Nach dem EuGH-Urteil

Wo liegen die Grenzen der Bonus-Reklame?

Zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 19. Oktober 2016 auf § 7 Heilmittelwerbegesetz

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Preisbindung ausländischer Versandapotheken im grenzüberschreitenden Arzneimittelversand sorgt seit vergangenen Oktober für Unruhe in den Apotheken und für vielfältige juristische Diskussionen. Unklar ist unter anderem, ob und wie weit es sich auf das Zuwendungsverbot des § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) auswirkt. Dieser Frage geht der folgende Beitrag von Dr. Elmar Mand nach.

Jüngst war zu vernehmen, dass die Deutsche Parkinson Vereinigung gegenüber der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat: Sie will das mit der niederländischen Versandapotheke DocMorris vereinbarte Bonussystem nicht mehr bewerben. Mit dieser neuesten Volte im juristischen Tauziehen um die Preisbindung ausländischer Versandapotheken hat sich der anhängige Rechtsstreit vor den deutschen Gerichten über das konkrete Kooperationsmodell der Deutschen Parkinson Vereinigung erledigt. Ungeachtet dessen ist das zwischenzeitlich in diesem Streit ergangene EuGH-Urteil in der Welt. Danach soll die Preisbindung ausländischer Versandapotheken deren Warenverkehrsfreiheit ungerechtfertigt beschränken. Aufgrund dieser verbindlichen Entscheidung zum Unionsrecht (Art. 34, 36 AEUV) steht fest, dass der einheitliche Apothekenab­gabepreis preisgebundener Arzneimittel auf grenzüberschreitende Warenlieferungen keine unmittelbare Anwendung findet.

Unklar ist aber, inwieweit das Urteil auch sozial- und heilmittelwerberechtliche Grenzen des Absatzmarketings betrifft. So haben sich ausländische Versandapotheken durch den Beitritt zum Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V auch vertraglich zur Einhaltung der deutschen Preisregeln verpflichtet. Darüber hinaus beschränkt § 7 HWG allgemein die Gewährung von Werbegaben bei Arzneimitteln. Neuer Streit scheint damit vorprogrammiert, zumal unklar ist, ob das vom Bundesgesundheitsminister vorgeschlagene Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel tatsächlich schnell umgesetzt wird. Im Folgenden sollen vor diesem Hintergrund die heilmittel­werberechtlichen Implikationen des EuGH-Urteils erläutert werden.

Wortlaut des § 7 Abs. 1 HWG (Auszug)

(1) Es ist unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, dass

1. es sich bei den Zuwendungen oder Werbegaben um Gegenstände von geringem Wert, die durch eine dauerhafte und deutlich sichtbare Bezeichnung des Werbenden oder des beworbenen Produktes oder beider gekennzeichnet sind, oder um geringwertige Kleinigkeiten handelt; Zuwendungen oder Werbegaben sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten;

2. die Zuwendungen oder Werbegaben ina) einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geld­betrag oder

b) einer bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Menge gleicher ­Ware gewährt werden;

Zuwendungen oder Werbegaben nach Buchstabe a sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten; Buch­stabe b gilt nicht für Arzneimittel, deren ­Abgabe den Apotheken vorbehalten ist;

3. die Zuwendungen oder Werbegaben nur in handelsüblichem Zubehör zur Ware oder in handelsüblichen Nebenleistungen bestehen; als handelsüblich gilt insbesondere eine im Hinblick auf den Wert der Ware oder Leistung angemessene teilweise oder vollständige Erstattung oder Übernahme von Fahrtkosten für Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs, die im Zusammenhang mit dem Besuch des Geschäftslokals oder des Orts der Erbringung der Leistung aufgewendet werden darf;

4. die Zuwendungen oder Werbegaben in der Erteilung von Auskünften oder Ratschlägen bestehen oder

5. es sich um unentgeltlich an Verbraucherinnen und Verbraucher abzugebende Zeitschriften handelt, die nach ihrer Aufmachung und Ausgestaltung der Kundenwerbung und den Interessen der verteilenden Person dienen, durch einen entsprechenden Aufdruck auf der Titelseite diesen Zweck erkennbar machen und in ihren Herstellungskosten geringwertig sind (Kundenzeitschriften).

(....)

I. Anwendbarkeit auf sortimentsweite Bonus­reklame

Das heilmittelwerberechtliche Wert­reklameverbot des § 7 Abs. 1 HWG begrenzt Wertreklame für Arzneimittel im Wesentlichen auf geringwertige Kleinigkeiten – etwa das in Apotheken übliche Päckchen Papiertaschentücher. Etwas anderes gilt nur für Barrabatte, die unbegrenzt zulässig sind, sofern sie nicht gegen das Arzneimittelpreisrecht verstoßen. Die Anwendbarkeit dieser Verbote scheint jedoch zweifelhaft, wenn Apotheken nicht einzelne Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen namentlich bewerben, sondern Rabatte bzw. Bonifikationen auf das gesamte Sortiment ankündigen bzw. gewähren. Denn das Heilmittelwerberecht erfasst nur produktbezogene Werbung. Die neueste höchstrichterliche Rechtsprechung spricht jedoch klar gegen eine solch einschränkende Auslegung bei Bonus- und Rabattreklame. Denn diese Werbeformen setzen letztlich einen unmittelbaren und wirksamen Absatzförderungsanreiz für sämtliche Waren des Werbetreibenden, der sich im konkreten Geschäft realisiert. Damit ist § 7 HWG grundsätzlich selbst bei sortimentsweiter Bonusreklame anwendbar.

II. Unanwendbarkeit preisrechtsbezogener Verbote im grenzüberschreitenden Versand

§ 7 HWG gilt an sich auch bei einer grenzüberschreitenden Belieferung des deutschen Marktes. Ausgehend von der aktuellen Rechtsprechung des EuGH verstoßen die direkt an das deutsche Arzneimittelpreisrecht anknüpfenden Verschärfungen des Wertreklameverbots bei Barrabatten aber gegen die Warenverkehrsfreiheit. Denn sie dienen ausschließlich der effektiven Durchsetzung des Arzneimittelpreisrechts. Lässt sich der einheitliche Apothekenverkaufspreis (§ 78 Abs. 2 AMG) nicht rechtfertigen, kann für die analogen Regelungen in § 7 Abs. 1 HWG nichts anderes gelten. Auch diese sind auf ausländische Versandapotheken also nicht anwendbar.

III. Anwendbarkeit allgemeiner Wertreklamebeschränkungen

Demgegenüber erweisen sich die Wertreklamebeschränkungen des § 7 HWG im Übrigen im Kern als unionsrechtskonform. Sie schränken deshalb auch das Absatzmarketing ausländischer Versandapotheken ein.

1. Abweichende Zwecke

Die Beschränkungen der Wertreklame in § 7 HWG dienen völlig anderen Zwecken als der einheitliche Apothekenverkaufspreis: Das Verbot aller nicht explizit erlaubten Werbegaben soll der abstrakten Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung der Endverbraucher vorbeugen. Der umworbene Laie soll Heilmittel nur nach Bedarf anwenden; ein durch Werbegeschenke induzierter, häufig gesundheitsgefährdender Zuviel- oder Fehlgebrauch von Heilmitteln soll verhindert werden. Diese Zwecke rechtfertigen auch im grenzüberschreitenden Versandhandel eine Beschränkung von Wertreklame.

2. Keine entgegenstehende Aussagen des EuGH im aktuellen Urteil

Aus der aktuellen Entscheidung des EuGH ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der EuGH klargestellt, dass auch das deutsche Heilmittelwerberecht ausländischen Versandapotheken einen Preiswettbewerb bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht gänzlich versperren darf. Diese Möglichkeit eröffnet § 7 HWG aber ohne Weiteres, indem er Barrabatte – sieht man einmal von den nicht anwendbaren Beschränkungen des Preisrechts ab – uneingeschränkt zulässt. Lediglich andere Zuwendungen sind nur bei Geringwertigkeit gestattet. Zu dieser allgemeinen, der Abwehr unsachlicher Beeinflussung der Endverbraucher dienenden Beschränkung der Wert­reklame sagt der EuGH nichts.

3. Zwingende Vorgabe des Gemeinschaftskodex

Im Übrigen ist die Vereinbarkeit der allgemeinen Wertreklamebeschränkungen in erster Linie anhand der speziellen Werberegelungen der Richtlinie 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex – GK – für Humanarzneimittel) zu prüfen, nicht anhand der Warenverkehrsfreiheit. Auch auf diese Richtlinie geht der EuGH mit keinem Wort ein.

Welche Regelung der Gemeinschaftskodex für die Wertreklame gegenüber Endverbrauchern trifft, ist allerdings höchst unklar. Während deutsche Gerichte bisher mehrheitlich von einer Übereinstimmung zwischen Richtlinie und § 7 HWG ausgehen, verbietet die Richtlinie Wertreklame meines Erachtens nur dann, wenn sie übertrieben und unvernünftig ist und deshalb einen unzweckmäßigen Arzneimittelgebrauch begünstigt. Die vorliegende Entscheidung, in der der EuGH aus der Warenverkehrsfreiheit ein Recht ausländischer Versandapotheken zu einem effektiven Preiswettbewerb mittels Rabatten und „Bonifikationen“ ableitet, unterstreicht diese eher liberale Deutung. Schließlich ist die Richtlinie im Lichte der Grundfreiheiten auszulegen. Für die praktische Anwendung des deutschen Rechts bedeutet dies, dass die der Umsetzung der Richtlinie dienende Norm des § 7 HWG ihrerseits richtlinienkonform einschränkend auszulegen ist. Sie verbietet letztlich nur solche Wertreklame, die einem unzweckmäßigen Arzneimittelerwerb oder -gebrauch Vorschub leistet.

IV. Gefahren infolge der aktuellen Bonuswerbung ausländischer Apotheken

Selbst mit dieser Einschränkung dürften die aktuellen Bonusmodelle von ausländischen Versandapotheken teilweise gegen § 7 HWG verstoßen. So wird zum Teil mit Rezeptboni bis zu 30 Euro geworben, die mit dem Rechnungsbetrag verrechnet, im Übrigen gutgeschrieben und bei Erreichen bestimmter Summen auch ausbezahlt werden. Bei solchen „verlängerten Rabatten“ handelt es sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht um Barrabatte, sondern um sonstige Zugaben nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG. Damit sind sie nach dem Gesetzeswortlaut nicht unbegrenzt, sondern nur bei Geringwertigkeit erlaubt. Diese Einordnung überzeugt jedenfalls im Rahmen des GKV-Sachleistungsprinzips gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Denn hier erwerben die gesetzlichen Krankenkassen die Arzneimittel von der Apotheke. Auch die Zuzahlung der Versicherten ist ein Recht der gesetzlichen Krankenkassen und steht diesen zu. Ein ­etwaiger Verzicht auf die Zuzahlung oder ein sonstiger Bonus ist folglich kein echter Preisnachlass, sondern eine Zuwendung, die dem Verbraucher als Drittem gewährt wird.

1. Geringwertigkeit

Eine gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG erlaubte geringwertige Kleinigkeit hat nach Rechtsauffassung des BGH zumindest bei preisgebundenen Arzneimitteln einen Gegenwert von maximal 1,00 Euro. Die von Versandapotheken derzeit gewährten „Boni“ überschreiten diese Geringfügigkeitsgrenze deutlich. Sie wären damit ohne Weiteres rechtswidrig.

Nach hier vertretener Ansicht bedarf es jedoch einer richtlinienkonform einschränkenden Auslegung von § 7 Abs. 1 HWG. Zu fordern ist die konkrete Gefahr eines durch die Wertreklame induzierten, gesundheits- oder vermögensgefährdenden Arzneimittel­erwerbs oder -gebrauchs. Dies wird man regelhaft erst bei höherwertigen Werbegaben, etwa ab fünf Euro annehmen können.

Darüber hinaus ist die Gefahr einer unzulässigen unsachlichen Beeinflussung aber auch in Fällen zu bejahen, in denen die Bonifikation den von den Kunden zu erbringenden Eigenbeitrag – sei es in Form von Zuzahlungen (GKV) oder Selbstbehalten (PKV, Beihilfe) – übersteigt. Denn dann ermöglicht der Arzneimittelbezug ein Geldverdienen auf Rezept. Dies läuft nicht nur dem Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung zuwider. Vielmehr begründet es auch signifikante Risiken eines unzweckmäßigen, gesundheitsgefährdenden Arzneimittelbezugs bzw. -gebrauchs. So drohen Risiken aus der Überdosierung und unsachlichen Einnahme von Arzneimitteln, da verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Vorrat gekauft, wegen der weiter zurückliegenden Einnahmeempfehlung falsch oder nach Ablauf der Haltbarkeit eingenommen oder sogar weitergegeben bzw. weiterverkauft werden könnten.

Dass der Arzt als Gatekeeper die Verschreibung verantworten muss, steht der Annahme einer konkreten Gefahr eines unzweckmäßigen Arzneimittel­erwerbs bzw. -gebrauchs nicht ent­gegen. So könnten Patienten ohne Weiteres verschiedene Ärzte kontaktieren, die von der Behandlung durch den Kollegen nichts wissen. Schlimmstenfalls fördern sehr hohe „Boni“-Modelle Rezeptfälschungen. Finanziell lukrativ waren diese bisher durch den Weiterverkauf oder die Weiterverarbeitung der so erlangten Arzneimittel. Durch Gutschriften auf den Kundenkonten, die ab einem bestimmten Betrag ausgezahlt werden, erhalten Rezeptfälscher in Zukunft eine zweite Einnahmequelle, so dass sich Rezeptfälschungen nicht auf verschreibungspflichtige Arzneimittel mit hohem Wiederverwertungswert beschränken, sondern ­zukünftig auf alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel erstrecken können. Dass die Notwendigkeit einer ärztlichen Verschreibung Werbeverboten zum Schutz vor der Gefahr eines unzweckmäßigen Arzneimittel­erwerbs bzw. -gebrauchs nicht ent­gegensteht, zeigt schließlich auch das generelle Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel gemäß Art. 88 GK bzw. § 10 HWG.

V. Fazit

Alles in allem dürften zumindest Bonifikationen, welche die Zuzahlungen bzw. die Eigenanteile der Versicherten erreichen oder übersteigen, auch für ausländische Versandapotheken weiterhin heilmittelwerberechtlich verboten sein. Bei zuzahlungsbefreiten Versicherten führt dies zu einem gänzlichen Bonus-Verbot. Damit mildert die Anwendung von § 7 HWG das unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes missliche Problem, dass die sozialrechtlichen Zuzahlungspflichten selbst keine Marktverhaltensnormen im Sinne des Lauterkeitsrechts (§ 3a UWG) darstellen und deshalb nicht mithilfe des Wettbewerbsrechts durchgesetzt werden können.

Das Heilmittelwerberecht belässt ausländischen Versandapotheken jedoch im Regelfall die Möglichkeit geringwertiger Boni und anderer Zuwendungen. Diese treten gerade bei gesetzlichen Einheitspreisen leicht ins Bewusstsein der Verbraucher. Hinzu kommen die Auslegungszweifel, weil die aktuelle Gesetzesfassung von § 7 HWG von den vagen Vorgaben des Gemeinschaftskodex abweicht. § 7 HWG ist deshalb nicht geeignet, die aktuelle Diskriminierung der an das strikte deutsche Preisrecht weiterhin gebundenen inländischen Apotheken nach dem EuGH-Urteil vollständig abzuwenden. Hierzu bedarf es letztlich eines Versandhandelsverbots für Rx-Arzneimittel, das aus Sicht des Autors unionsrechts- und verfassungskonform umgesetzt werden kann. |

Autor

Dr. Elmar Mand ist Leiter der Nachwuchsforschergruppe für Zivilrecht und Gesundheitsrecht sowie Mitglied der Forschungsstelle für Pharmarecht an der Philipps-Universität Marburg.

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