Arzneimittel und Therapie

Statine mit Altersbeschränkung?

Patienten über 65 Jahre scheinen nicht mehr von einer Primärprävention zu profitieren

rr | Keine Frage: Statine schützen Personen, die ein hohes kardiovaskuläres Risiko tragen. Ihr Nutzen im Rahmen der Primärprävention bei geriatrischen Patienten ist dagegen nicht ganz so sicher. Bei der Generation 75 plus besteht sogar die Sorge, dass die Cholesterol-Senker mehr schaden als nutzen.

Jeder fünfte Deutsche ist älter als 65 Jahre. Man weiß, dass sich die physiologischen Gegebenheiten im Alter verändern und dies bei der Pharmakotherapie berücksichtigt werden muss. Empfehlungen, die man aus Studien mit jüngeren Probanden generiert hat, lassen sich demnach nicht ohne Weiteres auf Senioren übertragen. So stellt beispielsweise ein erhöhter Lipid-Spiegel für Jüngere einen wichtigen Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen dar. Mit steigendem Alter ist er weniger prädiktiv. Obwohl die verfügbare Evidenz widersprüchlich ist, werden Statine immer häufiger zur Primärprävention bei Senioren eingesetzt. Eindeutige Daten werden dringend benötigt, doch ältere Personen werden in Studien – wenn überhaupt – nur selten berücksichtigt.

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Man ist so jung, wie man sich fühlt. Bei der Pharmakotherapie spielt das Alter aber doch eine Rolle, so auch bei der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Pravastatin für Hypertoniker

Die ALLHAT-LLT-Studie konzentrierte sich auf diese Altersklasse und versuchte, die Frage zu klären, ob Statine auch zur Primärprävention bei Senioren sinnvoll sind. In die Post-hoc-Analyse gingen die Daten von 2867 Probanden mit Hypertonie ein, die mindestens 65 Jahre alt waren und keine Anzeichen einer atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung zeigten. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe erfuhren eine übliche Behandlung, die der Interventionsgruppe erhielten gezielt täglich 40 mg Pravastatin. Zu Beginn der Untersuchung zeigten beide Gruppen einen durchschnittlichen LDL-Cholesterol-Wert von etwa 148 mg/dl. Nach sechs Jahren lag er in der Pravastatin-Gruppe bei 109,1 mg/dl, in der Kontrollgruppe bei 128,8 mg/dl. Die Senkung des Cholesterol-Werts hatte jedoch keinen positiven Einfluss auf die Gesamt­mortalität. Im Gegenteil wurde ein nicht signifikanter Trend zu einer höheren Gesamtmortalität bei Personen ab 75 Jahren beobachtet.

Zünglein an der Waage

Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu früheren Studien. Das Fazit der Markov Modeling Study lautete im Jahr 2015 noch, dass Statine auch bei Personen über 75 Jahren wirksam und kosteneffektiv zur Primärprävention von kardiovaskulären Ereignissen sind. Doch die Studienautoren räumten damals ein, dass bereits ein kleiner Anstieg der geriatrisch-spezifischen Nebenwirkungen den kardiovaskulären Benefit von Statinen zunichte machen kann. Diese Gratwanderung könnte eine Erklärung für die inkonsistenten Studiendaten sein. Bekannt ist, dass Senioren ein erhöhtes Risiko für Statin-induzierte Muskelprobleme haben. Nebenwirkungen wurden in der ALLHAT-LLT-Studie nicht erfasst. Auch ist nicht klar, ob der Beginn einer Statin-Therapie in jüngeren Jahren ein günstigeres Nutzen-Risiko-Verhältnis bedingen würde. Welche Schlüsse die neuen Daten letztlich zulassen, lesen Sie im nachfolgenden Kommentar.  |

Quelle

Han BH et al. JAMA Intern Med 2017, published 22 Mai; doi: 10.1001/jamainternmed.2017.1442

Odden MC et al. Ann Intern Med 2015;162(8):533-541


Kein Grund zur Verunsicherung

Ein Kommentar von Dietmar Trenk

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Prof Dr. Dietmar Trenk

Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen zu den häufigsten Todesursachen in der westlichen Welt und auch in Deutschland: Fast 40% der Todesfälle in Deutschland gehen auf kardiovaskuläre Erkrankungen zurück. Fettstoffwechselstörungen, insbesondere die Hypercholesterinämie, zusammen mit Hypertonie, Rauchen, Diabetes mellitus und Übergewicht sind die führenden Risikofaktoren für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen.

Die Senkung der kardiovaskulären Morbidität (Myokardinfarkt, Schlaganfall) und Mortalität durch eine Senkung des LDL-Cholesterols mit Statinen ist in einer Vielzahl von Studien mit insgesamt mehr als 170.000 Patienten sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention nachgewiesen. In der Sekundärprävention soll das Risiko für ein erneutes kardiovaskuläres Ereignis gesenkt werden. Die aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) geben in Abhängigkeit vom Risiko des Patienten klare Vorgaben für den unter Therapie anzustrebenden Zielwert für LDL-Cholesterol. Ältere werden genau wie jüngere Patienten behandelt.

Mehr als 80% der an den Folgen einer koronaren Herzkrankheit Verstorbenen ist älter als 65 Jahre. Aufgrund der demografischen Entwicklung nimmt der Anteil Älterer an der Bevölkerung in allen Gesellschaften zu. Im Jahr 2050 werden ca. 10% der Bevölkerung in Deutschland älter als 80 Jahre sein.

In der Primärprävention wird die Indikation zur LDL-Cholesterol-senkenden Pharmakotherapie nach Berechnung des individuellen Risikos des Patienten für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse anhand von Risiko-Scores wie dem ESC-SCORE oder dem Framingham-Score gestellt. Diese sind jedoch nur bis zu einem Alter von 65 (ESC-SCORE) bzw. 79 Jahren (Framingham-Score) anwendbar.

Ob auch Ältere (über 75 Jahre) einen Nutzen von der Senkung des LDL-Cholesterols mit Statinen haben, ist in Studien derzeit nur unzureichend untersucht. Die jetzt publizierte Subgruppenanalyse der ALLHAT-Studie hat an 2867 Patienten den Nutzen einer Behandlung mit 40 mg Pravastatin in der Primärprävention zusätzlich zur Blutdrucksenkung untersucht. Die Statin-Therapie konnte keine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse, aber einen statistisch nicht signifikanten Trend zu einer höheren Sterblichkeit bei Patienten über 75 Jahre zeigen. Im Gegensatz dazu hat im Jahr 2013 eine Metaanalyse von acht Studien mit 24.674 älteren Patienten in der Primärpräven­tion durch Statine eine Senkung der Häufigkeit von Myokardinfarkten um 40% und von Schlaganfällen um 24% ohne Einfluss auf die Gesamtmortalität gezeigt.

Welche Schlussfolgerungen können wir aus der aktuellen Studie nun also für die älteren Patienten in der Praxis ziehen:

  • In der Sekundärprävention hat die LDL-Cholesterol-Senkung mit einem Statin für ältere und jüngere Patienten den höchsten Empfehlungsgrad (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A) der aktuellen ESC-Leitlinie aus dem Jahr 2016.
  • Bei älteren Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankung (Primärprävention) ist die Indikationsstellung eine patientenbezogene individuelle Entscheidung unter Berücksichtigung von Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes, Nikotin-Abusus und Hypercholesterinämie sowie der Begleitmedikation (Interaktionen über CYP3A4 mit erhöhtem Risiko für Myopathien). ALLHAT-LLT ist aus methodischer Sicht (sekundäre Subgruppen-Analyse einer Studie mit ursprünglich anderer Fragestellung, zu niedrige Patientenzahl) nicht geeignet, dieses Vorgehen infrage zu stellen, wird aber Patienten und Behandler verunsichern.
  • Die zurzeit in Australien mit 18.000 Patienten über 70 Jahre durchgeführte STAREE (Statins in Reducing Events in the Elderly)-Studie wird uns voraussichtlich 2020 definitive Therapieanweisungen für die Älteren liefern.

Prof. Dr. Dietmar Trenk

Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen,
Klinik für Kardiologie und Angiologie II,
Abt. Klinische Pharmakologie

Quelle

Literatur beim Verfasser

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