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Sonnenschutz

Viel Licht, viel Schatten

Nach UV-B und UV-A geraten auch die sichtbaren und infraroten Wellenlängen ins Zwielicht

Sichtbares Licht und nahes Infrarot bilden genau dieselben schädlichen Radikale in unserer Haut wie die „böse“ UV-B-Strahlung – wenngleich in viel geringerem Umfang. Die Antwort auf diese neue Herausforderung liegt womöglich schon auf dem Tisch: Unter anderem sind Mikro- und Nanopigmente in der Lage, Schadwirkungen im gesamten Spektralbereich von unserer Haut fernzuhalten. Ein dritter wesentlicher Baustein in modernen Sonnenschutzprodukten sind Antioxidanzien. Die Begrenzung der Anteile chemischer UV-Filter hätte den Vorteil, dass endokrine Nebenwirkungen, die manchen Substanzen eigen sind, wegfallen. Diese sind nicht nur bei Kindern relevant. | Von Ralf Schlenger

In unserer Haut werden bei Sonnenbestrahlung nicht nur im UV-Bereich, sondern im gesamten Sonnenspektrum freie Radikale gebildet. Schon 2009 konnte ein Wirkspektrum für Radikalbildung in der Haut erstellt werden. Demnach ist die Formierung von Überschussradikalen (reactive oxygen species, ROS) die generelle und primäre Reaktion der Haut auf Sonnenlichtbestrahlung zwischen 280 nm (UV‑B) und 1600 nm, dem nahen Infrarotbereich (NIR). Weitere aktuelle Studien belegen, dass auch die im sichtbaren und IR-Bereich gebildeten reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) zu frühzeitiger Hautalterung führen können und Hautkrebs begünstigen. ROS aktivieren Matrix-Metalloproteinasen, die das strukturgebende Kollagen in der extrazellulären Matrix abbauen. ROS setzen außerdem über die Bildung proinflammatorischer Zytokine eine Entzündungsreaktion in Gang, die ebenfalls zur Hautalterung beiträgt. Die Erkenntnis, dass alle Wellenlängen des Sonnenlichts zur Bildung der immer gleichen, im Überschuss hautschädlichen Radikale führen, verändert die Risikobetrachtungen zur Lichteinwirkung (vgl. Interview Prof. Meinke).

Das Sonnenlicht-Spektrum

Das Sonnenlicht umfasst die ultraviolette Strahlung, das sichtbare Licht und die Infrarot- oder Wärmestrahlung. Die unsichtbare ultraviolette Strahlung ist zwar am energiereichsten, trägt aber nur etwa 5% zur Gesamtenergie des Sonnenlichts bei. Natürliche wie auch künstliche UV-Strahlung (Solarien) gilt als krebserregend für den Menschen (Risikogruppe 1 IARC).

Die UV-B-Strahlung (280 – 320 nm) macht etwa 10% der UV-Strahlung aus. Sie gelangt nur in die Epidermis (Oberhaut) und ist für den Sonnenbrand (Erythem) und die Erhöhung des Hautkrebsrisikos mit verantwortlich. UV‑B induziert aber auch die Bildung von Melanin und damit eine Erhöhung der Eigenschutzzeit. Die verzögerte Bräunung bzw. Pigmentierung erreicht ein Maximum nach drei bis sechs Tagen. In geringen Dosen ist UV‑B für die Gesundheit förderlich, weil es Vitamin D3 (Colecalciferol) bildet.

Die UV-A-Strahlung (320 – 400 nm) macht etwa 90% der UV-Strahlung aus. Sie dringt bis zur Dermis (Lederhaut) vor, erzeugt freie Radikale und schädigt die Kol­lagenstrukturen, was die Hautalterung beschleunigt. UV‑A bewirkt ein Nachdunkeln von vorhandenem Melanin und eine vorübergehende Bräunung. Das Erythemrisiko ist gering, es besteht jedoch ein ernst zu nehmendes Risiko für spezielle Hautkrebsformen infolge von DNA-Schäden.

Das sichtbare Licht (Vis, 400 – 780 nm) dringt ebenfalls bis in die Dermis ein. Sein Energiegehalt ist am höchsten im blauvioletten Bereich (hochenergetisches sichtbares Licht, HEV).

Die kurzwellige IR-A-Strahlung (780 – 1400 nm; auch Nah­infrarot, NIR) erreicht sogar die Unterhaut.

Quelle: [10]

Synergetische Effekte der Filterklassen

Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe um Prof. Martina Meinke von der Klinik für Dermatologie der Charité, Berlin, untersuchte den Einfluss der verschiedenen Spektralbereiche des Sonnenlichts auf die Bildung freier Radikale in der Haut sowohl bei Probanden als auch ex vivo an Proben von menschlicher Haut und Schweinehaut. Bei allen Untersuchungen erwies sich die Radikalbildung am stärksten unter der ultravioletten Bestrahlung, gefolgt von sichtbarem Licht und dem Nah-Infrarot-Bereich. Damit korrespondiert das Ausmaß der Radikalbildung mit dem Energiegehalt des Lichts. Darüber hinaus kam es unter der Bestrahlung in Abhängigkeit von der Wellenlänge zu charakteristischen Veränderungen in der Konzentration von Ceramiden, Squalen und Cholesterol. Die Lipidzusammensetzung ist essenziell für die Barrierefunktion der Haut [1].

Daher wurde der protektive Effekt einiger Sonnencremes, die einen speziellen Infrarot-Schutz ausloben, im IR-Spektralbereich untersucht. Ins Labor kamen Produkte der Marken Eucerin, Ladival, Lancaster und Nivea mit Lichtschutzfaktoren von 25 und 30. Die Untersuchungen mittels Elektronen-Spin-Resonanz(ESR)-Spektroskopie zeigten, dass die Präparate einen Schutz im IR-Bereich bieten, ohne entsprechende IR-Absorbersubstanzen zu enthalten. Die um bis zu 44% verminderte Radikalbildung führte man auf die Kombination von Streuwirkung durch physikalische Filter (Pigmente) und die in den Formulierungen enthaltenen Antioxidanzien zurück [2]. Die Ausdehnung der Tests auf das gesamte Spektrum des Sonnenlichts zeigte einen differenzierten Effekt der verschiedenen Filterklassen:

  • Organische UV-Filter senkten die Radikalbildung im UV- und sichtbaren Bereich des Lichts (UV/Vis) auf 35%, verglichen mit unbehandelter Haut.
  • Bei Anwesenheit von nur 2% Pigmenten in Cremes mit UV-Filtern sank die Radikalbildung sogar auf 14%.
  • Pigmente allein waren in der niedrigen Konzentration (als unbedenklich gelten bis zu 25%) im UV/Vis-Bereich kaum wirksam.
  • Hingegen reduzierten Pigmente im infraroten Bereich die Radikalbildung auf 65%. Antioxidanzien waren im IR-Bereich ähnlich effektiv.

Fazit der Autoren: Mehr Augenmerk als bislang muss auf den Schutz gegenüber sichtbarem Licht und IR-Strahlung gelegt werden. Eine Sonnencreme sollte nicht nur UV‑B- und UV‑A-Filter, sondern auch physikalische Filter enthalten, ­damit sie alle Spektralbereiche abdeckt; außerdem sind Antioxidanzien erforderlich, um Überschussradikale zu ­eliminieren.

Inhaltsstoffgruppe Nr. 1: Chemische UV-Filter

Chemische UV-Filter sind häufig Derivate von Campher, ­Salicylsäure oder Zimtsäure. Sie absorbieren energiereiche Strahlung und geben sie als energieärmere, längerwellige Strahlung wieder ab. Aus den Absorptionsspektren der enthaltenen UV-Filter erklären sich die für die derzeit handels­üblichen Lichtschutzprodukte

  • typische Stärke im UV-B-Bereich und
  • relative Schwäche im UV-A-Bereich.

Die Absorption fällt ab etwa 360 nm ab und geht im Vis-­Bereich ab 400 nm und darüber hinaus im Infrarot völlig verloren.

28 Substanzen umfasst die Liste der in kosmetischen Mitteln zugelassenen UV-Filter (Anhang VI der EU-Kosmetikverordnung [3]; Auswahl in Tab. 1). Neben der INN- und ­INCI-Bezeichnung (International Nomenclature of Cosmetic Ingredients) sind dort die zugelassenen relativen Höchstkonzentrationen ersichtlich. Sie bewegen sich für die Einzelsubstanz im Bereich von 4% (4-Methylbenzyliden Camphor) und 10% (z. B. Homosalate, Benzophenon-3, Octocrilen). Titandioxid darf bis zu 25% zugesetzt sein. UV-absorbierende Stoffe finden sich nicht nur in Sonnenschutzmitteln, sondern u. a. auch in Körper-, Haar- und Gesichtspflegeprodukten, Lippenstiften und Make-ups. Einige, wie die Benzo­phenonderivate, dienen dabei gleichzeitig als UV-Filter (Hautschutz) und zur Verbesserung der Photostabilität (Produktschutz).

Tab. 1: Einige häufig eingesetzte chemische UV-Filter mit Höchstkonzentrationen (Gewichts-%) und Wirkspektren.
Filtersubstanz (INCI)
Weitere Namen (INN, Handelsnamen)
Höchstkonzentration
Wirkspektrum
Ethylhexyl Salicylate
Octisalat, Daylong®
 5%
UV-B
Bis-Ethylhexyloxyphenol Methoxyphenyl Triazine (BEMT)
Bemotrizinol, Tinosorb® S, Escalol® S
10%
UV-A, UV-B (Breitband)
Butyl Methoxydibenzoylmethane
Avobenzon, Parsol® 1789, Eusolex® 9020
 5%
UV-A
Octocrylene
Octocrilen, Uvinul® N 539 T, Parsol® 340, Eusolex® OCR
10% (als Säure)
UV-A
Diethylamino Hydroxybenzoyl Hexyl Benzoate (DHHB)
Uvinul® A Plus
10%
UV-A
Diethylhexyl Butamido Triazone
Iscotrizinol, Uvasorb® HEB
10%
UV-B
Ethylhexyl-Methoxycinnamate(Octylmethoxycinnamat, OMC)
Octinoxat, Uvinul® MC 80
10%
UV-B

Das Bundesamt für Risikobewertung betont, dass es den Herstellern kosmetischer Mittel obliegt, die Unbedenklichkeit ihrer Produkte zu garantieren. Kosmetische Mittel müssen „bei normaler oder vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung für die menschliche Gesundheit“ sicher sein [4]. Die Forderung ist evident, werden doch UV-Filter in Gramm-Mengen in gelöster Form sehr großflächig und wiederholt aufgetragen und dringen dabei in die Haut ein. Dermatologen betonen immer wieder, dass die aufgetragene Menge meist zu gering ist, um einen dem ausgelobten Lichtschutzfaktor entsprechenden Schutz zu erreichen. Bei der LSF-Bestimmung geht man von 2 mg/cm2 Haut aus; demnach benötigt ein Erwachsener ca. 30 Gramm pro Anwendung am ganzen Körper.

Die erste Forderung an eine Filtersubstanz ist natürlich, Licht im definierten UV-Bereich zu absorbieren. Darüber hinaus sollte ein optimaler Filter

  • nicht die Haut durchdringen,
  • keine Allergien oder phototoxischen Reaktionen auslösen,
  • photostabil sein (d. h. nicht unter Besonnung zerfallen),
  • keine Nebenwirkungen auf den Stoffwechsel des Körpers ausüben.

Betrachtet man die UV-Filter unter dem Aspekt der Verträglichkeit und Sicherheit, sind die von der EU zugelassenen Substanzen durchaus differenziert zu bewerten.

Hautpenetration

UV-Filter entfalten ihre volle Wirkung, nachdem sie in die obere Hautschicht (Epidermis) eingedrungen sind, weshalb der Sonnenschutz laut Bundesamt für Strahlenschutz erst nach etwa 30 Minuten gewährleistet ist. Angaben der Hersteller lauten je nach Produkt auch anders (z. B. „sofortiger Schutz“). Das Vermögen der Filtersubstanz, das Stratum corneum (Hornschicht) zu durchdringen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie Lipophilie, Konzentration, Molekularmasse oder Volumen (invers), vor allem aber von der galenischen Aufbereitung. Im Handel sind Cremes und Lotionen der Emulsionstypen W/O und O/W, Mikroemulsionen (z. B. in Sprays), Öle, Hydrogele (auch emulgatorfrei), Lipogele, ­alkoholische und wässrige Lösungen (Hydrodispersions­lösungen) und liposomale Zubereitungen. Letztere erzielen dank der hohen Affinität der Liposomen zur Hornschicht eine besonders gute Penetration [5].

Abhängig von den genannten Faktoren, aber auch vom Zustand der Hornschicht und vom Applikationsort (Hautdicke) kann es zum unerwünschten Eindringen in tiefere Hautschichten kommen. Filtersubstanzen, die die Blutbahn erreichen, unterliegen wie jedes Xenobiotikum der Verteilung, möglicherweise der Metabolisierung und der Ausscheidung. Penetrierende Substanzen haben bei dermaler Applikation eine größere Chance, die Blutbahn und diverse Organe unverändert zu erreichen, als nach oraler Gabe [6]. Verschiedene UV-Filter wurden in Urin, Fäzes, Blut und Samenflüssigkeit nachgewiesen [7]. UV-Filter wurden in 85% der Proben von Muttermilch in der Schweiz gefunden [8].

Berechnung der systemischen Exposition

… gemäß SCCP Notes of Guidance for the Testing of Cosmetic Ingredients and their Safety Evaluation (SCCP/1005/06) am Beispiel von Homosalate. Die maximale dermale Absorption (DAp) von Homo­salate wurde in vitro mit 2% ermittelt; eine zweiwöchige orale (!) Toxizitätsstudie ergab als NOAEL 100 mg/kg Körpergewicht/Tag.

applizierte Sonnencreme pro Tag: A (g) = 18 g

Konzentration im Produkt: C (%) = 10%

dermale Absorption: DAp (%) =  2%

Standard-Körpergewicht: KG (kg) = 60 kg

systemische Expositionsdosis: SED (mg/kg KG) = 18 g × 0,1 × 0,02 : 60 kg = 0,0006 g/kg = 0,6 mg/kg

Quelle: Scientific Committee on Consumer Products (SCCP). Opinion on Homosalate, SCCP/1086/07

Mehrfach wurden hohe Penetrationsraten von Filtersubstanzen beschrieben. Bei 25 Probanden, die ein Benzophenon-3-haltiges Lichtschutzprodukt in der empfohlenen Menge eine Woche lang benutzten, waren 1,2% bis 8,7% der applizierten Menge des UV-Filters anschließend im Urin nachweisbar. Da dies noch bis zu fünf Tage nach der letzten Anwendung der Fall war, gehen die schwedischen Autoren dieser Arbeit von einer Akkumulation der Filtersubstanz im Körper aus [9].

(Photo-)Allergie

Nimmt ein Filtermolekül die Energie der Photonen auf, wird es in einen angeregten Zustand versetzt, der möglichst kurzlebig sein sollte. Andernfalls wächst die Wahrscheinlichkeit, dass statt Wärme freie Radikale entstehen. Während die physiologischen Filter Melanin und DNA mit einer praktisch 100%igen Quantenausbeute die Strahlung in Wärme umwandeln, sind chemische Filter weit weniger effektiv. Bei Octyl Methoxycinnamate (4-Methoxyzimtsäure-2-ethyl­hexyl­ester) beträgt die Quantenausbeute noch 80%, bei manchen anderen unter 50%. Im ungünstigen Fall entstehen freie Radikale. Vor allem unter Benzophenonen kann es auch dadurch zu Photosensibilisierungen kommen [10]. Die American Contact Dermatitis Society kürte im Jahr 2014 die Benzophenone zum „Contact Allergen of the Year“. In vielen Ländern hat Octocrilen (Octocrylene) die Benzophenone als häufigste Auslöser von Kontaktdermatitiden in Sonnenschutzmitteln abgelöst.

Allergische Reaktionen auf Sonnenschutzprodukte scheinen dennoch insgesamt selten zu sein. Amerikanische Dermatologen, die Patienten mit selbstberichteter „sunscreen allergy“ untersuchten, konnten dies nur für Benzophenon-3 und 4-Aminobenzoesäure bestätigen; keiner der Probanden reagierte allergisch auf neuere UV-Filter wie Tinosorb® M/S oder Anthelios® SX. Eine echte allergische Kontaktdermatitis oder Photoallergie ist seltener, als die Patienten glauben, schließen die Autoren [11]. Bei Homosalate und Ethylhexylsalicylat handelt es sich um Ester der Salicylsäure; daher könnte bei Personen mit Salicylatüberempfindlichkeit Vorsicht geboten sein.

Hormonelle Aktivität

Nicht wenige UV-Filter stehen im Verdacht, im Körper hormonartige Effekte zu entfalten und somit als endokrine Disruptoren (ED) zu wirken. Darunter versteht man Chemikalien oder Mischungen, welche im gesunden Organismus die natürliche biochemische Wirkweise von Hormonen stören und dadurch schädliche Effekte hervorrufen. Dazu zählen z. B. die Störung von Wachstum und Entwicklung, die negative Beeinflussung der Fortpflanzung oder eine erhöhte Anfälligkeit für spezielle Erkrankungen wie Krebs. Endokrine Disruptoren sind strukturell äußerst heterogen, sodass die Strukturformel keine brauchbare Vorhersage erlaubt. Im Folgenden drei Beispiele von UV-Filtern mit nachgewiesener endokriner Aktivität, beschrieben im Informationsdienst Umwelt und Mensch (Umid) von 2012 [12]:

  • Für 3-Benzylidencampher (3-BC) wurden estrogene Wirkungen sowie eine Inhibition des Androgenrezeptors und der 17β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 1, 2 und 3 beschrieben. 3-BC ist derzeit mit einer Konzentration von höchstens 2,0% für die Verwendung als UV-Filter in kosmetischen Mitteln zugelassen. Der Wissenschaftliche Ausschuss „Verbrauchersicherheit“ (Scientific Committee of Consumer Safety, SCCS) hat im Juni 2015 die Verwendung von 3-BC als UV-Filter in kosmetischen Mitteln mit 2,0% als unsicher bewertet und gefordert, die Substanz aus der Liste der zugelassenen UV-Filter (Anhang VI der EU-Kosmetikverordnung) zu streichen [13].
  • Auch 4-Methylbenzylidencampher (4-MBC) wird in einer Reihe von Studien als endokrin aktiv beschrieben. Im Tierversuch zeigten sich für 4-MBC (und für 3-BC) ein verstärktes Prostatawachstum, eine verzögerte Pubertät und andere Effekte auf Reproduktionsorgane und -gene [14]. Diskutiert werden auch thyreotrope Wirkungen. 2008 wurde ein Toxikokinetik-basierter Sicherheitsabstand (Margin of Safety, MoS) vorgeschlagen, wonach 4-MBC behördlich bis zu einer Konzentration von 4% als sicher gilt. Dies gilt für die dermale Applikation, nicht aber für die Verwendung in Lippenpflegemitteln (orale Route) oder in Sprays oder Aerosolen (inhalative Route).
  • 2-Ethylhexyl-4-Methoxycinnamat (EHMC, Octylmeth­oxycinnamat, OMC) zeigt estrogene Wirkungen in vitro z. B. im Proliferationstest mit humanen Brustkrebszellen; in vivo wurden im Tierversuch verstärktes Prostata- und Uteruswachstum festgestellt [15]. OMC wirkt im UV‑B-Bereich und ist einer der am häufigsten benutzten UV-Filter aus der Klasse der Zimtsäurederivate (Höchstkonzentration in Sonnenschutzmitteln 10%; s. Tab. 1). Es wird auch in anderen kosmetischen Produkten wie Wasch­lotionen und zum Produktschutz verwendet.
  • Hormonelle Wirkungen werden bei weiteren UV-Filtern diskutiert. In-vitro- und In-vivo-Experimente lieferten entsprechende Hinweise u. a. für die viel verwendeten Substanzen Octocrilen (2-Cyano-3,3-diphenyl-2-propensäure-2-ethylhexylester) [16], Benzophenon-3 (Oxybenzon; 2-Hydroxy-4-methoxy­benzophenon) und Homosalate (2-Hydroxybenzoesäure-3,3,5-trimethyl­cyclohexylester).

Eine aktuelle und detaillierte Übersicht zur endokrinen Aktivität von UV-Filtern bietet die Arbeit von Krause und Mitarbeitern vom Department of Growth and Reproduction der Universität Kopenhagen [17]. Es sei erwähnt, dass hier angesichts des in Europa weiterhin steilen Anstiegs der Inzidenz maligner Melanome die Frage aufgeworfen wird, ob UV-Filter überhaupt die behaupteten Schutzwirkungen entfalten.

Risikobewertung von endokrinen Disruptoren

Validierte Testmethoden stehen noch nicht für alle Hormonsysteme (Estrogene, Androgene, Schilddrüsenhormone, Corticoide) zur Verfügung. Auch existieren bislang keine einheitlichen Kriterien zur Bewertung solcher Substanzen. Komplizierend kommt hinzu, dass chemische Sonnenschutzmittel wegen der nötigen spektralen Breitbandwirkung regelhaft einen Cocktail von UV-Filtersubstanzen beinhalten, dessen kombinierte Neben- bzw. Wechselwirkung schwer abschätzbar ist („combined toxicity resulting from combined exposure to multiple substances“). Chemische UV-Filter erreichen die Ökosphäre direkt über die Verschmutzung des Wassers durch Badende und indirekt übers Abwasser, da diese Stoffe von Kläranlagen nicht vollständig eliminiert werden. „Wir sind über den Punkt hinaus, an dem man einzelne der zahlreich vorhandenen endokrin aktiven Stoffe allein verantwortlich machen könnte, weil der Eintrag in unsere Umwelt mangels vorbeugender Bewertung weit fortgeschritten ist“, sagt die Apothekerin und Umwelttoxikologin Margret Schlumpf aus Zürich (vgl. Gastkommentar "Was Sonnenschutzmittel so alles anrichten).

Inhaltsstoffgruppe Nr. 2: Physikalische Filter

Seit Jahren werden mit Titandioxid (TiO2) und Zinkoxid (ZnO) Partikel in Sonnenschutzprodukten eingesetzt, die das Licht reflektieren und streuen, teils auch absorbieren. Nur Titandioxid, nicht Zinkoxid, wird in der Kosmetikverordnung als UV-Filter geführt, mit einer zugelassenen Höchstkonzentration von 25%. Beide Pigmente in Kombina­tion decken ein breites Spektrum ab, das sogar über den UV-Bereich hinausgeht; nach neueren Studien unterdrücken sie die Radikalbildung in der Haut auch im sichtbaren und kurzwelligen infraroten Bereich [1, 2]. Aufgrund dieses „Alleinstellungsmerkmales“ (vgl. Interview Meinke) sollten physikalische Filter in jedem Sonnenschutzprodukt enthalten sein, das einen Breitbandlichtschutz verspricht – zumal Titandioxid- und Zinkoxid-Partikel als photostabil, nicht allergisierend und nicht endokrin wirksam gelten. Ihr Effekt ähnelt dem der natürlichen Lichtschwiele (solare Hyperkeratose) [2]. Aktuell wird „mineralischer Sonnenschutz“ daher hauptsächlich in Produkten für Kinder vermarktet.

Der bei Eltern und Kindern oft gleichermaßen unbeliebte „Weißeleffekt“ der Mikropigmente hat dabei auch sein Gutes, nämlich eine Indikatorfunktion für (un)geschützte Stellen, die von Dermatologen als absolut sinnvoll erachtet wird. Auch der Schutzgrad, der mit der Schichtdicke korreliert, ist auf Anhieb ersichtlich.

Mikropigmente

„Mikrofeine“ Zinkoxid-UV-Filter enthalten nanoskalige Core-Partikel (20 – 60 nm), die mit Silicium- oder Aluminium­oxid oder Cyclomethicon beschichtet sind. Das Coating sowie Aggregationseffekte vergrößern ihren Durchmesser auf 200 bis 500 nm. Die Mikropigmente sollen die Photostabilität und die Dispersionseigenschaften verbessern. Nur wenige dieser Partikel dringen in die Haut ein, verweilen in den oberen Hautschichten und werden nach einigen Tagen durch das Wachstum der Haare an die Hautoberfläche transportiert und abgerieben. Laut Bundesamt für Risikobewertung kann mikrofeines Zinkoxid (Ø > 100 nm) ohne gesundheit­liche Bedenken bis zur Höchstkonzentration von 25% auf gesunder Haut verwendet werden [18]. Für Aluminium in Kosmetikprodukten gibt es, mit Ausnahme von Deos und Antitranspiranzien, keinen Grenzwert; den Aluminiumgehalt in den Coatings von ZnO-Partikeln hält selbst „Ökotest“ für unbedenklich [19].

Nanopartikel

Der Verbraucherwunsch nach einem unsichtbaren, „angenehm“ handhabbaren mineralischen Sonnenschutz schob sicherlich die Einführung entsprechender Nanomaterialien (Ø < 100 nm) an. In Penetrationsstudien durchdringen ZnO-Nano­partikel das Stratum corneum der gesunden Haut nur in geringem Maße. Anders bei einer gestörten Barrierefunktion: Bei verletzter, mechanisch beanspruchter Haut, bei Sonnenbrand, Hauterkrankungen, nach Anwendung von Enthaarungscreme oder nach dem Rasieren ist damit zu rechnen, dass Nanopartikel die lädierte Hornschicht durchdringen und in die gut durchblutete Lederhaut gelangen. Dort stehen mit Makrophagen und Nervenendigungen Transportwege zur Verfügung, über die sich Nanopartikel im Körper verteilen könnten.

Die systemische Toxizität von ZnO erscheint andererseits gering. Es gibt keine Anzeichen auf Mutagenität oder Photo­mutagenität. Das Einatmen von TiO2 -Nanopartikeln kann laut Wissenschaftlichem Ausschuss für Verbrauchersicherheit der EU (SCCS) zu Lungentoxizität und -entzündung führen, ist also im Gegensatz zum Verschlucken oder der dermalen Anwendung grundsätzlich bedenklich. Bei Sonnenschutz-Pumpsprays entsteht aber laut Herstellerauskunft nur ein grober Sprühnebel, der nicht in die tieferen Atemwege gelangen soll. Bislang können mögliche gesundheitliche Risiken der Nanopartikel nicht abschließend bewertet werden. Nanomaterialien in Kosmetika müssen laut EU-Kosmetikverordnung im Verzeichnis der Inhaltsstoffe mit (Nano) gekennzeichnet sein [z. B. „Titanium Dioxide (Nano)“].

Tinosorb® M und Tinosorb® A2B [INCI: Methylene Bis-Benzotriazolyl Tetramethylbutylphenol (Nano) und Tris-Biphenyl Triazine (Nano)] stellen neuere Mischformen von Filtern dar. Sie sind zwar chemische UV-Filter, liegen aber in den Produkten wässrig dispergiert vor, weil sie schwer löslich sind, und ähneln insofern Nanopartikeln. Sie sind in einer Konzentration von bis zu 10% zugelassen, besitzen ein Breitband-Wirkspektrum (UV‑A und UV‑B) und finden sich in diversen Hautpflegeprodukten mit UV-Schutz wie in Tagescremes.

Inhaltsstoffgruppe Nr. 3: Antioxidanzien

Auch die beste Kombination von physikalischen und chemischen UV-Filtern bietet keinen 100%igen Lichtschutz, schon gar nicht im längerwelligen Spektralbereich (Vis und IR). Die von allen Wellenlängen mehr oder minder stark induzierte Bildung freier Radikale lässt sich durch Antioxidanzien als dritter Inhaltsstoffgruppe in Sonnenschutzmitteln begrenzen, denn sie unterbrechen radikalische Kettenreaktionen, indem sie Elektronen aufnehmen oder abgeben. Stehen geeignete Antioxidanzien in der obersten Hautschicht zur Verfügung, können sie dort unter Lichteinfluss gebildete reaktive Sauerstoffspezies (ROS) sofort neutralisieren. Eine aktuelle Untersuchung, die das Prinzip belegt, verglich eine UV-Filter-Sonnencreme mit und ohne Antioxidanzien im gesamten Lichtspektrum. Der Zusatz von 0,1% Spirulina-Trocken­extrakt und von 10% Dimethylmethoxy-Chromanol verdoppelte die antioxidative Kapazität der Zubereitung. Die Bildung freier Radikale wurde vom UV- bis zum IR-Bereich abgemildert, insbesondere aber im Vis-Bereich [20].

Antioxidanzien in Kosmetika (Beispiele)

INCI-Bezeichnung Deutsche Bezeichnung

ASCORBIC ACID: Vitamin C, Ascorbinsäure

ASCORBYL PALMITATE: Palmitinsäureascorbylester, L-Ascorbylpalmitat

BHT: Butylhydroxytoluol, Ionol®, in Lebensmitteln: E321

CAROTENOIDS: Carotinoide

LYCOPENE: Lycopin

TOCOPHEROL: α-Tocopherol, Vitamin E

TOCOPHERYL ACETATE: α-Tocopherylacetat (Vitamin-E-Acetat)

UBIQUINONE: Q10, Coenzym Q10, Ubichinon-10

Schützt LSF 50 doppelt so gut wie LSF 25?

Am Lichtschutzfaktor (LSF) entzünden sich immer wieder Diskussionen. Über die begrenzte Aussagekraft, den Sinn extrem hoher Faktoren, die In-vivo-Bestimmungsmethode, neuerdings auch über die fehlende Berücksichtigung des längerwelligen Vis- und IR-Lichtes. Der LSF ist eigentlich ein UV‑B-Schutzfaktor. Und doch stellt er die wohl wichtigste Angabe auf den Verpackungen von Sonnenschutzmitteln dar. Er gibt an, wievielmal länger man sich mit dem Lichtschutzmittel der Sonne aussetzen kann, ohne einen Sonnenbrand zu bekommen, als dies bei der individuellen Eigenschutzzeit möglich wäre. Mit dem UV-Schutz zielt der LSF auf einen wichtigen biologischen Endpunkt, die erythemwirksame Strahlendosis. Theoretisch kann man also beispielsweise mit einer Sonnencreme mit LSF 50 doppelt so lange in der Sonne bleiben wie mit einer Creme mit LSF 25.

Ein Produkt mit LSF 25 absorbiert rund 96% aller UV‑B-Strahlen, ein Produkt mit LSF 50 rund 98% (Tab. 2). Der Anteil des nicht absorbierten UV-B-Lichtes wird halbiert und somit der Lichtschutz verdoppelt. Viele Laien (und sogar Fachleute) meinen aber, das Plus von nur 2% der absorbierten Dosis könne nicht bedeuten, dass sich der Lichtschutz verdoppelt. Also habe man bei Cremes mit LSF > 30 ein zunehmend ungünstigeres Verhältnis von Lichtschutzgewinn zur UV-Filter-Konzentration und damit zur Belastung der Haut.

Prof. Christian Surber, Dermatologe am Universitätshospital Zürich, stellt hierzu klar: Die Belastung der Haut mit Erythem-induzierender Strahlung (EIR) hängt von der Dosis ab, die tatsächlich die Haut erreicht, also von der Transmission des Lichts (T = 0 bis 1) und von der Anzahl der Photonen, die auf die Haut wirken. Die Absorption (berechnet als 1 minus T, angegeben in %) irritiert dabei durch kleine Zahlensprünge (Tab. 2).

Tab. 2: Sonnenschutzmittel: Zusammenhang von Lichtschutzfaktor (LSF), Transmission (T) und Absorptionsrate.
Produkt­kategorie
LSF = 1/T
T
Absorption(1 - T) × 100
Basis
 6
0,167
83,3%
10
0,10
90,0%
mittel
15
0,067
93,3%
20
0,05
95,0%
25
0,04
96,0%
hoch
30
0,033
96,7%
50
0,02
98,0%
sehr hoch
50+ (> 60)
0,017
98,3%

Tatsächlich unterliegen auch Fachleute hier oft einem Irrtum, wie ein Web-Experiment zeigt, das vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung durchgeführt wurde. Man bat Dermatologen in Deutschland, der Schweiz, den USA und Australien, die Schutzwirkungen von zwei Sonnencremes mit niedrigem bzw. hohem LSF zu vergleichen. Als Basisinformation diente die Angabe der Transmission, der Absorption oder des LSF. Bei den Angaben der Absorption (z. B. 96% vs. 98%) wurde der Zugewinn an Lichtschutz massiv unterschätzt. Dagegen wurden die Angaben der Transmission (0,04 vs. 0,02) und insbesondere des LSF (25 vs. 50) realistisch eingeschätzt. Die Autoren empfehlen daher, zur Kommunikation der Wirksamkeit von Sonnenschutzprodukten lediglich den Lichtschutzfaktor zu verwenden und An­gaben zur Absorption ganz zu vermeiden [21]. |

Literatur

 [1] Lohan SB et al. Free radicals induced by sunlight in different spectral regions - in vivo versus ex vivo study. Exp Dermatol 2016;25(5):380-5

 [2] Meinke MC et al. Radical Protection by Sunscreens in the Infrared Spectral Range. Photochem Photobiol 2011;87(2):452-6

 [3] Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel; http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:342:0059:0209:DE:PDF

 [4] Fragen und Antworten zur Risikobewertung von kosmetischen Mitteln. Aktualisierte FAQ des BfR vom 3. März 2014; www.bfr.bund.de/cm/343/fragen-und-antworten-zur-risikobewertung-von-kosmetischen-mitteln.pdf

 [5] Stebut E v (Hrsg). Reisedermatosen. Springer 2015, S. 303

 [6] Schlumpf M et al. In vitro and in vivo estrogenicity of UV screens. Environ Health Perspect 2001;109:239-244

 [7] León González Z. Percutaneous Absorption of UV Filters Contained in Sunscreen Cosmetic Products. Ph.D. thesis Valencia 2014; www.springer.com/gp/book/9783319011882

 [8] Schlumpf M et al. Exposure patterns of UV filters, fragrances, parabens, phthalates, organochlor pesticides, PBDEs, and PCBs in human milk: correlation of UV filters with use of cosmetics. Chemosphere 2010;81:1171-1183

 [9] Gonzalez H et al. Percutaneous absorption of the sunscreen benzophenone-3 after repeated whole-body applications, with and without ultraviolet irradiation. Br J Dermatol 2006;154(2):337-40

[10] Lautenschläger H. Sonnenschutz – was UV-Filter leisten. Kosmetische Praxis 2010;2:10-13

[11] Shaw T et al. True photoallergy to sunscreens is rare despite popular belief. Dermatitis 2010;21(4):185-98

[12] Themenheft UV-Strahlung. Umid Umwelt und Mensch Informationsdienst Nr. 2/2012

[13] Verordnung (EU) 2015/1298 der Kommission vom 28. Juli 2015

[14] Schlumpf M et al. Developmental toxicity of UV filters and environmental exposure: a review. Int J Androl 2008;31(2):144-51

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Autor

Ralf Schlenger Apotheker, arbeitet als freier Autor und Medizinjournalist in München.

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