert. Das kommt einem betriebswirtschaftlichen Offenbarungseid gleich, denn dann würden die Apotheken ausschließlich am Tropf des Großhandels hängen und aus sich heraus keine rentable Betriebsführung mehr bewerkstelligen. Schließlich würde dies bedeuten, dass der wirtschaftliche Betrieb einer Apotheke nur unter Beugung geltenden Rechts möglich ist. Gibt aber der Großhandel Preisnachlässe über die erlaubten 3,15 Prozent hinaus, handelt er nicht nur unrechtmäßig, er entzieht sich auch seiner eigenen wirtschaftlichen Existenz. Damit wäre nicht nur der Fortbestand des einzelnen Großhändlers, der gesamten Wertschöpfungsstufe pharmazeutischer Großhandel gefährdet. Denn da die Marge des Großhandels bei rund 4,5 Prozent liegt, kann er nicht dauerhaft mehr als 4,5 Prozent Rabatt geben. Zwingen die Apotheken den Großhandel zu einer solchen Rabattierung, kann dies nur durch eine Mischkalkulation der besonderen Art kompensiert werden. Demnach wird immer dann, wenn bei einer Apotheke über 4,5 Prozent Rabatt gewährt werden, bei einer anderen Apotheke entsprechend weniger nachgelassen. Es ist relativ einfach nachzuvollziehen, welcher Typus Apotheke dann von höheren Rabatten profitiert – und welcher Apothekentypus durchs Netz fällt. Fällige Konsequenz – die Argumentation von BVDAK-Vorsitzenden Hartmann muss gedreht werden: Würde man den Großhandel weiterhin zu unrealistischen Rabatten zwingen oder verleiten, wird er über eine Mischkalkulation geringere Rabatte bei schwachen Apotheken vergeben. Diese werden dann ggf. in ökonomische Schwierigkeiten geraten, zumindest ist der Anreiz, diese Apotheke zu führen oder aber diese Apotheke zu übernehmen, sichtlich gefährdet.

Da von einer solchen Mischkalkulation kleinere Apotheken in strukturschwächeren Regionen tendenziell stärker betroffen sind, schadet eine Fortführung der gegenwärtigen Praxis tendenziell der flächendeckenden Versorgung. Zudem muss nochmals die Funktion eines Rabatts vor Augen geführt werden. Dieser dient der preispolitischen Feinsteuerung und soll einem Kunden dessen vorteilhaftes Verhalten goutieren: Ein Rabatt honoriert beispielsweise die Bestellung hoher Werte (Boni), großer Mengen (Mengenrabatt), oder eine dauerhafte Geschäftsbeziehung (Treuerabatt). Wenn der Kunde Funktionen übernimmt, die ansonsten der Lieferant vornehmen müsste oder durch sein Verhalten zur Aufwandsreduktion beim Lieferanten beiträgt, kann das sogenannte Funktionsrabatte rechtfertigen. Identisch verhält es sich bei vorzeitiger Bezahlung, die durch Skonto honoriert wird.

Das kann aber nicht bedeuten, dass alle Kunden immer den Skonto in voller Höhe erhalten. Gemeint sein kann nur Skonto für besonders frühes Bezahlen (nicht normales Bezah­len) und dann in unterschiedlicher Intensität. Den Begriff „marktübliche Skonti“ kann es demnach gar nicht geben, wenn dies doch angenommen wird, hat sich das System in die falsche Richtung verselbstständigt. In der vom Arzneimittel-Importeur Kohlpharma herausgegebenen Zeitschrift „Apothekenmarkt“ bezeichnet der Unternehmenssprecher Karsten Wurzer die Limitierung des Großhandels „als Beschneidung der kaufmännischen Möglichkeiten des Apothekers“. Bei allem Respekt, hier muss die Reihenfolge gewahrt bleiben. Die Limitierung einer Rabattmöglichkeit beschneidet zunächst die kaufmännischen Möglichkeiten des Großhandels, der zwar nach wie vor unterschiedliche Arten von Rabatt gewähren kann, aber in der Gesamthöhe immer auf 3,15 Prozent begrenzt ist. Man muss sich deutlich machen, dass es keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Rabattierung durch den Großhandel geben kann. Wollte der Gesetzgeber die Apotheken wirtschaftlich besserstellen, müsste er dies durch die von ihm gewährte Honorierung herbeiführen. Alles andere wäre auch ordnungspolitisch nicht zu vertreten. In der gleichen Ausgabe des „Apothekenmarkt“ führt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kohl Medical AG, Jörg Geller, aus, dass „… die Konsequenzen [eines Wegfalls der Skonti] für nahezu jede Apotheke spürbar und ökonomisch verheerend wären. Nach unserer Berechnung wäre ein Drittel des Unternehmerlohns gefährdet“. Dass der Unternehmerlohn als kalkulatorische Kostenart eigentlich etwas anderes meint, soll hier nur als Spitzfindigkeit erwähnt werden. Der Duktus insgesamt zeigt aber ein grundsätzlich falsches Verständnis von Rabatten als Feinsteuerungsinstrument der Preispolitik.

Fazit: Wer flächendeckende Versorgung predigt, muss sie auch gestalten

Bei allen drei beschriebenen Problemfeldern zeigen die Apotheker bzw. die Standesorganisationen eher kurzfristige Reflexe als langfristige strategische Reaktionen. Bleibt man beim (angeblich?) gewünschten Erhalt der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln als Begründung für die besondere Betriebsform der Apotheke, dann müssen alle gesetzgeberischen Pläne dahingehend geprüft werden, ob sie zu einer Aushöhlung der Versorgung führen. Dort wo trotz alledem die flächendeckende Versorgung gefährdet ist oder sogar bereits Lücken bestehen, sind eigene Vorschläge der verfassten Apothekerschaft zu ent­wickeln, um die Zukunftsfähigkeit des Systems Apotheke nicht nur zu bewahren, sondern zu formen und weiterzuentwickeln – aus eigenem Antrieb heraus. Geschieht dies nicht, begeben sich die Apotheken immer stärker und ohne Not in die Rolle der Besitzstandswahrer, denen die eigene kurz- bis mittelfristige Zukunft wichtiger zu sein scheint als die bisweilen als Monstranz vor sich hergeschobene Ethik-Frage. Monetik ist dann nicht verwerflich, wenn sie sich in ein Korsett fügt, dass die ethischen Aspekte gleichermaßen würdigt. Aber Ethik zu predigen und in der Diskussion doch eher Monetik zu zelebrieren, ist durchsichtig. Das wäre kurz – zu kurz – gesprungen. |


Autor

Prof. Dr. Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und Inhaber des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. Einen Schwerpunkt des Unternehmens bildet der Apothekenmarkt.

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