- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 48/2017
- Gesundheitsrecht von App ...
Kongresse
Gesundheitsrecht von App bis Rx-Versand
Der Gesundheitsrechtstag der Wettbewerbszentrale schlägt weiten Bogen
Der Datenschutz kam in mehreren Vorträgen zur Sprache. Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Hermann Dirksen zeigte auf, wie sich der Umgang mit unseren Daten in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Anfang der 1980er-Jahre sorgte die geplante Volkszählung für großen Protest in der Bevölkerung. In der Folge erkannte das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil von 1983 das informationelle Selbstbestimmungsrecht als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Grundrecht an. Die Richter sahen damals die Gefahr, dass die Bürger sich aus Vorsicht zu sehr selbst einschränken und ihr Verhalten anpassen könnten, wenn sie nicht wissen, welche Informationen zu ihrem Verhalten gespeichert und vorrätig gehalten werden. Dies beeinträchtige nicht nur die Person individuell, sondern auch das Gemeinwohl, da ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen der selbstbestimmten Mitwirkung seiner Bürger bedürfe, so die Verfassungsrichter.
Neue Wirklichkeiten, neue Regeln
Doch seit diesen Feststellungen hat sich viel verändert in unserem Leben. 2017 ist das Internet nicht mehr wegzudenken und Big Data in die Gesellschaft eingezogen. Daten werden aus allen Bereichen an den verschiedensten Orten gespeichert, verarbeitet und ausgewertet. Der Datenschutz ist auf eine harte Probe gestellt. Doch viele Menschen scheinen ihm ohnehin wenig Bedeutung beizumessen und gehen freizügig mit ihren Daten um. Ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung damit zum Auslaufmodell geworden? Das ist eine Entscheidung der Bürger selbst, meint Dirksen. Unser Umgang mit den Medien, unsere Sensibilisierung für den Schutz unserer eigenen Daten und unsere Entscheidung, Einwilligungen zu erteilen oder nicht – all das werde ausschlaggebend sein. Auch ein neuer rechtlicher Rahmen erwartet uns. Ab dem 25. Mai 2018 wird die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) unmittelbar in allen EU-Staaten gelten. Sie schreibt u. a. vor, dass es keine unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten geben darf. Auch wird ein „Recht auf Vergessenwerden“ erstmals statuiert. Nicht zuletzt drohen bei Verstößen künftig hohe Strafen.
Health Apps und Datenschutz
Rechtsanwältin Tina Weigand ging dann konkret auf den Datenschutz im Zusammenhang mit Health Apps ein. Diese erfreuen sich nach wie vor größter Beliebtheit: Über 100.000 Apps finden sich in den gesundheitsbezogenen Kategorien bei iTunes und im Google Play Store. Auch hier werden sensible gesundheitsbezogene Informationen erhoben, verarbeitet und genutzt. Manche nur im Gerät selbst, aber oft werden diese Daten auch an den Anbieter der App und/oder Dritte übermittelt. Die Risiken sind bekannt, erklärte Weigand. Schon 2011 gab es Warnungen; Ende 2016 mahnte die Bundesdatenschutzbeauftragte explizit vor Mängeln in der technischen Datensicherheit, die Unbefugten einen Zugriff ermöglichten. Zudem würden Nutzer häufig nicht ausreichend aufgeklärt, was mit ihren Daten geschehe. Durch die unberechtigte Zusammenführung und Auswertung von Daten könnten sodann umfassende Gesundheitsprofile einzelner Personen erstellt und beispielsweise im Versicherungswesen ohne Wissen der Nutzer gegen sie verwendet werden. Für Weigand ist daher klar: Die Qualität einer App hängt auch vom Datenschutz ab. Und hier gibt es viel zu beachten. Zunächst etwa den Sitz des App-Anbieters bzw. seiner datenverarbeitenden Niederlassung. Nur wenn diese in Deutschland sind, sind die deutschen Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes anwendbar. Sind sie im EU-Ausland, ist das dortige Recht einschlägig. Nach deutschem Recht ist auf jeden Fall eine Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten nur mit schriftlicher oder elektronischer Einwilligung des Nutzers möglich. Dabei müsse der App-Nutzer über Erhebungs- und Verarbeitungszwecke und über entsprechende Risiken aufgeklärt werden. Die Einwilligung müsse zudem für den Nutzer jederzeit abrufbar sowie widerrufbar sein. Sie dürfe ferner nicht versteckt in Nutzungsbedingungen oder der ebenfalls notwenigen Datenschutzerklärung eingeholt werden. Mit der Datenschutzerklärung muss der Anbieter der App über Art, Umfang und Zweck der Datenerhebung und -nutzung informieren – und zwar schon vor dem Download durch den Nutzer. Diese Datenschutzerklärung muss sodann transparent, in deutscher Sprache und in allgemeinverständlicher Form verfasst sowie auch auf mobilen Endgeräten gut lesbar sein.
An wie vielen Stellen es auch bei beliebten Fitness-Apps Bedenken gibt, zeigte Weigand ganz praktisch anhand der App „Runtastic“ auf – einer äußerst erfolgreichen App für Freunde des Laufen und Joggens, die 2015 an adidas verkauft wurde. Zum Beispiel findet sich hier die Datenschutzerklärung in den AGB, wo sie nicht hingehört. Zudem ist sie in weiten Teilen auf Englisch.
Ein Jahr nach dem EuGH-Urteil
Der Stuttgarter Rechtsanwalt Dr. Timo Kieser widmete sich sodann einem apothekenspezifischen Thema. Er hatte schon beim Gesundheitsrechtstag 2016 – kurz nachdem der EuGH sein Urteil zur Rx-Preisbindung im grenzüberschreitenden Versandhandel gesprochen hatte – über die möglichen Folgen dieser Entscheidung referiert. Sein Fazit damals: Der Gesetzgeber muss schnellstmöglich handeln, um die Folgen des Urteils für deutsche Apotheken abzuwenden.
Die Politik hat zwar ausführlich über die Folgen des EuGH-Urteils diskutiert, doch die Große Koalition hat keine gemeinsame Konsequenz gezogen. Die SPD wollte das von der Union gewünschte Rx-Versandverbot nicht mittragen, Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hielt vom Gegenvorschlag der Sozialdemokraten – dem befristeten Boni-Deckel – nichts. Von außen gab es einige rechtliche Unterstützung für Gröhes Versandverbots-Pläne (z. B. das wettbewerbsökonomische Gutachten von May/Bauer/Dettling) – aber auch die Bedenkenträger trugen ihre Argumente zusammen.
Indessen fielen in den vergangenen zwölf Monaten Gerichtsentscheidungen, die die Inländerdiskriminierung verstetigten. Ob „BonusBons“ oder Brötchen-Gutscheine, die bei Rezepteinlösung gewährt wurden: Die Gerichte verboten diese weiterhin und verwiesen darauf, dass der Rx-Versandhandel aus dem EU-Ausland derzeit noch sehr geringe Marktanteile habe. Und so hielten es die Gerichte für wichtiger, erst einmal einen möglichen Preiskampf in Deutschland zu unterbinden. Ein letztinstanzliches Urteil liegt bislang nicht vor – könnte aber noch kommen. Der immer wieder zitierte Fall der „Kuschelsocken“, für die eine Apotheke bei Rezepteinlösung Gutscheine ausgab, könnte es möglicherweise vor das Bundesverwaltungsgericht schaffen. Zwar wurde die Revision nicht zugelassen, Nichtzulassungsbeschwerde aber eingelegt. Zugleich richtet sich der Blick auf ein nächstes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln in einem Rechtsstreit zwischen der Apothekerkammer Nordrhein und DocMorris. Der Bundesgerichtshof hatte das Verfahren dorthin zurückverwiesen – und zwar mit umfangreichen „Segelanweisungen“. Die Botschaft: Das EuGH-Urteil beruhe auf unzureichenden Feststellungen des OLG Düsseldorf, das den EuGH überhaupt erst eingeschaltet hatte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass mit neuen Feststellungen ein neues Vorabentscheidungsverfahren in Gang gesetzt werden könnte.
Länderliste und Überwachungskonflikte
Kieser brachte aber auch neue Optionen in Spiel. So könnte man bei der Länderliste ansetzen – jener Liste des Bundesgesundheitsministeriums, die die Länder aufführt, die im Hinblick auf den Arzneimittelversandhandel dem deutschen Recht entsprechende Vorschriften vorsehen. Die Niederlande sind auf dieser bekanntlich zu finden. Für sie wird allerdings vorausgesetzt, dass die Versandapotheke auch eine Präsenzapotheke unterhält. Doch Kieser hat gewisse Zweifel, ob insbesondere die Überwachung der niederländischen Apotheken den deutschen Standards entspricht. Hier gebe es eine Lücke: Die deutsche Überwachung kann nur Tätigkeiten in Deutschland rügen, die niederländische wird nicht tätig, wenn gegen deutsche Vorgaben verstoßen wird.
Kieser sieht noch einige Ansätze, die man weiterverfolgen sollte, um gegen die bestehende Schieflage zwischen deutschen und EU-ausländischen (Versand-)Apotheken vorzugehen. Man könnte etwa ein demoskopisches Gutachten über die Attraktivität von Rx-Boni erstellen oder eine Untersuchung starten, die sich mit etwaigen Gesundheitsschäden infolge verzögerter Arzneimitteleinnahme befasst. Zudem könne man Rechtsverstöße dokumentieren – etwa im Zusammenhang mit Rezepturen oder der Einhaltung bestimmter Temperaturen.
Blick über den Tellerrand
Der Gesundheitsrechtstag bot noch mehr. So befasste sich Rechtsanwältin Dr. Heike Freund mit einem anderen rechtlichen Aspekt von Health Apps: dem heilmittelwerberechtlichen. Peter Kalb, Rechtsreferent der Bayerischen Landesärztekammer gab einen kurzweiligen Überblick über denkwürdige Auswüchse, aber auch gangbare Wege der Telemedizin. Stada-Jurist Martin Jackowski stellte aktuelle Entscheidungen aus dem Pharmabereich vor. Dr. Antje Dau von der Wettbewerbszentrale berichtete über Anwendungsprobleme der Health-Claims-Verordnung bei der Werbung für Nahrungsergänzungsmittel. Last not least zeigte Christiane Köber von der Geschäftsführung der Wettbewerbszentrale, mit welchen nicht immer lauteren Mitteln Krankenkassen versuchen, Mitglieder zu werben. Es war also ein buntes Programm, das auch diesmal u. a. Juristen aus Kammern, Verbänden und weiteren Organisationen des Gesundheitswesens aus der ganzen Republik angezogen hat. |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.