IPBP Uni Münster

Phytoforschung

Birkenrindenextrakt zur Wundheilung

Wirkstoff Betulin beschleunigt die Reepithelisierung

Jeder Pharmazeut weiß, dass ein Tee mit Birkenblättern die Harnmenge erhöht und gern zur Durchspülung der Harnwege eingesetzt wird. Weniger bekannt ist die ­Anwendung von Birkenrinde zur Wundheilung. Dabei hat gerade in den letzten Jahren die präklinische und klinische Prüfung von Rindenextrakten zu sehr spannenden Entwicklungen im Sinne der rationalen Phytotherapie geführt. So hat die EMA 2016 ein Präparat für die topische Behandlung oberflächlicher Hautwunden zugelassen [1]. | Von Andreas Hensel und Tobias Zahn

Die Anwendung von Birkenrinde – insbesondere der weißen Borke – zur Wundheilung ist in der traditionellen Medizin in verschiedensten Kulturkreisen dokumentiert, wobei im einfachsten Falle das flexible Rindenmaterial oder Korkstreifen als Verbandstoffe verwendet werden.

Foto: IPBP Uni Münster
Abb. 1: Die faserige Borke von Birken ist durch den Betulin-haltigen Kork typisch weiß gefärbt. In Deutschland ist die Hängebirke (Betula pendula) am häufigsten.

Wirkstoff Betulin

Der deutsch-russische Chemiker ­Johann Tobias Lowitz hatte schon 1788 das weiße Pigment des Korkes (Abb. 1) untersucht. Später erhielt es die Bezeichnung Betulin und wurde als ­pentazyklisches Triterpen vom Lupan-Typ charakterisiert (Abb. 2). Es ist ein weißer, geruchloser, sehr lipophiler Feststoff, der im Birkenkork in hohen Konzentrationen (bis zu 30%) akkumuliert. Neben Betulin finden sich im Kork noch weitere Triterpene vom ­Lupan- und Oleanan-Typ.

Diese Triterpene können relativ einfach in sehr guter Ausbeute mittels heißem n-Heptan extrahiert und in nachfolgenden Kristallisationsschritten angereichert werden. Interessanterweise bildet ein so gewonnener Trockenextrakt durch Wasserstoffbrückenbindungen mit Triglyceriden ein gelartiges Netzwerk, wodurch sogenannte Oleogele resultieren [1, 2]. Diese sind ohne den Zusatz von Emulgatoren und Stabilisatoren als topische Darreichungsformen geeignet.

Betulin in Konzentrationen von 2 bis 5% wird mit Pflanzenölen und Wasser (60%) zu stabilen Emulsionen verarbeitet, die sich in Kosmetika zur medizinischen Hautpflege (Imlan®) finden.

Abb. 2: Struktur von Betulin.

Betulin-haltiges Oleogel

Das seit 2016 durch die EMA zugelassene Betulin-haltige Arzneimittel Episalvan® ist ein thixotropes Oleogel, das aus Birkenrindentrockenextrakt (10%) und Sonnenblumenöl (90%) als einzigem Hilfsstoff hergestellt [3] und ohne weitere Zutaten direkt zur topischen Applikation eingesetzt wird. Interessanterweise bildet sich beim Erwärmen des Oleogels eine feste Gelstruktur aus. Somit fungiert der Extrakt als Wirkstoff und gleichzeitig auch als Gelbildner. Diese einfache, aber hocheffiziente Rezeptur hat den Vorteil, dass keine Hilfsstoffe ver­arbeitet werden müssen, die eventuell das Wundgeschehen negativ beeinflussen würden, und auch keine Konservierungsmittel formuliert werden müssen. Die Endsterilisation der Zu­bereitung erfolgt durch ionisierende Strahlen [4].

Der als Wirkstoff eingesetzte Trockenextrakt wird analytisch als quantifizierter Extrakt angesehen. Dies be­deutet, dass er gehaltsmäßig auf eine Gruppe ähnlicher Inhaltsstoffe ein­gestellt wird, die als analytische Leitsubstanzen dienen, obwohl sie hinsichtlich ihrer therapeutischen Aktivität nicht definiert sind. In diesem Fall ist der quantifizierte Extrakt relativ einfach zusammengesetzt, nämlich zu ca. 80% (72 – 88%) aus Betulin (quantitative Markerverbindung [5]), begleitet von Betulinsäure, Lupeol und den ­Oleanan-Derivaten Erythrodiol und Oleanolsäure (s. Abb. 3).

Quelle: Dr. S. Jäger, Amryt AG, Niefern-Öschelbronn
Abb. 3: Gaschromatogramm des Birkenrindentrockenextraktes mit der Hauptkomponente Betulin (3) (> 80% m/m), begleitet von den pentazyklischen Triterpenen Lupeol (1), Erythrodiol (2), Oleanolsäure (4) und Betulinsäure (5).

Wirkmechanismus

Präklinische In-vitro-Untersuchungen zeigten, dass reines Betulin bzw. der quantifizierte Extrakt die Differen­zierung und Beweglichkeit humaner Hautzellen (Keratinozyten) stimuliert. Dass solche Effekte durchaus Einfluss auf die Wundheilung haben, wurde in einem Ex-vivo-Modell an Wunden von Schweineohren gezeigt, denn die Re­epithelisierung der zerstörten Epithelschicht wurde stimuliert [6, 7]. Untersuchungen zum Wirkmechanismus ­belegen, dass der Extrakt proinflamma­torische Zytokine in Hautzellen hochreguliert, wodurch zentrale, essenzielle Elemente der Wundheilung stimuliert werden [7]. Weiterhin stimuliert der Extrakt auch die Migra­tion von Keratinozyten, was für den effektiven Wundverschluss wichtig ist [7].

Klinische Prüfung: Phase II …

Eine erste klinische Phase-II-Prüfung der Zubereitung erfolgte 2010 an Patienten mit Spalthautentnahmewunden. Spalthaut mit einer Gewebestärke von ca. 0,2 bis 0,5 mm wird durch die chirurgische Entfernung der Epidermis und der obersten Schicht der Dermis mithilfe eines Dermatoms, einer Art „Hauthobel“, gewonnen. Sie spielt in der Dermatologie und Chirurgie eine Rolle, da sie bei plastischen Operationen oder großflächigen Hautverletzungen häufig transplantiert wird. Durch die Spalthautentnahme ent­stehen leicht standardisierbare, nicht kontaminierte oberflächliche Wunden, die für Inspektionen und Behandlungen sehr gut zugänglich sind und sich daher für die Arzneistoffentwicklung eignen. Diese Phase-II-Studie zeigte für Episalvan® klare ­Effekte bei guter Verträglichkeit [8], was die Initiierung GCP-konformer Phase-III-Studien nach sich zog, dies in Abstimmung mit den Zulassungsbehörden (s. u.).

In einer weiteren klinischen Phase-II-Studie wurde Episalvan® zusätzlich für die Indikation Epidermolysis bullosa geprüft, eine genetisch bedingte Hauterkrankung, bei der die Verbindung der einzelnen Hautschichten gestört ist (Schmetterlingshaut). Auch hier ergaben sich hochsignifikante Unterschiede zu den Vergleichsgruppen [9]. Allerdings stehen weiterführende Phase-III-Studien für diese Indikation noch aus. Eine globale Phase-III-Studie begann im Frühjahr 2017.

… und Phase III

Zur klinischen Prüfung von Episalvan® auf oberflächliche Hautwunden liefen von 2012 bis 2014 drei unabhängige, multizentrische, randomisierte, GCP-konforme Studien in 48 Zentren in 13 europäischen Ländern, wobei wiederum an Spalthautentnahmewunden, aber auch an Brandwunden des Grades IIa geprüft wurde. Die Wunden der Patienten wurden jeweils zur einen Hälfte mit dem Verum (Episalvan® + Verband) behandelt und erhielten zur anderen Hälfte die Standardversorgung mit einem nichtadhäsiven Verband bzw. (in den Fällen der Brandwunden) mit Fettgaze + Octenidin; derselbe Patient erhielt also gleichzeitig beide Therapien an verschiedenen Stellen derselben Wunde. Der Vorteil dieses Studiendesigns liegt darin, dass intraindividuelle Unterschiede der Wundheilungsdauer bei derselben Wunde zu denselben Zeitpunkten bestimmt werden können.

Die Heilung der Wunden wurde fotografisch dokumentiert; danach erfolgte die Auswertung der Fotos durch ­unabhängige Ärzte im verblindeten Modus zusammen mit einer Vielzahl von Kontrollfotografien. Primärer Endpunkt der Studien war die Dauer bis zum Wundverschluss (Reepithelisierung). Die Auswertungen erbrachten hochsignifikant einen deutlich schnelleren Wundverschluss für die mit ­Episalvan® behandelten Gruppen [10]. So heilten die mit Episalvan® behandelten Brandwunden in 86% aller unterscheidbaren Fälle schneller als in der Vergleichsgruppe.

Sekundäre Endpunkte der Studien ­waren die Beurteilung der verheilten Wunden durch den Prüfarzt zum Endpunkt der Behandlung sowie durch die Patienten drei und zwölf Monate nach dem Behandlungsbeginn. Auch hier ­erwies sich Episalvan® gegenüber den Standardbehandlungen als über­legen – sowohl bei den Spalthautentnahmewunden als auch bei den Brandwunden: Im Schnitt wurde der Heilungsverlauf um ein bis zwei Tage beschleunigt. Auch später schnitten die verheilten Wunden bei den Parametern Rötung, Pigmentierung und Textur besser ab.

Zulassung und Markteinführung

Die Europäischen Kommission hat 2016 für Episalvan® die europäische Zulassung zur Behandlung von „oberflächlichen Hautwunden (Epidermis und obere Dermis) und Verbrennungswunden der Haut vom Grad IIa“ (d. h. mitteltiefe Wunden, „partial thickness wounds“) bei Erwachsenen erteilt, wobei in der Zulassungsbegründung der EMA explizit erwähnt wurde, dass die Präparation klinische Signifikanz aufweist – dies in einer Indikation mit zurzeit begrenzten therapeutischen Möglichkeiten. Die Markteinführung des Präparats in Deutschland wird vorbereitet.

Fazit

Die Entwicklung des Birkenrinden­extraktes für Episalvan® ist ein sehr erfolgreiches Beispiel für eine Forschung, die ihren Ausgangspunkt in einer guten Beobachtung der Pflanze und ihrer traditionellen Anwendung hat, dann mit der phytochemischen Analyse und der Entwicklung von effizienten GMP-konformen Extraktionsverfahren weitergeführt wird und nach der präklinischen Testung des Extraktes die sehr aufwendigen kli­nischen Prüfungen durchführt. Beeindruckend ist aber auch, dass ein kleines mittelständisches Unternehmen und die beteiligten Forscher es über Jahre hinweg verstanden haben, mit viel Einsatz und Enthusiasmus diese Entwicklung zu gestalten und erfolgreich abzuschließen. |

Literatur

 [1] Scheffler A. Entwicklung des neuen Phytopharmakons Episalvan (Betulin) zur Wundheilung. Z Phytother 2017;38(3):100-106

 [2] Laszczyk M et al. Physical, chemical and pharmacological characterization of a new oleogel-forming triterpene extract from the outer bark of birch (Betulae cortex). Planta Med 2006;72:1389-1395

 [3] Grysko M, Daniels R. Evaluation of the mechanism of gelatination of an oleogel based on a triterpene extract from the outer bark of birch. Pharmazie 2013;68:572-577

 [4] CPMP/QWP/054/98 Corr: Decision Trees for the Selection of Sterilisation Methods

 [5] Jäger S, Zahn T. Das neue Wund-Arzneimittel Episalvan®: Galenik und Studiendesign. Pharmakon 2016;4:349-355

 [6] Metelmann HR. Topisches Betulin-Gel zum beschleunigten Wundverschluss bei plastischen Operationen. Z Phytother 2016;37:54-58

 [7] Ebeling S et al. From a traditional medicinal plant to a rational drug: understanding the clinically proven wound healing efficacy of birch bark extract. PLoS One 2014;9(1):e86147

 [8] Metelmann HR et al. Accelerated reepithelialization by triterpenes: proof of concept in the healing of surgical skin lesions. Skin Pharmacol Physiol 2015;28(1):1-11

 [9] Schwieger-Briel A, Kiritsi D, Schempp C, Has C, Schumann H. Betulin-Based Oleogel to Improve Wound Healing in Dystrophic Epidermolysis Bullosa: A Prospective Controlled Proof-of-Concept Study. Dermatol Res Pract 2017, Article ID 5068969

[10] Barret JP et al. Accelerated re-epithelialization of partial-thickness skin wounds by a topical betulin gel: Results of a randomized phase III clinical trials program. Burns 2017;43:1284-1294

Autoren

Dr. Tobias Zahn studierte Biochemie an der Universität Witten/Herdecke. 2008-2017 Mitarbeiter der Birken AG (neu: Amryt AG), ab 2011 verantwortlich für klinische Entwicklung und Zulassungsverfahren von Episalvan. Seit September 2017 Partner in der 3R Pharma Consulting GmbH, Dobel (Nordschwarzwald), als Berater für Arznei­mittelentwicklung und -zulassung.

Prof. Dr. Andreas Hensel studierte Pharmazie an der Universität Regensburg. Seit 2004 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie der Universität Münster. Hauptarbeitsgebiete: Phytochemie, Glykobiologie, antiadhäsive Naturstoffe gegen Pathogene, Naturstoffe und Arzneipflanzen zur Wundheilung.

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