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Wirtschaft

Harter Schlag für Pharma

Wie sich der Brexit auf die Pharmabranche auswirkt

Den Briten und den verbleibenden 27 EU-Ländern stehen durch den Brexit unsichere Zeiten bevor. Am Beispiel der Arzneimittelhersteller wird besonders deutlich, welche Errungenschaften die Europäische Union hervorgebracht hat: Die europäische Zulassung von Arzneimitteln, eine vereinheitlichte Pharmakovigilanz, der gemeinsame Binnenmarkt sowie die europäische Freizügigkeit kommen der Industrie seit vielen Jahren zugute und haben den Zugang zu Arzneimitteln für Patienten in Europa erheblich verbessert. Das alles steht nun für die Briten auf dem Spiel. | Von Johannes Koch

Am 29. März 2017 hat Theresa May den Austritt der Briten aus der Europäischen Union erklärt. Damit droht eine starke Säule der europäischen Staatengemeinschaft wegzufallen, auch wenn die Briten stets großen Wert auf ihre besondere Eigenständigkeit gelegt haben. Die wirtschaftlichen Implikationen eines Brexit sind momentan noch schwer einzuschätzen. Viele Fragen sind bislang ungeklärt. Die britische Regierung scheint immer noch planlos und überfordert. Zu befürchten ist jedoch, dass sich der Zugang zum britischen Markt durch einen möglichen Austritt aus dem europä­ischen Binnenmarkt verschlechtern wird. Dies betrifft alle möglichen Waren, die Großbritannien aus anderen EU-Ländern importiert.

Arzneimittelexporte nach Großbritannien unverzichtbar

Traditionell pflegt Deutschland enge Handelsbeziehungen mit Großbritannien. Innerhalb des europäischen Binnenmarktes, dem Kernstück der Europäischen Union, exportierten deutsche Unternehmen im Jahr 2015 Waren im Wert von knapp 90 Milliarden Euro nach Großbritannien. Über sieben Milliarden entfielen dabei auf Arzneimittel. Dies macht Großbritannien zu einem der wichtigsten Exportländer für deutsche pharmazeutische Erzeugnisse. Für eine global agierende Branche, für die der Export eine tragende Säule darstellt, ist ein ungehinderter Zugang zum britischen Arzneimittelmarkt somit von erheblicher Bedeutung. Die vier Grundfreiheiten, die im europäischen Binnenmarkt gelten – freier Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr – sind das Fundament des deutschen Exporterfolges der Arzneimittelhersteller.

Gleichzeitig profitieren europäische Länder von Arzneimittelimporten aus Großbritannien. So werden alleine nach Deutschland Arzneimittel im Wert von über zwei Milliarden Euro importiert. Die gegenseitige Abhängigkeit beim Handel dieser Waren ist hoch. Dies trägt letztendlich aber auch zu einer sicheren und vielfältigen Patientenversorgung mit Arzneimitteln bei.

Quelle: Destatis. Die Werte für 2016 sind vorläufig. Grundlage bilden die Daten der in Deutschland ansässigen Hersteller pharmazeutischer Erzeugnisse.
Arzneimittel-Import und -Export Vereinigtes Königreich 2012 – 2016 (prozentuale Veränderung gegenüber Vorjahr).

Marktzugang für Arzneimittel in Gefahr

Der Brexit würde in besonderer Art und Weise den Arzneimittelmarkt betreffen. Neben dem europäischen Binnenmarkt kommen den Arzneimittelherstellern auch gemeinsame europäische regulatorische Verfahren und Prozesse zugute. Die größte Befürchtung der Branche ist nun, dass diese gemeinsamen regulatorischen Standards künftig wegfallen könnten.

Aufgrund der starken Regulierung von Arzneimitteln gestaltet sich der Marktzugang komplex und hängt oftmals von mehreren Faktoren ab, wie z. B. tarifären Handelsbarrieren oder Zulassungsvoraussetzungen. In der Europäischen Union wurden bereits 1995 europäische Zulassungsverfahren für Arzneimittel eingeführt, um Patienten einen schnellen Zugang zu neuen Arzneimitteln zu gewähren und Unternehmen einen schnellen Marktzugang in den EU-Ländern zu ermöglichen. Seitdem haben sich die zentralen und dezentralen europäischen Zulassungsverfahren erfolgreich etabliert und tausende neue Arzneimittel in die EU-Märkte und letztendlich zu den Patienten gebracht.

Herausforderung für europäische Zulassungen

Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union hätte möglicherweise auch weitreichende Folgen im regulatorischen Bereich. Ausgeschlossen wäre eine weitere ordentliche Teilhabe an europäischen zentralen Zulassungsverfahren, die durch die in London ansässige Europäische Arzneimittel-Agentur EMA durchgeführt werden und die zu einer Zulassung durch die Kommission führen. Großbritannien müsste bei einem Brexit unverzüglich nationale Regelungen treffen, um zentrale Zulassungen von Arzneimitteln anzuerkennen. Für die Zulassung neuer Arzneimittel müsste Großbritannien auf nationale Zulassungsverfahren zurückgreifen, die von der nationalen Zulassungsbehörde Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) durchgeführt würden.

Auch bei dezentralen Verfahren (Decentralised Procedure – DCP) und Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (Mutual Recognition Procedure – MRP) können durch einen Brexit Probleme entstehen. Bei beiden Verfahrensarten wird ein Land als Reference Member State – RMS gewählt, das die Verfahrensführung innehat und auf Grundlage des Arzneimitteldossiers des pharmazeutischen Unternehmens eine Bewertung vornimmt. Diese Bewertung wird den anderen beteiligten Staaten als Concerned Member States – CMS zur Verfügung gestellt, die auf dieser Grundlage nationale Zulassungen erteilen.

Von den etwa 14.000 bisherigen abgeschlossenen MR- und DC-Verfahren entfallen etwa 5000 Verfahren auf die britische Zulassungsbehörde MHRA als verfahrenführendes Land (RMS). Nach einem Brexit müsste die Federführung für diese Verfahren auf nationale Zulassungsbehörden der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten übertragen werden. Dadurch wird eine erhebliche Belastung bei den nationalen Behörden entstehen. Zusätzlich müssen sich Arzneimittelhersteller auf neue britische Zulassungsregeln einstellen, um ihre dort bestehenden Arzneimittelzulassungen nicht zu gefährden.

Es ist zu befürchten, dass für deutsche und alle anderen europäischen Arzneimittelhersteller, die weiterhin den bri­tischen Arzneimittelmarkt bedienen möchten, erhebliche Schwierigkeiten entstehen, sollte es zu unterschiedlichen Zulassungsvoraussetzungen kommen. Arzneimittel, die eine zentrale Zulassung vorweisen, könnten womöglich nicht länger im britischen Markt verfügbar sein.

Neben den regulatorischen Konsequenzen bei der Zulassung würde der Brexit auch erhebliche Auswirkungen auf die europäische Forschungsförderung und auf die europäisch harmonisierten Anforderungen bei klinischen Prüfungen haben. Falls die britische Regierung europäische regulatorische Rahmenbedingungen nicht anerkennt oder zumindest adäquate Übergangszeiträume einräumt, würde der britische Arzneimittelmarkt für die europäische Industrie deutlich an Attraktivität verlieren.

Funktionsfähigkeit der EMA oberste Priorität

Zur Disposition steht auch der Standort London der Europä­ischen Arzneimittelagentur EMA. Mit knapp 900 hochqualifizierten Mitarbeitern ist die EMA eine wichtige europäische Agentur, die sich eines Expertennetzwerkes von ca. 3700 Personen bedient und seit ihrer Gründung in London angesiedelt ist.

Seit dem gescheiterten Brexit-Referendum bringen sich einige EU-Länder für den Umzug der EMA in Stellung. Die deutsche Bundesregierung will sich schnellstmöglich auf eine Stadt verständigen, mit der sie in die Verhandlungen um den neuen EMA-Standort gehen kann. Auch der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH) hat sich an der Diskussion beteiligt und sich schon frühzeitig für Bonn als neuen Standort für die EMA ausgesprochen. Neben der Standortfrage betont der BAH jedoch stets die Bedeutung der uneingeschränkten Funktionsfähigkeit der EMA. Dies ist nicht nur für die Industrie von großer Bedeutung, sondern auch für die Patientensicherheit.

Beibehaltung des Status Quo wäre größter Erfolg

Die Arzneimittelhersteller betrachten die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich des Ausstiegs Großbritanniens aus der EU mit großer Verunsicherung. Die Industrie hat sich jahrzehntelang für ein gemeinsames Europa ausgesprochen und fühlt sich der europäischen Idee weiterhin verpflichtet. Die Brexit-Verhandlungen müssen sich an dem Wohl der Bürger in Europa orientieren und dürfen nicht zur Sanktionierung Großbritanniens genutzt werden. Dabei spielt ein ungehinderter Zugang zum britischen Arzneimittelmarkt eine große Rolle.

Die Beibehaltung der harmonisierten europäischen Verfahren und Prozesse im Arzneimittelsektor muss hierbei das Ziel aller Beteiligter sein. Die europäische Kooperation hat sich für die mehr als 500 Millionen Menschen in Europa als nützlich erwiesen und den Zugang zu Arzneimitteln in der Europäischen Union verbessert. Dieser Weg muss nun umso entschlossener weiter beschritten werden. |

Autor

Johannes Koch leitet seit 2015 die Stabsstelle Europapolitik des BAH und vertritt den Verband in Brüssel. Der 31-jährige Politikwissenschaftler hat in London studiert und arbeitet seit mehr als drei Jahren in der Bonner Geschäftsstelle des Verbandes.

Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V., Ubierstr. 71 – 73, 53173 Bonn

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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