- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 20/2017
- Cortison-Keule gegen ...
Arzneimittel und Therapie
Cortison-Keule gegen Halsschmerzen
Beschwerdefrei nach zwei Tagen – klingt verlockend, aber wo ist der Haken?
Meist sind Halsschmerzen Vorboten einer Erkältung und klingen innerhalb weniger Tage von selbst wieder ab. Allerdings können sie auch Symptome einer schwerwiegenden Erkrankung sein (siehe Kasten). Bei leichten Beschwerden steht die Analgesie im Vordergrund. Empfohlen wird der Einsatz von Lokalanästhetika in Form von Lutschtabletten sowie nicht-steroidalen Analgetika, die entweder lokal (z. B. Flurbiprofen) oder systemisch (z. B. Ibuprofen, Paracetamol) angewendet werden können.
Halsschmerzen sind nicht gleich Halsschmerzen
Eine Pharyngitis (Rachenentzündung) beginnt mit Halskratzen und Niesreiz. Schmerzen treten vor allem beim Schlucken auf und halten zwei bis drei Tage an. Die Mandeln sind nicht entzündet. Verantwortlich für die Beschwerden sind Viren, Bakterien oder Reizstoffe aus der Umwelt.
Bei einer Tonsillitis (Mandelentzündung) sind vor allem die Gaumenmandeln entzündet. Typisch sind weiß-gelbliche Beläge (Stippchen) auf den Mandeln, Fieber und starke Halsschmerzen, die bis in die Ohren ausstrahlen können. Häufige Erreger sind beta-hämolysierende Streptokokken, die eine Antibiose erfordern.
Eine Laryngitis äußert sich als Schleimhautentzündung abwärts des Rachens. Erste Anzeichen sind Heiserkeit und Reizhusten, gefolgt von Schmerzen und ggf. Fieber. Auslöser sind meist virale Infektionen der oberen Atemwege, eine starke Stimmbelastung oder Rauchen.
Bei einer Epiglottitis ist der Kehldeckel entzündet, meist infolge einer bakteriellen Infektion. Die Patienten haben oft starke Halsschmerzen und hohes Fieber. Es besteht die Gefahr von Atemnot, sodass sofort eine Behandlung eingeleitet werden muss.
Auch diese schweren Erkrankungen können sich hinter Halsschmerzen verbergen: Angina Plaut-Vincent, Diphtherie, Scharlach, Agranulozytose, Tonsillenkarzinom oder Tuberkulose.
Sind die Halsschmerzen extrem stark oder treten nur einseitig auf, besteht gleichzeitig Fieber oder sind Mandeln und Halslymphknoten geschwollen, sollte ein Arzt aufgesucht werden!
In den meisten Fällen sind Viren für die Entzündung verantwortlich (z. B. Erkältungsviren), sodass Antibiotika wirkungslos bleiben. Dennoch wird eine Antibiose häufig dann in die Wege geleitet, wenn die Beschwerden über mehrere Tage anhalten und eine Superinfektion mit Bakterien befürchtet wird. Doch selbst bei Halsschmerzen mit bakterieller Genese ist eine Antibiose nicht grundsätzlich angezeigt. Unbestritten ist ihr Nutzen bei Streptokokken-A-Tonsillitis, Scharlach, bakterieller Kehldeckelentzündung und Angina Plaut-Vincent.
Bei unkomplizierten Halsschmerzen hatten Antibiotika in Studien dagegen nur eine gering bis mäßig verkürzende Wirkung auf die Symptomatik.
Ohne Antibiotika auskommen
Es wird weiterhin nach Strategien gesucht, um die Beschwerden bei Halsschmerzen zu lindern und gleichzeitig den Gebrauch von Antibiotika einzudämmen. Ein Ansatz könnte die Gabe von Glucocorticoiden sein. Immerhin hemmen sie die Transkription proinflammatorischer Mediatoren in den Endothelzellen der Atemwege, die für Entzündungen verantwortlich sind.
Im Jahr 2012 kam ein Cochrane-Review zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, nach 24 Stunden frei von Halsschmerzen zu sein, nach Einmalgabe von Glucocorticoiden dreimal höher war als unter Gabe von Placebo. Allerdings hatten alle Patienten zusätzlich ein Antibiotikum erhalten.
Die Autoren der kürzlich publizierten TOAST-Studie (Treatment Options without Antibiotics for Sore Throat) interessierte es, ob diese Wirkung auch eintritt, wenn keine initiale Antibiotika-Therapie erfolgte. Dazu erhielten 576 Erwachsene aus Süd- und Westengland, die unter akuten Halsschmerzen litten, entweder eine Einzeldosis 10 mg Dexamethason oder Placebo, ohne gleichzeitige Antibiose. Patienten, die innerhalb des vergangenen Monats Glucocorticoide inhaliert oder innerhalb der vergangenen 14 Tage Antibiotika eingenommen hatten, wurden von der Studie ausgeschlossen. Etwa 40% der Teilnehmer erhielten bei Studieneinschluss jedoch ein Rezept über eine „verzögerte“ Antibiotika-Therapie für den Notfall.
Nach 24 Stunden zeigte sich noch kein Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Nach weiteren 24 Stunden waren signifikant mehr Patienten unter Dexamethason beschwerdefrei als unter Placebo (35,4 vs. 27,1%, p = 0,03). Dieser Effekt war auch bei Patienten evident, denen keine verzögerte Antibiotika-Therapie angeboten wurde.
Nach Ansicht von Dr. Steffen Dommerich, Facharzt für HNO-Heilkunde an der Charité Berlin, kann man diesen Ergebnissen trauen: „Die Studie ist klar strukturiert und methodisch gut aufgearbeitet. Auf den ersten Blick erscheint das Ergebnis im positiven Sinne überraschend, andererseits werden gerade Glucocorticoide sehr häufig bei Entzündungen diverser Pathogenese erfolgreich eingesetzt, warum also nicht auch bei akuten Pharyngitiden.“
Synergien vermutet
Im Unterschied zu vorangegangenen Studien war die Glucocorticoid-Behandlung Placebo nach 24 Stunden noch nicht überlegen. Den Grund dafür vermuten die Studienautoren in der fehlenden Antibiose: Zum einen halten sie eine synergistische Wirkung von Glucocorticoiden und Antibiotika für möglich – ähnlich wie bei der Therapie der akuten Sinusitis, wo eine systemische Glucocorticoid-Monotherapie unwirksam ist, eine Kombination mit Antibiotika dagegen durchaus sinnvoll sein kann.
Zum anderen könnte sich ein Nutzen erst bei starken Beschwerden abzeichnen. Die Symptomatik korreliert mit dem Ausmaß der Entzündung, sodass die antiinflammatorische Wirkung von Glucocorticoiden erst bei schweren Halsschmerzen sichtbar werden könnte. Derartige Patienten durften an der TOAST-Studie jedoch nicht teilnehmen, da in diesen Fällen unverzüglich Antibiotika verordnet wurden.
Kurzzeitiger Einsatz sicher?
Theoretisch scheint eine Behandlung von Halsschmerzen mit Glucocorticoiden also möglich zu sein. Aber hat sie auch schon Bedeutung? „Meines Wissens wird eine derartige Therapie in Deutschland derzeit nicht durchgeführt“, weiß Dommerich aus der Praxis zu berichten. „Der Einsatz von Dexamethason zur Symptomlinderung ist aber durchaus möglich und scheint anhand der vorliegenden Studie sinnvoll zu sein, zumal die Einmalgabe in der angegebenen Dosierung keine relevanten Nebenwirkungen erwarten lässt.“ Im Verlauf der Studie kam es insgesamt zu fünf schweren unerwünschten Wirkungen, drei davon in der Placebo-Gruppe (Peritonsillarabszess, schwere Tonsillitis, Lungenentzündung). Unter Therapie mit Dexamethason kam es nur zu einer Krankenhauseinweisung aufgrund eines Parapharyngealabszesses. Insgesamt wurde die Therapie also gut vertragen. Die Studienautoren räumen jedoch ein, dass die Nebenwirkungen von Glucocorticoiden bei Patienten mit Komorbiditäten wie Diabetes mellitus oder Herzinsuffizienz größer ausfallen können.
Unerwünschte Wirkungen von Glucocorticoiden kennt man eher von der Langzeitanwendung, darunter Muskel- und Hautatrophie, Osteoporose und psychische Veränderungen. Eine kurzzeitige Therapie verläuft in der Regel ohne Probleme. Oder etwa doch nicht? Eine populationsbezogene Kohortenstudie aus den USA zeigte, dass auch eine Einnahme von Glucocorticoiden über wenige Tage mit Nebenwirkungen einhergehen kann, selbst bei niedrigen Dosierungen. Basierend auf den Daten von rund 1,5 Millionen Erwachsenen wurde ein erhöhtes Risiko für Sepsis, venöse Thromboembolien und Knochenbrüche im ersten Monat nach der Verordnung beobachtet.
Das Fazit lautet demnach: So risikoarm wie vermutet, ist eine kurzzeitige Gabe von Glucocorticoiden scheinbar nicht. Solange es sinnvolle Alternativen gibt, sollten diese auch ergriffen werden. In Bezug auf Halsschmerzen wird dieser Rat in Deutschland derzeit (noch) berücksichtigt. |
Quelle
Hayward GN et al. Effect of Oral Dexamethasone Without Immediate Antibiotics vs Placebo on Acute Sore Throat in Adults. JAMA 2017;317(15):1535-1543
Hayward G et al. Corticosteroids as standalone or add-on treatment for sore throat. Cochrane Database Syst Rev. 2012;10:CD008268
Waljee AK, et al. Short term use of oral corticosteroids and related harms among adults in the United States: population based cohort study. BMJ 2017;357:j1415; doi: 10.1136/bmj.j1415
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.