DAZ aktuell

Rettet die Hilfstaxe – jetzt!

Plädoyer für eine sichere Versorgung von Krebspatienten

Foto: Andrey Kuzmin – stock.adobe.com
Ein Meinungsbeitrag von Franz Stadler | Lassen Sie uns für einen Moment die Befindlichkeiten der sogenannten Vertragspartner DAV und GKV-Spitzenverband vergessen, ignorieren wir deren in- und externe Machtkämpfe, deren Angst vor Gesichtsverlust, deren Intransparenz und deren übersteigertes Geltungsbedürfnis und lassen Sie uns statt dessen an die Betroffenen, die behandlungsbedürftigen Krebspatienten denken – dann und nur dann erscheint ein tragfähiger Kompromiss zur Hilfstaxe Anlage 3 möglich. Dabei geht es weniger um die konkreten Werte einer neuen Vereinbarung als vielmehr um das Verfahren, diese Werte künftig zu erlangen.

Als Teil der Arzneimittelpreisverordnung regelt die Hilfstaxe in ihrer Anlage 3 die Preisbildung für parenterale Lösungen. Sie gilt bundesweit und ergibt für jede Zubereitung bei korrekter Anwendung einen einheitlichen Verkaufspreis. So soll, wie bei allen Arzneimitteln, die insgesamt als besondere Produktgruppe definiert sind, im Interesse der Verbraucher ein Zuviel an Umsatzwettbewerb (und damit Arzneimittelmissbrauch), aber auch Preiswucher verhindert werden. Die Hilfstaxe bestimmt letztlich den Geldfluss zwischen Krankenkassen und zubereitenden Apotheken, wobei dieser Geldfluss, neben den allfälligen Materialkosten, den Rohgewinn der Arzneimittelhersteller, gegebenenfalls den eines zwischengeschalteten Großhandels auch den Rohgewinn der zubereitenden Apotheken selbst enthält. In unserem marktwirtschaftlichen System sind aus dem Rohgewinn alle anfallenden Kosten zu decken und es muss ein gewisser Unternehmerlohn verbleiben – sonst funktioniert das Gesamtsystem nicht. Wichtig bei dieser Konstruktion sind in unserem Zusammenhang folgende Punkte:

  • Die Krankenkassen haben (bis auf die wenigen open-house-Verträge) nur einen Vertragspartner, nämlich die abrechnende Apotheke, was deren Verwaltungsaufwand zwar deutlich verringert, aber die Apotheke schnell in die Rolle des Sündenbocks für steigende Arzneimittelausgaben bringt.
  • Nur für das Vertragsverhältnis von Krankenkasse zu Apotheke gilt das Sozialgesetzbuch, während in der Folge für die Geschäftsbeziehungen das Bürgerliche Gesetzbuch greift, was beispielsweise eine rückwirkende und einseitige Senkung der Einkaufspreise durch die Apotheke gegenüber den Herstellern unmöglich macht, das Gleiche aber den Krankenkassen gegenüber den Apotheken durchaus erlaubt (Schiedsspruch zur Hilfstaxe vom Januar 2018 und in der Folge LSG Berlin).
  • Die Krankenkassen haben Zugriff auf die gesamte Abrechnungssumme, deren Höhe bei ganz oder teilweiser Nichtbegleichung für die abrechnenden Apotheken schnell existenzgefährdend werden kann. Von den 33,66 Mrd. Euro Arznei­mittelgesamtausgaben der GKV entfallen aber nur 15,4% auf die Apo­theken (2017, vorläufige Zahlen der ABDA), obwohl alle Zahlungen in diesem Bereich über die Apotheken bzw. deren Rechenzentren abgewickelt werden. Die Apotheken können dadurch leicht unter Druck gesetzt und weit überproportional bestraft (retaxiert) werden.
  • Ein Preiswettbewerb im System der Hilfstaxe ist nicht vorgesehen. Sie darf also auch nicht der Marktbereinigung dienen (wie von manchen Krankenkassen offensiv angestrebt), sondern hat über auskömmliche Vergütungen, die natürlich von Zeit zu Zeit angepasst werden müssen, die flächendeckende Versorgungs- und Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten.

Aus all diesen Gründen obliegt den Krankenkassen eine besondere Verantwortung, deren Einhaltung eigentlich auch entsprechend kontrolliert werden müsste. Allerdings arbeiten Sozialgerichte, der verpflichtende Rechtsweg für Apotheken, in aller ­Regel sehr langsam, eine Tatsache, die angesichts der bewegten Summen allein schon existenzgefährdend sein kann. Die übergeordneten Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (bei den AOKen) existieren sowieso nur auf dem Papier (eigene Erfahrungen des Autors und anderer Betroffener). Deshalb sind vom Gesetzgeber klare Regelungen vorzugeben, die den Weg zu einer funktionierenden Hilfstaxe beschreiben und nachträgliche Kontrollen weitgehend entbehrlich machen.

Forderung nach Clearingstelle

Was ist nun eine auskömmliche Vergütung und wie kann sie erreicht werden? Das ist die Kernfrage aller Hilfstaxenverhandlungen. Um sich diesem Punkt zu nähern, schlägt der Autor folgende Verfahrensregelungen vor:

Bestimmung des Milligramm-Preises: Da der Gesetzgeber den Krankenkassen gegenüber den Pharmazeutischen Unternehmern (PU) ein Auskunftsrecht bezüglich deren Abgabepreisen eingeräumt hat, fällt die Bestimmung des Milligramm-Preises pro Wirkstoff den Krankenkassen zu. Er sollte so gewählt werden, dass Lieferengpässe vermieden werden, also auch die Lieferfähigkeit der PU gewichtet berücksichtigen. Die Berechnung des maßgeblichen Milligramm-Preises pro Wirkstoff ist gegenüber einer neu zu schaffenden Clearingstelle offenzulegen, kann dort überprüft, gegebenenfalls angepasst und freigegeben werden. Sollten nachweislich die angegebenen Milligramm-Preise für eine zubereitende Apotheke bei keinem deutschen PU erzielt werden können (Rechnung genügt als Nachweis) gilt stattdessen der Milligramm-Preis, der sich aus der Originalrechnung der verwendeten Charge ergibt (ohne Berücksichtigung von Skonti, die nur aus geänderten Zahlungsmodalitäten entstehen und nicht Teil des Preises sind).

Bestimmung der Dienstleistungspauschale, des Arbeitspreises: Dieser Teil ist Aufgabe der zubereitenden Apotheken, die kontrollierbare Vollkostenanalysen vorlegen müssen. Auch hier könnte eine Clearingstelle den Wert nach Überprüfung der vorgelegten Daten freigeben. Natürlich muss auch eine Dienstleistungspauschale so gewählt werden, dass sie die Erfüllung des Versorgungsauftrages in der Fläche ermöglicht. Die Zielgröße kann also nicht das preiswerteste Angebot sein, sondern jener Wert, der eine flächendeckende Versorgung sicherstellen kann.

Regelung der Streitfälle zwischen den Vertragspartnern: Schon allein wegen der Höhe der Streitsummen ist eine Clearingstelle zu schaffen, die, mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet, schnelle Entscheidungen treffen kann (maximal vier Wochen). Ihre Besetzung könnte sein: je drei Vertreter der GKV-Krankenkassen und der zubereitenden Apotheken (als von den zubereitenden Apotheken gewählte DAV-Vertreter) sowie ein vorsitzender, neutraler Schiedsrichter, der in Pattfällen entscheiden kann. Vielleicht sollten auch Vertreter der PU (zwei?, ohne Stimmrecht?) mit an den Tisch gebeten werden können, sollte es um Streitfälle gehen, die mit deren An­gaben in den Fachinformationen zu tun haben. Denn es ist nicht einzu­sehen, warum PU aus der Haftung bezüglich Haltbarkeit und/oder mecha­nischen Belastungen der Wirkstoffe beim Transport entlassen werden sollten, nur weil sie dazu keine offiziellen Angaben machen wollen. Ebenso kann auf diesem Weg Einfluss auf die Wahl der Packungsgrößen genommen werden, die nicht selten zu unnötigen Kosten für das Solidarsystem führen. Belegbare, derartige Verwurfskosten sollten verbindlich an die PU weitergegeben werden können, was allerdings eine entsprechende gesetzliche Regelung erfordert.

Aus diesen Punkten ergäbe sich dann folgende Abrechnungsregelung:

1. Basis: Milligramm-Preis (mit oder ohne Herstellerrabatt?) multipliziert mit der verordneten Menge. Das jetzige System mit der Berechnung des Milligramm-Preises ausgehend von einem fiktiven Lauertaxenpreis mit zum Teil horrenden Abschlägen (bis zu 83,7%!) ist nicht nur un­sinnig, sondern bei überraschenden Preissenkungen durch einzelne PU ­sogar existenzgefährdend für die zubereitenden Apotheken.

2. Handlingspauschale: 5% von 1. (ungedeckelt laut Honorargutachten des Bundeswirtschaftsministeriums, für das Lager- und Verlustrisiko im Umgang mit den Fertigarzneimitteln). Diese beiden Werte (1. + 2.) könnten entfallen, falls die Krankenkassen sich für die Umsetzung des Kommissionsmodelles entscheiden würden und selbst direkt mit den PU abrechneten (Details siehe DAZ 2017, Nr. 32, S. 22 ff.).

3. Dienstleistungspauschale: Der Wert würde sich aus dem Durchschnitt der Vollkostenanalysen der zubereitenden Apotheken ergeben und von der Clearingstelle festgesetzt. Er gilt selbstverständlich für alle Zubereitungen, egal welcher Wirkstoff, schließlich ist der Aufwand bei jeder Zubereitung nahezu identisch. Die Dienstleistungspauschale wäre, wie alle Werte, in festen Abständen (alle fünf Jahre?) neu zu bestimmen und in der Zwischenzeit zu indexieren.

4. Geeignete Primärpackmittel, soweit notwendig, laut Taxe.

5. Die Summe aus 1. bis 4. ergibt den Nettopreis, dem abschließend 19% MwSt., die übrigens höher liegt als der gesamte Wertschöpfungsanteil der zubereitenden Apotheken, aufgeschlagen werden.

Fazit

In den letzten Jahren wurden, zum Teil lobbygesteuert, einige grundlegende Fehler bei der Gestaltung des gesetzlichen Rahmens für die Versorgung mit parenteralen Zubereitungen gemacht. So wurde den Krankenkassen zu viel Macht eingeräumt, was zu untragbaren Auswüchsen im Bereich der Retaxationen und mit dem Schiedsspruch auch im Bereich der Preisbildung geführt hat. Um es klar zu sagen: Es muss eingespart werden, will man weiterhin innovative, neue Arzneimittel allen Versicherten zukommen lassen. Diese Einsparungen lassen sich aber nicht dadurch erzielen, dass zubereitende Apotheken auf Originalpräparate, die noch dem Patentschutz unterliegen, Rabatte geben müssen, die sie selbst nicht vom PU erzwingen können. Das führt nur zu einer Konzentrierung der Apotheken mit Reinraum auf wenige große Herstellbetriebe (Zentralisierung), die Verluste in Kauf nehmen, über mehr Marktanteile eine Oligo- oder Monopolisierung des Marktes anstreben, um die Unternehmen dann über hinter ­ihnen stehende Venture-Kapitalisten mit hohen Gewinnen und zum Schaden des deutschen Gesundheitswesens zu veräußern. Aber gerade im Gesundheitsbereich sind Gewinnmaximierungen genauso wie Einsparungen um jeden Preis widersinnig. Im Interesse einer flächendeckenden Patientenversorgung wäre eine maßvolle Dezentralisierung die wünschenswerte Entwicklung. So sollte aus pharmazeutischen Gesichtspunkten eigentlich jeder Landkreis über mindestens eine Apotheke mit Reinraum verfügen, damit mechanische Belastungen besonders der empfindlichen Antikörper während des Transportes vermieden werden können – ganz abgesehen von den vielen Vorteilen für die Patienten, aber auch für die Krankenkassen, die sich aus einer flexiblen Adhoc-Produktion ergeben (Vermeidung von unnötig hergestellten Infusionen, schnelle Dosisanpassungen, Vermeidung von Krankenhausaufenthalten usw.). Ebenso ist die von manchen Kassen geforderte und gelebte Praxis unsinnig, Haltbarkeiten willkürlich und ohne valide Grundlagen zu verlängern, nur um notwendige Verwürfe nicht zahlen zu müssen. Verfallene, teilweise oder ganz unwirksame Infusionen sind ihr Geld sowieso nicht wert und sollten eigentlich gar nicht bezahlt werden!

Im Interesse der Arzneimittelsicherheit und damit der Patienten muss der gesamte Komplex der Versorgung mit parenteralen Zubereitungen neu geordnet werden. Die Empfehlungen gutmeinender Praktiker können hierbei hilfreich sein (siehe z. B. die Resolu­tion der ARGE PareZu, News auf DAZ.online „Neue Plattform für Zyto-Apotheker“ vom 12. April 2018), gefordert ist aber letztlich die Politik. Von den zerstrittenen Vertragspartnern ist in absehbarer Zeit wohl keine Einigung zu erwarten und Sozialgerichte können ebenfalls keinen zielführenden Beitrag leisten. Die Zeit drängt aber. Es könnte angesichts des finanziellen Druckes, der auf viele zubereitende Apotheken ausgeübt wird, bald zu spät sein. Der Reformbedarf ist offensichtlich. Also: Bitte rettet die Hilfstaxe. Jetzt! |

Dr. Franz Stadler, Sempt Apotheke, Gestütring 19, 85435 Erding

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