DAZ aktuell

Zwei wichtige Felder bleiben offen

Trotz AMVSG besteht Handlungsbedarf bei der Rezeptur-Vergütung

Seit 13. Mai bekommen Apotheken für die Herstellung und Abgabe von Rezepturen etwas mehr Geld. Doch zwei Problemfelder harren weiterhin der Lösung: Rezeptur-Sonder­fälle, die in der Arzneimittelpreisverordnung nicht erwähnt werden – und die Hilfstaxe, die dringend einer Aktualisierung bedarf.

Mit dem GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) wurde eine lange fällige Anpassung der Rezeptur-Vergütung für die Apotheken umgesetzt: Die „Arbeitspreise“ stiegen zum 13. Mai um jeweils 1 Euro. Bedeutsamer ist, dass bei der Abgabe eines verschreibungspflichtigen Rezepturarzneimittels nun ein Festzuschlag von 8,35 Euro (abzüglich Kassenabschlag von 1,77 Euro, wenn es zulasten der GKV abgegeben wird) abgerechnet werden kann. Dennoch bleiben zwei wesentliche Problemfelder bei der Preisbildung für Rezepturen zu bearbeiten. Erstens gibt es einige Sonderfälle, die in der AMPreisV nicht ausdrücklich erwähnt werden. Sie werden in verschiedenen Bundesländern und von verschiedenen Krankenkassen unterschiedlich gehandhabt. Daher gibt es dazu immer wieder Streit zwischen Apotheken und Krankenkassen. Wegen der meist geringen Beträge gehen diese Fälle meist nicht vor Gericht, sodass die Fragen offen bleiben. Diese Fragen zu klären, würde allen Beteiligten die Alltagsarbeit erleichtern – auch den Krankenkassen. Zweitens wurde die Hilfstaxe seit Jahren nicht aktualisiert. Die vor langer Zeit ermittelten Preise sind in sehr vielen Fällen nicht mehr marktgerecht und Änderungen in der pharmazeutischen Praxis wurden nicht berücksichtigt.

Obwohl diese Probleme den Apothekenalltag vielfach berühren, besteht dafür in Apotheken oft nur geringes Bewusstsein. Manche Probleme fallen erst auf, wenn eine Retaxation stattfindet. Denn vielfach wird die AMPreisV nicht bewusst „von Hand“ angewendet, sondern die Apotheken-EDV übernimmt die Taxierung. Die Frage, ob die dort programmierten Regeln und Preise sachgerecht sind, kann ­dabei jedoch „untergehen“.

Gebinde

Zu den Sonderfällen, die immer wieder Fragen aufwerfen, gehören Ge­binde. Als Gebinde werden mehrere gleichartige Packungen oder Gefäße bezeichnet, die dasselbe Arzneimittel für den denselben Patienten enthalten. Der Wortlaut der AMPreisV spricht dafür, jedes einzelne Gefäß mit einem eigenen Rezepturzuschlag zu taxieren. Denn jedes einzelne Gefäß enthält eine anwendungsfertige Zubereitung – und die AMPreisV regelt die Preise für solche Zubereitungen. Diese Auffassung wird auch in der ABDA vertreten. In einigen Bundesländern und bei einigen Krankenkassen müssen die Apotheken jedoch damit rechnen, dass dies retaxiert wird. Erfahrungen von Praktikern laufen daher auf folgenden Kompromiss heraus: Wenn die Herstellung in einem durchgehenden Arbeitsablauf erfolgt und das Produkt letztlich nur in zwei Gefäße abgefüllt wird, kann dies als eine Herstellung betrachtet werden. Der Rezepturzuschlag wäre dann nur einmal fällig. Wenn jedoch die Abgabebehältnisse in getrennten Arbeitsgängen hergestellt werden oder zumindest der aufwendigste und pharmazeutisch wichtigste Schritt getrennt erfolgt, sind dies mehrere Herstellungen. Dann sollte für jedes Gefäß der Rezepturzuschlag taxiert werden.

Darüber gibt es in der Praxis immer wieder Streit, berichtet das Deutsche Apotheken Portal (DAP), das Retaxationsfälle aus dem Apothekenalltag auswertet. Das DAP empfiehlt daher, bei Verordnungen von Gebinden Rücksprache mit dem Arzt zu nehmen. Danach sollte die Begründung des Arztes für diese Verordnung auf dem Rezept dokumentiert werden. Das gilt sogar, wenn nur ein Rezepturzuschlag, aber mehrere Gefäße taxiert werden. Denn sonst könnte es vorkommen, dass die Krankenkasse den Preis für das zweite Gefäß retaxiert. Um so wichtiger ist eine überzeugende Begründung, wenn der Rezepturzuschlag mehrfach taxiert wird. Der häufigste Grund für eine solche Verordnung ist die Aufbrauchfrist, also die Haltbarkeit nach dem ersten Öffnen des Gefäßes. Dies gilt insbesondere für sterile Zubereitungen wie Augentropfen. Dann sollte der pharmazeutische Hintergrund mit dem Hinweis „Sterile Einzelfiltration zwingend erforderlich!“ auf dem Rezept erklärt werden, rät das DAP.

Doch hier ist eine klare Regelung gefragt, die die pharmazeutischen Anforderungen berücksichtigt. Mit der Einführung des neuen Festzuschlags von 8,35 Euro pro Zubereitung wird diese Frage noch dringender.

Stammzubereitungen

Eine weitere Frage betrifft Stammzubereitungen. Ihr Einsatz ist pharmazeutisch oft sinnvoll, insbesondere um die nötige Dosierungsgenauigkeit für niedrig konzentrierte Arznei- oder Hilfsstoffe sicherzustellen. Aufgrund der AMPreisV liegt es nahe, solche Stammzubereitungen als Rezepturbestandteile zu betrachten und ihren tatsächlichen Einkaufspreis in die Taxierung eingehen zu lassen. Doch gesetzliche Krankenkassen argumentieren unter Verweis auf die Hilfstaxe oft ­anders: Demnach seien nur solche Stammzubereitungen zu taxieren, für die Preise in der Hilfstaxe vereinbart sind. Bei anderen Stammzubereitungen seien dagegen die Einzelbestandteile gemäß Hilfstaxe so zu taxieren, als existiere die Stammzubereitung nicht. Dies führt in den Apotheken regelmäßig zu Verlusten, weil die industriell gefertigten Stammzubereitungen teurer als ihre einzelnen Bestandteile sind. Doch die Frage nach der korrekten Interpretation der Regeln würde sich weitgehend erübrigen, wenn die Hilfstaxe aktualisiert und um zusätzliche gängige Stammzubereitungen erweitert würde.

Anbrüche

Nach Informationen aus den Apothekerverbänden sind die Erstattungsfähigkeit einiger Substanzen und der Umgang mit Anbrüchen weitere typische Problemfelder. Bei Anbrüchen von Fertigarzneimitteln oder von Packungen wenig gängiger Substanzen wird darum gestritten, ob die ganze Packung oder nur die verwendete Menge taxiert werden darf. Insbesondere wenn derselbe Patient über längere Zeit mehrfach das gleiche Rezepturarzneimittel erhält, würden solche Rezepte retaxiert, heißt es von einem Apothekerverband. Doch die Krankenkasse bewertet dies nachträglich, während das Apothekenteam bei Vorlage des Rezepts noch nicht weiß, ob der Patient Wochen oder Monate später mit einer gleichartigen Verordnung wiederkommt. Dagegen werde die Taxierung ganzer Packungen bei Vorlage von zeitnahen Lieferscheinen nach Erfahrungen des Apothekerverbandes eher akzeptiert. Dies entspricht dem Dokumentationsverfahren bei Zytostatika, aber dies ist nur für Zytostatika vereinbart und gerade nicht für klassische Rezepturen. Doch auch diese Frage dürfte sich weitgehend erübrigen, wenn die Regelungen der Hilfstaxe zum Umgang mit Anbrüchen laufend den Marktbedingungen angepasst würden.

So ist offenbar auch Jahrzehnte nach Einführung der grundlegenden Strukturen der AMPreisV die Auslegung für einige Fälle noch nicht geklärt. Die Arzneilieferverträge dürften das beste Mittel zur Lösung dieser Probleme sein. Demnach sind die Verhandlungskommissionen gefragt.

Überalterte Hilfstaxe

Allerdings würden einige dieser Fragen relativiert, wenn die Hilfstaxe stets so aktuell wäre, wie ihre Urheber das vereinbart hatten. Denn § 3 des Vertrages über die Hilfstaxe sieht vor, dass eine technische Kommission zu Beginn jedes Jahres die Preise aktualisiert. Einvernehmlich können gemäß dieser Regelung sogar „zwischenzeitlich“, also unterjährig Aktualisierungen und Ergänzungen beschlossen werden. Doch die Hilfstaxe wurde zuletzt 2006 überarbeitet, 2009 wurden die Preise teilweise angepasst und die technische Kommission tagt nicht mehr (siehe „Handlungsbedarf bei der Hilfstaxe“ in DAZ 2016, Nr. 35, S. 20). Mittlerweile soll der Deutsche Apothekerverband mit den Vorarbeiten für eine Aktualisierung begonnen haben. Doch besteht in dieser Hinsicht offenbar bei keinem der Beteiligten mehr eine diesbezügliche Routine.

Das Hauptproblem der Hilfstaxe sind offensichtlich die uralten Preise, die die Marktsituation bei vielen Substanzen nicht mehr abbilden. Doch auch die pharmazeutische Praxis hat sich inzwischen weiter entwickelt. So fehlen Preise für die Sichteinnahme von Buprenorphin und für zeitgemäße Gefäße, beispielsweise Kruken für Topitec-Rührwerke.

Weiterer Handlungsbedarf entsteht durch die jüngste Änderung der AMPreisV mit der Einführung des Festzuschlags von 8,35 Euro pro Zubereitung. Denn die Ermächtigung zur Vereinbarung von Hilfstaxe-Preisen gemäß § 5 Absätze 4 und 5 AMPreisV sieht nur bei den Apothekeneinkaufspreisen und den Rezepturzuschlägen Abweichungen von der vorgeschriebenen Preisbildung vor. Demnach müsste der neue Festzuschlag in den diesbezüglichen Tabellen ergänzt werden.

Ausblick

Die genannten Beispiele zeigen, dass Apothekenteams im eigenen Interesse gründlich prüfen sollten, ob die neuen Zuschläge gemäß der AMPreisV überall berücksichtigt sind. Die Hilfstaxe enthält diese ­Änderungen noch nicht.

Möglicherweise sorgt das AMVSG auch für einen Impuls zur Aktualisierung der Hilfstaxe. Denn dieses Gesetz verpflichtet die Vertragspartner gemäß § 129 Absatz 5c SGB V zu Neuregelungen für Zytostatika im Rahmen der Hilfstaxe. Diese Bestimmung ist sogar schiedsstellenfähig. Damit bleibt zu hoffen, dass daraufhin auch die übrigen Teile der Hilfstaxe aktualisiert werden. Denn nur so könnte dieses im Grundsatz sinnvolle Vertragswerk wieder zu einer wirklichen Hilfe für die Praxis werden. |

Dr. Thomas Müller-Bohn

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