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Arzneimittel und Therapie
Der richtige Dreh
Erklärungsbedürftige Verpackungen fordern den Patienten – und eine gute Beratung
Am Beispiel zweier Trinkfläschchen, die Vitamin B12 enthalten, wurde 2016 in einer Studie untersucht, wie Verbraucher Öffnungs- und Handhabungshinweise verstehen und umsetzen [1]. Jeweils 20 zufällig ausgewählte Personen sollten jeweils ein Trinkfläschchen VitaKick®(Hersteller: tetesept Pharma GmbH) oder Vita-Sprint® (Hersteller: Pfizer Consumer Healthcare GmbH) öffnen. Das Ergebnis war erschreckend: Die Öffnungshinweise waren entweder nicht hilfreich oder wurden nicht wahrgenommen [2, 3], wertgebende Bestandteile wurden übersehen und mit der Verpackung entsorgt. Diese Probleme führten zu einer verstärkten Werbeaktivität des Herstellers in den Medien, mit denen die Öffnungsweise demonstriert wurde, und auch das Apothekenpersonal wurde generell verstärkt zur Erklärung des Produktes angehalten. Eine Folgestudie zeigte, dass durch die intensivierte Kommunikation und Werbung der Bekanntheitsgrad des Öffnungsprinzips der Vita-Sprint® Fläschchen im Verlauf der letzten beiden Jahre deutlich gestiegen ist. Wie sich das auf den Anteil korrekter Anwendungen der Fläschchen auswirkte, wurde in einer Zielgruppenprüfung untersucht.
Sie wurde gemäß der Vorgaben der technischen Spezifikation CEN/TS 15945 durchgeführt, die Kriterien und Bewertungsverfahren für das leichte Öffnen von Verbraucherverpackungen festlegt. Die Prüfungen wurden mit einer Gruppe von 20 zufällig ausgewählten Männern und Frauen im Alter zwischen 65 bis 80 Jahren durchgeführt, wobei jeweils 20 Personen eine Verpackungsart öffneten. Die Prüfung erfolgte in drei Schritten. Zunächst wurden Effektivität und Effizienz des Öffnungsvorgangs erfasst und anschließend die Zufriedenheit mit dem Öffnungsvorgang anhand einer Symbolskala mit Werten von +2 bis -2 abgefragt. Eine Prüfung gilt als bestanden, wenn in der ersten Teilprüfung das Öffnen innerhalb fünf Minuten (Effektivität) und in der zweiten Teilprüfung eine erneute Öffnung innerhalb einer Minute (Effizienz) erfolgt. Wird zudem die Zufriedenheit mit dem Öffnungsvorgang von allen Prüfteilnehmern mit mindestens neutral bewertet, darf sie als leicht zu öffnen bezeichnet werden.
Das VitaSprint®-System
Die Sekundärverpackung des frei verkäuflichen Nahrungsergänzungsmittels VitaSprint® enthält zehn Fläschchen. Die einzelnen Fläschchen sind als Zweikammersystem aufgebaut und bestehen aus jeweils 7 ml Flüssigkeit und einem separaten Behältnis im Deckel, das pulverförmige Bestandteile enthält. Vitamin B12 und Phosphonoserin liegen in gelöster Form in den Fläschchen vor. In der zweiten Kammer, dem roten Stopfen, der erst sichtbar wird, wenn der obere Verschluss entfernt wurde, befindet sich Glutamin, das aus Stabilitätsgründen erst kurz vor der Anwendung in die Flüssigkeit gegeben wird. Die Schritte zum Öffnen des Trinkfläschchens zeigt Abbildung 1. Öffnet man die Verpackung wie vom Hersteller vorgesehen, wird erst das Pulver freigegeben und durch Schütteln gelöst. Im zweiten Schritt soll der Deckel abgehoben werden, um die gebrauchsfertige Lösung zu entnehmen. Allerdings kann auch die Lösung ohne Zusatz des Pulvers aus dem Deckel eingenommen werden.
Bekannt ja, aber trotzdem falsch geöffnet
Die Auswertung der Ergebnisse ergab, dass der Bekanntheitsgrad des Öffnungsprinzips der Vita-Sprint® Fläschchen im Verlauf der letzten beiden Jahre deutlich gestiegen ist: 2016 kannten es vier von 20 Teilnehmern, 2017 acht von 20 Teilnehmern. Trotz der deutlichen Zunahme des Bekanntheitsgrades konnten nach wie vor lediglich 30% der Teilnehmer die Verpackung korrekt öffnen (2016: 10%). Viele Teilnehmer versuchten, die Fläschchen intuitiv zu öffnen. Aufgrund des besonderen Verpackungskonzeptes gelang nur sechs von 20 Teilnehmern die korrekte Zubereitung des Produktes. Den Teilnehmern der Studie waren alle vom Hersteller bereitgestellten Öffnungshinweise auf Sekundärverpackung und Beipackzettel verfügbar. Nur acht von 20 Personen bemerkten die Öffnungshinweise überhaupt, fünf Personen dieser Gruppe empfanden die Hinweise als hilfreich. Die vorhandenen Öffnungshinweise wurden von den Teilnehmern überwiegend nicht genutzt, da das Verpackungskonzept bekannt erschien. Der Stempel des Trinkfläschchens wurde von vielen Teilnehmern als Greifhilfe wahrgenommen, um das Fläschchen zu öffnen. Das enthaltene weiße Pulver (Glutamin) wurde mit der Verpackung entsorgt. Die Teilnehmer waren sich darüber nicht bewusst. Entscheidend für die erfolgreiche Öffnung des Nahrungsergänzungsmittels war somit die kognitive Leistung von Erkennen und Verstehen des Öffnungsprinzips [2, 3]. Kraft und Motorik spielen dagegen eine untergeordnete Rolle [4].
Beratung in der Apotheke ist ein Muss
Zwar konnte durch Werbemaßnahmen der Bekanntheitsgrad des Verpackungskonzepts deutlich gesteigert werden. Doch absolut ist der Anteil der Personen sehr gering, die das Produkt korrekt öffnen und anwenden. Das unterstreicht eindringlich, wie notwendig eine fachkundige Beratung der Konsumenten durch den Apotheker und das Apothekenteam ist. Bereits das Beispiel dieses unkritischen Produktes demonstriert, dass die persönliche Beratung nicht durch Werbemaßnahmen und elektronische Kommunikation ersetzt werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint die Ausbietung erklärungsbedürftiger Produkte in der Freiwahl und in Drogeriemärkten als dringend überdenkenswert. |
Literatur
[1] Braun-Münker M, Günther A, Ecker F. Von wegen einfach! Wie erklärungsbedürftige Verpackungen Patienten herausfordern. Deutsche Apotheker Zeitung 2016;17:30-33
[2] Braun-Münker M, Sohnle S, Ecker F Leichtes Öffnen von Obstkonserven – Zielgruppenprüfungen nach CEN/TS 15945 zur Handhabbarkeit von unterschiedlichen Obstkonserven. Deutsche Lebensmittel Rundschau 2016;112:217-219
[3] Braun-Münker M, Günther A, Ecker F. Leichtes Öffnen – Zielgruppenprüfung nach CEN/TS 15945 zur Handhabbarkeit unterschiedlicher Verpackungen mit gestapelter Wurst. Fleischwirtschaft 2015;12:103-105
[4] Sohnle S, Braun-Münker M, Ecker F. Vergleichende Untersuchung von diversen Schraubverschlüssen – gibt es eine Korrelation zwischen den Ergebnissen der Zielgruppenprüfung und der instrumentellen Messung? ErnährungsUmschau 2016;63(9):186-191, DOI:10.4455/eu2016.039
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