Aus den Ländern

„Wir sind die Kümmerer“

Parlamentarischer Abend der baden-württembergischen Apotheker in Berlin

BERLIN (bro/ks) | Die orts- und patientennahe Pharmazie, bei der die Digitalisierung kein Selbstzweck ist, ist die beste Form der Arzneimittelversorgung. „Wir brauchen den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einfach nicht“, betonte Kammer­präsident Dr. Günther Hanke beim par­lamentarischen Abend der baden-württembergischen Apotheker am 22. März in Berlin.

Auch in diesem Jahr hatten Landes­apothekerkammer und -verband in die Landesvertretung Baden-Württembergs geladen, um mit den Bundestagsabgeordneten, die ihren Wahlkreis im „Ländle“ haben, ins Gespräch zu kommen. Das derzeit dringendste Anliegen ist bekannt: Die Apothekerschaft kämpft für das Rx-Versandverbot. Und die Politik ist bereit für den Meinungsaustausch: Für die CDU gekommen waren der Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Volker Kauder, die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Annette Widmann-Mauz, ihr Kollege aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Hans-Joachim Fuchtel, die im Gesundheitsausschuss aktiven Abgeordneten Michael Hennrich, Karin Maag und Lothar Rieb­samen. Die SPD vertraten Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, und die Pflege-­Expertin Heike Baehrens.

2016 war ein ganz normales Jahr

Zunächst stellte der LAV-Vorsitzende Fritz Becker aktuelle Zahlen aus dem Apothekenmarkt vor. „2016 war zahlentechnisch ein ganz normales Jahr: keine Grippewelle und keine spektakulären Neueinführungen im Rx-Bereich“, so Beckers Kurzzusammenfassung. Die Arzneimittelausgaben der Kassen in Baden-Württemberg seien um 2,9 Prozent angestiegen. Auch die Zahl der zulasten der GKV abgegebenen Rx-Packungen sei um 1,4 Prozent auf rund 690 Millionen Packungen bundesweit geklettert. Über die Rabattverträge haben die Kassen im ­vergangenen Jahr allerdings etwa 3,7 Milliarden Euro eingespart. Ebenso sind die Einsparungen der Kassen aus dem Apothekenabschlag leicht gestiegen – auf 1,14 Milliarden Euro. Weil es im vergangenen Jahr keine Grippe- und Allergiewelle gab, sind laut Becker auch die OTC-Zahlen der Apotheken gesunken. Zwischen 2015 und 2016 sind die Umsätze in diesem Segment um 1,3 Prozent gesunken, die Absätze sogar um 3,1 Prozent.

Nein zur Päckchen-Pack-Pharmazie

Becker ging zudem auf die aktuelle politische Debatte um den Arzneimittel-Versandhandel ein. Dabei stellte er klar: Ordnungspolitische Maßnahmen sind unumgänglich, will man das bestehende Versorgungssystem erhalten. Das gegenwärtige Apothekennetz stehe für Ortsnähe, Vollversorgung, Flächendeckung und Patientenschutz – „Wir sind die Kümmerer vor Ort, wir schwätzen mit den Patienten“, brachte es Becker auf den Punkt. Doch all dies sei nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober in Gefahr. Die Zeichen stehen nun auf Rosinenpickerei und Päckchen-Pack-Pharmazie, Becker sieht Kleinbetriebe ausländischen Konzernen geopfert. Dies lehnen die Apotheker ab, betonte Becker. Ihre Lösung ist bekanntlich das Rx-Versandverbot.

Becker ging auch auf den Vorwurf der SPD-Bundestagsfraktion ein, Patienten, die auf die Versorgung durch Versender mit Spezialrezepturen angewiesen sind, würden unter dem Versandverbot leiden. Die ABDA hatte in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf für das Rx-Versandverbot eine Erweiterung des § 11 Abs. 3 Apothekengesetz für alle aseptischen Rezepturen angeregt – nach der Norm können heute Zyto-Rezepturen als Auftragsrezepturen hergestellt werden. Im Rahmen „kollegialer Hilfe“ sei es jederzeit möglich, dass Apotheken sich mit besonderen Rezepturen gegenseitig weiterhelfen. Allerdings räumte Becker ein: „Es wird natürlich ein bisschen dauern, bis die Strukturen wieder aufgebaut sind, die der ­Versandhandel zerstört hat.“

Außerdem stellte Becker Auszüge einer neuen Studie des Instituts für Handelsforschung Köln (IFH) vor. Das IFH hatte hierfür im Dezember 2016 unter Mitwirkung des LAV Baden-Württemberg 1672 Apotheken und 300 Ärzte zu verschiedenen Leistungen der Präsenzapotheke befragt. Sie zeigt: 83 Prozent der besonders versorgungsrelevanten Landapotheken liegen unter einem Nettoumsatz von zwei Millionen Euro – bei 2,2 Millionen liegt laut Becker der durchschnittliche Umsatz einer Apotheke. Doch zugleich leisten diese Apotheken einen überdurchschnittlichen Beitrag zur flächendeckenden Versorgung – beispielsweise durch mehr Not- und Botendienste (siehe auch AZ 2017, Nr. 13, S. 8).

Hanke attackiert DocMorris

Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer in Baden-Württemberg, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die sinkenden Apothekenzahlen und die Beschaffenheit der Versorgung in ländlichen Regionen. Seit 2007 sei die Apothekenzahl im „Ländle“ zwar um zehn Prozent gesunken. Aufgrund vieler Botendienste und der rund 100 Rezeptsammelstellen sei die Versorgung im Südwesten aber nach wie vor gesichert. Nichtsdestotrotz gab Hanke zu, dass gerade in den Regionen Schwarzwald, Schwäbische Alb und Main-Tauber-Kreis die Apothekenzahl immer weiter ausdünnt. Allerdings gebe es in all diesen Regionen Rezeptsammelstellen, die die Versorgung sicherstellen.

Foto: LAK BW
„Wir brauchen den Rx-Versandhandel nicht“,legte Dr. Günther Hanke dar.

Hanke sprach auch den Ort Hüffenhardt an, in dem DocMorris derzeit kurz vor der Eröffnung seiner Video-Apotheke steht. Laut Hanke gibt es aber schlichtweg keinen Bedarf einer solchen Einrichtung in Hüffenhardt. „Wissen Sie, wie viele Apotheken es in einem 10-km-Luftlinie-Umkreis von Hüffenhardt gibt? 22! Und da spricht eine holländische Firma von Versorgungsnotständen“, erklärte der Kammerpräsident. Er kritisierte in diesem Zusammenhang auch das baden-württembergische Innenministerium für seine Haltung zu dem Thema. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist auch Minister für Digitalisierung und hat sich in mehreren Medienberichten offen gezeigt für eine Video-Apotheke in Baden-Württemberg. Dazu Hanke: „Ich habe den Eindruck, dass die Digitalisierung da zum Selbstzweck wird.“ Der Kammerpräsident wies darauf hin, wie „aktiv“ die Apotheken jetzt schon bei der Digitalisierung seien, er sprach die Apotheken-Software der Pharmazeuten an und verwies auf das Arzneimittel-Sicherheitssystem Securpharm und den elektronischen Medikationsplan. Zudem überlege man bereits, wie eine „digitale Rezeptsammelstelle“ funktionieren könne – wenn früher oder später das eRezept kommt, das nicht mehr einfach in ­einen Briefkasten gesteckt werden kann. In Richtung Politik erhob Hanke den Vorwurf, dass viele Gesetze, Richtlinien und Verordnungen nicht zusammenpassen. Insbesondere im Verlauf der Arzneimittelzulassung gehe es um das Prinzip „Sicherheit über alles!“ Bei der Abgabe von Arzneimitteln beobachte er aber derzeit, dass ein „Sicherheitsszenario“ verfolgt wird, bei dem gilt: „Nein, das muss kein Apotheker machen, das kann auch der Postbote liefern.“

SPD: Versorgungslücken mit Versandhandel schließen

Schließlich meldete sich noch Hilde Mattheis zu Wort, um Gegenposition zu beziehen. Sie zieht aus dem EuGH-Urteil bekanntlich nicht die gleichen Schlüsse wie die Apotheker. Ihre Fraktion setzt sich seit Monaten für den ­Erhalt des Rx-Versandes ein. Mattheis betonte, „die SPD“ sei weiterhin dezidiert gegen ein Rx-Versandverbot – dies sei schon dem „Zeitgeist geschuldet“. Ihre Fraktion sucht daher einen Lösungsansatz für einen Wettbewerb auf Augenhöhe. Und den sieht sie im Vorschlag zum Boni-Deckel im Fünften Sozialgesetzbuch. Dennoch sieht sie Gemeinsamkeiten mit den apothekerlichen Standesorganisationen: „Auch wir wollen die flächendeckende Arzneimittelversorgung und kleine Landapotheken stärken“, sagte die SPD-Politikerin. Sie betonte zudem, dass Apothekenschließungen auf dem Land aus ihrer Sicht vor allem mit wegfallenden Arztpraxen einhergingen. „Womöglich kann der Versandhandel die Versorgungslücken in genau solchen Ortschaften schließen“, meinte Mattheis. Hanke widersprach: Apotheken machen auch dicht, wenn sie keinen Nachfolger finden. Viele ­arbeiten hier bereits an der Grenze zur Selbstausbeutung. |

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