DAZ aktuell

Rezepturen für den Praxisbedarf?

Gericht fordert Herstellerlaubnis, wenn Arzneimittel nicht patientenindividuell gefertigt werden

ks/wes | Darf eine Apotheke ohne besondere Erlaubnis Arzneimittel als Praxisbedarf herstellen, wenn keine patientenindividuelle Verordnung vorliegt? Laut Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein nicht, die Apotheke braucht eine Herstellerlaubnis. Dem widerspricht die Medizinrechtsexpertin Sabine Wesser. (Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 16. März 2017, Az.: 1 A 123/14)

Das schleswig-holsteinische Landesamt für soziale Dienste hatte 2014 einem Apotheker untersagt, einem Augenarzt „Fluorescein-Na (Inj.) 10%“ zur Fluoreszens-Angiographie in sterilen Einmalspritzen als Sprechstundenbedarf herzustellen und zu liefern. Der Apotheker hatte die Injek­tionslösung als Rezeptur hergestellt und in 64 „Patientenportionen“ in sterile Einmalspritzen abgefüllt. Bis zu 100 Spritzen-Trays in dieser Größe fertigte die Apotheke täglich. Die Behörde vertrat jedoch die Auffassung, dass es sich hierbei um Defekturarzneimittel handele, für die jedoch die vorgeschriebenen Qualitätskontrollen nicht durchgeführt worden seien.

Mit gleicher Begründung untersagte das Landesamt die Herstellung und das Inverkehrbringen verschiedener „Darmspülpulvermischungen“ zur Vorbereitung der Koloskopie in Packungseinheiten für mehr als einen Patienten. Der Apotheker erhielt regelmäßig Verschreibungen „für den Praxisbedarf“ oder „ad manu medici“ über „Darmspülpulvermischungen“ bzw. über „Darmspülpulver M“, das aus zwei unterschiedlichen Pulvermischungen besteht. Die Pulvermischungen wurden ebenfalls in „Patientenportionen“ abgefüllt, die anschließend in Packungen mit 108 Portionen (mit jeweils zwei oder vier Beuteln) an die Arztpraxis geliefert wurden. Da der Apotheker die Darmspülpulver-Packungen in mehreren Einheiten im Voraus herstellte, sah das Landesamt auch die Höchstmenge für Defekturarzneimittel („100er-Regel“) überschritten.

Gegen die Ordnungsverfügung ging der Apotheker vor. Nach erfolglosem Widerspruch zog er vor das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein – doch dieses wies seine Klage kürzlich ab.

Rezeptur muss „patienten-individuell“ sein

Apotheken dürfen nach Arzneimittelgesetz (AMG) ohne gesonderte Erlaubnis Arzneimittel herstellen, solange dies „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ geschieht, z. B. als Rezeptur oder Defektur. Diesen Rahmen sah das Verwaltungsgericht aber überschritten. Die Fluorescein-Na-Lösungen seien eben keine Rezepturarzneimittel, weil die Verschreibungen nicht für einen bestimmten Patienten ausgestellt waren. Im Urteil heißt es dazu: „In Abgrenzung zum Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AMG zeichnen sich Rezepturarzneimittel durch die Patientenindividualität der Herstellung aus. Wesentliches Kennzeichen des Rezepturarzneimittels ist es, dass der Empfänger des herzustellenden Arzneimittels schon bei Beginn des Herstellungsvorgangs bekannt ist.“ Um Missbrauch zu vermeiden, verlange die „Privilegierung“ der Apotheker (nämlich ohne Erlaubnis Arzneimittel herstellen zu dürfen) „eine restriktive Anwendung auf klar umgrenzte Ausnahmefälle“. Eine weite Auslegung des Begriffs Rezepturarzneimittel verstoße auch gegen den europäischen Humanarzneimittelkodex. Eine Auslegung in der Weise, dass der Arzt mit der Verschreibung „für den Praxisbedarf“ als „Patient“ im Sinne der Vorschrift gelten könne, sei mit dem Wortlaut unvereinbar, so das Verwaltungsgericht.

Auch als Defekturarzneimittel lässt das Gericht die Spritzen nicht gelten, dafür wurden zu viele auf einmal hergestellt. „Denn die Herstellung von bis zu 100 Spritzen-Trays mit jeweils 64 Einmalglasfertigspritzen übersteigt die Grenze der für Defekturarzneimittel pro Tag herzustellenden abgabefertigen Packungen. Um als Defekturarzneimittel gelten zu können, dürfen maximal 100 abgabefertige Packungen pro Tag hergestellt werden“, heißt es im Urteil. Unter einer „abgabefertigen Packung“ sei eine Patientenportion zu verstehen, so die Richter.

Bei den Darmspülpulvern sieht das Gericht die für Defekturarzneimittel geltende Grenze von 100 abgabefer­tigen Packungen pro Tag ebenfalls überschritten. Denn nach seiner Auffassung bilden jeweils nur zwei bzw. vier Beutel eine Patientenportion und damit eine abgabefertige Packung – nicht aber eine Packung für die Arztpraxis, die aus 108 solcher Beutel-Portionen besteht.

Expertin widerspricht

Die Kölner Rechtsanwältin und Medizinrechts-Expertin Dr. Sabine Wesser hält das Urteil aus Schleswig-Holstein nicht für überzeugend. Sie verweist auf die Gründe für die gesetzliche Privilegierung von in Apotheken hergestellten Rezeptur- und Defekturarzneimitteln. Diese beruhe zum einen darauf, dass diese Arzneimittel nicht für den Handel, also für den Weitervertrieb durch den Großhandel hergestellt werden, sondern zur Abgabe für bestimmte Verbraucher. Eine unabsehbare Massenverbreitung scheide somit aus. Verbraucher im Sinne des Arznei­mittelgesetzes sei unstreitig aber nicht nur der Patient, sondern auch zum Beispiel der Arzt, der für seinen Praxisbedarf ein Arzneimittel verschreibt oder an seinen Patienten anwendet.

Ein weiterer Grund der Privilegierung sei, dass die Anfertigung von Rezeptur- und Defekturarzneimitteln regelmäßig unter der Verantwortung zweier Spezialisten erfolge: So zeichne der Arzt verantwortlich für die Wirksamkeit und Vertretbarkeit in therapeutischer Hinsicht und der Apotheker für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in pharmazeutischer Hinsicht. Auch diese Doppelkontrolle rechtfertige, für das Herstellen und Inverkehrbringen von Rezeptur- und Defekturarzneimitteln nicht auch noch eine behördliche Erlaubnis und Zulassung zu verlangen.

Verschreibungsbegrenzung nur bei BtM

Wesser teilt auch nicht die Auffassung des Gerichts, Ärzte dürften Rezepturarzneimittel nur „in Patientenportionen“ verschreiben und „abgabefertig“ im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG sei nur eine Packung, die zur Abgabe an den Verbraucher „Patient“ bestimmt ist. Eine Beschränkung des Arztes bezüglich der Menge des von ihm verschriebenen Arzneimittels kenne das Gesetz nur bei Betäubungsmitteln. Apotheken seien nach der Apothekenbetriebsordnung verpflichtet, ärztliche Verschreibungen auszuführen – und zwar so, dass die abgegebenen Arzneimittel den Verschreibungen entsprechen, gleich, ob der Arzt sie für einen bestimmten Patienten oder für seinen Praxisbedarf ausgestellt hat.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Man darf gespannt sein, ob und wie sich die zugrunde liegenden Rechtsfragen klären werden. |

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