Schwerpunkt Palliativmedizin

Die Symptome kontrollieren

Pharmazeutische Betreuung von Palliativpatienten folgt eigenen Regeln

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Von Mona Hoolmann, Thomas Zöller, Corinna Jansen, Helmut Hoffmann-Menzel | Palliativmedizin als ganzheitlicher Ansatz zur Behandlung von Menschen mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung sowie zu erwartendem baldigen Lebensende und einem erklärten Therapieziel „Erhalt und Verbesserung der Lebensqualität“: Dazu werden Arzneimittel benötigt, aber das reicht nicht. Denn Menschen in einer kritischen, ja oft existenziell bedrohlichen Situation benötigen menschliche Zuwendung, Sicherheit und eine dieser Situation angemessene Kommunikation. Dies benötigt Zeit, eine rare Ressource in der deutschen Gesundheitslandschaft, und die Bereitschaft zu enger und wirklicher Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen.

So ist Grundsatz palliativmedizinischer Behandlung: Mensch vor Technik, Interprofessionalität, Fähigkeit zur absichtsfreien Kommunikation und letztlich Akzeptanz des nahenden Lebensendes. Letzteres bedeutet aber nicht Resignation, sondern erfordert aktives engagiertes Handeln, um dem Erkrankten ein Leben in Würde und mit guter Lebensqualität bis zum Tode zu ermöglichen und um die Angehörigen zu begleiten und auch nach Versterben des Erkrankten in ihrer Trauer zu unterstützen.

Arzneimittel sind dennoch ein unverzichtbarer Teil palliativmedizinischen Tuns. Einerseits haben sie große Bedeutung in der Behandlung belastender Beschwerden, wie Schmerz, Luftnot, Übelkeit, Erbrechen und Obstipation, aber auch Angst, Unruhe oder neurologische Symptome, z. B. Krampfanfälle. Schon aus der Zahl der Symptome lässt sich erahnen, dass da schnell eine größere Zahl von Wirkstoffen zur Anwendung kommt. Zusätzlich ist bei der Mehrheit der Patienten, schon aufgrund des teils höheren Lebensalters, wegen anderer Vorerkrankungen eine oft umfangreiche Polymedikation zu finden.

Regelmäßig ergeben sich hieraus Fragen: Welche der Wirkstoffe sind wirklich erforderlich? Welche Vormedikation muss fortgeführt werden, um dem Auftreten alter oder neuer Beschwerden vorzubeugen?

Wenn Patienten nicht mehr in der Lage sind, ihre Arzneimittel einzunehmen, oder Ärzte sich entscheiden, bestimmte Arzneimittel abzusetzen: Wie häufig geht es Menschen in der Folge nicht schlechter sondern besser?

Wissen wir immer, was unsere Patienten tun? Welche Belastung die tägliche Einnahme von Tabletten und Kapseln bedeutet und wie die Adhärenz mit zunehmender Anzahl an Arzneimitteln sinkt? So darf davon ausgegangen werden, dass es bei mehr als acht Arzneimitteln nur die Wenigsten schaffen, ihren Medikationsplan korrekt umzusetzen. Komplexe Arzneimittelregime und nachlässige Aufklärung über Vorsichtsmaßnahmen und Verhalten bei Nebenwirkungen belasten zusätzlich die Adhärenz.

Wissen wir immer, wann ein Off-label-Einsatz gerechtfertigt ist? Auch wenn bei den meisten Patienten in der Palliativ­medizin von einer begrenzten Lebenszeit auszugehen ist und Langzeitfolgen eher nicht zu erwarten sind, so sollte der Einsatz von Arzneimitteln doch zielgerichtet und ihrer Indikation entsprechend erfolgen. Dennoch kann es, wenn das Fortschreiten der Erkrankung dies erfordert, in begründeten Situationen notwendig sein, unkonventionelle Behandlungen oder Applikationswege zu wählen. Zudem ist für bestimmte Indikationen laut Leitlinien sogar ein Off-label-Einsatz gefordert, so z. B. für Morphin bei Luftnot. Dann sollte man sich des Tuns außerhalb der Zulassung aber bewusst sein.

Wissen wir genügend um die Nebenwirkungen und Interaktionen unserer Arzneimitteltherapie? Ist uns bewusst, dass wir mit der Kombination von Wirkstoffen mit anticholinerger Nebenwirkung das Risiko für delirante Zustände erhöhen? Die teils große Zahl von Wirkstoffen führt darüber hinaus zu einer schier unübersichtlichen Zahl möglicher Interaktionen in der Konkurrenz um Transportproteine oder Stoffwechselwege, z. B. des Cytochrom-P450-Systems, durch welches eine Vielzahl palliativmedizinisch eingesetzter Wirkstoffe metabolisiert wird. In der Ausbildung zum Arzt spielt Pharmakologie eher eine untergeordnete Rolle, sodass Ärzte diesbezüglich zumeist überfordert sind und hier dringend auf die Expertise von Apothekern angewiesen sind.

Die Zahl an Fragen zeigt die Bedeutung einer kompetenten pharmazeutischen Therapiebegleitung. Denn es reicht nicht, Probleme, Nebenwirkungspotenztial oder Interaktionen zu identifizieren. Genauso wichtig ist die Einordnung und Bewertung ihrer Relevanz in der aktuell gegebenen Situation. Dies kann nur in enger Absprache und Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker gelingen.

Daher hat es uns sehr gefreut, dass uns Pharmaziestudierende der Universität Bonn im Rahmen ihres Wahlpflichtfachs „Pharmazeutische Betreuung“ eine Woche auf unserer Palliativstation begleitet und beraten haben. Im Wahlpflichtfach führen die Studierenden des achten Semesters bei Patienten im realen Versorgungsalltag eine umfassende Medikationsanalyse durch, um vorhandene arzneimittelbezogene Probleme zu erkennen und diese gemeinsam mit Patient und Arzt zu lösen. Anhand des folgenden Patientenfalls soll die pharmazeutische Therapiebegleitung auf der Palliativstation veranschaulicht werden.

Pharmazeutische Betreuung einer Palliativpatientin

Auf der Palliativstation begegnete uns die 93-jährige Patientin Frau Weinbrenner, bei der eine Adhäsiolyse des 6. Briden­ileus im aktuellen Jahr, eine defekt geheilte Mastoiditis mit fehlender Möglichkeit zum Druckausgleich auf Mittelohr­ebene und eine Osteoporose mit Hüft-Totalendoprothese bekannt war (siehe Kästen).

Bridenileus

Bindegewebige Verwachsungsstränge, sogenannte Briden, schnüren den Dünndarm von außen ab. Stenosen oder ein Darmverschluss (Bridenileus) sind die Folge [1]

Frau Weinbrenner wurde wegen Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Schwäche, Übelkeit sowie zeitweiser Inappetenz aus dem betreuten Wohnen auf die Palliativsta­tion aufgenommen. Sie litt unter einer invasiv wachsenden Raumforderung des Pankreas von unklarer Dignität, die vor fünf Jahren erstmalig diagnostiziert wurde. Des Weiteren war sie an arterieller Hypertonie, koronarer Herzkrankheit (KHK), Polyneuropathie und chronischem Schwindel/­Benommenheit erkrankt, und sie besaß einen Herzschrittmacher.

Mastoiditis

Eine Mastoiditis kann als Folge einer schlecht oder nicht heilenden akuten Mittelohrentzündung auftreten. Es handelt sich um eine Entzündung des Warzenfortsatzes (Mastoid), einem hinter dem Ohr als Wulst tastbarer Teil des Schädelknochens. Dabei handelt es sich um keine kompakte, sondern um eine mit vielen kleinen belüfteten Hohlräumen durchsetzte Knochenstruktur. Diese Hohlräume sind mit einer Schleimhaut ausgekleidet. Unter einer Mastoiditis versteht man die Entzündung der Schleimhäute und des Knochens des Warzenfortsatzes[1].

Die Patientin verfügte noch über ausreichende kognitive Fähigkeiten, die die selbstständige Einnahme der Arzneimittel aus dem Medikamentendosett zuließen. Eine Übersicht der Medikation während des stationären Aufenthaltes von insgesamt 13 Tagen befindet sich in Tabelle 1.

Tab. 1: Medikation der Patientin während des stationären Aufenthaltes
Indikation
Arzneimittel und Stärke
Einnahmeschema*
Schmerzen
Buprenorphin 15 µg/h Pflaster
Pflasterwechsel alle 7 Tage
Metamizol 500 mg/ml Tropfen
30° – 30° – 30° – 30° – 30°
Hydromorphon 1,3 mg Kapseln
Bedarfsmedikation
Obstipation
Movicol® 13,7 g Beutel
0 – 1 – 0 – 0 – 0
Übelkeit
Metoclopramid 10 mg Tabletten
1 – 0 – 1 – 0 – 1
Ondansetron 8 mg Schmelztabletten
BedarfsmedikationBedarf an Tag 4 und Tag 12
Inappetenz
Dexamethason 4 mg Tabletten
0 – ½ – 0 – 0 – 0
Maldigestion
Kreon® 25.000 Kapseln mit magensaftresistenten Pellets
0 – 1 – 1 – 1 – 0
Prophylaxe eines Magenulcus
Pantoprazol 40 mg magensaftresistente Tabletten
0 – 1 – 0 – 0 – 0
Schlafstörungen
Flunitrazepam 1 mg Tabletten
Bedarfsmedikation
Unruhe/Angst
Promethazin 22,6 mg/ml Tropfen
Bedarfsmedikation(auf Patientenwunsch)Bedarf an Tag 1
Koronare Herzkrankheit
Ivabradin 5 mg Tabletten
0 – 0 – 1 – 0 – 0
Arterielle Hypertonie
Valsartan 160 mg Tabletten
0 – 1 – 0 – 1 – 0

* Einnahmezeitpunkte: 6.30 Uhr – 10.30 Uhr – 14.30 Uhr – 18.30 Uhr – 22:30 Uhr; Tag 1: Tag der stationären Aufnahme

Im Kontext der Palliativmedizin liegt der Fokus der medikamentösen Behandlung auf der Linderung akut belastender Symptome, die die Lebensqualität der Patienten erheblich einschränken können. Ob die Therapie weiterer Begleiterkrankungen fortgeführt werden sollte, obliegt einer entsprechenden Nutzen/Risiko-Bewertung.

Im Folgenden wird die Arzneimitteltherapie von Frau Weinbrenner im Hinblick auf belastende Symptome aus pharmazeutischer Sicht systematisch bewertet.

Schmerz

Frau Weinbrenner litt unter Druckschmerzen der Raumforderung im Bauchraum. Gemäß S3-Leitlinie Palliativmedizin stellt Metamizol als Nicht-Opioidanalgetikum die Basis entsprechend Stufe 1 dar (siehe Abbildung 1). Da unter Stufe 1 keine ausreichende Schmerzreduktion erreicht werden konnte, wurde bereits bei einem vorherigen stationären Aufenthalt Buprenorphin als starkes Opioidanalgetikum der Stufe 3 angesetzt. Generell kann die Dosistitration bei Therapieeinleitung mit schnell freisetzendem oralen Morphin alle vier Stunden beginnen. Bei bestehender Schmerzfreiheit kann anschließend der Wechsel zu langsam freisetzendem oralem Morphin erfolgen [2]. Um die Tablettenlast zu senken und die Adhärenz zu fördern, entschied man sich bei Frau Weinbrenner für den Einsatz eines transdermalen Pflasters.

Abb. 1: Stufenplan zur Tumorschmerztherapie in der Palliativmedizin [nach 2]

Da die Patientin weiterhin Schmerzen beschrieb, jedoch keine Dosiserhöhung des transdermalen Pflasters wünschte, wurde bei gleichbleibendem Dosierungsintervall die Einzeldosis von Metamizol an Tag 3 des stationären Aufenthaltes von 500 mg (20 Tropfen) auf 750 mg (30 Tropfen) erhöht. Es wird die maximal empfohlene Tagesdosis der Tropfen von 3000 mg überschritten, das empfohlene Dosierungsintervall von sechs bis acht Stunden ist verkürzt [3]. Der aktive Metabolit des Metamizols weist eine Plasmahalbwertszeit von zwei bis fünf Stunden auf und die analgetische Wirkdauer beträgt vier Stunden [4, 5]. Daher ist es in der Palliativmedizin sinnvoll, ein Dosierungsintervall von vier Stunden zu wählen. Es lässt sich also festhalten, dass die Schmerztherapie leitliniengerecht erfolgte, jedoch partiell außerhalb der allgemein empfohlenen Dosierungsanweisung. Frau Weinbrenner war gut symptomkontrolliert, sodass es keinerlei weiterer Anpassung bedurfte.

Übelkeit/Inappetenz

Während des stationären Aufenthaltes klagte Frau Weinbrenner zunehmend über Übelkeit und Inappetenz, was letztendlich zum Einstellen der Nahrungsaufnahme ab Tag 13 führte. Die Patientin entschied in Absprache mit dem behandelnden Arzt, Kreon® nur noch entsprechend ihrer Nahrungsaufnahme einzunehmen. Dies entspricht der allgemein empfohlenen Dosierungsanweisung, da Pankreasenzyme abhängig vom Fettgehalt der Nahrung und des Körpergewichtes sowie der Schwere der Maldigestion substituiert werden [6].

Zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen mit gastrointestinaler Ursache kann laut Stufenschema in Stufe 1 Metoclo­pramid eingesetzt werden (s. Abb. 2) [7]. Metoclopramid zählt zu den fünfzehn am häufigsten eingesetzten Arzneimitteln in der Palliativmedizin in Deutschland, wobei Antiemetika generell zu den zehn am häufigsten eingesetzten Arzneistoffgruppen gehören [8]. Aufgrund der besonderen palliativmedizinischen Situation wurde bei Frau Weinbrenner die maximal empfohlene Therapiedauer von fünf Tagen überschritten [9]. Die US Food and Drug Administration (FDA) empfiehlt bei der Anwendung einen Zeitraum von zwölf Wochen nicht zu überschreiten, um extrapyramidale Beschwerden, wie z. B. Spätdyskinesien, zu vermeiden [10]. Somit ist eine Überwachung der Patientin zu empfehlen, damit beim Auftreten erster Anzeichen einer Spätdyskinesie, die darüber hinaus mit einem erhöhten Sturzrisiko verbunden ist, die Therapie mit Metoclopramid beendet werden kann.

Abb. 2: Stufenschema zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen in der Palliativmedizin [nach 7] 5-HT3-Ant­agonisten = Serotonin-Rezeptorantagonisten

Sofern die Therapie mit anderen Antiemetika der Stufe 1 keinen Erfolg zeigt, kann ergänzend dazu in Stufe 2 ein 5-HT3-Antagonist gegeben werden [7]. Als Bedarfsmedika­tion wurde bei Frau Weinbrenner Ondansetron bereitgestellt, das innerhalb der Palliativmedizin außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches verwendet wird (Off-label-Einsatz) [11]. Diese Bedarfsmedikation nahm sie in den Nächten von Tag 4 und Tag 12 in Anspruch.

Zusätzlich kann in der Palliativmedizin bei bestehender Inappetenz ein Therapieversuch mit Dexamethason in niedriger Dosierung erfolgen (Off-label-Einsatz) [12, 13]. Bei der Patientin zeigte Dexamethason jedoch keinen deutlichen Einfluss auf die Inappetenz. Der nahende Tod und die psychische Situation aufgrund der bevorstehenden Entlassung ins Hospiz spielten bei dieser Symptomatik als verstärkende Faktoren eine große Rolle.

Bei psychischbedingter Übelkeit kann Lorazepam eingesetzt werden [7]. Frau Weinbrenner erhielt Lorazepam bereits bei einem vorherigen Aufenthalt auf der Palliativstation und fühlte sich dadurch stark kognitiv eingeschränkt. Daher lehnte sie eine erneute Einnahme von Lorazepam ab. Im Gespräch mit dem behandelnden Arzt entschied sie sich für eine Bedarfsmedikation mit Promethazin in geringer Dosierung, sollte sich ihre psychische Situation verschlimmern.

Da Übelkeit und Inappetenz vor dem Bekanntwerden der geplanten Entlassung ins Hospiz stets gut kontrolliert waren, ist es naheliegend, dass die Übelkeit bei der Patientin vermutlich psychisch begründet war. Daher wurde in die bestehende Medikation nicht eingegriffen.

Obstipation

Entsprechend der S3-Leitlinie Palliativmedizin soll mit einer prophylaktischen Laxanzienbehandlung unter Opioidtherapie begonnen und diese je nach Bedarf fortgeführt werden. Bei opioidbedingter Obstipation bestehen zwischen den einzelnen Laxanzien keine Evidenzunterschiede, welche die bevorzugte Auswahl eines bestimmten Laxans begründen würden [2]. Im Fall von Frau Weinbrenner beruhte die Auswahl des Laxans Movicol® auf der guten Verträglichkeit. Sie nahm morgens einen Beutel ein und bei Bedarf abends einen weiteren Beutel. Die Therapie entsprach dabei Stufe 1 des Stufenschemas (s. Abb. 3) [2].

Abb. 3: Stufenschema zur Therapie der Obstipation in der Palliativmedizin [nach 2]

Der regelmäßige Stuhlgang wurde von Frau Weinbrenner kontrolliert und die wiederholte Einnahme abends erfolgte bei fehlendem Stuhlgang ohne Komplikationen. Laut Stufenschema kann Stufe 1 zusätzlich durch physiotherapeutische Maßnahmen, wie z. B. eine Kolonmassage, unterstützt werden. Einläufe und rektale Entleerungshilfen sollten jedoch erst in Stufe 4 und nach individueller Nutzen/Risiko-Abwägung Anwendung finden [2].

Unruhe/Angst und Schlafstörungen

Frau Weinbrenner erhielt sowohl Flunitrazepam bei Schlafstörungen als auch Promethazin bei Unruhe/Angst als Bedarfsmedikation.

Flunitrazepam wird auf der Priscus-Liste mit der Einstufung „sicher potenziell inadäquat für ältere Patienten“ aufgeführt. Da die Patientin mit einem Alter von 93 Jahren der Zielgruppe entspricht, wird eine Umstellung auf eine kürzer wirksame Substanz, wie Zolpidem (≤ 5 mg/d), empfohlen. Wenn Flunitrazepam trotzdem verwendet wird, sollte eine ausreichende Überwachung der Verträglichkeit (Gangsicherheit, Kognition, Vigilanz und Herz-Kreislauf-Funktion) stattfinden [14]. Auch im Hinblick auf die zu hohe Dosierung von Flunitrazepam mit 1 mg pro Tag für ältere Patienten empfiehlt es sich, auf Zolpidem umzustellen [15]. Des Weiteren besteht eine Interaktion zwischen Flunitrazepam und dem Opioidanalgetikum Buprenorphin. Dadurch kann es zum erhöhten Risiko einer verstärkten und verlängerten Atemdepression kommen. Die gleich­zeitige Anwendung wird nicht empfohlen. Da Zolpidem mit Buprenorphin zu der gleichen Interaktion führt, bleibt diese auch bei Umstellung von Flunitrazepam auf Zolpidem aufgrund der Empfehlung der Priscus-Liste relevant [16]. Da Flunitrazepam als Bedarfsmedikation von der Patientin bis zur Entlassung ins Hospiz nie eingesetzt wurde, wurde das Risiko hier als gering eingestuft. Des Weiteren wurde Buprenorphin in einer geringen Dosierung und als transdermales Pflaster verabreicht, was durch die niedrigeren und gleichmäßigeren Plasmakonzentrationen die Gefahr einer Atemdepression zusätzlich verminderte [16].

Promethazin wurde als Bedarfsmedikation bei Unruhe- und/oder Angstzuständen mit einer Dosierung von 5 mg, die weit unterhalb der empfohlenen maximalen Tagesdosis von 50 mg bei älteren Patienten liegt, angewendet [17]. Auswahl von Wirkstoff und Dosierung erfolgten durch Frau Weinbrenner in Absprache mit dem Arzt, da sie bei der Einnahme von Lorazepam kognitive Einschränkungen befürchtete. Daher lehnte sie generell andere Wirkstoffe zur Beruhigung ab.Das Neuroleptikum Promethazin hat wie Metoclopramid Dopamin-antagonistische Eigenschaften, sodass das ohnehin vorhandene Risiko für extrapyramidale Nebenwirkungen unter Promethazin verstärkt werden kann [18]. Diese Interaktion war dem Arzt bekannt, dennoch ließ er Frau Weinbrenner die Freiheit, Promethazin einzunehmen. Durch die geringe Dosierung von Promethazin und durch die äußerst seltene Anwendung wurde die Gefahr der Nebenwirkung toleriert.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Bei der Patientin wurde vor einigen Jahren eine KHK dia­gnostiziert. Des Weiteren ist Frau Weinbrenner Hypertonikerin. Bei stabiler KHK werden laut Nationaler Versorgungsleitlinie Chronische KHK ein Thrombozytenaggregationshemmer, ein Lipidsenker und bei eingeschränkter systolischer linksventrikulärer Funktion ein ACE-Hemmer/AT1-Rezeptor-Antagonist empfohlen, um die kardiovasku­läre Morbidität und Letalität zu reduzieren [19].

Frau Weinbrenner nahm lediglich den AT1-Rezeptor-Antagonisten Valsartan weiterhin zur Blutdrucksenkung ein. Die übrigen präventiven Arzneimittel wurden bereits vor Beginn der stationären Aufnahme abgesetzt, um die Tablettenlast zu reduzieren.

Um zusätzlich die Herzfrequenz zu reduzieren, wurde Iva­bradin eingesetzt. Die Verordnung ist nicht nachvollziehbar, da eine Kontraindikation bei Herzschrittmacherabhängigkeit vorliegt. Die Patientin nahm Ivabradin 5 mg einmal täglich mittags ein, anstatt wie empfohlen jeweils 5 mg morgens und abends [20]. Im palliativmedizinischen Kontext sieht man jedoch vom Absetzen oder von einer Dosisanpassung des Ivabradins ab, da Frau Weinbrenner Ivabradin als bestehende Vormedikation erhielt und keinerlei Nebenwirkungen auftraten. Eine Arrhythmie oder Ähnliches sollte nicht riskiert werden.

Ivabradin kann die QT-Zeit verlängern. Dadurch ist das Risiko einer ventrikulären Tachykardie, insbesondere in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Wirkstoffen, wie Ondansetron, Metoclopramid, Pantoprazol und Promethazin, erhöht. Die gleichzeitige Anwendung wird nicht empfohlen [21, 22]. Da Frau Weinbrenner sehr zurückhaltend mit der Einnahme der Bedarfsmedikation von Ondansetron und Promethazin war, wurde das Risiko als gering bewertet. Promethazin lag mit 5 mg weit unter der für ältere und geschwächte Patienten empfohlenen maximalen Tagesdosis von 50 mg, was das Risiko noch weiter verminderte [17]. Da Frau Weinbrenner noch weitere QT-Zeit-verlängernde Arzneimittel, wie Metoclopramid und Pantoprazol, regelmäßig einnahm, sollte auf mögliche Symptome einer QT-Zeit-Verlängerung geachtet werden. Die Maßnahmen zur Kontrolle, wie z. B. ein Elektrokardiogramm, waren jedoch beschränkt, da der Patientin keine unnötigen Untersuchungen ohne therapeutische Konsequenz zugemutet werden sollten. Symptome, die auftreten könnten und die überwacht werden sollten, sind z. B. Herzklopfen, Benommenheit und Schwindel [21].

Fazit

Eine Medikationsanalyse bei Palliativpatienten verlangt eine besondere Herangehensweise, denn aufgrund der palliativmedizinischen Situation haben viele arzneimittelbezogene Probleme einen geringeren Stellenwert als unter Normalbedingungen. Insbesondere bei der Relevanzbewertung von Interaktionen muss die intensive Betreuung und konsequente Überwachung der Patienten durch Fachpersonal auf der Palliativstation berücksichtigt werden. Zudem haben langfristige Risiken bei nahendem Lebensende eine eher untergeordnete Bedeutung. Es ist also entscheidend, bei der Medikationsanalyse in enger Absprache mit dem Arzt das pharmazeutische Handeln immer wieder nach einem Ziel auszurichten – nämlich der Symptomkontrolle.

Werden beim Patienten akute Symptome beobachtet, empfiehlt sich ein kritischer Blick auf die verabreichten Arzneimittel, um sich manifestierende Nebenwirkungen oder Interaktionen durch kontrolliertes Absetzen oder konsequenten Austausch der betroffenen Arzneimittel zu vermeiden. Es ist demnach unerlässlich, die Arzneimitteltherapie regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls zu reduzieren. Auf diese Weise gelingt es, den Patienten vor einer aus einer Verordnungskaskade hervorgegangenen unnötigen Arzneimitteltherapie zu bewahren.

Aus den gemeinsam gesammelten Erfahrungen ergänzt die pharmazeutische Betreuung in der Palliativmedizin somit gerade im Hinblick auf auftretende Probleme und Symptome die Expertise des Arztes. |

Erklärung der Autoren

Der vorgestellte Fall ist nicht unbedingt so vorgefallen, basiert aber auf Erfahrungen aus dem klinischen Alltag und könnte jederzeit so eintreten.

Literatur

[1] Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. 266. Auflage; Berlin: Walter de Gruyter GmbH; 2014

[2] Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften): S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung (Langversion), Stand: Mai 2015. www.awmf.org. Letzter Zugriff 13. Oktober 2017

[3] Fachinformation Metamizol Heumann Tropfen, Stand Oktober 2015. Verfügbar unter: www.fachinfo.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[4] Mutschler E, Geisslinger G, Krömer HK, Menzel S, Ruth P. Mutschler Arzneimittel-wirkungen. 10. Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2013

[5] Husebø S, Klaschik E. Palliativmedizin. 5. Auflage. Heidelberg: Springer Verlag; 2009

[6] Fachinformation Kreon® 25 000, Stand April 2017. Verfügbar unter: www.fachinfo.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[7] Rémi C, Hagen T. Arzneimittel in der Palliativmedizin. Schriftenreihe der Bayerischen Landesapothekerkammer Heft 84. Eschborn: Govi-Verlag; 2012

[8] Nauck F, Ostgathe C, Klaschik E, Bausewein C, Fuchs M, Lindena G, Neuwöhner K, Schulenberg D, Radbruch L. Drugs in palliative care: results from a representative survey in Germany. Palliat Med 2004;18:100-7

[9] Fachinformation MCP-ratiopharm® 10 mg, Stand August 2016. Verfügbar unter: www.fachinfo.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[10] Glare P, Miller J, Nikolova T, Tickoo R. Treating nausea and vomiting in palliative care: a review. Clin Interv Aging 2011;6:243-59

[11] Fachinformation Ondansetron B. Braun 8 mg Schmelztabletten, Stand Dezember 2015. Verfügbar unter: www.fachinfo.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[12] Vayne-Bossert P, Haywood A, Good P, Khan S, Rickett K, Hardy JR. Corticosteroids for adult patients with advanced cancer who have nausea and vomiting (not related to chemotherapy, radiotherapy, or surgery). Cochrane Database Syst Rev 2017; 7: CD012002

[13] Fachinformation Dexamethason acis® 4 mg, Stand August 2016. Verfügbar unter: www.fachinfo.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[14] Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA. PRISCUS-Liste potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen; 2011. Verfügbar unter: http://priscus.net/download/PRISCUS-Liste_PRISCUS-TP3_2011.pdf. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[15] Fachinformation Rohypnol® 1 mg, Stand Februar 2017. Verfügbar unter: www.fachinfo.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[16] ABDA-Datenbank: Interaktion Flunitrazepam, Buprenorphin. Verfügbar unter: www.dimdi.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[17] Fachinformation Atosil®, Stand Februar 2014. Verfügbar unter: www.fachinfo.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[18] ABDA-Datenbank: Interaktion Metoclopramid, Promethazin. Verfügbar unter: www.dimdi.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[19] Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK (Kurzfassung), Stand: Februar 2016. Verfügbar unter: www.awmf.org. Letzter Zugriff 6. August 2017

[20] Fachinformation Procoralan®, Stand April 2016. Verfügbar unter: www.fachinfo.de. Letzter Zugriff 23. Oktober 2017

[21] ABDA-Datenbank: Interaktion Ivabradin, Ondansetron, Promethazin. Verfügbar unter: www.dimdi.de. Letzter Zugriff: 23. Oktober 2017

[22] CredibleMeds®. QTDrugs Lists. Verfügbar unter: www.crediblemeds.org. Letzter Zugriff 21. August 2017

Autoren

Mona Hoolmann,

Studium der Pharmazie an der Universität Bonn, zurzeit erste Hälfte des Praktischen Jahres in einer Krankenhausapotheke


Thomas Zöller,

Ausbildung zum pharmazeutisch-technischen Assistenten in Siegen, Studium der Pharmazie an der Universität Bonn, zurzeit zweite Hälfte des Praktischen Jahres in der Albertus Apotheke in Bonn


Corinna Jansen,

M.Sc. Studium der Pharmazie und Masterstudium Arzneimittelforschung (Drug Research) an der Universität Bonn, Approbation als Apothekerin, zurzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Klinische Pharmazie des Pharmazeutischen Instituts der Universität Bonn

Pharmazeutisches Institut, Klinische Pharmazie, Universität Bonn

Dr. Helmut Hoffmann-Menzel,

Arzt und Apotheker, Leitender Oberarzt des Zentrums für Palliativmedizin, Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/Rhein-Sieg

Korrespondenzadresse: Dr. med. H. Hoffmann-Menzel, Facharzt für Anästhesiologie, Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin, Zentrum für Palliativmedizin, Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/Rhein-Sieg, Von-Hompesch-Straße 1, 53123 Bonn

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