Arzneimittel und Therapie

Fehl am Platz!

Aktualisierte Empfehlungen bei unerwünschtem Haarwuchs

Etwa jede zehnte gesunde Frau ist von Hirsutismus betroffen. Zur Therapie gibt es zahlreiche medikamentöse und alternative Optionen. Im Rahmen der Aktualisierung der Praxisleitlinie „Evaluation und Behandlung des Hirsutismus in der Prämenopause“ unter Federführung der amerikanischen Endokrinen Gesellschaft (Endocrine Society) wurden die Therapiemöglichkeiten kritisch unter die Lupe genommen.

Hirsutismus (lat. hirsutus: borstig, struppig) ist mehr als der sogenannte Damenbart. Der Begriff steht für eine Behaarung nach männlichem Verteilungsmuster, also vor allem im Bereich der Oberlippe, des Kinns und rund um die Brustwarzen. Ebenso können der Bauch, der Schambereich, der Rücken, das Gesäß, die Oberarme und die Beine von einem für Frauen untypisch starken Haarwuchs betroffen sein. In den meisten Fällen werden diese Erscheinungen als sehr störend empfunden. Der Leidensdruck kann so stark sein, dass sich Symptome einer Depression entwickeln.

Foto: contrastwerkstatt – stock.adobe.com

Mögliche Ursachen abklären

Häufig liegen dem Hirsutismus Störungen in der Hormonsynthese oder sinkende Östrogenspiegel in den Wechseljahren zugrunde. So wird beispielsweise bei 70 bis 80 Prozent der Frauen mit Hirsutismus ein polyzystisches Ovar-Syndrom (s. Kasten) festgestellt. Auch Arzneimittel (z. B. Glucocorticoide, Minoxidil, Phenytoin) können bei Frauen zu einem männlichen Behaarungsmuster führen. Ebenso werden genetische Ursachen wie eine übermäßige Sensibilität der Haarwurzeln gegenüber Androgenen diskutiert. In einigen Fällen lässt sich jedoch kein Grund finden (idiopathischer Hirsutismus). Im Rahmen der Diagnostik müssen zunächst neben einem PCOS weitere mögliche Ursachen wie beispielsweise ein Androgen-produzierender Tumor in den Eierstöcken, ein Nebennierendefekt (z. B. Androgenitales Syndrom) oder ein Hypophysentumor (Morbus Cushing) ausgeschlossen werden. Die Leitlinie empfiehlt, bei Frauen mit einem Punktewert nach Ferriman und Gallwey außerhalb des Normbereichs (s. Abbildung 1) die Androgenspiegel im Blut zu überprüfen. Hirsutismus wird jedoch auch bei Androgenspiegeln im Normbereich beobachtet.

Abb. 1: Diagnose des Hirsutismus mittels Ferriman-Gallwey-Score Mithilfe eines Punktesystems (0 = keine Behaarung, 4 = maximale Behaarung) werden neun Androgen-sensitive Körperregionen bewertet. Ab einer Summe von ≥ 8 liegt Hirsutismus vor, wobei ethnische Unterschiede zu berücksichtigen sind (z. B. niedrigere Normwerte bei Asiatinnen). Exemplarisch dargestellt sind die zu bewertenden Körperregionen. [nach: Endocrine Society Clinical Practice Guideline 2018]

Behandlung braucht Geduld

Die Geschwindigkeit des Haarwachstums variiert zwischen den einzelnen Körperregionen. Gemeinsam ist allen, dass der Haarzyklus drei nicht synchrone Phasen durchschreitet: die Anagenphase (Wachstum), die Katagenphase (Übergang) und die Telogenphase (Ruhe, Ausfall). Die Wachstums­phase der Gesichtshaare dauert ca. vier Monate. Daher können Erfolge einer Hormonbehandlung frühestens nach einem halben Jahr erkannt werden. Bis zum maximalen Effekt dauert es neun Monate.

Was ist ein PCOS?

Das Syndrom der polyzystischen Ovarien (polycystic ovary syndrome, PCOS) ist eine Hormonstörung, an der vor allem junge Frauen im gebärfähigen Alter leiden. Bedingt durch die relative Überproduktion von Androgenen treten Symptome wie Hirsutismus, eine tiefe Stimmlage und eine Vermännlichung des Körpers (Virilismus) auf. An den Eierstöcken befinden sich kleine, mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume (Zysten), jedoch nicht bei allen Patientinnen. Deshalb wurde vor etwa zwei Jahren vorgeschlagen, die Erkrankung in „Metabolisch-reproduktives Syndrom (MRS)“ umzubenennen. Ziel der neuen Bezeichnung war auch darauf hinzuweisen, dass viele Frauen mit PCOS infolge unregelmäßiger Menstruations­zyklen und häufiger anovulatorischer Zyklen unter unerfülltem Kinderwunsch leiden. Mehr als die Hälfte der PCOS-Patientinnen sind zudem übergewichtig und/oder Diabetikerinnen.

Vielfältige Empfehlungen

Neben Empfehlungen zur Diagnostik lassen sich in der aktualisierten Leitlinie vielfältige Therapieempfehlungen finden. Sie basieren unter anderem auf einer von der Leitlinienkommission beauftragten systematischen Übersichtsarbeit. In dieser wurde mit 32 randomisierten klinischen Studien zur pharmakologischen Therapie des Hirsutismus eine Netzwerk-Metaanalyse durchgeführt. Diese ergab, dass folgende Wirkstoffgruppen eine signifikant stärkere Reduktion der Symptome als Placebo ermöglichen:

  • Orale Kontrazeptiva (OC)
  • Antiandrogene
  • Insulinsensitizer

Auch wurden zwischen den Wirkstoffgruppen Unterschiede gefunden. So erwiesen sich Antiandrogene und Wirkstoffkombinationen (OC plus Antiandrogen, OC plus Insulinsensitizer, Antiandrogen plus Insulinsensitizer) wirksamer als eine Insulinsensitizer-Monotherapie. Ebenfalls zeigte sich die Kombination aus OC und Antiandrogen einer OC-Monotherapie überlegen. Bei Vergleich der OC untereinander konnten keine relevanten Unterschiede festgestellt werden – daher wird in der Leitlinie auch keine bevorzugte Empfehlung für einen bestimmten Wirkstoff ausgesprochen. Ähnlich verhält es sich mit den Antiandrogenen, wobei der Einsatz von Flutamid bei Hirsutismus aufgrund seiner potenziellen Hepatotoxizität nicht empfohlen wird. Bei den Antidiabetika konnten die untersuchten Wirkstoffe für sich betrachtet nicht überzeugen. Zwar war eine Metformin-Monotherapie signifikant wirksamer als Placebo, allerdings war die Evidenz dafür gering. Somit sprechen die Leitlinienautoren bei Hirsutismus als alleiniger Indikation auch keine Empfehlung für den Einsatz von Insulin-senkenden Substanzen aus.

Abb. 2: Therapieoptionen bei Hirsutismus [nach: Endocrine Society Clinical Practice Guideline 2018]

Eflornithin

Eflornithin (Difluoromethylornithin) wurde in den 1970er-Jahren als Krebsmittel erprobt. Später erfolgte in den USA eine Zulassung zur Behandlung der afrikanischen Schlafkrankheit (Trypanosomiasis). Da bei der Anwendung als Nebenwirkung Haarausfall auftrat, wurde eine topische Zubereitung gegen Hirsutismus entwickelt. Die Wirkung beruht wahrscheinlich auf einer irreversiblen Hemmung der Ornithindecarboxylase, einem Schlüsselenzym bei der Zellproliferation und -funktion. Die Creme (Vaniqa®) muss dauerhaft angewendet werden, da die Wirkung etwa acht Wochen nach Absetzen nachlässt.

Kernaussagen der Leitlinie

Zu den Kernaussagen der Leitlinie zählt, dass mit einer medikamentösen Therapie begonnen werden sollte, wenn herkömmliche kosmetische Verfahren (s. Abbildung 2) nicht ausreichen und bei der Patientin ein Leidensdruck besteht. Ist der Hirsutismus nur leicht ausgeprägt und liegt keine hormonelle Störung vor, können auch invasive Enthaarungsmethoden wie die Foto- oder Elektroepilation zum Einsatz kommen. Obwohl dafür Geräte zur Selbstanwendung verfügbar sind, sollten diese Verfahren von Fachleuten wie z. B. Dermatologen durchgeführt werden. 

Tab.: Leitlinienempfehlungen zur Therapie des Hirsutismus
Therapieform
Empfehlung
Stärke/Evidenzgrad
Orale Kontrazeptiva (OC) und/oder Antiandrogene
Initialtherapie
Frauen mit Verhütungswunsch sollten ein OC (Wirkstoffe: Ethinylestradiol, Levonorgestrel, Cyproteron­acetat, Drospirenon, Norethindron, Norgestimat, Gestoden, Desogestrel) erhalten.
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Die Effektivität der bei Hirsutismus angewendeten OC ist ähnlich, die Nebenwirkungsraten sind gering.
2/⊕⊕••
Frauen mit einem erhöhten Risiko für venöse Thromboembolien (VTE), z. B. wegen Übergewicht, Alter > 39 Jahre, sollten ein OC mit der niedrigsten effektiven Ethinylestradiol-Dosis (meist 20 µg) in Kombination mit einem Gestagen mit vergleichsweise geringem VTE-Risiko (Norethindron, Levonorgestrel, Norgestimat) erhalten.
2/⊕•••
Eine Monotherapie mit Antiandrogenen (Wirkstoffe: Finasterid, Spironolacton, Flutamid) wird wegen des teratogenen Potenzials nicht als Initialtherapie empfohlen, es sei denn, die Frau wendet eine sichere Verhütungsmethode an.
2/⊕•••
Bei Frauen, die sexuell inaktiv sind, die sterilisiert wurden oder eine reversible Langzeit-Verhütungsmethode anwenden (z. B. Spirale) können entweder Antiandrogene oder OC eingesetzt werden. Bei der Entscheidung sollten die Präferenzen der Patientinnen bezüglich der Effektivität, der Nebenwirkungen und der Kosten berücksichtigt werden.
2/⊕•••
Kombinationstherapie
Wenn die Behandlung mit einem OC nach sechs Monaten keine Effektivität zeigt, kann ein Antiandrogen dazugegeben werden. Die Effektivität der Substanzen ist gleichwertig.
2/⊕⊕••
Flutamid sollte wegen seiner potenziellen Hepatotoxizität nicht eingesetzt werden.
1/⊕⊕••
Kombinationstherapien sollten nur dann als Initialbehandlung verordnet werden, wenn Frauen durch starken Hirsutismus emotional belastet sind und/oder eine frühere Monotherapie mit OC nicht effektiv genug war.
2/⊕⊕••
allgemein
Dosisänderungen oder Wechsel auf andere Substanzen sollten frühestens nach sechs Monaten erfolgen.
2/⊕•••
Weitere Arzneimittel
Antidiabetika
Insulin-senkende Wirkstoffe eignen sich nicht zur alleinigen Behandlung des Hirsutismus.
2/⊕⊕••
GnRH-Agonisten
Gonadorelin(GnRH)-Agonisten werden nicht zur Hirsutismus-Therapie empfohlen, außer bei Frauen mit schwerer Hyperandrogenämie, die auf OC und Antiandrogene schlecht ansprechen.
2/⊕•••
Antiandrogene, topisch
Eine Behandlung mit topischen Antiandrogenen wird nicht empfohlen.
2/⊕•••
Nicht-pharmakologische Therapien
Lebensstil­änderungen
Lebensstiländerungen sind für übergewichtige Frauen (auch mit PCOS) zusätzlich empfehlenswert.
1/⊕⊕••
Enthaarungstechniken
Frauen mit rötlich-brauner, brauner oder schwarzer Haarfarbe wird die Fotoepilation empfohlen. Weißhaarige oder blonde Frauen sollten die Elektroepilation wählen.*
2/⊕⊕••
Bei Frauen, die sich für eine Fotoepilation entscheiden, sollte möglichst ein langwelliger Laser mit langer Pulsationsdauer (z. B. Nd:YAG, Diodenlaser) und ausreichender Hautkühlung zum Einsatz kommen.
2/⊕•••
Bei Frauen aus dem Mittelmeerraum und dem mittleren Osten sollte die Fotoepilation mit Vorsicht angewendet werden, da eine paradoxe Hypertrichose auftreten kann. Andere Methoden (z. B. Elektroepilation) sind für diese Patientinnen evtl. besser geeignet.
2/⊕⊕••
Eine topische Eflornithin-Creme (Vaniqa®, verschreibungspflichtig) kann zusätzlich zur Fotoepilation eingesetzt werden, wenn ein schnelleres Ansprechen gewünscht wird.
2/⊕⊕••
Frauen mit Hyperandrogenämie, die eine Enthaarungstechnik anwenden, sollten zusätzlich eine pharmakologische Behandlung erhalten, um das Nachwachsen der Haare zu minimieren.
2/⊕⊕••

Empfehlungsstärken: 1 = stark („Empfehlung“), 2 = bedingt („Vorschlag“)

Evidenzgrade: ⊕••• sehr geringe Evidenz, ⊕⊕•• geringe Evidenz, ⊕⊕⊕• moderate Evidenz, ⊕⊕⊕⊕ hohe Evidenz

* Bei der Fotoepilation erfolgt die Verödung der Haarwurzel durch Thermolyse des Melanins. Bei blonden, weißen oder rötlichen Haaren ist die Methode wegen des fehlenden Melanins nicht erfolgreich.

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Quelle

Martin KA et al. Evaluation and treatment of hirsutism in premenopausal women: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab 2018;103(4):1233–1257

Barrionuevo P et al. Treatment options for hirsutism: A systematic review and network meta-analysis. J Clin Endocrinol Metab 2018;103(4):1258–1264

Bühling KI, Zouboulis CC. Androgenisierungserscheinungen der Frau. CME Medipoint 2016, VRN: 2760909006152830010, S1-16

http://flexikon.doccheck.com/de/Hirsutismus

Polyzystisches Ovar-Syndrom: Neuer Name soll Forschungsinteresse verstärken. Meldung im Ärzteblatt online vom 4. Juli 2016, www.aerzteblatt.de, Abruf am 11. Mai 2018

Eflornithin (Vaniqa) bei unerwünschtem Haarwuchs? arznei-telegramm (2005);36:90-91

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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