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„Versorgungssteuerung durch die Hintertür“

Streit um Festpreis-Vereinbarung für Grippeimpfstoff im Nordosten

ks/ral | Die Pharmaindustrie hat ein Problem mit der neuen Grippeimpfstoff-Vereinbarung zwischen der AOK Nordost und den Apothekerverbänden der Region für die Saison 2018/2019. Sie spricht von einer Gefährdung des Patientenwohls.
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Vierfach-Grippeimpfstoff zum Festpeis für GKV-Versicherte. Ab der kommenden Grippesaison soll es im Nord­osten Deutschlands so weit sein. Die Pharmaindustrie ist „not amused“.

Die Apothekerverbände der Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben mit den Krankenkassen und Kassenverbänden der Region eine Vereinbarung geschlossen, nach der gesetzlich Krankenversicherte ab der nächsten Saison quadrivalente Grippeimpfstoffe auf Kassenkosten erhalten. Hintergrund dafür ist, dass die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) beschlossen hat, ihre Empfehlung zur Grippeimpfung hin zum Vierfach-Impfstoff zu ändern.

Die Vereinbarung zwischen Kassen und Apothekern im Nordosten sieht vor, dass Ärzte Grippeimpfstoffe aller am Markt befindlichen Hersteller verordnen können. Sofern die Ärzte der Apotheke die Auswahl des Impfstoffs überlassen, gilt ein zwischen den Vertragspartnern vereinbarter Festpreis pro Impfdosis – in der kommenden Saison sind es 10,95 Euro, die die Apotheke bekommt. Die Vertragspartner betonen, dass die Vertragsärzte in der Auswahl des Impfstoffes in keiner Weise eingeschränkt sind. Genauso wenig seien es die Apotheken bei der Auswahl ihrer Lieferanten. Grundsätzlich können sich die Apotheken aller am Markt befindlichen Vierfach-Impfstoffe bedienen: Das werden die Vakzine von GSK, Sanofi, Mylan und Asta Zeneca sein.

Der Haken daran

Wo ist nun der Haken? Tatsächlich werden voraussichtlich viele Apotheken den Ärzten, die sie beliefern, empfehlen, den Impfstoff Influvac Tetra von Mylan zu bestellen. Denn nur mit diesem Hersteller hat die D.S.C. Dienstleistungs-Service-Center GmbH – ein Tochterunternehmen des Berliner Apotheker-Vereins – eine Rahmenvereinbarung ausgehandelt, die Apothekern besonders gute Konditionen bietet.

Mitschuld beim G-BA

jb/ral | Prof. Dr. Andrew Ullmann, Infektiologe und FDP-Obmann im Gesundheitsausschuss des Bundestages, führt die aktuelle schwere Grippewelle unter anderem darauf zurück, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) „wiederholt nicht auf die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts gehört hat“. In einer aktuellen Mitteilung schreibt er „Es kann und darf nicht sein, dass der G-BA zunächst im November nicht auf die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) hört und dann, wenn es schon fast zu spät ist, nicht in der Lage dazu ist, flexibel und unbürokratisch zu handeln. Fakt ist, dass die meisten Patientinnen und Patienten darauf vertrauen, dass die Pflichtleistungen der Krankenversicherungen einen guten Schutz bieten. Das ist im Fall des Dreifachimpfstoffs in diesem Jahr wieder einmal nicht so.“ Die Situation sei bezeichnend für das verfehlte Handeln der Bundesregierung in der Gesundheitspolitik. Eine Randnotiz ist Ullmann zufolge übrigens, dass im Deutschen Bundestag alle Abgeordneten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Vierfachimpfstoff in Anspruch nehmen können.

BPI: AOK Nordost umgeht bestehendes Recht

In der Kritik steht daher, dass die Situation de facto kaum anders ist als in Zeiten der Ausschreibungen: Es läuft darauf hinaus, dass in einer bestimmten Region nur ein Hersteller die Versorgung übernimmt. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) ist erzürnt: „Mit der Apothekenvereinbarung umgeht die AOK Nordost bestehendes Recht.“ Der Verband bezeichnet die Vereinbarung als „Versorgungssteuerung durch die Hintertür“. Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer erklärt: „Was die Krankenkassen als ‚Mittel einer effizienten Arzneimitteltherapie‘ bezeichnen, widerspricht dem politischen Willen. Die Kasse riskiert sehenden Auges Versorgungsengpässe für die Patienten. Folgen, für die sie die Verantwortung zu tragen haben wird.“

Die AOK Nordost verweist hingegen darauf, dass sie lediglich Preisvereinbarungen mit den Apothekerverbänden abschließe: „Vereinbarungen mit pharmazeutischen Herstellern bestehen hingegen nicht. Die Inhalte der Absprachen zwischen Herstellern und der Apothekerseite sind uns dementsprechend auch nicht bekannt“, so ein Sprecher der Kasse. |

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