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EuGH-Urteil ist ein „juristisches Nullum“
May / Bauer / Dettling-Gutachten auf der Interpharm vorgestellt
Im Rahmen der Interpharm in Bonn präsentierten Cosima Bauer, Dr. Heinz-Uwe Dettling und Professor Dr. Uwe May am 1. April ihr Gutachten der Öffentlichkeit. In Auftrag gegeben hatten dieses die Noweda eG und der Deutsche Apotheker Verlag. Das Ziel des Gutachtens: Es soll Belege liefern, dass die Rx-Preisbindung sehr wohl geeignet ist, die flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland sicherzustellen. Denn genau daran zweifelte die erste Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in ihrem Urteil vom 19. Oktober 2016 – und beklagte darin mehrfach, dass derartige Nachweise nicht erbracht worden seien.
Ein nicht ganz einfaches Unterfangen – schließlich geht es um ein Zukunftsszenario. Doch die Gutachter haben zahlreiche Daten, Fakten und Berechnungen zusammengetragen, die zeigen: Die Befürchtung, dass viele Apotheken, gerade auf dem Land, einem Preiswettbewerb nicht standhalten könnten, ist keinesfalls aus der Luft gegriffen.
Scharfe Kritik an SPD und EuGH
Doch bevor die Gutachter ihre Ergebnisse präsentierten, hagelte es scharfe Kritik an der Bundes-SPD, die sich den Plänen für ein Rx-Versandverbot widersetzt, und an den EuGH-Richtern. Noweda-Chef Dr. Michael Kuck zeigte sich entsetzt über das Niveau der politischen Diskussion, wenn die SPD-Bundeswirtschaftsministerin argumentiere, man sehe doch an der Auflage der „Apotheken Umschau“, dass die Verbraucher nicht weniger in die Apotheke gingen. Kuck: „Es ist schon erschütternd, auf welchem Niveau Frau Zypries bei einem so sensiblen Thema wie der Versorgungssicherheit argumentiert.“ Offenbar sei der Bundes-SPD „der gesunde Menschenverstand verloren gegangen“. Kuck appellierte daher an die Politik, auf Basis der Fakten des neuen Gutachtens noch einmal neu nachzudenken.
Ähnlich scharfe Kritik äußerte Studienautor Dettling am Niveau der ersten Kammer des EuGH. Sie sei von viel zu simplen Auffassungen ausgegangen, „die eines so hohen Gerichts nicht würdig sind“. Nach ihrer Vorstellung müsste es nicht einmal Höchstpreise geben, sondern einen radikalen Preiswettbewerb. Denn sonst könnten die Landapotheken keine „Mondpreise“ verlangen – was die Luxemburger Richter durchaus für eine Möglichkeit halten, um die Ansiedlung in ländlichen Regionen attraktiv zu machen. Nach den Prämissen des EuGH gäbe es auch kein Sachleistungsprinzip und keinen Kontrahierungszwang mehr. In der Folge hätten Apotheker ein Streikrecht, müssten keinen Notdienst leisten, erklärte Dettling. „Aber diese Denkwelt ist unvereinbar mit grundlegenden Anforderungen an die Arzneimittelversorgung.“ Der EuGH habe den Versorgungsauftrag der Apotheker vollständig vergessen oder ignoriert. Denn diese müssten den Patienten mit dem Arzneimittel versorgen, das er benötigt, nicht mit dem, das er sich leisten kann.
EuGH-Urteil „null und nichtig“
Zudem hält Dettling das Urteil selbst für EU-rechtswidrig. Es greife in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ihre Gesundheitspolitik ein (Art. 168 Abs. 7 AEUV) und stehe im Widerspruch zu zahlreichen anderen EuGH-Urteilen. In Dettlings Augen handelt es sich damit um ein „Nicht-Urteil“, ein „rechtliches Nullum“. Die Frage sei nun, wie man es aus der Welt schaffen kann. Am besten, indem man den Sachverhalt nochmals vor den EuGH bringt, und zwar vor eine große Kammer. Und dann wäre man nicht zuletzt durch das Gutachten vorbereitet.
„Mogelpackung“ begrenzte Boni
Bis dahin gibt es verschiedene Szenarien, wie es weitergehen kann – vier nimmt das Gutachten unter die Lupe: Szenario 1 beleuchtet die Folgen bei einer Untätigkeit des Gesetzgebers, im Szenario 2 werden die Konsequenzen der Aufhebung der Arzneimittelpreisbindung und des vom EuGH außer Betracht gelassenen Sachleistungsprinzips aufgezeigt. Szenario 3 quantifiziert die Auswirkungen auf die flächendeckende Arzneimittelversorgung, die durch einen insbesondere von der SPD favorisierten „sanften Preiswettbewerb mit beschränkten Boni“ drohen – laut Dettling eine „Mogelpackung“, zumal sich die niederländischen Versender ohnehin nicht an solche neuen Grenzen halten würden. Bleibt Szenario 4: Das Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Dieses, so Dettling, sei die einzige Lösung, die EU-rechtskonform wäre. Mehr noch: Das EU-Recht und die Verfassung verlangen es sogar – denn nur so sei die Versorgung sicherzustellen. Der Anwalt ist überzeugt: Die vom Bundesjustiz- und Bundeswirtschaftsministerium vorgebrachten Bedenken, das Rx-Versandverbot sei unions- und verfassungswidrig, sind „völlig unbegründet“. Und die Furcht vor Staatshaftung, die das Bundesfinanzministerium äußert, ist für Dettling rechtlich schlicht „Humbug“.
Thesen mit Belegen
May schließlich zeigte die Ansätze des Gutachtens auf: Drei Thesen, die sodann mit Daten und Fakten untermauert werden. Es wird aufgezeigt, dass der Versandhandel in Verbindung mit freien Preisen im Rx-Markt die flächendeckende Versorgung mit Vor-Ort-Apotheken sehr wohl beeinträchtigt. So würden etwa im Szenario der beschränkten Boni mehr als 1000 Ortschaften mit weniger als 5000 Einwohnern die einzige Apotheke im Umkreis von fünf Kilometern verlieren. Sodann werden Belege für die These beigebracht, dass diese eingeschränkte Versorgung negative Auswirkungen auf die Qualität und Effizienz der Patientenversorgung haben wird. Und letztlich auch dafür, dass das Rx-Versandverbot und die Rx-Preisbindung wettbewerbs- und ordnungspolitisch sowie wohlfahrtsökonomisch die adäquaten Instrumente zur Sicherung der Qualität und Effizienz in der Patientenversorgung sind.
Die wichtigste Erkenntnis des Gutachtens ist für May: Das Versandverbot und die Preisbindung seien nicht nur die beste, sondern auch die kosteneffizienteste Lösung – ein in der Tat seltenes Phänomen. Doch hier werde ein Doppelsystem vermieden – den Versandhandel auch aus dem EU-Ausland zuzulassen und im Gegenzug Vor-Ort-Apotheken zu subventionieren.
Die Annahme, ein freier Wettbewerb führe zu einer besseren Versorgung, ist demnach schlicht nicht zutreffend. Und auch eine Untätigkeit der Politik würde in eine völlig falsche Richtung gehen. Denn eigentlich sollte man Apotheken, die einen niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung bieten, viel mehr in die ambulante Versorgung einbeziehen. May ist überzeugt, damit nicht zuletzt Wirtschaftlichkeitsreserven heben zu können. |
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