Aus den Ländern

Digitalisierung: Viele Risiken und noch mehr Chancen

Zwischenahner Dialog zur Zukunft des Gesundheitswesens

BAD ZWISCHENAHN (tmb) | Beim 13. Zwischenahner Dialog am 23. und 24. März ging es um die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Für die Teilnehmer – Apotheker, Ärzte, Vertreter von Pharmaindustrie und Krankenkassen – zeigten sich Chancen und Risiken der Digitalisierung und die Herausforderungen durch große Internetkonzerne als mögliche neue Player im System.

Als Grundsatz der Apotheker betonte Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen: Der Patient muss Herr seiner Daten sein und die Leistungserbringer frei wählen können. Außerdem müsse die Verschwiegenheitsverpflichtung der Heilberufe in der digitalen Welt darstellbar sein. Angesichts der vielfältigen Informationen für die Patienten sieht Groeneveld die Apotheker gefordert, das Verum von den „fake news“ zu trennen.

Der Zwischenahner Kurdirektor Dr. Norbert Hemken ergänzte aufgrund seiner Erfahrung mit der Re­habilitation, dass digitale Angebote Nutzen bringen müssen und nicht aus Technikverliebtheit entstehen dürfen.

Die Umsetzung der elektronischen ­Gesundheitskarte (eGK) wird nach Einschätzung von Dr. Franz-Joseph Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, insbesondere durch die fehlende Anschubfinanzierung gebremst. Während in Dänemark Finanzierungsanreize geschaffen wurden, drohe das deutsche E‑Health-­Gesetz mit Strafen. Für den elektronischen Arztbrief und die Videosprechstunde hätten die Ärzte zu wenig ­Anreize. Die Software für den Medikationsplan sei zu teuer und störanfällig, kritisierte Bartmann. Ein weiteres Hindernis sieht er in der „Angst vor Transparenz“.

Foto: DAZ/tmb
Berend Groeneveld (Vorsitzender des LAV Niedersachsen), Dr. Franz-Joseph Bartmann (Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein), Dr. Norbert Hemken (Kurdirektor von Bad Zwischenahn), Jan Seeger (Finanzgeschäftsführer der AOK Niedersachsen).

Telemedizin statt Telematik

„Viel spannender“ sei dagegen die ­Telemedizin, die mittlerweile in jeder ärztlichen Disziplin praktiziert werde. Entgegen anderen Behauptungen sieht Bartmann im Fernbehandlungsverbot kein Hindernis für die meisten Anwendungen. Das größte Risiko der ­Telemedizin sei, ihre Chancen nicht wahrzunehmen, z. B. bei der Therapie seltener Erkrankungen. Bartmann erwartet, dass sich das Arzt-Patienten-Verhältnis ändert, weil die Patienten selbst Informationen über ihren Gesundheitszustand einbringen können.

Korrelation statt Kausalität

Der Trendforscher Sven Tollmien, Mitglied der Geschäftsführung von Trend­one, konstatierte als Trends zur Gesundheit neben „digitalem Lebensstil“ und neuen Technologien die datenbasierte Wertschöpfung. Trotz Bedenken vertrauen die Menschen ihre persön­lichen Daten den großen Internetkonzernen an. Die großen Datenmengen werden auf Korrelationen geprüft, die noch lange keine Kausalität zeigen. Auch der Trend zum „intelligenten Zuhause“ schaffe Möglichkeiten für das Gesundheitswesen, beispielsweise durch den Heimroboter „Pillo Health“, der für jedes Familienmitglied die jeweiligen Arzneimittel ausgibt. Außerdem können neue Technologien die Leistung vom Leistungsort entkoppeln. Doch Tollmien mahnte, dass schlechte analoge Prozesse auch in ­digitalisierter Form schlecht bleiben. Den Akteuren riet er, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen.

Foto: DAZ/tmb
Mehr Chancen als Risiken: Julia Hagen vom Unternehmensverband Bitkom und der Trendforscher Sven Tollmien beschrieben das Potenzial der Digitalisierung.

Chancen für viele

Julia Hagen repräsentierte den Unternehmensverband Bitkom, dem die großen Internetkonzerne und viele kleine Start-up-Unternehmen der digitalen Wirtschaft angehören. Die Branche prognostiziere für das Gesundheits­wesen Milliardeneinsparungen durch effiziente Systeme, neue Prozesse und das Einsparen von Doppeluntersuchungen als Folgen der Digitalisierung. Die eGK sei der Schlüssel zu einer neuen Infrastruktur. Doch parallel dazu entwickeln die großen Internetkonzerne eigene Projekte mit Gesundheitsbezug. Wenn Patienten Gesundheitsinformationen recher­chieren, könne dies ihre Souveränität erhöhen, aber es berge die Gefahr, dass sie gegen die Empfehlung der Fachleute handeln. Außerdem können Patienten mit Smartphones und Zusatzgeräten gesundheitlich relevante Daten sammeln, teilweise sogar unbewusst mit vorinstallierten Modulen. Die Nutzer merken dann gar nicht, welche Daten sie sammeln, so Hagen. Durch offene Schnittstellen lade Apple sogar dazu ein, diese Daten weiter zu nutzen. Trotz der Aktivität der großen Konzerne sieht Hagen noch Möglichkeiten für kleine Unternehmen.

In einer Diskussion erklärte Heike Sander, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Niedersachsen und Bremen, sie sehe die Digitalisierung sehr positiv, aber die Krankenkassen hätten eine Kontrollfunktion. Sie würden „auf die Versicherten aufpassen“. Christiane Schröder, Sanofi, erklärte, dass auch große Arzneimittelhersteller Projekte haben, mit denen sie die Versorgung mit ihren Arzneimitteln verbessern möchten. Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, betonte, dass Heilberufler weiterhin die Daten bewerten müssten. Denn Korrelationen zu finden, reiche nicht aus. ABDA-Pressesprecher Dr. Reiner Kern, der den Zwischen­ahner Dialog moderierte, resümierte, dass die Digitalisierung mehr Chancen als Risiken berge.

Probleme bei der Umsetzung

Am zweiten Veranstaltungstag beschrieb der HNO-Arzt Dr. Thomas Otte die Weltsicht der Ärzte. Demnach sei ärztliches Handeln auf das individuelle Patientenwohl ausgerichtet und damit nicht immer zweckrational. Von der Digitalisierung forderte er, das ärztliche Handeln zu erleichtern. Doch Wissen entstehe nicht durch Daten, sondern dafür sei ein „roter Faden“ nötig.

Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, berichtete, dass der für den 1. Juli 2017 vorgesehene Rollout der Telematik-Infrastruktur vor der Schiedsstelle gelandet ist, weil die Finanzierung strittig ist. Bei der Planung werde zu wenig an die Ärzte gedacht. Ihre Kritik werde dann als innovationsfeindlich dargestellt. Zudem beklagte Barjenbruch, dass der Staat keine verbindliche Schnittstelle festgelegt habe, sodass alle Systeme mit großem Aufwand auf alle Schnittstellen ausgelegt werden müssen. Doch Jan Seeger, Finanzgeschäftsführer der AOK Niedersachsen, konterte: „Dann gibt es eben Inseln.“ Es sei besser, nützliche Einzelprojekte zu ent­wickeln, als zu lange auf eine große Lösung zu warten.

Dr. Mathias Grau, stellvertretender Vorsitzender des Landesapothekerverbands Niedersachsen, verwies auf die bekannten Hindernisse jeder Kommunikation, die auch bei neuen Medien zu beachten seien. Groeneveld mahnte, die Digitalisierung dürfe die Heilberufler nicht blockieren und nicht zu weiterer Bürokratisierung führen. Außerdem müssten Entscheidungen stets von Menschen getroffen werden. Doch die Digitalisierung biete die Chance, Therapien zu beschleunigen und ihre Sicherheit zu verbessern. |

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