Katastrophenhilfe

So spenden Sie richtig

Unterstützen Sie Hilfsorganisationen, die sich auskennen!

Von Wolfgang Caesar | Katastrophen wecken spontan die Hilfsbereitschaft vieler Menschen, doch gut gemeinte Hilfsangebote erfüllen selten ihren Zweck. Hilfeleistung ist in der Regel dann effektiv, wenn sie professionell durchgeführt wird. Zahlreiche Hilfswerke, die international tätig sind und in engem Austausch mit der Weltgesundheitsorganisation WHO stehen, wissen aus jahrzehntelanger Erfahrung, wie man Menschen in Not richtig helfen kann. Die Apotheker ohne Grenzen sind eine solche Organisation, die sich auskennt.

In vielen Ländern lösen Erdbeben immer wieder Katastrophen aus, so im letzten Jahr in Ecuador, Italien und Nepal. In den Tropen und Subtropen sorgen Wirbelstürme immer wieder für Überschwemmungen und großflächige Zerstörungen. Die betroffene Bevölkerung leidet meistens unter akutem Trinkwassermangel und trinkt in der Not verunreinigtes Wasser – beste Voraussetzung für eine seuchenartige Ausbreitung der Cholera. Wenn auch die Nahrungsvorräte vor Ort vernichtet und die Zugangsstraßen unpassierbar sind, stellt sich das nächste akute Problem ein: Hunger. Sobald die elementarsten Bedürfnisse, Essen und Trinken, notdürftig befriedigt sind, tritt das Problem der medizinischen und medikamentösen Versorgung in den Vordergrund. Es gilt, Patienten mit akuten Verletzungen oder akuten Krankheiten zu behandeln und die (noch) Gesunden durch Schutzimpfungen – vor allem gegen Cholera – vor Infektionen zu schützen. Zudem müssen chronisch kranke Patienten wieder ihre gewohnten Arzneimittel erhalten.

Foto: AoG/Bettina Rüdy
Dorfstraße in Haiti einen Monat nach dem Wirbelsturm Matthew. Viele zerstörte Hütten sind wieder notdürftig instand gesetzt worden. Links fehlt einer Hütte noch das Dach.

Aufgrund ihrer Armut können viele Länder, die mehr oder weniger regelmäßig von Katastrophen heimgesucht werden, keine ausreichenden Maßnahmen für extreme Notfälle treffen. Sind sie von einer schweren Katastrophe überfordert, bitten sie andere Staaten um Hilfe oder wenden sich direkt an nicht-staatliche Hilfsorganisationen. Diese sind auf solche Einsätze personell und materiell vorbereitet. Sie benötigen jedoch Geld, um die Helfer und Hilfsgüter in die Einsatzgebiete zu transportieren, um weitere Hilfs­güter zu kaufen und die Bestände in ihren Depots wieder aufzufüllen.

Naturalspenden sind obsolet

Was Hilfsorganisationen nicht brauchen und nicht gebrauchen können, sind zufällig und wahllos gesammelte Arzneimittel. In den Anfangsjahren der Arzneimittelhilfswerke war es noch üblich, dass Hersteller, Krankenhäuser und Apotheken ihnen Packungen schenkten, die sie „übrig“ hatten. Oft waren diese Produkte nahe am Verfallsdatum, und ihre Mindesthaltbarkeitsdauer wurde dann beim Einsatz tatsächlich überschritten. Oft handelte es sich um Medikamente mit Wirkstoffen, die in Entwicklungsländern aufgrund der andersartigen Epidemiologie nicht benötigt werden. Abschätzig, aber nicht zu Unrecht, sprachen die Experten von Arzneimittelmüll, der den Entwicklungsländern mehr schadet als nützt. Teilweise wurden dort unbrauchbare Arzneimittel tatsächlich mit dem Hausmüll entsorgt, doch dadurch landeten sie auf Müllkippen, wo berufsmäßige Müllsucher ständig nach verwertbaren Dingen suchen und so auch die entsorgten Medikamente wieder in den Verkehr brachten. Im besten Fall haben die Anwender dadurch keinen Gesundheitsschaden erlitten.

Foto: AoG/Vetye-Maler
Unbrauchbare Arzneimittel dürfen in Entwicklungsländern nicht mit dem Hausmüll entsorgt werden, denn Müllsucher würden sie finden und wieder in den Verkehr bringen.

Hinderlich für den Einsatz vor Ort war bei der früheren Arzneimittelspendenpraxis die Produktvielfalt der generischen Arzneimittel. Das Personal der Hilfsorganisationen musste wirkstoffgleiche Präparate sortieren und neu beschriften, doch selbst das konnte die Verwirrung der einheimischen Ärzte und Apotheker in den betroffenen Gebieten nicht verhindern. Der hierzulande übliche Austausch von Arzneimitteln aufgrund von GKV-Rabattverträgen gibt einen kleinen Vorgeschmack, wie es früher in den Not­apotheken von Katstrophengebieten zugegangen ist.

Weiterhin ist bei Arzneimittelspenden aus Restbeständen nachteilig, dass dort Arzneimittel zur Behandlung typischer Tropenkrankheiten fehlen, weil diese Krankheiten bei uns nicht auftreten. So sind z. B. die Antiprotozoika Benznidazol und ­Nifurtimox, die gegen die in Lateinamerika verbreitete Chagas-Krankheit eingesetzt werden, hierzulande nahezu unbekannt.

Arzneimittelüberwachung vor Ort

Mittlerweile kontrollieren Entwicklungsländer, die mit dem Problem der Arzneimittelfälschungen zu kämpfen haben, die Einfuhr von und den Verkehr mit Arzneimitteln stärker als noch vor einigen Jahrzehnten. Dann kommen z. B. Arzneimittel, deren Etikett und Packungsbeilage nicht in Englisch oder der Landessprache geschrieben sind, sowie Arzneimittel, deren Verfallsdatum innerhalb der nächsten zwölf Monate liegt, nicht mehr durch den Zoll und müssen vom Versender auf seine Kosten zurückgenommen werden. So ist es verständlich, dass international tätige Hilfswerke für dieses Problem sensibilisiert sind. Hin und wieder setzen von Kata­strophen betroffene Länder zwar die Zollbestimmungen befristet außer Kraft, sodass z. B. Arzneimittel mit nahem Verfallsdatum noch importiert und angewendet werden können; doch dies sind Ausnahmen, die bei der strategischen Planung der Hilfsorganisationen keine Rolle spielen.

Falls eine unzweckmäßige Arzneimittelspende den Zoll passiert hat und in einem Gesundheitszentrum angekommen ist, ist dessen Leiter für die ordnungsgemäße Entsorgung verantwortlich. Die Vernichtung in einer Verbrennungsanlage kostet aber etwa 2000 Dollar pro Tonne; da kann man leicht in einen Gewissenskonflikt geraten …

Foto: AoG/Vetye-Maler
Spendensalat. Als Arzneimittel noch direkt gespendet wurden, kamen solche internationalen Sammlungen zustande. Außer Präparaten mit deutscher und spanischer Beschriftung ist rechts Aspirin + C von Bayer mit chinesischer Beschriftung und unten Concor von Merck mit arabischer Beschriftung zu erkennen.

Essenzielle Arzneimittel – eine aktuelle Auswahl

Im Jahr 1977 hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO erstmals eine Liste der essenziellen Arzneimittel herausgegeben. Entsprechend dem medizinisch-pharmazeutischen Fortschritt, aber der Veränderungen im Gesundheitszustand der größten Bevölkerungsgruppen aktualisiert die WHO diese Liste alle zwei Jahre; zurzeit ist die 19. Ausgabe von 2015 gültig. In Anlehnung daran haben die meisten Entwicklungsländer Arzneimittellisten für ihr öffentliches Gesundheitswesen erarbeitet, die rund 300 Arzneistoffe umfassen. Diese Auswahl aus der Vielfalt wird noch gesteigert durch die Beschränkung auf möglichst wenige Wirkstärken (aber unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern) und möglichst nur eine Darreichungsform sowie den Verzicht auf Kombinationsarzneimittel. Wie bei den Arzneimittellisten in hiesigen Krankenhäusern hat die Beschränkung ökonomische und logistische Gründe. In Entwicklungsländern kommt noch hinzu, dass es dort in der Regel an Pharmazeuten mangelt. Wo kein Apotheker arbeitet, ist angelerntes Hilfspersonal für die Lagerung und Ausgabe der Arzneimittel zuständig, das bei diesen Tätigkeiten nicht überfordert werden darf.

Außerhalb großer Städte bevorraten selbst relativ gut ausgestattete Gesundheitszentren meistens nur 50 bis 70 Arzneistoffe. Das zuständige Hilfs­personal wüsste mit Arzneimitteln, die nicht in das gewohnte Schema passen, nichts Sinnvolles anzufangen. Solche Arzneimittel sind dort fehl am Platz. Sie sind unnütz, sie stören und sind potenziell gefährlich, wenn sie aus Unkenntnis falsch angewendet werden.

Das Notfallsortiment IEHK

Für die Versorgung der Bevölkerung nach Katastrophen hat die WHO aufgrund langjähriger Erfahrung eine Art Notfallapotheke konzipiert: das ­Interagency Emergency Health Kit (IEHK). Es enthält die am dringlichsten benötigten Arzneimittel und Medizinprodukte in einer Quantität, die drei Monate lang reicht, und zwar im Fall der „basic unit“ für 1000 Betroffene, im Fall der „supplementary unit“ für 10.000 Betroffene. Darunter fehlen z. B. Arzneimittel gegen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Lepra oder Aids, die nach einer Katastrophe nicht häufiger auftreten als unter Alltagsbedingungen. Stattdessen enthält der IEHK Spritzen, Fieberthermometer, chirurgische Instrumente, Kerzen, Wasserfilter und Natrium-dichloroisocyanurat-Tabletten, um kontaminiertes Wasser zu desinfizieren und trinkbar zu machen. Zu den Notfallmedikamenten der basic unit zählen z. B. Ibuprofen und Paracetamol (aber kein ASS), Amoxicillin, Chlorhexidin, eine Tetracyclin-haltige Augensalbe und ein Pulver zur Zubereitung von Rehydratationslösungen. Eine IEHK-Variante für Malariagebiete enthält zusätzlich Artemether-Lumefantrin- und Chininsulfat-Tabletten. Die supplementary unit enthält etwa 70 Wirkstoffe, darunter auch Morphin, Diazepam, Hydrochlorothiazid, Promethazin und Atenolol.

Gute Arzneimittelspendenpraxis

Einiges von dem oben Gesagten steht in den Guidelines for medicine donations der WHO. Die Hilfswerke weisen auf ihren Websites darauf hin und legen allen spendenfreudigen Personen eine „gute Arzneimittelspenden­praxis“ ans Herz. Sie bitten explizit um Geldspenden, mit denen sie die benötigten Medikamente zu günstigen Konditionen und vor allem bedarfs­gerecht kaufen können.

Einen Teil der Spenden verwenden die Hilfswerke zur Ausbildung von Personal sowohl in ihren eigenen Organisationen als auch vor Ort in den betroffenen Ländern. Dieser Aspekt ist sehr wichtig, denn der Faktor Mensch ist entscheidend, dass die besondere ­Ware Arzneimittel adäquat angewandt wird – dieses Argument ist aus hiesigen gesundheitspolitischen Diskussionen allgemein bekannt. |

Quellen

Vetye-Maler C. Arzneimittelspenden: Hilfe oder Müll für den Empfänger? Krankenhauspharmazie 2016;37(10):445-451

Apotheker ohne Grenzen. Arzneimittel spenden? Aufklärung über eine gute Arzneimittelspendenpraxis; http://apotheker-ohne-grenzen.de/mitmachen/spendenmoglichkeiten/keine-arzneimittelspenden

WHO Model List of Essential Medicines, 19. ed. October 2015; www.who.int/medicines/publications/essentialmedicines/en

WHO. The interagency emergency health kit, 4. ed. 2011; www.who.int/medicines/­publications/emergencyhealthkit2011/en

WHO. Guidelines for medicine donations, 2010; www.who.int/selection_medicines/emergencies/guidelines_medicine_donations/en

Autor

Dr. Wolfgang Caesar ist Redakteur der Deutschen Apotheker Zeitung.

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