Arzneimittel und Therapie

Männergrippe – Fakt oder Mythos?

Recherchen und Ratschläge eines Betroffenen sprechen für einen speziellen Krankheitsverlauf

Ist die weit verbreitete Annahme, Symptome eines grippalen Infektes seien bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen, nur eine Unterstellung oder beruht sie auf handfesten Beweisen? Ein betroffener Autor des British Medical Journal begibt sich auf die Suche nach Fakten und zieht überraschende Schlussfolgerungen.

Der Autor beginnt seine Recherche bei Tier- und Zellversuchen. Die Beobachtung, dass weibliche Mäuse eine stärkere Immunantwort zeigen als ihre männlichen Artgenossen, unterstützt die Annahme, dass Sexualhormone bei der Ausprägung der Immunität eine Rolle spielen. Dies führte zur Entwicklung der Estradiol-Theorie, die durch In-vitro-Versuche bestätigt wurde: Werden nasale humane Epithelzellen mit Influenza-A-Viren infiziert, führt der Zusatz von Estradiol oder SERMs bei Zellen aus weiblichem Gewebe zu einer Abnahme des Influenza-A-Titers, bei Zellen aus männlichem Gewebe hingegen nicht. Auch zeigen Zellen prämenopausaler Frauen eine stärkere Immunantwort auf Rhinoviren als Zellen von Männern desselben Alters oder als Zellen postmenopausaler Frauen.

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Foto: ladysuzi – stock.adobe.com
Nachgewiesen ist eine Männergrippe nicht, aber der Krankheitsverlauf ist bei Männern wirklich anders als bei Frauen.

Epidemiologische Studien bestätigen ebenfalls den Einfluss der Sexualhormone auf den Krankheitsverlauf. So liegen langjährige Daten aus Hong Kong vor, die für Männer mehr Krankenhausaufenthalte aufgrund einer Influenza-Erkrankung zeigen als für Frauen, und aus US-Studien geht eine höhere Influenza-Mortalität für Männer hervor. Zudem entwickeln Frauen eine bessere Impfantwort als Männer. Der Grund hierfür könnte in einer immunsuppressiven Wirkung von Testosteron liegen. Folgt man den Hormon-Hypothesen, geht man also von einer immunprotektiven Wirkung von Estrogen und einer immunsuppressiven Wirkung von Testosteron aus. Stimmt diese Hypothese, so drängt sich die Frage auf, warum die Evolution in diesem Fall die Frauen begünstigte. Auch darüber kann man nur Vermutungen anstellen: Ein hoher Testosteron-Spiegel war für das – entwicklungsgeschichtlich betrachtet – erforderliche aggressive Verhalten (z. B. beim Kampf) wichtiger als eine optimale Immunantwort, zumal die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann seinen Verletzungen erlag, ungleich höher war, als an einer Infektion zu sterben.

Man flu

Der Begriff „Man flu“ hat bereits Einzug in den Oxford and Cambridge Dictionary gefunden und wird dort folgendermaßen erläutert: „… an illness such as a cold that is not serious, but that the person who has it treats as more serious, usually when this person is a man”.

Ruhe und TV

Die Existenz einer Männergrippe konnte also nicht bewiesen werden. Erkrankte Männer weisen keine stärkeren Krankheitssymptome auf, sondern zeigen eine schwächere Immun­antwort, was wiederum im Vergleich mit Frauen zu einer höheren Mortalität und Morbidität führt. Der Autor rät daher seinen betroffenen Artgenossen zu ausgiebiger Bettruhe und der Inanspruchnahme tatkräftiger Unterstützung durch Angehörige. Dies könnte – so der Autor weiter – unter evolutionären Aspekten betrachtet genauso große Erfolge aufweisen wie einst der Schutz vor Raubtieren. Damit die Ruhe- und Rekonvaleszenzphasen möglichst angenehm gestaltet werden, empfiehlt sich der Aufenthalt in Räumen, die mit überdimensionalen Fernsehbildschirmen und bequemen Liegen ausgestattet sind und somit den Bedürfnissen erkrankter Männer entgegenkommen. |

Quelle

Kyle S. The science behind „man flu”. BMJ 2017;359:j5560 doi: 10.1136/bmj.j5560, 11. Dezember 2017

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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