Arzneimittel und Therapie

Vitamin D – wann, wie viel, überhaupt?

Ein Pro und Kontra zur präventiven Einnahme im Winter

Trotz zahlreicher Arbeiten zur Vit­amin-D-Supplementation steht eine endgültige Einschätzung von potenziellem Nutzen und Risiko noch aus. Den derzeitigen Kenntnissen zufolge wird einer Vitamin-D-Gabe – von Einzelfällen abgesehen – kein überzeugender Nutzen zuerkannt.

Die Frage, ob eine Vitamin-D-Supplementation, eventuell in Kombination mit Calcium, zu befürworten ist, wird selbst in Leitlinien unterschiedlich beantwortet. So spricht sich die US Preventive Services Task Force gegen eine Vitamin-D- und Calcium-Einnahme postmenopausaler Frauen zur Prävention von Frakturen aus. Public Health England empfiehlt hingegen in seiner neuesten Auflage die tägliche Einnahme von 400 I.E. Vitamin D, um muskuloskelettalen Erkrankungen vorzubeugen.

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Im Winter ist die Intensität des UV-Lichtszu gering, um die körpereigene Vitamin-D-Synthese zu stimulieren. Zudem ist die Haut fast vollständig bedeckt.

Das sagt die Evidenz

Zum Einfluss einer Vitamin-D-Supplementation auf Frakturen und Stürze liegen über 50 Metaanalysen vor. Einige zeigen einen geringen, andere keinen Benefit. Eine Auswertung aller vorliegenden randomisierten kontrollierten Studien zeigt keine konsistente Evidenz für eine Verbesserung muskuloskelettaler Parameter (Stürze, Frakturen) unter einer Vitamin-D-Gabe. Hohe intermittierend applizierte Vitamin-D-Dosen sind sogar mit einem erhöhten Sturz- und Fallrisiko assoziiert. Die Ergebnisse für eine Supplementation von Vitamin D und Calcium sehen etwas anders aus: In einigen Studien konnte das Risiko für Hüftfrakturen und nicht-vertebrale Frakturen bei älteren Heimbewohnerinnen gesenkt werden, andere Studien zeigten keinen Nutzen. Vor der Verordnung einer Vitamin-D-Calcium-Supplementation sollten potenzielle Risiken, darunter gastrointestinale Beschwerden, kardiovaskuläre Ereignisse und Nierensteine, gegen den möglichen Nutzen abgewogen werden.

Noch schwächer ist die Evidenzlage für den Nutzen einer Vitamin-D-Gabe bei anderen Erkrankungen, darunter einigen Krebsarten, kardiovaskulären und gastrointestinalen Erkrankungen, Infektionen, neurologischen und respiratorischen Beschwerden sowie dem metabolischen Syndrom. Dies kann daran liegen, dass der Einfluss von Vitamin D auf unterschiedliche Erkrankungen in vielen randomisierten klinischen Studien nur als sekundärer Endpunkt bestimmt wurde und somit die Aussagekraft gering gewertet wird.

Vitamin D im Winter

Unstrittig ist, dass UV-Licht nötig ist, um die Aktivität der für die Vitamin-Synthese bestimmenden Enzyme in der Haut zu aktivieren. Aber ob deshalb bei verminderter Sonnenlicht­intensität im Winter prophylaktisch Vitamin D supplementiert werden soll, bleibt Gegenstand von Diskussionen in der Fachwelt. Im British Medical Journal wurde eine Übersicht der vorliegenden Studien zur Vitamin-D-Supplementation während der Wintermonate veröffentlicht und das Für und Wider in Form von zwei Stellungnahmen beleuchtet.

Pro: Dem Ernährungswissenschaftler Dr. Louis Levy, Public Health England, zufolge wird mit einer täglichen Aufnahme von 400 I.E. Vitamin D auch während der Wintermonate bei dem allergrößten Teil der Bevölkerung ein Spiegel von 25 nmol/l erreicht. Allerdings enthalten nur relativ wenig Nahrungsmittel Vitamin D, sodass eine ausreichende diätetische Aufnahme nicht immer gewährleistet ist. Die Vitamin-D-Bildung in der Haut während der Sommermonate ist nur bei rund 80% der Bevölkerung ausreichend. In der lichtarmen Zeit kann eine Unterversorgung vorliegen, sodass eine Supplementation von 400 I.E. Vitamin D pro Tag sinnvoll erscheint. Mit dieser Dosis, die auch zur Prävention muskuloskelettaler Erkrankungen empfohlen wird, werden keine zu hohen Vitamin-D-Spiegel erzeugt. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass keine weiteren Vitamin-D-haltigen Supplemente (z. B. Multivitaminpräparate) angewendet werden.

Kontra: Professor Tim Spector, Arzt und Professor für Genetische Epidemiologie am King‘s College London, hält gegen die Empfehlung, Vitamin D im Winter präventiv einzunehmen. In seinem Statement erinnert er daran, dass die Grenzwerte für eine Unterversorgung mit Vitamin D zwischen 25 und 75 nmol/l variieren. Wahrscheinlich reichen sogar Werte um 30 nmol/l für die meisten Menschen aus. Der Bereich zwischen einer klinisch relevanten Unterversorgung (< 10 nmol/l) und einer ausreichenden Versorgung ist groß, sodass nicht jeder niedrige Wert mit einer Unterversorgung gleichzusetzen ist. Die Einnahme von Vitamin D und Calcium sei nicht harmlos, so kann eine zu hohe Calcium-Supplementation zu Herzerkrankungen führen. Patienten mit sehr hohen Vitamin-D-Spiegeln sind keine Seltenheit im ärztlichen Alltag. Fatalerweise zeigen einige Studien ein erhöhtes Sturz- und Frakturrisiko unter hoher Vitamin-D-Einnahme. Trotz zahlreicher Reviews und Metaanalysen liegen zur Rolle von Vitamin D bei vielen Erkrankungen keine aussagekräftigen Daten vor. Selbst für die Annahme, Vitamin D könne Frakturen verhindern, gibt es keine überzeugenden Daten.

Wie man hierzulande zur Frage „Vitamin D im Winter – ja oder nein?“ steht, erfahren Sie im anschließenden Interview mit Prof. Dr. Jakob Linseisen von der Ludwig-Maximilians-Universität München.  |

Quelle

Bolland M et al. BMJ 2016;355:i6201

Spector T et al. BMJ 2016;355:i6183

Final Update Summary: Vitamin D and Calcium to Prevent Fractures: Preventive Medication. U.S. Preventive Services Task Force. September 2016

The Scientific Advisory Committee on Nutrition (SACN) recommendations on vitamin D (Juli 2016), verfügbar unter www.gov.uk

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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