Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: VUCA – eine heidnische Gottheit?

Frühwarnung ist Gebot der Stunde

Prof. Andreas Kaapke

Seit geraumer Zeit werden Akronyme oder Kürzel genutzt, um Sachverhalte zu verdeutlichen und zu versinnbildlichen, so auch VUCA. Der Begriff VUCA fasst die Herausforderungen zusammen, denen sich Unternehmen in einer zunehmend digitalisierten Welt stellen müssen. Die Digitalisierung und die Entwicklung in Richtung Industrie 4.0 haben eine Revolution von Wirtschaft und Gesellschaft eingeläutet, wie stark auch immer einzelne Bereiche davon betroffen sein werden. Neue Technologien werden immer schneller entwickelt. Es ist noch völlig unklar, welche Rolle der Mensch dabei spielt – ob als Opfer oder Gestalter dieser Veränderung. Der Begriff VUCA beschreibt diese Situation. Dabei steht das V für Volatility, das U für Uncertainty, das C für Complexity und das A für Ambiguity. Volatilität bedeutet, dass Rahmenbedingungen stärker denn je Schwankungen unterliegen, die nicht immer antizipierbar sind und sich deutlich steigern werden. Die Unsicherheit bringt zum Ausdruck, dass man immer mehr Entscheidungen ohne gesicherte Informationen treffen muss, da entweder wesentliche Fakten – auch Hintergrundinformationen – fehlen oder aber der Aufwand, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen, zu groß wäre. Daran knüpft die Komplexität an, die nichts anderes verdeutlicht, als dass immer mehr Parameter bei Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Schließlich steht Ambiguität für das Fehlen klarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Vielmehr kann alles aus diversen Perspek­tiven beleuchtet werden und es sind gleich mehrere Seiten einer Medaille zu beachten.

Ein derlei kompliziertes Netz an zu berücksichtigenden Determinanten findet sich insbesondere in stark regulierten Bereichen. Zwar könnte man annehmen, dass die Komplexität durch eindeutige Regeln in regulierten Branchen begrenzt würde. Dies trifft aber auch für den eigenen Handlungsspielraum zu, was dazu führt, dass regulierte Märkte noch schwieriger hinsichtlich ihrer Steuerbarkeit sind und sein werden. Zudem haftet Apotheken der – in diesem Fall wahrnehmbare – Malus an, dass sie mit vergleichsweise wenig Personal auskommen müssen und außerdem inhabergeführt sind. Dadurch liegen derlei Themen einzig und allein beim Apothekenleiter, der neben sich ständig ändernden Gesetzen, die es zu befolgen gilt, auch alle anderen Entwicklungen, die sich marktseitig ergeben, auf dem Radar halten muss – schwierig und kaum lösbar.

VUCA macht deutlich, dass ungeachtet der Frage, inwieweit Apotheken selbst von der Digitalisierung betroffen sind oder sein werden, angrenzende Wirtschaftsbereiche sehr wohl über Rationalisierungspotenzial nachzudenken haben. Zugleich sieht sich der Verbraucher ebenfalls permanent der Thematik ausgesetzt und sucht daher auch in Apotheken nach entsprechenden Lösungen.

In einer derart dynamischen, vernetzten und mehrdeutigen Umgebung ist die Gefahr für Fehlentscheidungen hoch. Die Folge daraus sind oft verschobene Entscheidungen, denn keine Entscheidung ist im Zweifelsfall keine falsche Entscheidung und ggf. besser als diese. Damit steigt aber die Wahrscheinlichkeit, wichtige Trends zu verpassen, zu lange auf etwas zu warten, bis man quasi von außen dazu gezwungen wird und nicht mehr selbst agieren kann. Alles in allem ein schwieriger Spagat.

Die Problematik wird dadurch ­befeuert, dass alle vier Jahre die Fragen aufkommen, wer regiert, wem das Gesundheitsressort zugeschlagen wird und wie diese Partei zu Apotheken steht. Je nach Couleur kann diese Frage existenziell werden.

Was ist also zu tun? Die ständige Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen, die schon immer wichtig war, muss absolute Priorität bekommen. Dabei dürfen Themen nicht bagatellisiert, aber auch nicht dramatisiert werden, beides wäre fatal. Ersteres führt zu einer Verniedlichung, die keineswegs angezeigt ist, Letzteres in der Regel zu Aktionismus, von jeher ein schlechter Berater. Kammern und Verbänden kommt stärker denn je die Rolle der Wissensvermittler und Sinnstifter zu. Hier müssen Trends frühzeitig aufgespürt und schnellstmöglich geprüft werden. Frühwarnung ist das Gebot der Stunde, damit neue Weisheiten wie VUCA nicht zur Gottheit werden, womöglich heidnischen und nicht heilberuflichen Ursprungs. |

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens
Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de


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