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Wirtschaft
Der Fluch der guten Tat
Wie freiwillige Zusatzleistungen zur betrieblichen Übung werden
Verpflichtende Zusatzleistungen zugunsten der Arbeitnehmer können bereits durch ein regelmäßig sich wiederholendes Verhalten des Arbeitgebers oder sein vorbehaltloses Hinnehmen von Verhaltensweisen der Arbeitnehmer entstehen. Das wird „betriebliche Übung“ genannt. Über einen längeren Zeitraum entwickelt sich so eine Pflicht für den Arbeitgeber, dass er diese Leistungen oder Vergünstigungen auch zukünftig erfüllen muss. Die betriebliche Übung kann sogar Regelungen des Arbeits- oder Tarifvertrags abändern, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist (Urteil des BAG vom 20.10.2015, Az. 9 AZR 655/14).
Bekanntestes Beispiel ist das freiwillig gezahlte Weihnachtsgeld. Wird dieses drei Jahre hintereinander gezahlt, besteht ab dem vierten Jahr ein Anspruch, der vom Arbeitnehmer eingeklagt werden kann. Weitere Beispiele sind Fahrkostenzuschüsse, private Internetnutzung, kostenloser Betriebsparkplatz, zusätzliche freie Tage (z. B. an Rosenmontag) oder andere Sonderleistungen. Wird beispielsweise ein Samstagsdienst über sechs Stunden vom Arbeitgeber über mehrere Jahre wie acht Stunden vergütet oder hat der Arbeitgeber immer Raucherpausen bezahlt, ist diese Höhervergütung verpflichtend. Eine einseitige Reduzierung ohne Zustimmung der Arbeitnehmer ist nicht möglich („Fluch der guten Tat“).
Bei einer betrieblichen Übung muss der Arbeitgeber nicht aktiv werden oder ausdrücklich diese Leistung gegenüber den Mitarbeitern erwähnen. Es reicht bereits aus, dass er das Verhalten der Mitarbeiter kennt und toleriert.
Betriebliche Übungen verhindern
Erfolgt die Handlung des Arbeitgebers jeweils unter Vorbehalt, z. B. dass die wirtschaftliche Lage des Unternehmens jedes Jahr vor der Zahlung des Weihnachtsgelds neu berücksichtigt werden muss, so entsteht keine betriebliche Übung. Dabei hat die Rechtsprechung den alleinigen Satz „Dieses ist eine freiwillige Leistung“ als missverständlich angesehen. Es wird nicht ausreichend klargestellt, ob der Arbeitgeber nur auf seine besondere Leistung hinweisen will oder sich eine Zahlung Jahr für Jahr vorbehält. Aus dem Wort „Freiwilligkeit“ ergibt sich nicht, dass die Zahlung von einer Bedingung abhängt. Es könnte sein, dass die Zahlung erfolgt, damit die Mitarbeiter an das Unternehmen gebunden werden.
Damit keine Verpflichtung entsteht, muss auf die Freiwilligkeit hingewiesen werden. Der Text muss Bedingungen, einen Änderungs- oder Widerrufsvorbehalt enthalten. Dadurch erfolgt die Klarstellung, dass Ansprüche für die Zukunft aus wiederholter Zahlung nicht hergeleitet werden können.
Was bereits tariflich oder vertraglich geregelt ist, kann aber nicht zu einer betrieblichen Übung werden, nur was darüber hinausgeht. Hält der Arbeitgeber eine Sonderleistung versehentlich für verpflichtend, so kann daraus keine betriebliche Übung entstehen. Erkennt der Arbeitgeber seinen Irrtum, kann er diese zukünftig einstellen.
Beendigung der betrieblichen Übung
Eine einmal bestehende betriebliche Übung zu beenden, ist nicht einfach. Es ist nicht ausreichend, dass die Leistung/Vergütung eingestellt wird. Ein Aushang „Dieses Jahr kein Weihnachtsgeld wegen schlechter wirtschaftlicher Lage“ ist juristisch unerheblich, wenn auch sicherlich in kleineren Betrieben nicht ohne psychologische Wirkung. Es reicht nicht aus, dass der Arbeitnehmer auf die fehlende Leistung nicht reagiert bzw. diese nicht einfordert. Darin liegt keine Annahme der vom Arbeitgeber gewünschten Änderung. Der Arbeitnehmer kann auch Jahre später fehlende Zahlungen wieder einfordern. Erforderlich ist vielmehr eine Kündigung oder eine Vertragsänderung (Urteil des BAG vom 25.11.2009, Az. 10 AZR 779/08). Die Problematik an einer Vertragsänderung ist jedoch, dass der Arbeitnehmer ausdrücklich zustimmen muss, was naturgemäß nicht in seinem Interesse ist. Bei einer (Änderungs-)Kündigung gilt das normale Kündigungsrecht mit seinen bekannten arbeitsrechtlichen Hürden. Nach dem Kündigungsschutzgesetz bedarf es bei der (Änderungs-)Kündigung von Arbeitsverträgen mit Arbeitnehmern, die länger als sechs Monate im Betrieb sind und wenn der Betrieb mehr als zehn Mitarbeiter hat, wirksamer Kündigungsgründe. Diese liegen in der Praxis selten vor. Kleinbetriebe (§ 23 KSchG) haben aufgrund dieser kündigungsschutzrechtlichen Grundsätze aber umgekehrt schon Optionen, können im Streitfall mit (Änderungs-)Kündigung reagieren und verfügen daher über sehr gute Argumente, einen Arbeitnehmer von einer gewünschten Vertragsänderung zu überzeugen.
Betriebliche Übungen können durch Anpassungen im Arbeitsvertrag entsprechend ausdrücklich geregelt werden. Hier kann man z. B. auch festlegen, dass bestimmte Sonderleistungen nur befristet gewährt werden. Eine solche Regelung sollte man aber tunlichst vor der Einführung der entsprechenden Maßnahme vereinbaren. Regeln sollte man dies in jedem Fall mit neuen Mitarbeitern, damit diese sich nicht etwa auf bestehende betriebliche Übungen in der Firma berufen können.
Weil eine einseitige Beendigung von betrieblichen Übungen arbeitsrechtlich erhebliche Schwierigkeiten bereitet, sollte möglichst jede Veränderung zugunsten des Arbeitnehmers ausdrücklich vor Einführung mit diesem geregelt werden. |
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