Wirtschaft

Kein Kindergarten!

Anmerkungen zum Forschungsprojekt über das Apotheken-Honorar

Von Uwe Hüsgen | Die „Apothekenbefragung“ des Beratungsunternehmens 2hm schlägt aktuell hohe Wellen. Die Agentur hat den Auftrag, eine wissenschaftliche Grundlage für die Weiterentwicklung des Apothekenhonorars zu schaffen. Doch die Fragen, die den Apotheken gestellt werden, lassen befürchten, dass die Gutachter wichtige Grundlagen des deutschen Apothekenmarkts außer Acht lassen.

Mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) zum 01.01.2004 wurde auch die AMPreisV (auf Apothekenstufe) umgestellt. Für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel findet seitdem das sogenannte Kombimodell Anwendung (Zuschlag von 3 Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis, zuzüglich eines Festzuschlags je Packung von zunächst 8,10 Euro, ab 01.01.2013 von 8,35 Euro. Bei diesen zulasten der GKV abgegebenen Fertigarzneimitteln hat die Apotheke der Krankenkasse zudem einen Abschlag gemäß § 130 SGB V in Höhe von aktuell 1,77 Euro zu gewähren).

Die Apothekerschaft hat diese Umstellung insoweit begrüßt, als bei Rx-FAM nicht länger der Umsatz, sondern die Zahl der abgegebenen Packungen die Höhe des Rohertrages bestimmt. (Vgl. dazu auch „AMPreisV im Wandel – Grundlagen und Geschichte der Arzneimittelpreisverordnung“, DAZ 2013, Nr. 10, S. 72 und „Neue Arzneimittelpreisverordnung – Fluch oder Segen?“, DAZ 2011, Nr. 4, S. 60).

Die Verordnung hatte von Anfang an einen Konstruktionsfehler, der allerdings erst im Laufe der Jahre deutlich sichtbar wurde: Es fehlte – und fehlt! – die verbindliche Anpassungsklausel zur Fortschreibung des Festzuschlags. Zwar stand bereits 2004 in § 78 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG), das der AMPreisV zugrunde liegt:

„das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie [wird] ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Festzuschlag entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung anzupassen“; in den zurückliegenden 13 Jahren hat das BMWi aber bisher erst einmal (zum 01.01.2013) davon Gebrauch gemacht.

Wieder auf Grundlage von § 78 AMG „Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, […] der Apotheken und des Großhandels Rechnung tragen“ haben die Apotheken in den letzten Jahren verstärkt Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt, der im Ergebnis – nicht zuletzt aufgrund einer unschönen Diskussion zwischen den Beteiligten, aber wohl auch, um Zeit zu gewinnen? – jenes Forschungsprojekt ausgeschrieben hat, für das jetzt die Apotheken befragt werden (s. „Viele Fragen – schwierige Antworten“, S. 26 dieser DAZ) – und dessen zentraler Untersuchungsgegenstand das Kombimodell ist, das aber auch darüber hinausgehende Elemente der AMPreisV umfasst).

Bisherige Aktivitäten

Anfang April 2016 hat die Mainzer Unternehmensberatung 2hm Associates die Arbeit zu diesem Projekt aufgenommen, nachdem es die Ausschreibung des BMWi gewonnen hatte. In diesem Zusammenhang hat das Unternehmen frühzeitig angekündigt, dass es vorhandene Daten zum Apothekenmarkt auswerten werde. Dabei hat es offensichtlich zunächst auf angeforderte Apotheken-Daten der Institutionen, die im Projektbeirat vertreten sind (ABDA, BMG, GKV-Spitzenverband, PKV-Verband und Statistisches Bundesamt [destatis]), zurückgegriffen und diese ausgewertet.

Angekündigt hatte 2hm aber auch frühzeitig, dass es ggf. zusätzliche eigene Daten zur Kostenstruktur der Apotheken erheben wolle, da die bisher verfügbaren Daten keine verlässlichen Aussagen über die Unterschiede nach Regionen, Standorten und Wirtschaftlichkeit zuließen. Und aktuell akquiriert 2hm nach Aussagen und in Abstimmung mit dem BMWi mehr als 10.000 Teilnehmer mit seiner Umfrage, die in weiten Teilen des Berufsstandes für Irritationen sorgt.

Um es vorwegzunehmen – und an späterer Stelle noch ausführlich zu begründen: Diese Umfrage hat eklatante Schwächen!

Bewertung des bisherigen Ablaufs

Nur: Was wäre ein solches Gutachten ohne Befragung der Beteiligten wert? Ist eine Umfrage von möglichst vielen Betroffenen nicht gerade wissenschaftlicher Standard? Und da eine solche Umfrage vorher öffentlich in Aussicht gestellt worden ist, stellt sich die Frage, ob man im Rahmen oder am Rande von Sitzungen des Projektbeirats einen gewissen Einfluss auf die Fragestellung hätte nehmen können? Oder war 2hm an dieser Stelle „beratungsresistent“? Und wenn jetzt einige Fragen vermuten lassen, dass sich die Mitarbeiter von 2hm nicht intensiv genug mit den Abläufen in den Apotheken befasst haben, stellt sich die weitere Frage, ob es ggf. ein wenig an Input von denjenigen gefehlt hat, die es hätten besser wissen müssen?

Anmerkungen zur Umfrage

Das Projekt „Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelten Preise“ ist kein Kindergarten! Hier geht es um die wirtschaftliche Zukunft einer Vielzahl von Apotheken, um die wirtschaftliche Existenz vieler Inhaber und deren Mitarbeiter – und, das ist von zumindest ebenso großer Bedeutung, um die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Zukunft!

Und da setzt die Kritik an der Umfrage an. Die Autoren sehen die Apotheke offensichtlich als Unternehmen, das (allein) den klassischen Regeln der Marktwirtschaft zu folgen hat.

Einige der in der Umfrage angesprochenen Themen zur Honorierung sind bereits anlässlich der Wirtschafts-Interpharm 2014 in Hamburg angesprochen worden (Dr. Reinhard Herzog zum „Medikationsmanagement“; Dr. Thomas Müller-Bohn zu „Rezepturen“ und der Autor zu „Betäubungs-Fertigarzneimitteln“, s. DAZ 2014, Nr. 15, ab S. 54). Und in der politischen Diskussion anlässlich dieser zuvor genannten Veranstaltung in Hamburg hat der stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, M. von Stackelberg, im Beisein der SPD-Abgeordneten S. Dittmar, die Apotheker aufgefordert, „eine detaillierte Beschreibung ihrer Leistungen [zu] liefern, um daran künftig ihre Kostenentwicklung [und daraus abgeleitet ihre Honoraransprüche] zu demonstrieren.“ (s. DAZ 2014, Nr. 14, S. 61).

Soweit also nichts bemerkenswert Neues zu den Inhalten dieser Umfrage von 2hm.

Defizite der Umfrage

Aber: Die Funktion und Bedeutung der Apotheke, die sich im gesetzlich postulierten Versorgungs-Anspruch der Bevölkerung niederschlagen (vgl. § 1 Abs. 1 ApoG), finden in der vorliegenden Umfrage so gut wie keinen Niederschlag. Auch der ordnungspolitische Rahmen, in den das deutsche Gesundheitssystem eingebettet ist, wird – so jedenfalls der vermittelte Eindruck – nicht berücksichtigt. (Was zu befürchten war, wenn selbst manche „gestandene Gesundheitspolitiker“ mittlerweile ordnungspolitische Grundsätze einschränkungslos dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterordnen!)

Stichwortartig seien hier einige Themenfelder (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) genannt, die integraler Bestandteil der Umfrage hätten sein müssen:

  • Fort- und Weiterbildung (von Kongressen über Seminare bis zu wissenschaftlichen Beiträgen in der Fachpresse), denn in der Apotheke darf jeder Patient zu Arzneimitteln von jedem pharmazeutischen Mitarbeiter „Wissen auf neuestem Stand“ erwarten;
  • Beziehungen zu Krankenkassen (von der Genehmigung zur Belieferung bis zum Einspruch der Retaxation);
  • Kooperation mit den Verordnern. Gemäß § 20 Abs. 1 ApBetrO müssen auch die zur Ausübung der Heilkunde, Zahnheilkunde oder Tierheilkunde berechtigten Personen durch pharmazeutische Mitarbeiter hinreichend über Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte informiert und beraten werden (beispielhaft seien hier nicht zweifelsfrei ausgestellte Verordnungen über rabattbegünstigte Arzneimittel und BtM genannt. Nicht selten suchen Apothekenmitarbeiter die Arztpraxis auf, um für eingeschränkt bewegungsfähige Patienten die Rezepte ergänzen oder neu ausstellen zu lassen);
  • „soziale Kompetenz“ (der Apotheke, mit Blick auf die Patienten / die Bevölkerung). Die Versorgung von (Bewohnern in) Altenheimen und die Botenzustellung gehören u. a. zu den Dienstleistungen in Apotheken, die – abseits von rein merkantilen Interessen – auch eine gewisse soziale Verantwortung widerspiegeln. Gerade vor dem Hintergrund, dass zu befürchten steht, dass die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung auf dem Land schwieriger wird, dürften solche Aspekte in der Umfrage an sich nicht fehlen. Und nicht zuletzt aufgrund der Auswirkungen der Agenda 2010 wird die Apotheke immer öfter und gerade für ältere Menschen zur ersten Anlaufstelle in vielen sozialen Fragen, außerhalb der Abgabe von und Beratung zu Arzneimitteln. Durch diese – unentgeltlich erbrachte – „Dienst-Leistung“ werden viele Behörden (auch kostenmäßig) entlastet – und viel Leid der betroffenen Menschen gelindert. In den Augen reiner Marktwirtschaftler mag das ein Marketinginstrument von Apotheken sein, das ihnen Umsatz und Ertrag verspricht; für viele ihrem Beruf verpflichtete Apothekenmitarbeiter gehören solche sozialen Dienst-Leistungen aber zum unverzichtbaren Angebot der ihnen anvertrauten Patienten.

Fazit

Die Unternehmensberatung 2hm ist vom BMWi beauftragt worden, eine Analyse zur AMPreisV vorzunehmen. Das bisherige Vorgehen entspricht, soweit dies von außen zu beurteilen ist, bewährtem Standard. Dass die jetzt gestartete Umfrage Mängel aufweist, dürfte unbestritten sein. Bleibt zu hoffen, dass 2hm diese Defizite erkennt – und behebt. Das kann zugleich als Aufforderung an den Berufsstand verstanden werden, die weitere Arbeit von 2hm kritisch zu begleiten – und sich bereits heute für den Tag der Veröffentlichung der Ergebnisse konstruktiv kritisch zu wappnen. |

Autor

Uwe Hüsgen war lange Jahre Geschäftsführer des Apothekerverbands Nordrhein. Heute ist er u. a. als Autor tätig.

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