Zahngesundheit

Wenn heiß und kalt schmerzt

Ursachen und Hilfen bei empfindlichen Zähnen

Von Rainer Hahn | Zahnabnutzungen können in verschiedenen Formen und bedingt durch unterschiedliche Ursachen auftreten. Die falsche Putztechnik kann ebenso verantwortlich sein wie eine ungünstige Ernährung und nächtliches Zähneknirschen.

Empfindliche Zahnhälse sind weit verbreitet. Schätzungsweise sind etwa 40% aller Erwachsenen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr betroffen. Durch Zahnfleischrückgang und/oder Verschleißerscheinungen kommt es zu freiliegenden Zahnhälsen oder Wurzel­oberflächen. Der Zahn hat in diesem Bereich viele (Dentin-)Kanälchen, in die vom Zahninneren Nervenfortsätze einstrahlen, die mit Flüssigkeit umgeben sind. Durch thermische (vor allem Kälte) oder osmotische (süß/sauer) Reize kann es zur Bewegung dieser Flüssigkeitssäule in den Dentin-Kanälchen kommen, was teilweise heftige, kurz anhaltende, einschießende Schmerzen auf diese Reize verursachen kann.

Einkerbungen gehen tief

Keilförmige Defekte betreffen den Zahnhalsbereich, häufiger im Außen- als im Innenbereich und sind primär im Zahnschmelz am Zahnhals lokalisiert (siehe Abb. 1). Die „Einkerbungen“ gehen oft bis in die Tiefe des Zahnbeins und zeigen Rillen oder Schleifspuren. Ursächlich ist eine mechanisch-abrasive Abnutzung durch falsche Putztechnik (z. B. horizontales Schrubben, zu hoher Anpressdruck der Zahnbürste). In manchen Fällen überlagern sich funktionelle Überlastungen der Zähne durch zu starke Zahnkontakte (z. B. Zähneknirschen).

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Abb. 1: Keilförmiger Defekt

Keilförmigen Defekten beugt man am besten vor durch eine nicht zu abrasive Zahncreme. Das Ausmaß zeigt der RDA-Wert (Radioactive Dentin Abrasion) an: Je kleiner er ist, desto schonender ist die Zahncreme. Für die regelmäßige Zahnreinigung sollte der RDA-Wert jedoch nicht zu niedrig sein, um eine ausreichende Putzwirkung zu erzielen. Empfohlen wird ein RDA-Wert zwischen 50 und 70 (z. B. Apa Care, aminomed, Aronal forte) und das Putzen mit einer mittelharten (elektrischen) Zahnbürste. Bei der Putztechnik sollte man „Schrubb-Bewegungen“ vermeiden und die Zahnbürste nicht zu fest andrücken. Bei einem richtig gewählten Anpressdruck wird das Zahnfleisch unter der Zahnbürste gerade eben weißlich. Bestehende keilförmige Defekte können in der Regel lange Zeit belassen werden. Zahnfüllungen oder Überkronungen sind nur dann erforderlich, wenn die Defekte voranschreiten und Bruchgefahr des Zahns besteht, Zahnnerven freigelegt werden oder die Zähne anhaltend ­kälteempfindlich sind.

Attritionen durch Knirschen

Zähneknirschen ist ein durch die Evolution im Nervensystem tief verankertes Element der Verarbeitung von Anspannung und Stress. Es kann aber zu Verschleißeffekten führen, sogenannte Attritionen, die als scharfkantige Ausbrüche und Mikrofrakturen vor allem an Zahnkanten im Bereich der Kau­flächen und der Schneidekanten zu ­sehen sind (siehe Abb. 2). Nicht selten beschleunigen sehr harte Zahnersatzwerkstoffe (z. B. Oxidkeramiken) die Attrition. Zähneknirschen kann durch zahnärztliche Behandlung in der Regel nicht kausal behandelt werden. Es empfiehlt sich die Anfertigung weicher Verschleißschutz-Zahnschienen durch den Zahnarzt, die in der Regel nachts getragen werden. Zusätzlich werden individuelle Arten der Entspannung empfohlen.

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Abb. 2: Attrition

Abrasionen der Kauflächen

Sogenannte Abrasionen erscheinen in der Regel als flächige Abnutzungen der Zähne im Kauflächenbereich und lassen sich auf drei Medien Verschleißvorgänge zurückführen, bei ­denen zwischen den Zähnen abrasiver Speisebrei (z. B. Hirsebrei, Vollkornprodukte) oder gewohnheitsmäßig Gegenstände gekaut werden. Dieses Phänomen allein führt selten zur extensiven Zahnabnutzung. In Verbindung mit den nachfolgend beschriebenen Säureerosionen können die Verschleißerscheinungen in kurzer Zeit jedoch weit fortschreiten. Als Spät­folgen können Bisssenkungen oder Kiefergelenksbeschwerden auftreten, die nicht selten umfangreiche Sanierungsbehandlungen erforderlich machen. Es empfiehlt sich daher eine frühzeitige zahnärztliche Abklärung und Ernährungsberatung.

Säure fördert Erosionen

Zahnerosionen entstehen in der Regel durch direkte Säureeinwirkung auf die Zahnoberfläche, meist den Zahnschmelz, der in besonders schwerwiegenden Fällen vollständig aufgelöst werden kann. Magensäure (z. B. durch Reflux, Bulimie) kann zu erosiven Schmelzdefekten im Bereich der Zungenseite, vornehmlich der Backenzähne, führen (siehe Abb. 3). Fruchtsäuren, saure Nahrungsmittel (Essig etc.) oder Getränke (z. B. Cola, Weißwein) betreffen die Frontzähne und die Kauflächen. Säureerosionen erscheinen als runde, glatte Verschleißformen und enden in der Regel präzise an den Zahnfleischrändern. Nicht selten fühlen sich die betroffenen Zähne nach dem Essen für einige Zeit stumpf an.

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Abb. 3: Erosion

Direkt nach dem Genuss saurer Speisen und Getränke sollte auf das Zähneputzen verzichtet werden (Karenzzeit mindestens eine Stunde!). Wer beispielsweise morgens ein Glas frischen Orangensaft oder abends ein Glas Wein trinken möchte, verzichtet am besten auf das anschließende Zähneputzen und putzt vorher gründlich seine Zähne.

Zahnmissbildungen

Ähnlich in der Erscheinungsform, aber grundsätzlich zu unterscheiden sind entwicklungsbedingte Zahnmissbildungen, deren Häufigkeit zuzunehmen scheint. Ursächlich können neben genetisch bedingten Fehlbildungen und Anomalien vor allem Umwelteinflüsse, Infektionen, unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln oder Traumata sein.

In vielen Fällen sind die Frontzähne und die ersten Molaren im Seitenzahnbereich betroffen. Sind ein oder mehrere Milchzähne oder bleibende Zähne mit dem Durchtritt in Zahnform, Oberflächenstruktur (Rillen oder Defekte) oder Farbe (braune oder weiße Flecken) verändert, sollte zeitnah fachlicher Rat beim Zahnarzt eingeholt werden.

Vorsicht empfiehlt sich auch im Kleinkindalter (erstes Lebensjahr) bei der Anwendung von Fluorid-Tabletten oder Fluorid-Kombinationspräparaten, um in Verbindung mit modernen fluoridhaltigen Kinderzahncremes nicht in den Bereich von Überdosierungen zu kommen, was zur Dentalfluorose (weißliche selten bräunliche Schmelzflecken bis hin zu Schmelzdefekten) führen kann.

Erste Hilfe bei empfindlichen Zähnen

Was kann man selbst tun?

Zunächst ist es wichtig, die ursächlichen Faktoren für empfindliche Zähne auszuschließen. Saure Ernährung/Getränke, falsche Putztechnik oder die Verwendung von stark abrasiven oder aufhellenden Zahnpasten sollten vermieden werden. Effektiv ist die Versiegelung der ursächlichen offenen Dentin-Kanälchen durch versiegelnde Zahnpasten (z. B. Apa Care Zahnpasta, Desensin® repair) oder Reparatur-Pasten/Gelen (z. B. elmex® sensitiv Professional™ Repair & Prevent Zahnpasta, Apa Care & Repair Intensiv Reparatur) nach dem Zähneputzen. Diese enthalten mikrofeine Zahnschmelzkristalle, die tief in die Kanälchen eindringen und dort mit dem Zahn verschmelzen. In schweren Fällen empfiehlt sich die Verwendung dieser Pasten in Verbindung mit Zahnschienen, die am besten über Nacht getragen werden.

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Was kann der Zahnarzt tun?

Zahnärzte können die ursächlich offenen Dentin-Kanälchen professionell versiegeln. Dazu gibt es ein breites Spektrum an Versiegelungsmaterialien vom Kunststoffkleber (Komposit) bis hin zum flüssigen Zahnschmelzlack, die je nach individueller Situation auf die betroffenen Zahnhälse aufgetragen und in der Regel gehärtet werden. Nur in seltenen Fällen sind Zahnhalsfüllungen oder Über­kronungen erforderlich.

Was tun, wenn nichts hilft?

Starke Kälteempfindlichkeiten können auch beginnende Anzeichen von rever­siblen oder irreversiblen Zahnnerventzündungen sein. Diese können in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zementieren neuen Zahnersatzes oder bei undichten Füllungen, Kronen oder Brücken bzw. bei Zahnkaries auftreten. Im Gegensatz zu Überempfindlichkeitsreaktionen halten die Kälteschmerzen in diesen Fällen lange an oder gehen mit ausstrahlenden Schmerzen auf Warmreize einher. Nicht selten kommt es zu Nachtschmerzen und die schmerzende Region beginnt auszustrahlen. Diese Symptome müssen unverzüglich zahnärztlich abgeklärt und beispiels­weise mit einer Wurzelkanalbehandlung therapiert werden.

Besteht Verlustgefahr?

Überempfindlichkeiten können die Lebensqualität bei starker Ausprägung zwar stark beeinträchtigen, korrelieren jedoch mit einer vitalen Zahn­pulpa (intakter Zahnnerv). Zähne mit Überempfindlichkeitsreaktionen zeigen keine höheren Verlustquoten als vergleichbare unempfindliche Zähne. Die Behandlung leitet sich folglich aus dem individuellen Leidensdruck des Betroffenen ab. In vielen Fällen verschwinden die Überempfindlichkeiten im Zeitraum von Wochen oder Monaten von ganz allein. |

Autor

Univ.-Prof. Dr. Rainer Hahn, Tübingen, ist Leiter der Abteilung für zahnärztliche Prävention an der Danube Private University in Krems, praktiziert in eigener Klinik in Tübingen, leitet seit 1997 die Fortbildungsakademie DentalSchool.

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