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Katastrophenpharmazie

Wenn der Strom ausfällt …

Notfallplan für eine Apotheke

Die Türen sind verriegelt, der Automat ruht, das Licht ist aus, die EDV zeigt schwarz, das Telefon steht still, der Server ist aus, und die Impfstoffe werden warm. Ein Horrorszenario für die öffentliche Apotheke. Doch jede Apotheke kann für den Notfall vorsorgen. | Von Daniel Neuser und Sven Lobeda

Dass ein solches Szenario Realität werden kann, zeigen folgende Notfallereignisse der jüngsten Vergangenheit:

  • 2005: Schneestürme zerstören im Münsterland zahlreiche Stromleitungen. Einzelne Regionen waren mehrere Tage lang ohne Strom.
  • 2006: Starkregen, Gewitter und Wirbelsturm in Hamburg sorgen für einen mehrstündigen Stromausfall, weil eine 360-kV-Leitung beschädigt wurde.
  • 2006: Nach einer planmäßigen, aber schlecht koordinierten zeitweiligen Abschaltung einer Starkstromleitung an der Ems folgt ein bis zwei Stunden langer Stromausfall in weiten Teilen Europas.
  • 2016: Ein Starkregen in Bremerhaven überflutet die ­Keller in einem Einkaufszentrum und verursacht einen mehrstündigen Stromausfall.
  • 2016: Starkregen und Hochwasser im Rottal-Inn-Kreis führen zu Stromausfällen wegen überfluteter Umspannwerke. Überflutete Zugangswege und Stromschlaggefahr erschweren die Reparatur.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) warnt vor einem längerfristigen Stromausfall und hält passende Publikationen parat.

Die Einsatzplanung der Stadt Hannover rechnet damit, dass die Versorgung der Bevölkerung durch die öffentliche Apotheke nach zwei bis acht Stunden ohne Strom mit hoher Wahrscheinlichkeit ausfällt und nach acht bis 24 Stunden ohne Strom sicher ausfällt, weil viele Bereiche der Apotheke vom Strom abhängig sind (Tab. 1).

Tab. 1: Stromausfall in der Apotheke und die Folgen (Beispiele).
System, Objekt
Ausfall von
Kühlung
Klimaanlage, (Tief-)Kühlschränke
EDV
Kasse, Warenwirtschaft, BtM- und TfG-Dokumentation
Internet
Bestellungen, Recherche
Labor
Waagen, Herstellung
Ladensicherheit
Alarmanlage, elektrische Schließtüren
Heizung
Licht
Lager
Kommissionierautomat

Dass bisher nur wenige Apotheken von Notfällen dieser Art betroffen waren, ist reine Glückssache!

Vorplanung

Aufgrund der jüngsten Notfallereignisse mit Stromausfall, welche durch Starkregen und Hochwasser ausgelöst wurden, wird das Team einer Apotheke für das Thema Notfallmanagement sensibilisiert. In einer Teambesprechung überlegen die Mitarbeiter, was bei einem Notfall mit Stromausfall zu tun ist, um die ordnungsgemäße Versorgung der Patienten bestmöglich sicherzustellen. Bei den weiteren Planungen geht es darum, im Notfall

  • den Betrieb mindestens 24 Stunden lang (möglichst noch länger) aufrechtzuerhalten und
  • den Betrieb geordnet einzustellen, wenn er nicht mehr aufrechterhalten werden kann, um ihn nach Beendigung des Notfalls rasch wieder aufnehmen zu können.

Für die konkreten Planungen stellte der Apothekenleiter einen Mitarbeiter zeitweise frei und plant 1000 Euro für benötigte Anschaffungen ein.

Risikoanalyse und Risikobewertung

Um sich auf Notfallereignisse vorzubereiten, ist es wichtig, diese anhand zweier Parameter zu klassifizieren: Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß (Risikofolge). Mithilfe einer Internetrecherche findet man problemlos frühere Notfallereignisse in der näheren Umgebung der eigenen Apotheke. Je häufiger das Ereignis eintrat, desto höher ist die Gewichtung. In diesem Beispiel stellt der Mitarbeiter ein hohes Risiko für Hochwasser fest. In die Prognose des Schadensausmaßes gehen der Lagerwertverlust, Gebäudeschäden, der Verdienstausfall und sonstige Schäden ein. Da die Apotheke aktuell keine Schutzmaßnahmen und Vorplanungen getroffen hat, ist mit einem sehr hohen Schadensausmaß zu rechnen. In einer fünfstufigen Risikomatrix sind für die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Risikofolgen jeweils die Stufe 4 gewählt worden (Abb. 1). Daraus ergibt sich ein hohes Risiko (roter Bereich), und die nächste Aufgabe besteht darin, geeignete Maßnahmen zur Risikominderung zu finden.

Grafik: DAZ/ekr
Abb. 1: Risikoanalyse

Maßnahmen zur Notfallbewältigung

Sofortmaßnahmen. Unter Sofortmaßnahmen versteht man alle Maßnahmen, die unmittelbar nach dem Ereigniseintritt ausgeübt werden müssen. Dazu gehören die Mitarbeiter- und Patienteninformation sowie die Mitarbeiteralarmliste. Der erste Schritt bei einem Stromausfall ist die Überprüfung des Umfangs am Sicherungskasten; jeder Mitarbeiter sollte dazu in der Lage sein. Sollte der Stromausfall nicht an den Sicherungen liegen, heißt es den Grund anderswo zu suchen, z. B. durch Befragung der Nachbarn oder einen Anruf beim Stromversorger. Wenn der Versorger nicht erreicht werden kann, muss von einem längerfristigen Stromausfall ausgegangen werden. Für Besitzer eines Kommissionierautomaten empfiehlt es sich (falls es nicht bereits im Vorfeld geschehen ist), die Artikelbestandsliste mit Lagerort auszudrucken, solange der Server und der PC noch über Notstromreserven verfügen. Die Schließanlage muss auf „manuell“ gestellt und der Sicherheitsdienst informiert werden, dass die Apotheke in Betrieb ist, denn die Alarmanlage kann wegen des Stromausfalls fälschlich Alarm melden.

Vorausschauende Maßnahmen. Um die Stromversorgung trotz Stromausfall 24 Stunden lang sicherzustellen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Am effektivsten aber auch kostenintensivsten ist die Anschaffung einer Anlage zur unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) für den Server der Apotheke und möglichst auch für die Apotheken-EDV; dazu gehört die Schaffung einer vom Netz unabhängigen Stromquelle (Akkus, evtl. Notstromaggregat).

Weitverbreitet (v. a. in Apotheken mit Filialverbund) ist die Nutzung von Laptops mit VPN-Client, die auf die Betriebssysteme der Apotheke zugreifen. Dies funktioniert auch bei einem Stromausfall, wenn der Server mit Strom versorgt ist. Ein Akku reicht für drei Stunden, mit vier Akkus kann der Betrieb zwölf Stunden lang aufrechterhalten werden, also halb so lang wie gewünscht.

Die Anschaffung und Implementierung eines Notstromaggregats ist kostspielig. Zudem benötigt das Aggregat einen krisensicheren Standort, und es muss genügend Treibstoff gemäß den rechtlichen Vorgaben sicher gelagert werden. Das Apothekenteam in diesem Beispiel entscheidet sich daher gegen ein Stromaggregat.

Übrigens ist es ein Irrglaube, dass im Notfall die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk die Apotheke mit Strom versorgt. Diese Einsatzkräfte sind dann an größeren kritischen Infrastrukturen wie Krankenhäusern tätig und können einer öffentlichen Apotheke kein Notstromaggregat zur Verfügung stellen.

Ein besonderes Augenmerk muss den kühl zu lagernden Arzneimitteln gelten. Kühlschränke außer Betrieb halten in der Regel rund acht Stunden lang die geforderte Temperatur, was sich mit Thermologgern kontrollieren lässt. Anschließend kann man sich Kühlkisten eines Großhändlers besorgen, die die Arzneimittel weitere zwölf Stunden kühl halten; selbstverständlich muss man vorher eine entsprechende Abmachung mit dem Großhändler getroffen haben, damit im Notfall ausreichend Kisten und einsatzbereite Kühlelemente für die Arzneimittel bereitstehen. Wenn allerdings der Verkehr völlig zusammenbricht, scheidet diese Möglichkeit aus.

Sämtliche Dokumentationen (BtM, TfG) können durch das Ausfüllen von Formularen erledigt werden.

Als Notbeleuchtung dienen energiesparende LED-Leuchten, welche in ausreichender Stückzahl gelagert werden sollten, ebenso wie mehrere Stirnlampen, um nachts etwas im Generalalphabet oder im Kommissionierer zu finden und die Hände dabei frei zu haben.

Über Mobilfunkverbindungen mit Filialapotheken oder befreundeten Nachbarapotheken können mittels deren Software auch Rabattverträge der Krankenkassen bedient werden, selbst wenn die Notstromversorgung der eigenen Apotheke nach 24 Stunden zum Erliegen kommt.

Die zu treffenden Maßnahmen erhöhen sich selbstverständlich für jedes zu versorgende Pflegeheim, für jede Arztpraxis, für jeden Pflegedienst, für jeden Spezialpatienten. Hier sollte sich jeder Mitarbeiter und besonders jeder Inhaber über entsprechende Maßnahmen Gedanken machen.

Maßnahmen zur Geschäftsunterbrechung

Wenn eine ordnungsgemäße Versorgung nicht mehr aufrechterhalten werden kann, weil z. B. alle Akkus leer sind, kann es besser sein, das Geschäft zu schließen, als es mit vielen Improvisationen (z. B. Verkäufe durch Strichlisten dokumentieren) partiell aufrechtzuerhalten. Die Apotheke muss vorher die Kammer bzw. die zuständige Stelle für die Apothekenaufsicht über die Notsituation informieren und ihr den Zeitpunkt der Geschäftsunterbrechung mitteilen und auch weitere Partner (z. B. Großhandel, Ärzte, versorgte Einrichtungen) informieren. Den Patienten muss sie die diensthabenden, nicht betroffenen Apotheken nennen, am besten mittels vorbereiteter Zettel.

Nachdem der letzte Patient die Offizin verlassen hat, ist diese zu verschließen und ein Aushang über die temporäre Schließung am Fenster zu befestigen. Ein Mitarbeiter sollte als Sicherheitswache in der Apotheke verbleiben und u. a. die Kühlkisten regelmäßig tauschen, um ein Erwärmen der Ware zu verhindern.

Wiederaufnahme des Betriebs

Sobald der Strom wieder vorhanden ist, informiert der in der Apotheke verbliebene Mitarbeiter die Kollegen. Er prüft zuerst, ob die Kühlkette unterbrochen war. Dann fährt er den Server und das Kassensystem hoch und prüft, ob sie wieder funktionieren. Anschließend sucht er nach möglichen Schäden (Kurzschlüsse usw.). Nach Absprache mit dem Apothekenleiter informiert er die Kammer bzw. die zuständige Stelle für die Apothekenaufsicht, wann die Apotheke wieder öffnet.

Nachdem der Apothekenbetrieb schon angelaufen ist, sind noch einige Maßnahmen durchzuführen; wegen des laufenden Betriebs können gerade in dieser Phase der Krisenbewältigung Fehler und Unachtsamkeiten auftreten. Es müssen die verkauften Packungen, welche z. B. nur handschriftlich notiert wurden, nachgebucht werden sowie die handschriftlichen Dokumentationen für BtM, TfG in digitaler Weise nachgeholt werden. Die nicht durchgängig gekühlte Ware muss retourniert und ersetzt, die nachträglich ab­gebuchte Ware neu beschafft werden. Ein Mitarbeiter der Versicherung muss in der Apotheke die Schadenshöhe feststellen. Danach machen die Apothekenmitarbeiter eine Inventur, um eventuelle Fehlbestände festzustellen und aus­zugleichen.

Eine Danksagung an Helfer und Unterstützer gehört selbstverständlich zum guten Ton nach solch einem überstandenen Notfallereignis.

Etablierung des Krisenmanagements

Nachdem in der Apotheke die Maßnahmen zur Notfallbewältigung erarbeitet worden sind, muss der Apothekenleiter mit seinem Team auch Übungen für den Ernstfall durchführen. Durch diese Vorbereitungen ist das Schadensausmaß (Risikofolge) bei einem Notfallereignis von Stufe 4 auf Stufe 2 gesunken und damit im gelben Bereich (Abb. 2).

Grafik: DAZ/ekr
Abb. 2: Risikoanalyse nach der Notfallplanung.

Die Autoren empfehlen, die erarbeiteten Maßnahmen und die resultierenden Dokumente ins QM-Handbuch zu übertragen, z. B. als Anlage zum Prozess-orientierten Risikomanagement nach DIN EN ISO 9001:2015. Vorgeschrieben ist die QM-gelenkte Dokumentation eines Notfallmanagements allerdings nicht.

Fazit

Die Notfallplanung sollte ein essenzieller Bestandteil des Qualitätsmanagements der Apotheke sein, um in Notfall- und Krisensituationen eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Die benötigten Ressourcen, um eine solche Planung durchzuführen, sind bedeutend geringer als die Auswirkungen eines Totalausfalls. Viel zu häufig findet lediglich eine Postprävention statt, also eine Maßnahmen­findung nach dem ersten Schadenseintritt. |

Literatur

Notfall- und KatastrophenPharmazie I und II – Bevölkerungsschutz und Medizinische Notfallversorgung, 2008/2009 (kostenfrei über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zu beziehen: www.bbk.bund.de)

FIP. Responding to disasters: Guidelines for pharmacy, 2016; www.fip.org/publications

Weitere Literatur bei den Autoren

Autoren

Sven Lobeda, Apotheker, Studium der Pharmazie in Halle (Saale), Mitglied der DPhG AG KatPharm, Freiberuflicher Dozent im Rettungswesen

Dr. Daniel Neuser, Krankenhausapotheker in Krefeld, Studium der Pharmazie in Düsseldorf, Mitglied der DPhG AG KatPharm, aktive Tätigkeit im DRK Remscheid

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