Arzneimittel und Therapie

„Wir propagieren lebenslange Therapie!“

Warum Frauen von der lokalen Östrogenisierung profitieren

PD Dr. Gert Naumann ist Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Helios Klinik in Erfurt. Für die DAZ ordnet er die Ergebnisse einer aktuellen prospektiven Beobachtungsstudie zur Wirksamkeit und Sicherheit der vaginalen Östrogenisierung ein.
Foto: Privat
PD Dr. Gert Naumann

DAZ: Wie ist die Aussagekraft der Studie zu bewerten?

Naumann:„Menopause“, die Zeitschrift, in der die WHI-OS-Studie (Women‘s Health Initiative Observational Study) publiziert wurde, ist ein gut geranktes internationales Journal. Die Studie ist sauber durchgeführt und schließt eine große Zahl von Patientinnen ein. Die Aussagekraft ist deshalb wissenschaftlich als sehr hoch einzustufen. Gleichzeitig trifft die Untersuchung thematisch ins Schwarze, nach den vielen Diskussionen um Nutzen und Risiken von Hormontherapien in der Frauenheilkunde. Wir wissen nun, dass die vaginale Östrogenisierung, die wir in Deutschland schon seit vielen Jahren zur Therapie urogenitaler Beschwerden in der Postmenopause propagieren, wirksam und sicher ist.

DAZ: Was ist das zentrale Ergebnis?

Naumann: Das kanzerogene Risiko und das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen ist bei Anwenderinnen einer vaginalen Östrogenisierung gegenüber Nicht-Anwenderinnen nicht zusätzlich erhöht. Bei Frauen, die über Beschwerden mit einer Indikation für lokales Östrogen klagen, kann ich mit Verweis auf die aktuellen Studienergebnisse diese Therapie guten Gewissens anbieten. Anders als in den USA, und damit auch anders als in der Studie, setzen wir in Deutschland allerdings überwiegend kein Estradiol ein, sondern meist Estriol, das eine noch höhere Sicherheit hat. So gibt es klare Hinweise, dass Estriol die Rezeptoren für das Mammakarzinom nicht tangiert.

DAZ: Wann empfehlen Sie lokales Estrogen?

Naumann: Bei postmenopausalen Frauen mit Beschwerden im Urogenitalbereich, wie Scheidentrockenheit und Juckreiz, imperativem Harndrang, Nykturie und Belastungsinkontinenz bis hin zur unwillkürlichen Blasenentleerung, aber auch bei einer Genitalsenkung, die mit einem Prolaps einhergeht. Immerhin 35% der Frauen jenseits des fünfzigsten Lebensjahres klagen über solche Beschwerden. Eine systemische Estrogen-Therapie hat dagegen auf solche urogenitalen Symptome möglicherweise ungünstige oder zumindest keine Effekte. Eine vergleichende Untersuchung zeigte einen deutlichen Benefit für die lokale Östrogenisierung, für die systemische Hormontherapie dagegen keinen oder einen nachteiligen Effekt.

DAZ: Wie lange kann bzw. sollte lokal mit Estrogen behandelt werden?

Naumann: Wir propagieren bei betroffenen Frauen eine lebenslange Therapie mit lokalem Estriol in Form von Salben oder Zäpfchen mit einer sprichwörtlichen Empfehlung: 30 Jahre lang ein- bis zweimal die Woche. Es gibt keinen Grund, die Behandlung auf einen kürzeren Zeitraum zu begrenzen.

DAZ: In den Beipackzetteln wird nach wie vor auf mögliche Risiken der Estrogen-Applikation hingewiesen.

Naumann: Das kann dazu führen, dass die Patientin, die wir in einem ausführlichen Gespräch vom Nutzen der Therapie überzeugt haben, die Medikation dann doch nicht anwendet. Wir empfehlen deshalb, den Beipackzettel so zu ändern, dass der Unterschied zwischen einer systemischen und einer lokalen Östrogenisierung auch hinsichtlich des Risikoprofils für die Patientin ersichtlich wird.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch! |

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