Arzneimittel und Therapie

Nährstoffdrink gegen Alzheimer?

Schön wär’s.

Das Wichtigste vorab: Übereinstimmend mit den Ergebnissen früherer Studien liefert auch die aktuelle LipiDiDiet-Studie keine Evidenz dafür, dass die Anwendung des als Fortasyn Connect vermarkteten Nährstoffdrinks (Souvenaid®) bei Alzheimer-Vorstufen oder leichten Alzheimer-Formen wirksam wäre. Eine Kommentierung von Prof. Dr. Martin Smollich.

Die (Marketing)Idee des getesteten Produkts besteht darin, dem Körper jene Substrate zur Verfügung zu stellen, die für die Synaptogenese im menschlichen Gehirn erforderlich sind. Damit soll (theoretisch) die Progression einer Alzheimer-Demenz verlangsamt werden. Details zur Studie finden Sie im Kasten „Die Studie“. Fortasyn Connect enthält die beiden Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) sowie Phospholipide, Cholin, Uridinmonophosphat und diverse Mikronährstoffe (s. Tabelle). In der Vergangenheit wurden mit diesem Produkt bereits drei randomisiert-kontrollierte Studien durchgeführt: Souvenir I [10], Souvenir II (11] und S-connect [12]. Während in den beiden älteren und kleineren Souvenir-Studien für einzelne Endpunkte Hinweise auf positive Effekte gezeigt werden konnten, wurden in der aktuellsten und größten Studie (S-connect) nicht einmal diese Effekte bestätigt. Als Erklärung wurde postuliert, dass bei den in diesen Studien eingeschlossenen Patienten die Alzheimer-Erkrankung möglicherweise schon zu weit fortgeschritten war, um noch präventive/progressions­hemmende Effekte erzielen zu können.

Tab.: Zusammensetzung des Nährstoffgemisches Fortasyn Connect und Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) 
Inhaltsstoff
Tagesdosis (als 125 ml Getränk)
Zufuhrempfehlungen (DGE) für Männer und Frauen ab 51 Jahren
Eicosapentaensäure (EPA)
300 mg
Docosahexaensäure (DHA)
1200 mg
Phospholipide
106 mg
Cholin
400 mg
Uridinmonophosphat (UMP)
625 mg
Vitamin E
40 mg
11 bis 13 mg*
Vitamin C
80 mg
95 bis 100 mg
Selen
60 µg
60 bis 70 µg*
Vitamin B12
3 µg
3 µg
Vitamin B6
1 mg
1,2 bis 1,5 mg
Folsäure
400 µg
300 µg
*Schätzwerte für eine angemessene Zufuhr

Gute Methodik, sinnvolle Endpunkte, sehr gute Verträglichkeit

Deshalb wurde in der aktuellen Studie das Produkt an Probanden getestet, die noch gar nicht an der Alzheimer-Krankheit erkrankt waren, sondern die lediglich Prodromalzeichen für die zukünftige Entwicklung einer Alzheimer-Demenz aufwiesen (IWG-1-Kriterien). Die anthropometrischen Daten zwischen Interventions- und Kontrollgruppe zeigten zu Beginn keine signifikanten Unterschiede, und der Placebo-­Drink war in Geschmack, Konsistenz und Farbe ohne Unterschied zum Interventions-Drink (was für das Studien­design spricht).

Beim entscheidenden primären Endpunkt, den Testergebnissen der sogenannten neuropsychologischen Testbatterien (NTB), mit denen unterschiedliche Aspekte der kognitiven Funktion getestet werden, gab es keinen Unterschied zwischen Interventions- und Placebo-Gruppe. Und lediglich bei zwei der sieben sekundären Endpunkte schnitten die Probanden der Interventions-Gruppe besser ab als jene der Placebo-Gruppe.

Einer dieser beiden sekundären Endpunkte war die sogenannte Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes, was im Prinzip die Einschätzung des Demenz-Schweregrades durch die behandelnden Ärzte beinhaltet. Diese Einschätzung beruht auf der Beurteilung der Fähigkeit, Aufgaben des täglichen Lebens selbstständig zu lösen (Notfälle im Haushalt, Geschäfte erledigen usw.). Hierbei handelt es sich also offensichtlich um einen klinisch relevanten Endpunkt.

Der zweite sekundäre Endpunkt mit signifikantem Vorteil für die Intervention betraf das MRT-bestimmte Volumen des Hippocampus als neurologisches Korrelat für die Gedächtnisfunktion; hier war die Hirnatrophie in der Interventions-Gruppe um 26% geringer als in der Placebo-Gruppe. Dieser Aspekt ist neurologisch sicherlich interessant, spielt aber für die Lebensqualität von Patienten primär keine direkte Rolle.

Die Studie

Im Rahmen eines von der Europäischen Union finanzierten Forschungsprojektes nahmen an elf Kliniken 311 Patienten an der LipiDiDie-Studie teil, die über zwei Jahre lief. Zum Studienbeginn befanden sich alle Patienten im prodromalen Alzheimer-Stadium. Die Hälfte der Patienten nahm die Nährstoffkombination Fortasyn Connect (Zusammensetzung s. Tabelle) täglich in Form eines Trinkjoghurts zu sich, die Kontroll-Gruppe erhielt ein Getränk, das in Geschmack, Konsistenz und Farbe identisch war, aber keine Substanzen enthielt. Der primäre Endpunkt bestand aus den Ergebnissen mehrerer neuropsychologischer Tests, in denen die Patienten zehn Worte lernen und erinnern bzw. erkennen sollten. In anderen Tests sollten sie innerhalb kurzer Zeit möglichst viele Wörter der Kategorie „Tier“ nennen oder Buchstaben und Zahlen vertauschen. Nach 24 Monaten erreichten die Patienten, die die Nährstoffkombination getrunken hatten, in der Summe der Tests keine statistisch signifikant besseren Ergebnisse als die Kontrolle.

Nur in zwei der sieben sekundären Endpunkte wurden Effekte beobachtet. Das betrifft die Einschätzung des Schwere­grades der Demenz durch die behandelnden Ärzte (Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes). Hier verschlechterten sich beide Gruppen, aber die Verschlechterung fiel unter dem Nährstoffdrink zu 44% geringer aus. Der zweite Endpunkt betrifft das mit der Magnetresonanztomografie gemessene Volumen im Hippocampus. Hier kam es zu einer um 26% verminderten Abnahme gegenüber Placebo. Beim Ventrikelvolumen, das infolge der Hirnatrophie größer wurde, war die Zunahme um 16% geringer.


Quelle

Soininen H, Solomon A, Visser PJ et al. on behalf of the LipiDiDiet clinical study group. 24-month intervention with a specific multinutrient in people with prodromal Alzheimer’s disease (LipiDiDiet) Lancet Neurol 2017;16:965-975

Yassine HN. Targeting prodromal Alzheimer’s disease: too late for prevention? Lancet Neurol 2017, http://dx.doi.org/10.1016/S1474-4422(17)30372-1

Was heißt das?

Das hier verwendete Produkt (Souven­aid®) wird in Deutschland mit der fragwürdigen Aussage vermarktet: „Medizinische Ernährung zur diätetischen Behandlung der Alzheimer-Krankheit im Frühstadium.“ – was angesichts der Studienlage doch sehr problematisch ist. Denn während die genannten älteren Studien nur vereinzelte bzw. gar keine Effekte bei frühen/milden Alzheimer-Formen zeigten, dokumentieren die Ergebnisse der LipiDiDiet-­Studie, dass die verwendete Nährstoff­mischung selbst bei Vorformen der Alzheimer-Krankheit nicht wirksam ist – von einem einzigen alltagsrelevanten, sekundären Endpunkt abgesehen.

Mit am wichtigsten für Menschen mit Alzheimer-Vorformen dürfte die Frage sein, ob die Intervention dazu geeignet ist, die Manifestation der Alzheimer-Krankheit zu verhindern – und hier enttäuschte die Studie ebenfalls: Während bei 37% der Menschen aus der Placebo-Gruppe innerhalb von zwei Jahren Alzheimer diagnostiziert wurde, waren es in der Interventions-Gruppe 41%. Wenn man aus den früheren Studien also die Hypothese abgeleitet hatte, dass das Präparat nur deshalb nicht wirkt, weil es zu spät eingesetzt wurde, dann muss man anhand der aktuellen Daten konstatieren: Auch der frühere Einsatz verhindert die Progression zur manifesten Alzheimer-Krankheit nicht.

Was kann man stattdessen tun?

Wer Sorge davor hat, an Alzheimer zu erkranken oder wer bei sich selbst oder bei Angehörigen nachlassende Gedächtnisleistungen feststellt, sollte definitiv nicht zu dem getesteten Produkt greifen; Gleiches gilt für Alzheimer-­Patienten oder Menschen mit Alzheimer-Vorstufen. Offensichtlich ist das Produkt zwar gut verträglich, aber unwirksam und sicherlich nicht günstig (ca. 110 Euro/Monat). Die Entstehung oder Progression der Alzheimer-Krankheit mit einem täglichen Nährstoffdrink aufhalten – das ist bislang nicht mehr als eine schöne Idee. Ebenfalls unwirksam zur Demenz-Prävention sind übrigens auch Statine [7], niedrig dosierte Acetylsalicylsäure [14], Ginkgo-Präparate [2] oder regelmäßiger Alkoholkonsum [4, 9].

Also alles hoffnungslos?

Nicht ganz – denn tatsächlich gibt es wirksame Möglichkeiten, um das Risiko für die Entstehung einer (Alzheimer)Demenz zu reduzieren. Aktuelle Daten betonen vor allem die Relevanz kardiovaskulärer Risikofaktoren im mittleren Lebensalter als wichtige modifizierbare Einflussgröße für die Demenz-Entstehung. Beeinflussbare Risikofaktoren sind insbesondere Nicotin-Abusus, Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie und Adipositas [4]. Günstige Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter haben dagegen die sogenannte Mediterrane Ernährung [13] sowie ein aktiver Lebensstil mit körperlicher Bewegung, geistiger Aktivität und sozialen Aktivitäten [3, 6]. Besonders wirksam ist eine Demenz-Prävention, wenn diese Ansätze multimodal verbunden und bereits im mittleren Lebensalter umgesetzt werden [FINGER-Studie, 8]. Das ist nicht nur wirksamer als ein Nährstoffdrink, sondern spart auch Geld und macht Spaß. |

Quelle

[1] Andel R et al. Physical exercise at midlife and risk of dementia three decades later: a population-based study of Swedish twins. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2008;63:62-66

[2] Blom ES. Rapid progression from mild cognitive impairment to Alzheimer‘s disease in subjects with elevated levels of tau in cerebrospinal fluid and the APOE epsilon4/epsilon4 genotype. Dement Geriatr Cogn Disord 2009;27:458-464

[3] Cass SP. Alzheimer‘s Disease and Exercise: A Literature Review. Curr Sports Med Rep 2017;16(1):19-22

[4] Deuschl G et al. S3-Leitlinie Demenzen. 2016. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 17. November 2017)

[5] Liu-Ambrose T, Donaldson MG. Exercise and cognition in older adults: is there a role for resistance training programmes? Br J Sports Med 2009;43:25-27

[6] Maliszewska-Cyna E et al. The Benefits of Exercise and Metabolic Interventions for the Prevention and Early Treatment of Alzheimer‘s Disease. Curr Alzheimer Res 2017;14(1):47-60

[7] McGuinness B et al. Statins for the prevention of dementia. Cochrane Database Syst Rev 2016;4(1):CD003160

[8] Ngandu T et al. A 2 year multidomain intervention of diet, exercise, cognitive training, and vascular risk monitoring versus control to prevent cognitive decline in at-risk elderly people (FINGER): a randomised controlled trial. Lancet 2015;385(9984):2255-2263

[9] Panza F et al. Alcohol drinking, cognitive functions in older age, predementia, and dementia syndromes. J Alzheimers Dis 2009;17:7-31

[10] Scheltens P et al. Efficacy of a medical food in mild Alzheimer’s Disease: a randomized controlled trial. Alzheimer’s & Dementia 2010;6:1-10

[11] Scheltens P et al. Efficacy of Souvenaid in mild Alzheimer‘s disease: results from a randomized, controlled trial. J Alzheimers Dis 2012;31(1):225-236

[12] Shah RC et al. The S-Connect study: results from a randomized, controlled trial of Souvenaid in mild-to-moderate Alzheimer‘s disease. Alzheimers Res Ther 2013;5(6):59

[13] Valls-Pedret C et al. Mediterranean Diet and Age-Related Cognitive Decline: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med 2015;175(7):1094-1103

[14] Veronese N. Low-Dose Aspirin Use and Cognitive Function in Older Age: A Systematic Review and Meta-analysis. J Am Geriatr Soc 2017;65(8):1763-1768

Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich
Professor für Klinische Pharmakologie und Pharmakonutrition;
Leiter des Studiengangs Clinical Nutrition an der praxisHochschule Köln

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