Schwerpunkt Mikrobiom

„Positive, nie erwartete Ergebnisse!“

Interview zum Potenzial von Probiotika bei Leberzirrhose

du | Zwischen der Immundysfunktion bei Leberzirrhose und der Zusammensetzung des Darmmikrobioms scheint es eine enge Beziehung zu geben. Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Graz forscht auf diesem Gebiet. In der auf S. 52 beschriebenen Studie hat sie den Einfluss von acht Bakterienstämmen auf die Leber- und Immunfunktion sowie das Darmmikrobiom untersucht. Im Folgenden hat sie sich unseren Fragen zu der Studie und dem Forschungsprojekt gestellt.
Prof. Dr. Vanessa ­Stadlbauer-Köllner

DAZ: Frau Professor Stadlbauer-Köllner, warum setzen Sie bei der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten von Leberfunktionsstörungen auf das Mikrobiom?

Stadlbauer-Köllner: Im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes am renommierten Institute of Hepatology des University College London, das von Prof. Roger Williams, einem der Begründer der Hepatologie, geleitet wurde, habe ich unter der Leitung von Prof. Rajiv Jalan an einem Projekt zur Immundysfunktion bei Leberzirrhose gearbeitet. Wir konnten damals zeigen, dass Patienten mit Leberzirrhose eine massiv eingeschränkte Funktion ihrer neutrophilen Granulozyten hatten und dass diese eingeschränkte Funktion sehr wahrscheinlich für die hohe Infektionsneigung und eventuell auch für die erhöhte Sterblichkeit verantwortlich sein könnte. Wir versuchten dann – in einer Zeit, als die Mikrobiomforschung noch in den Kinderschuhen steckte (das Human Microbiome Project startete erst 2008!) – durch die Modulation des Darm-Mikrobioms und der daraus resultierenden Verringerung des Einstroms von bakteriellen Produkten, die Immunfunktion zu verbessern.

DAZ: Wie haben Sie das Darmmikrobiom moduliert? Hatten Sie eine Idee, mit welchen Bakterienstämmen das gelingen kann?

Stadlbauer-Köllner: Wir haben zunächst ein Synbiotikum eingesetzt, also eine Kombination aus einem Probiotikum mit den Stämmen Pediacoccus pentoceus, Lactococcus raffinolactis, Lactobacillus paracasei subsp paracasei und Lactobacillus plantarum sowie einem Präbiotikum bestehend aus Beta-Glucan, Inulin, Pektin sowie resistenter Stärke, die die selektive Vermehrung der probiotischen Bakterienstämme anregen sollen. Das Projekt scheiterte aus einem ganz einfachen Grund: Das Präparat wurde von den Patienten nicht eingenommen, weil es, wenn man es etwas zu lange stehen ließ, eine glibbrige Konsistenz und dazu noch einen gewöhnungsbedürftigen Geruch und Geschmack entwickelte. Aber in einer kleinen Pilotstudie mit einem probiotischen Milchgetränk konnte ich nachweisen, dass der Lactobacillus-Stamm Lactobacillus casei Shirota die Funktion neutrophiler Granulozyten von Patienten mit Leberzirrhose verbessern konnte. Das war der Startschuss für die Planung einer großen doppelblinden randomisierten Studie zur Wirkung von probiotischen Bakterien bei Leberzirrhose. Dazu wurde zusammen mit dem Institut Allergosan in Graz ein entsprechendes mehrstämmiges Probiotikum entwickelt.

DAZ: Was waren die Anforderungen an das Probiotikum?

Stadlbauer-Köllner: Meine Vorgaben an das Institut waren: Das Probiotikum sollte die Darmbarriere verbessern, ­indem die Verbindungen zwischen den Darmzellen wiederhergestellt werden, und so weniger toxische Substanzen in den Körper gelangen können (Reduktion des „leaky gut“). Zudem sollte die Bildung proinflammatorischer Zytokine verringert werden, und selbstverständlich sollte das Produkt leicht zu handhaben sein und auch geschmacklich von den Patienten akzeptiert werden. Ein solches Produkt stellte mir das Institut Allergosan zur Verfügung, und so konnten wir die Studie durchführen. Das Produkt enthielt die Stämme Lactobacillus casei W56, Lactobacillus acidophilus W37, Lactobacillus brevis W63, Lactococcus lactis W58, Bifidobacterium lactis W52, Lactococcus lactis W19, Lactobacillus salivarius W24, Bifidobacterium bifidum W23.

DAZ: Diese Studie ist inzwischen veröffentlicht. Die Ergebnisse klingen verhalten positiv.

Stadlbauer-Köllner: Im Gegenteil – die Ergebnisse unserer Studie stießen in der Fachwelt auf enorm großes Interesse. Bei der Präsentation der Ergebnisse auf der American LiverWeek wurde unsere Arbeit unter 10.000 eingereichten Abstracts als „President´s choice of distinction“ ausgezeichnet. Eine ganz außerordentliche Ehrung, welche die Bedeutung der Ergebnisse ebenso widerspiegelt wie die Publikation im renommierten Journal AP & T!


"Die Ergebnisse unserer Studie stießen in der Fachwelt auf enorm großes Interesse. Bei der Präsentation der Ergebnisse auf der American LiverWeek wurde unsere Arbeit unter 10.000 eingereichten Abstracts als „President´s choice of distinction“ ausgezeichnet. Eine ganz außerordentliche Ehrung, welche die Bedeutung der Ergebnisse ebenso widerspiegelt wie die Publikation im renommierten Journal AP & T."
Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner

DAZ: Nun konnte leider nicht gezeigt werden, dass das Probiotikum signifikant die neutrophile Phagozytose verbesserte, auch konnte keine signifikante Reduktion der Endotoxin-Last, der Darmpermeabilität und der Entzündungsmarker festgestellt werden. Ein enttäuschendes Ergebnis?

Stadlbauer-Köllner: Ich glaube, da haben Sie die wesentlichen Punkte beim Lesen der in der Tat äußerst komplexen Studie übersehen. Es stimmt zwar, dass wir die primäre Hypothese unserer Studie nicht bestätigen konnten. Aber das ist ja genau der Sinn der Wissenschaft – wenn wir schon vorher wüssten, welche Ergebnisse herauskommen, bräuchten wir keine Studien zu machen. Unsere Studie hat allerdings in sehr viel wichtigeren Punkten positive Ergebnisse gebracht, die wir nie erwartet hätten. Es fing schon damit an, dass das Probiotikum sehr gut von den Patienten akzeptiert wurde, denn in der Verum-Gruppe hatten wir trotz der schweren Erkrankung nur einen einzigen Ausfall zu verzeichnen, während in der Placebo-Gruppe 11 Patienten abbrachen. In der Verum-Gruppe verbesserte sich außerdem die Leberfunktion unabhängig von der Ursache!

DAZ: Ein Blick in die Veröffentlichung Ihrer Studie zur Verbesserung der Leberfunktion offenbart, dass von 16 Patienten der Probiotika-Gruppe mit einem Child-Pugh-Score von 7 und höher sich bei 6 Patienten nach Probiotika-Gabe der Score verbesserte, bei 7 Patienten keine Veränderung eintrat und bei dreien sogar eine Verschlechterung zu verzeichnen war. Es wird von einer leichten Verbesserung der Leberfunktion gesprochen. Ein repräsentativer Vergleich mit der Placebo-Gruppe war wegen der hohen Drop-out-Quote nicht möglich. Trotzdem eine überzeugende Verbesserung der Leberfunktion durch das Probiotikum?

Stadlbauer-Köllner: Ja, die Verbesserung ist gut sichtbar. Innerhalb von 6 Monaten erwarten wir bei Patienten mit Leberzirrhose eine Verschlechterung des Child-Pugh-Score, der Laborparameter und klinische Parameter einbezieht, oder im Idealfall einen gleichbleibenden Score. Die hohe Drop-out-Rate in der Placebo-Gruppe war darauf zurückzuführen, dass sich die Patienten nicht in der Lage sahen, aufgrund ihres verschlechterten Allgemeinzustandes weiter an der Studie teilzunehmen. Das war in der Verum-Gruppe nicht der Fall, da sahen wir sogar Verbesserungen. Dadurch, dass die Drop-outs nur in der Placebo-Gruppe zu finden waren, haben wir zwar statistisch gesehen eine schwierige Situation, aber wir wollen ja unsere Behandlung nicht an Zahlen festmachen, sondern es geht vor allem darum, dass es den Patienten klinisch besser geht. Die Medikamente, die wir normalerweise bei Leberzirrhose einsetzen, zielen darauf ab, Komplikationen zu verhindern. Daher ist eine Intervention, die die Leberfunktion per se verbessert, ein großer Fortschritt. Besonders erfreulich war auch, dass sehr viel weniger Patienten an Infektionen erkrankten, die das größte Mortalitätsrisiko für Leberzirrhotiker darstellen und auch enorme Kosten für das Gesundheitssystem verursachen. Wir gehen davon aus, dass dafür eine durch die Probiotika-Gabe induzierte Verbesserung der angeborenen Immunität verantwortlich zu machen ist. Denn die Probiotika-Gabe führte dazu, dass der Neopterin-Spiegel signifikant stieg. Neopterin ist ein Marker für die Aktivierung der Makrophagen. Zusätzlich besserte sich die mit Fragebögen gemessene Lebensqualität in der Probiotika-Gruppe signifikant, was wir auf eine Verbesserung im Phenylalanin/Tyrosin-Stoffwechsel zurückführen.

DAZ: Nun haben Sie ja eine Studie mit einem Probiotikum gemacht, ohne genau zu wissen, welche Veränderungen des Mikrobioms tatsächlich für die gestörte Leberfunktion verantwortlich sind bzw. welche Bakterienstämme denn nun tatsächlich die Leberfunktion verbessern können. War die Auswahl der Bakterienstämme die richtige?

Stadlbauer-Köllner:  Wir haben die Stämme damals Ende 2011 nach In- vitro-Daten ausgewählt. Mittlerweile wissen wir mehr über die Zusammensetzung des Mikrobioms bei Leberzirrhose. Aber unsere Auswahl war sehr gut. Wir sind gerade dabei, die Daten zur Veränderung des Mikrobioms durch das Probiotikum auszuwerten – das sind bei unserer großen Patientenzahl riesige Datenmengen, daher dauert das seine Zeit. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass einige der zugeführten Stämme während der Therapie signifikant ansteigen. Und wir finden auch eine Verbesserung der durch die Zirrhose ausgelösten Dysbiose – und dieser Effekt scheint zumindest 6 Monate nach Absetzen der Therapie noch bestehen zu bleiben. Natürlich sind weitere Arbeiten notwendig, um erstens die genauen Zusammenhänge zwischen Dysbiose und Darmbarrierestörung bei Leberzirrhose zu entschlüsseln und um zweitens das Produkt noch weiterzuentwickeln.

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Unser Mikrobiom ist zwar so einzigartig wie unser Fingerabdruck, doch besteht die Hoffnung, krankheitsspezifische Abweichungen zu identifizieren und dann durch gezielten Eingriff therapeutische Erfolge zu erzielen.

DAZ: Wie geht es jetzt konkret weiter?

Stadlbauer-Köllner: Das Konzept der Leber-Darm-Achse wird in der Hepatologie zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die weitere Erforschung und das bessere Verständnis werden mit Sicherheit zu vielversprechenden Therapieansätzen führen, davon bin ich überzeugt. Bei Leberzirrhose sollten Probiotika wahrscheinlich schon früh im Krankheitsverlauf eingesetzt werden, um Komplikationen und eine Verschlechterung der Leberfunktion zu verhindern. Und sie werden vermutlich als Dauertherapie eingesetzt werden müssen, um den bestmöglichen Effekt zu erzielen. Konkret auf unsere Forschungsergebnisse bezogen, plane ich als nächsten Schritt eine große internationale multizentrische Studie, um die vielversprechenden Ergebnisse zu bestätigen und das Prinzip der probiotischen Therapie bei Lebererkrankungen auch international zum Erfolg zu führen.


"Das Konzept der Leber-Darm-Achse wird in der Hepatologie zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die weitere Erforschung und das bessere Verständnis werden mit Sicherheit zu vielversprechenden Therapieansätzen führen, davon bin ich überzeugt."
Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner

DAZ: In ihrer Studie wurden ja die definierten Ziele „Verbesserung der Darmbarriere, verringerte Endotoxin-Last und verbesserte Immunfunktion“ nicht erreicht. Was bedeutet das für die Hypothese, dass Probiotika die Dysbiose verbessern und die Entzündung bei Leberzirrhose eindämmen können? Und: Welche primären Endpunkte wird die neue Multicenterstudie haben?

Stadlbauer-Köllner: Ich halte die Hypothese noch immer für richtig, allerdings haben wir hier, wie oft in der klinischen Medizin, das Problem, dass unsere Biomarker für bestimmte Körperfunktionen nicht optimal sind. Unsere Messungen haben gezeigt, dass die Immunfunktion sehr stark von der Ursache und vom Stadium der Zirrhose abhängt und aufgrund der starken Schwankungen zwischen einzelnen Patienten dann kein einheitlicher Effekt durch eine Therapie sichtbar wird. Für die Multicenterstudie planen wir als primären Endpunkt die Leberfunktion, gemessen mit dem Child-Pugh-Score. Ein niedrigerer Score bedeutet eine bessere Prognose für unsere Patienten mit Leberzirrhose.

DAZ: Frau Professor Stadlbauer-Köllner, wir danken Ihnen für das Gespräch! |


Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner, Klin. Abt. für Gastroenterologie und Hepatologie, Auenbruggerplatz 15,8036 Graz

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