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Phytotherapie

Leitliniengerecht gegen Reizdarm

Pflanzliche Hilfe in der Behandlung verschiedener Reizdarmsymptome

Das Reizdarmsyndrom ist ein häufig auftretender Beschwerdekomplex, der durch verschiedene, teilweise auch alternierend auftretende Symptome wie Schmerzen, Blähungen, Obstipation oder Durchfälle, geprägt ist. Bevor die entsprechende Diagnose gestellt werden kann, müssen zunächst ernsthafte Ursachen ausgeschlossen werden. Viele Patienten mit moderater Symptomatik suchen anschließend in der Apotheke Rat. Ein Blick in die aktuelle (derzeit allerdings in Überarbeitung befindliche) S3-Leitlinie „Reizdarmsyndrom“ der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität zeigt, dass in der Selbstmedikation neben verschiedenen Probiotika auch Phytotherapeutika als Therapieoption infrage kommen. | Von Kristina Jenett-Siems

Insbesondere bei Patienten, die vorwiegend unter schmerzhafter Obstipation leiden, können Flohsamen (meist Plantago ovata = Indische Flohsamen, ganz oder als Flohsamenschalen verfügbar) eingesetzt werden. Diese enthalten 20 bis 30% Schleimstoffe, die überwiegend in der Samenschale lokalisiert sind. Flohsamen wirken durch Quellung laxierend, außerdem sind sie mukoprotektiv und binden toxische Substanzen. Die Wirksamkeit von Flohsamen beim Reizdarmsyndrom ist durch mehrere kleinere Studien belegt.

Erwähnung finden in der Leitlinie darüber hinaus das pflanzliche Kombinationspräparat STW 5 (Iberogast®) sowie Pfefferminz- und Kümmelöl [31], die hierzulande z. B. kombiniert in Carmenthin®-Kapseln enthalten sind. Im Folgenden sollen die enthaltenen Arzneipflanzen bzw. Öle hinsichtlich ihrer potenziellen Aktivität bei verschiedenen Reizdarmsymptomen näher betrachtet werden.

Carmenthin®

Für Patienten, bei denen krampfartige Beschwerden, Blähungen und Völlegefühl im Vordergrund stehen, eignen sich pflanzliche Spasmolytika wie Pfefferminz- oder Kümmelöl. Das Fertigarzneimittel Carmenthin® beinhaltet eine Kombination aus 90 mg Pfefferminz- und 50 mg Kümmelöl in magensaftresistenten Weichkapseln (siehe Tab.).

Tab.: Beispiele für Phytopharmaka, die bei funktionellen Darmbeschwerden eingesetzt werden können[Quelle: Lauer Fischer Taxe: Stand 1. März 2018]
Bezeichnung
Inhaltsstoffe
Indikation
Sonstiges
Carmenthin® bei Verdauungs­störungen, Weichkapseln
eine Kapsel enthält:
90 mg Pfefferminzöl,
50 mg Kümmelöl
dyspeptische Beschwerden, besonders mit leichten Krämpfen im Magen-Darm-Bereich, Blähungen, Völlegefühl
ab zwölf Jahren
Gasteo®
Tropfen zum Einnehmen
10 ml enthalten:
3,5 ml Gänsefingerkraut (1:1,7 bis 2,2), Auszugsmittel: Ethanol 40% (V/V)
2,0 ml Kamillenblüten (1:1,7 bis 2,2)
Auszugsmittel: Ethanol 45% (V/V)
1,5 ml Süßholzwurzel (1:1,7 bis 2,2), Auszugsmittel: Ethanol 40% (V/V)
0,5 ml Angelikawurzel (1:1,7 bis 2,2)., Auszugsmittel: Ethanol 40% (V/V)
0,5 ml Benediktenkraut (1:1,7 bis 2,2), Auszugsmittel: Ethanol 40% (V/V)
0,5 ml Wermutkraut (1:1,7 bis 2,2), Auszugsmittel: Ethanol 40% (V/V)
traditionelles pflanzliches Arzneimittel, zur Linderung von leichten Verdauungsbeschwerden (z. B. Völlegefühl, Blähungen) sowie leichten krampfartigen Beschwerden im Magen-Darm-Trakt
ab 18 Jahren,
nicht länger als zwei Wochen ­anwenden
Gastricholan®-L
Flüssigkeit zum Einnehmen
1 g Tropfen (22 Tropfen) enthalten:
1 g Misch-Tinktur aus Bitterfenchel, Kamillenblüten und Pfefferminzblättern (6,4:7,9:5,8), Auszugsmittel Ethanol 34% (V/V)
dyspeptische Beschwerden (Verdauungsschwäche), besonders mit leichten Krämpfen im Magen-Darm-Bereich, Blähungen, Völlegefühl
ab sechs Jahren
Gastritol® Liquid
Flüssigkeit zum Einnehmen
10 ml (= 9,7 g) enthalten:
2,0 ml Auszug aus Kamillenblüten (1:1,7 bis 2,2), Auszugsmittel: Ethanol 45% (V/V);
3,5 ml Auszug aus Gänsefingerkraut,
1,5 ml Auszug aus Süßholzwurzel,
0,5 ml Auszug aus Angelikawurzel,
0,5 ml Auszug aus Benediktenkraut,
0,5 ml Auszug aus Wermutkraut, jeweils (1:1,7 bis 2,2), Auszugsmittel: Ethanol 40% (V/V)
traditionelles pflanzliches Arzneimittel, zur Linderung von leichten Verdauungsbeschwerden (z. B. Völlegefühl, Blähungen) sowie leichten krampfartigen Beschwerden im Magen-Darm-Trakt
ab 18 Jahren, nicht länger als zwei Wochen anwenden
Iberogast® flüssig
1 ml Tropfen enthalten
0,15 ml Iberis amara (Frische Ganzpflanze) (1:1,5 bis 2,5) Auszugsmittel: Ethanol 50% (V/V)
0,1 ml Angelikawurzel (1:2,5 bis 3,5)
0,2 ml Kamillenblüten (1:2 bis 4)
0,1 ml Kümmelfrüchte (1:2,5 bis 3,5)
0,1 ml Mariendistelfrüchte (1:2,5 bis 3,5)
0,1 ml Melissenblätter (1:2,5 bis 3,5)
0,5 ml Pfefferminzblätter (1:2,5 bis 3,5)
0,1 ml Schöllkraut (1: 2,5 bis 3,5)
0,1 ml Süßholzwurzel (1:2,5 bis 3,5)
jeweils Auszugsmittel: Ethanol 30% (V/V)
zur Behandlung von funktionellen und motilitätsbedingten Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizmagen- und Reizdarmsyndrom sowie zur unterstützenden Behandlung der Beschwerden bei Magenschleimhautentzündung (Gastritis)
ab drei Jahren
Pascoventral® flüssig
1 g (= 1,03 ml, 42 Tropfen) enthalten: 330 mg Fluidextrakt aus Pfefferminzblättern (1:2); Auszugs­mittel: Ethanol 37% (m/m),
330 mg Fluidextrakt aus Kamillenblüten (1:1 bis 2), Auszugsmittel: Ammoniaklösung 10% (m/m), ­Wasser, Ethanol 94% (m/m), (5:95:200),
340 mg Fluidextrakt aus Kümmelfrüchten (1:2), ­Auszugsmittel Ethanol 43% (m/m)
Verdauungsbeschwerden (dyspeptische Beschwerden), besonders mit leichten Krämpfen im Magen-Darm-Bereich, Blähungen, Völlegefühl
ab zwölf Jahren

Kümmel (Carum carvi) gehört zur Familie der Doldenblütler. Die Früchte beinhalten 3 bis 7% ätherisches Öl, das überwiegend aus Monoterpenen besteht. Dominierende Hauptkomponenten sind das (S)-(+)-Carvon und das (R)-(+)-Limonen. Das Öl hat eine lange Tradition als Carminativum und soll insbesondere blähungstreibend wirken, pharmakologische Studien zur Wirkungsweise sind allerdings wenige vorhanden. Eine jüngere Untersuchung zeigt, dass Kümmelöl in der Lage ist, experimentell erzeugte Ulzerationen im Magen von Ratten zu reduzieren [1].

Wie der Kümmel ist auch die Pfefferminze (Mentha × piperita) aus der Familie der Lippenblütler eine Arzneipflanze mit langer Tradition. Das ätherische Öl der Pfefferminzblätter enthält als Hauptkomponente das cyclische Monoterpen (-)-Menthol, daneben Menthylacetat, Menthon, Menthofuran und 1,8-Cineol. Zur spasmolytischen Aktivität des Öls liegt eine umfangreiche Untersuchung an glatten Muskelzellen verschiedener Darmabschnitte von Meerschweinchen und Kaninchen vor, wobei als Mechanismus eine Reduktion des Calcium-Einstroms gezeigt wurde [2]. In verschiedenen Studien wurden zusätzlich die Effekte von Kombinationen aus Pfefferminz- und Kümmelöl analysiert. So wurde in einem Rattenmodell ein positiver Einfluss der Kombination, nicht aber der einzelnen Öle auf die viszerale post-inflammatorische gesteigerte Schmerzempfindlichkeit gefunden [3]. Als mögliche Erklärung für diesen Befund diskutieren die Autoren ein synergistisches Zusammenspiel der Öle. Außerdem konnte die spasmolytische Aktivität im Magen-Darm-Bereich an sechs gesunden menschlichen Probanden bestätigt werden [4].

Iberogast®

Der Extrakt STW-5 stellt ein Vielkomponentengemisch aus neun Arzneipflanzen-Extrakten dar. 100 ml enthalten 15 ml eines alkoholischen Frischpflanzenauszugs aus der bitteren Schleifenblume sowie alkoholische Auszüge aus Angelikawurzel (1:2,5 bis 3,5) 10 ml, Kamillenblüten (1:2 bis 4) 20 ml, Kümmelfrüchten (1:2,5 bis 3,5) 10 ml, Mariendistelfrüchten (1:2,5 bis 3,5) 10 ml, Melissenblättern (1:2,5 bis 3,5) 10 ml, Pfefferminzblättern (1:2,5 bis 3,5) 5 ml, Schöllkraut (1:2,5 bis 3,5) 10 ml und Süßholzwurzel (1:2,5 bis 3,5) 10 ml.

Engelwurz (Angelica archangelica) ist eine kräftige, bis zwei Meter hoch werdende Staude aus der Familie der Doldenblütler. Die als Droge verwendete Wurzel schmeckt zunächst aromatisch, dann bitter. Sie enthält ein ätherisches Öl, das vorwiegend aus Monoterpen-Kohlenwasserstoffen (u. a. α- und β-Phellandren, Pinen) besteht, sowie Furanocumarine (Bergapten, Angelicin, Xanthotoxin) und prenylierte Cumarine (Archangelicin). Pharmakologische Untersuchungen sind rar, allerdings konnten verschiedene Arbeitsgruppen für Extrakte aus Angelikawurzel spasmolytische Effekte am Meerschweinchen-Ileum zeigen [5, 6]. Im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Pharmakologie des Extraktes von STW-5 wurde zudem eine prosekretorische Aktivität gefunden, die auf einer vermehrten Abgabe von Chlorid-Ionen in verschiedene Darmabschnitte beruht [7]. Die Kommission E hat die Anwendung von Angelikawurzel bei Verdauungsbeschwerden (Magen-Darm-Krämpfe, Völlegefühl, Blähungen) als positiv bewertet. Von Seiten der europäischen Behörden (Committee on Herbal Medicinal Products, HMPC) wird die Droge hingegen aufgrund der enthaltenen Furanocumarine, die phototoxische und damit auch potentiell karzinogenen Eigenschaften besitzen, als problematisch angesehen. Sie befindet sich auf einer 2015 veröffentlichten Liste von Pflanzen, für die die Erstellung einer HMPC-Monografie zurückgestellt wurde, da keine positive Nutzen-Risiko-Bewertung zu erwarten sei. Die Einschätzung des HMPC blieb allerdings nicht unwidersprochen, von verschiedenen Seiten wurde kritisiert, dass die vorgenommene Extrapolation von Ergebnissen mit hochdosierten Reinsubstanzen auf den Pflanzenextrakt nicht ohne Weiteres zulässig sei, außerdem würden höhere Dosen an Furanocumarinen auch mit der Nahrung zugeführt [8].

Die Kamille (Matricaria recutita) gehört sicherlich zu den bekanntesten und ältesten europäischen Heilpflanzen. Sowohl ihre Inhaltsstoffe als auch ihre pharmakologischen Effekte sind über Jahrzehnte intensiv untersucht worden. Kamillenblüten liefern ein blaues ätherisches Öl, wobei die Farbe auf das Chamazulen zurückzuführen ist, das während der Wasserdampfdestillation aus dem Sesquiterpenlacton Matricin gebildet wird. Weitere Inhaltsstoffe des Öls sind unter anderem das (-)-α-Bisabolol, dessen Oxide, trans-β-Farnesen und die En-In-Dicycloether aus der Stoffklasse der Polyacetylene. Daneben enthalten die Blüten Sesquiterpenlactone, mindestens 0,25% Flavonoide (z. B. Apigenin-7-glucosid), Cumarine, Phenolcarbonsäuren und Schleimstoffe. In verschiedenen pharmakologischen Modellen wurden antiphlogistische, spasmolytische und antimikrobielle Effekte nachgewiesen, so z. B. der antiulzerogene Effekt an Ratten [9] und die spasmolytische Aktivität am Meerschweinchen-Ileum, wobei gleichzeitig die Frequenz der Kontraktionen herabgesetzt wurde [6]. Außerdem wurde eine Interaktion mit Serotonin-Rezeptoren (5-HT4) beobachtet [10], denen eine Beteiligung an der Symptomatik des Reizdarms zugeschrieben wird. Ein weiterer Effekt, der in Zusammenhang mit einer Normalisierung der Darmtätigkeit gebracht wird, ist die Beeinflussung elektrophysiologischer Parameter von glatten Muskelzellen [11].

Kümmel (Carum carvi) gehört wie Engelwurz zur Familie der Doldenblütler, enthält aber keine Furanocumarine. Untersuchungen zur Pharmakologie des Kümmelöls sind bereits weiter oben vorgestellt worden. In älteren pharmakologischen Untersuchungen zeigten alkoholische Kümmel­extrakte einen spasmolytischen Effekt am Meerschweinchen-Ileum [12], außerdem wurde eine antibakterielle Wirkung gefunden. Im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Pharmakologie von STW-5 konnte eine erhöhte Motilität in bestimmten Bereichen des Magens demonstriert werden [13].

Die Mariendistel (Silybum marianum) ist eine zweijährige distelartige Pflanze mit violetten Röhrenblüten aus der Familie der Asteraceae. Mariendistelfrüchte enthalten ein charakteristisches Gemisch aus Flavonolignanen, das als Silymarin bezeichnet wird, außerdem Flavonoide und fettes Öl. Das Silymarin ist umfangreich pharmakologisch untersucht worden, es besitzt antihepatotoxische und hepatoprotektive Wirkungen. Unter anderem blockiert es Transportsysteme in der Zellmembran, so dass die Aufnahme von Giften in die Zellen der Leber erschwert wird [14], steigert die Anzahl der Ribosomen in den Hepatozyten und trägt zur Erhaltung des für die Entgiftung von Substanzen in den Leberzellen wichtigen Glutathion-Pools bei [15, 16]. Traditionell wird die Pflanze auch bei dyspeptischen Beschwerden als Spasmolytikum und Cholagogum angewendet, hierzu fehlen allerdings explizite Belege aus pharmakologischen Untersuchungen.

Bei der Melisse (Melissa officinalis) handelt es sich um eine intensiv nach Zitronen riechende Staude aus der Familie der Lamiaceae. Das ätherische Öl der Melissenblätter enthält hauptsächlich acyclische Monoterpene wie Citral und Citronellal, außerdem sind in der Droge 7 bis 11% Hydroxyzimtsäure-Derivate, die sogenannten Lamiaceen-Gerbstoffe, mit Rosmarinsäure als Hauptkomponente enthalten. Für Melissenöl und Citral konnten konzentrationsabhängige spasmolytische Effekte am Ileum der Ratte gezeigt werden [17]. Zusätzlich ist eine antiulzerogene Wirkung beschrieben worden, beobachtet wurden eine reduzierte Säuresekretion sowie eine erhöhte Mucin(Schleim)-Produktion und eine Zunahme der Prostaglandin-E2-Freisetzung [18]. Im Zusammenhang mit einer möglichen entzündungshemmenden Aktivität wurden zudem antioxidative Eigenschaften nachgewiesen [19].

Das Öl der Pfefferminze (Mentha × piperita) ist bereits oben hinsichtlich Zusammensetzung und Pharmakologie erörtert worden. Zusätzlich sind in den Blättern der Pfefferminze wie in der Melisse Lamiaceen-Gerbstoffe (Rosmarinsäure) enthalten. Für einen ethanolischen Extrakt konnte ein spasmolytischer Effekt am Meerschweinchen-Ileum nachgewiesen werden [12]. Außerdem stimulieren Auszüge aus den Blättern die Gallensekretion [20] und besitzen analgetische und antiphlogistische Eigenschaften [18].

Das Schöllkraut (Chelidonium majus) ist eine weit verbreitete Ruderalpflanze aus der Familie der Papaveraceae. Charakteristisch ist der gelb-orange Milchsaft, in dem verschiedene Benzylisochinolin-Alkaloide enthalten sind, je nach Pflanzenteil dominieren Chelidonin oder Coptisin. Extrakte und Einzelalkaloide sind umfangreich pharmakologisch untersucht. Sie besitzen in verschiedenen Modellen spasmolytische Eigenschaften und steigern den Gallenfluss [21, 22]. Weiterhin wurde wie schon für den Kamillen-Extrakt eine Interaktion mit Serotonin-Rezeptoren (5-HT4) beobachtet [10]. Seit Ende der 90er-Jahre sind allerdings vermehrt Hinweise auf eine mögliche Leberschädigung durch Schöllkraut und Schöllkraut-Extrakte publiziert worden. Das BfArM leitete daraufhin ein Stufenplanverfahren ein mit dem Ziel, die Tagesdosis an zugeführten Alkaloiden auf 2,5 µg bis höchstens 2,5 mg Gesamtalkaloide zu begrenzen und Hinweise auf eine mögliche Lebertoxizität in die Packungsbeilagen aufzunehmen (siehe Kasten „Streit um Schöllkraut-haltige Arzneimittel“). In Deutschland sind diesbezüglich noch gerichtliche Auseinandersetzungen anhängig, die Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic hat nun aber aktuell die Patienten- und Fachinformation von Iberogast® entsprechend ergänzen lassen [23].

Streit um Schöllkraut-haltige Arzneimittel

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Das in Iberogast® enthaltene Schöllkraut steht schon seit Längerem im Verdacht, leberschädigend zu wirken. 2008 erließ das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Rahmen eines Stufenplanverfahrens einen Bescheid, mit dem die Zulassung für Arzneimittel mit einer Tagesdosierung von mehr als 2,5 mg Gesamtalkaloiden widerrufen wurde. Für Präparate mit einer Tagesdosierung von 2,5 µg bis höchstens 2,5 mg Gesamtalkaloide wurden Änderungen der Produktinformationen angeordnet: Im Abschnitt „Nebenwirkungen“ soll auf bekannte Fälle von Leberschädigungen und -versagen hingewiesen werden, als absolute Gegenanzeigen sollen bestehende oder frühere Lebererkrankungen genannt werden, und die gleichzeitige Anwendung von Arzneimitteln mit leberschädigenden Eigenschaften wird untersagt. Außerdem sollten bei einer Anwendung von mehr als vier Wochen die Leberfunktionswerte kontrolliert werden. Der damalige Hersteller Steigerwald legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, so dass er bis heute keine Rechtskraft hat. Die Bayer Vital GmbH, die Steigerwald 2013 übernommen hat, betont in einer aktuellen Stellungnahme, dass sie das Nutzen-Risiko-Profil von Iberogast® „unverändert positiv“ einschätzt und dass zu laufenden rechtlichen Verfahren keine Angaben gemacht werden. Der verwendete Schöllkraut-Extrakt enthalte nur eine sehr geringe Menge an Alkaloiden, so Bayer. Die mit der empfohlenen Dosierung von dreimal täglich 20 Tropfen Iberogast® aufgenommene Menge an Schöllkraut-Alkaloiden liege bei etwa 0,3 mg, eine Änderung der aktuellen Patienten- und Fachinformationen hinsichtlich der Verwendung von Schöllkraut sei derzeit nicht vorgesehen. In der Schweiz dagegen müssen auf Verlangen der dortigen Arzneimittelbehörde Swiss­medic diesbezüglich Warnhinweise in der Patienten- und Fachinformation aufgenommen werden. In Deutschland weist das BfArM auf Nachfrage nur darauf hin, dass der Stufenplanbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides Gegenstand eines Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Köln und der Bescheid folglich noch nicht bestandskräftig ist. Und zu laufenden Rechtsmittelverfahren äußere man sich nicht, so ein Sprecher des BfArM. Die Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche (Grüne) hat sich nach der Entscheidung der Schweizer Behörde mit der Frage nach möglichen Gesundheitsgefahren durch Schöllkraut-haltige Arzneimittel an das Bundesgesundheits­ministerium gewandt. In ihrer Antwort verweist die par­lamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach auf das Stufenplanverfahren des BfArM. Die Evidenzlage werde zum gegenwärtigen Zeitpunkt so bewertet, dass ein weiteres Inverkehrbringen von Iberogast® im Hinblick auf die Arzneimittelsicherheit „nicht als unvertretbar angesehen wird“, so Fischbach.

Süßholz (Glycyrrhiza glabra) ist eine im Mittelmeerraum, Kleinasien und Russland beheimatete Staude aus der Familie der Fabaceae. Die Wurzeldroge ist gelb gefärbt und schmeckt süß. Sie enthält Triterpensaponine mit Glycyrrhizinsäure als Hauptkomponente, diese ist zugleich für den süßen Geschmack verantwortlich. Die gelbe Farbe wird dagegen von Chalkon-Derivaten wie Isoliquiritigenin verursacht. Traditionell wird die Droge bei säurebedingten Magenbeschwerden eingesetzt. In pharmakologischen Modellen konnten unter anderem antiphlogistische und antiulcerogene Wirkungen gezeigt werden, wobei die Magenazidität reduziert und die Mucin- und Prostaglandin-E2-Bildung gesteigert wurde [18, 24]. Außerdem interagiert der Extrakt mit serotonergen 5-HT3-Rezeptoren [10], und isolierte Flavonoide besitzen eine Aktivität gegenüber Helicobacter pylori [25].

Bleibt schließlich noch die namensgebende Arzneipflanze des Präparates Iberogast®, Iberis amara, die Bittere Schleifenblume, eine in Europa heimische krautige Pflanze aus der Familie der Kreuzblütler. Die Pflanze enthält Flavonoide, Glucosinolate und Cucurbitacine, wobei es sich um Bitterstoffe aus der Klasse der Triterpene handelt, die ansonsten hauptsächlich in der Familie der Kürbisgewächse anzutreffen sind. Dort gelten bestimmte Cucurbitacine z. B. als das toxische Prinzip verschiedener nicht-essbarer Kürbis-Varianten. Die pharmakologischen Eigenschaften von Extrakten der Bitteren Schleifenblume sind bisher nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit ihrer Verwendung als Bestandteil von STW-5 untersucht worden. Der Extrakt besitzt unter anderem entzündungshemmende Eigenschaften [26, 27], wobei als Mechanismus eine verstärkte Genexpression des antiinflammatorischen Zytokins Interleukin 10 (IL-10) diskutiert wird. Darüber hinaus zeigt der Extrakt eine Affinität zu muscarinergen M3-Rezeptoren [10], denen eine Beteiligung an der Reizdarm-Symptomatik zugeschrieben wird, und er hat einen Einfluss auf die Peristaltik des Magens [13].

Ein weiteres Phytotherapeutikum mit ähnlichen Anwendungsgebieten ist das Präparat Gasteo®. Die Tropfen sind als traditionelles Arzneimittel zur Linderung von leichten Verdauungsbeschwerden (Völlegefühl, Blähungen) und leichten krampfartigen Beschwerden im Magen-Darm-Trakt zugelassen. Sie enthalten alkoholische Auszüge aus Kamillenblüten, Angelikawurzel, Süßholzwurzel, Gänsefingerkraut, Benediktenkraut und Wermutkraut. Das Gänsefingerkraut (Potentilla anserina, Rosaceae) ist auch unter der Bezeichnung Krampfkraut bekannt, was auf eine lange Tradition als volkstümliches Mittel bei krampfartigen Beschwerden im Unterleibsbereich hinweist. Die Droge enthält Gerbstoffe und Flavonoide. Zur spasmolytischen Aktivität liegen lediglich einige ältere Arbeiten mit kontroversen Ergebnissen vor. Benediktenkraut (Cnicus benedictus, Asteraceae) und Wermutkraut (Artemisia absinthium, Asteraceae) sind Bitterstoffdrogen, die unter anderem Sesquiterpenlactone und ätherisches Öl enthalten. Es ist bekannt, dass Bitterstoffe die Magensaft- und Gallesekretion anregen, weshalb entsprechende Pflanzen bei leichten dyspeptischen Beschwerden und zur Steigerung des Appetits angewendet werden, klinische Belege für diese Anwendungsgebiete existieren allerdings nicht.

Schließlich soll noch das Präparat Myrrhinil-Intest®, zugelassen als traditionelles Arzneimittel zur Unterstützung der Magen-Darm-Funktion, erwähnt werden. Es enthält Myrrhepulver, Kaffeekohlepulver und einen alkoholischen Extrakt aus Kamillenblüten. Myrrhe ist ein Harz, das von Commiphora-Arten (Burseraceae) gewonnen wird. Hierbei handelt es sich um Sträucher oder kleine Bäume, die am Horn von Afrika und auf der Arabischen Halbinsel beheimatet sind. Das Pulver enthält insbesondere terpenoide Substanzen unterschiedlicher Struktur, für die schleimhautprotektive und entzündungshemmende Wirkungen beschrieben wurden. In einer Anwendungsbeobachtung wurde ein positiver Effekt bei Durchfall-Symptomen, insbesondere in Zusammenhang mit Reizdarm-Erkrankungen, beschrieben [30].

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass als Erklärungsansatz für die positive Beeinflussung verschiedener Reizdarm-Symptome durch die in Carmenthin® bzw. Iberogast® enthaltenen Arzneipflanzen/Öle eine Vielzahl an In-vitro-Befunden existiert. Für nahezu alle Bestandteile sind spasmolytische Effekte bekannt, außerdem gibt es Untersuchungen zur Beeinflussung der Elektrophysiologie der glatten Muskulatur, zum Einfluss auf die Magenperistaltik, zur Rezeptoraffinität und einige weitere. Inwieweit diese In-vitro-Ergebnisse tatsächlich auch in vivo eine Rolle spielen, bleibt allerdings größtenteils spekulativ, da entsprechende Untersuchungen, mit Ausnahme einer kleinen Humanstudie zur spasmolytischen Aktivität einer Kombination aus Pfefferminz- und Kümmelöl, nicht existieren. Dennoch belegt inzwischen auch eine Reihe kleinerer klinischer Studien die Effektivität beider Phytotherapeutika bei verschiedenen Symptomen funktioneller Magen-Darm-Erkrankungen [28, 29], was letztendlich zur Aufnahme in die eingangs erwähnte Leitlinie geführt hat. Bei Iberogast® sollte zwar gerade bei Kunden mit vorgeschädigter Leber die Diskussion hinsichtlich einer potenziellen Lebertoxizität berücksichtigt werden, dennoch können beide Präparate nach aktueller Datenlage durchaus eine gute Empfehlung für ratsuchende Patienten mit Reizdarm-Symptomatik sein. |

Literatur

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[31] Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM), AWMF-Registriernummer: 021/016, Stand: 2011, abgelaufen, in Überprüfung

Autorin

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems studierte Pharmazie an der Freien Universität Berlin, wurde dort promoviert und hat sich 2003 für Pharmazeutische Biologie habilitiert. Forschungsschwerpunkte: Phytochemie und Pharmakologie traditioneller Arzneipflanzen.

Schwerpunkt Reizdarm

Das Reizdarmsyndrom ist eine komplexe und viel­gesichtige Erkrankung, für die es weder eine Standardtherapie, noch generelle Ernährungs- oder Lebensstilempfehlungen gibt. Wenn nicht-medikamen­töse Maßnahmen nicht ausreichen, können stuhl- oder motilitätsregulierende, entblähende oder spasmolytische Arzneimittel helfen.

  • Clemens Bilharz: „Was rumpelt und pumpelt in meinem Bauch? – Das Reizdarmsyndrom ist ebenso komplex wie belastend“, DAZ 2016, Nr. 15, S. 34
  • Ralf Schlenger: „An Symptomen kurieren – Beratungstipps für Patienten mit Reizdarmsyndrom“, DAZ 2016, Nr. 15, S. 40

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