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Digitales für Apotheker
Was ist eine „gute“ Gesundheits-App?
Wirksamkeitsnachweis für Apps – Folge 2
Von Ursula Kramer | In Deutschland nutzt fast jeder Zweite [1] mindestens eine Gesundheits-App, um sich fit und gesund zu halten oder um sich im Alltag mit einer chronischen Erkrankung Unterstützung zu holen. Der Markt der Gesundheits-Apps hat sich ganz ohne Empfehlung oder Zutun von Leistungserbringern und Kostenträgern seit 2008, dem Markteintritt des ersten Smartphones von Apple, rasant entwickelt. Relativ spät, 2015 [2] bzw. 2016 [3], erfolgte in Deutschland eine erste Bestandsaufnahme über Qualität und Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen. Der Markt ist weitgehend unreguliert, weder Qualität und Sicherheit noch Nutzen dieser Anwendungen werden behördlich kontrolliert, das ist nicht nur in Deutschland so. Umso erstaunlicher ist es, dass abgesehen von wenigen Einzelfällen, Patienten bisher kaum zu Schaden gekommen sind [4 – 7]. Das liegt wohl auch daran, dass Apps bisher kaum in der Diagnose oder Therapie zum Einsatz kommen, sondern zur Gesundheitsvorsorge oder zur Stärkung der Selbstbefähigung von Chronikern. Sie werden also außerhalb der Regelversorgung genutzt. Sollen sie in Zukunft in der Therapieführung zum gemeinsamen Arbeitsmittel von Arzt und Patient werden, muss der Schutz für Patienten erhöht werden, da sind sich Verbraucherschützer, Patientenverbände und ärztliche Fachgesellschaften einig [8]. Zwar gibt es längst Qualitätskonzepte. Doch sind sie noch weitgehend unbekannt, und das hat viele Gründe.
Wer hat die Deutungshoheit?
Wer sagt, was Qualität ist? In der Medizin sehen sich vorwiegend Ärzte in der Pflicht, das gilt auch in der digitalen Welt, wo digitale Gesundheitsanwendungen bisher hauptsächlich in Eigenregie von Patienten genutzt wurden. Beim Ärztetag 2017 vor einem Jahr wurde erstmals die Forderung nach einem Qualitätssiegel für Gesundheits-Apps laut. Ärzte fangen an, sich mit den Qualitätsansätzen zu befassen. Als erste medizinische Fachgesellschaft haben sich die Diabetologen 2017 mit einem Siegel für die Qualität von Diabetes-Apps positioniert [9], auch die Internisten haben im Frühjahr bei ihrem Kongress in Mannheim ein Siegel angekündigt [10], die Psychotherapeuten [11] auch. Gesucht werden relevante Qualitätskriterien, die einen größtmöglichen Schutz für den Nutzer bieten, andererseits soll der Komplexitätsgrad des Prüfprozesses beherrschbar und damit dessen Aufwand überschaubar bleiben. Sicher wird das Rad durch die Ärzteschaft nicht neu erfunden. Es werden sich wohl Qualitätsstandards herauskristallisieren, wie sie z. B. HealthOn mit dem Ehrenkodex für Gesundheits-Apps [12] und die Stiftung Health on the Net mit dem HON-Code für Webseiten [13] bereits nutzen. Die Stiftung gibt seit 20 Jahren Orientierung und weist Webseiten mit Gesundheitsinformationen als vertrauenswürdig aus [14], HealthOn tut das seit 2012 für Gesundheits-Apps [15].
Nur eine App, die genutzt wird, kann auch wirken
Die medizinische Perspektive ist zweifelsohne wichtig, aber sie bildet nur einen Teil der qualitätsbestimmenden Aspekte [12] einer Gesundheits-App ab. Natürlich ist es zum Schutz des Nutzers wichtig, dass gesundheitsbezogene Tipps und Handlungsempfehlungen richtig und unabhängig sind. Die vermittelten Informationen sollen aktuell und relevant sein. Vor allem aber soll eine App wirksam sein. Dabei spielen Einflussgrößen eine Rolle, nicht alle sind medizinischer Natur: Technische Funktionsfähigkeit, Anwenderfreundlichkeit einer App sowie das positive und motivierende Nutzererlebnis. Man spricht in diesem Kontext von einer guten „User Experience“, die Voraussetzung ist für eine gute „App-Adhärenz“. Ohne sie wird eine App kaum genutzt, ohne sie kann eine App nicht dazu beitragen, die häufig langfristig ausgelegten Gesundheitsziele zu erreichen. Bisher schafft das nur ein Bruchteil der Gesundheits-Apps, 90 Prozent werden kaum genutzt [16]. Auch Bedenken bezüglich der Sicherheit von Gesundheitsdaten wirken sich auf die Nutzung einer App aus. Die Angst vor dem unbefugten Ausspähen von Gesundheitsdaten durch Dritte [17 – 19] nennen Patienten als Haupthinderungsgrund, der sie von der Nutzung einer Gesundheits-App abhält. Die transparente Aufklärung über die Erhebung und Nutzung von Daten zählt daher zweifelsohne auch zum Qualitätsbegriff einer „guten“ Gesundheits-App.
Es fehlt der Nutzennachweis
Noch keine Gesundheits-App hat es in Deutschland in die Regelversorgung geschafft, einige wenige werden im Rahmen von Evaluationsprojekten von Kassen erstattet [20]. Was fehlt, ist der Nachweis des wissenschaftlich belegten Nutzens einer App. Diesen sog. Netto-Nutzen methodisch sauber zu erfassen, d. h. den gesundheitlichen Nutzen abzüglich des potenziellen Schadens für den Nutzer, ist schwierig. Die hohe Veränderungsdynamik einer App und das von vielen Faktoren abhängende Zusammenspiel von Hardware, Software und den Fähigkeiten und Einschränkungen der App-Nutzer machen die Studiendurchführung komplex [2, 3]. Anders als bei Arzneimittelstudien stehen hinter Apps in der Regel keine finanzkräftigen Hersteller, sondern junge, kleine Unternehmen mit begrenzten Ressourcen [2, 3]. Bisher liegen kaum klinische Studienbelege vor für die Wirksamkeit von Apps [2, 3].
Gesundheits-Apps nutzen will gelernt sein
Kostenträger, die Effizienz und Qualität der Versorgungsstrukturen durch Digitalisierung verbessern wollen, haben ein wachsendes Interesse daran, dass Versicherte lernen, digitale Anwendungen zu nutzen. Nicht ganz uneigennützig, denn die digitale Abwicklung von Krankschreibungen, Bonusprogrammen und Rechnungen verspricht große Einsparungen in den Verwaltungskosten. Darüber hinaus können Gesundheits- und Medizin-Apps auch zur Brücke werden für eine verbesserte Gesundheitskompetenz [21]: Angebote zur Unterstützung der Gesundheitsvorsorge oder Unterstützungshilfen für das Selbstmanagement von chronischen Erkrankungen erreichen Menschen möglicherweise leichter und können individueller auf deren Bedürfnisse angepasst werden als bisher. Damit verknüpft ist auch die Hoffnung auf bessere Partizipation: Es wird einfacher, sich mitzuteilen über die Zufriedenheit mit Leistungen oder die Erwartungen an Gesundheitsangebote.
Mit Apps & Co in Richtung Value-based care
Die mit Apps, tragbaren Sensoren und Messgeräten erfassten Daten zu Befindlichkeit, Aktivität und Lebensqualität, die sog. patient oder consumer generated health data, können eine neue Ära einläuten [22]. Welche zusätzlichen Erkenntnisse bringt der Abgleich dieser sog. Real World Daten mit der Nutzenbewertung aus kontrollierten klinischen Studien? Was verändert sich, wenn die vom Patienten als relevant eingeschätzten Ergebnisse (outcomes) zukünftig stärker einbezogen werden? Durch Apps & Co und neue digitale Möglichkeiten, große Datenmengen mithilfe von Algorithmen auszuwerten, rückt die ergebnisorientierte Gesundheitsversorgung näher [22]. Vorausgesetzt, alle Akteure können und wollen mit digitalen Gesundheitsanwendungen umgehen, vorausgesetzt, Arzt und Apotheker können sie sinnvoll in Versorgungspfade einbauen. Neben Fragen der technischen Infrastruktur und der rechtlichen Rahmenbedingungen braucht es dazu auch Orientierungshilfen, um Patienten Apps zu empfehlen, deren Qualität und Sicherheit man einschätzen kann. Welche Test-, Qualitäts- und Datenschutzsiegel gibt es hier in Deutschland und was unterscheidet sie? Darüber mehr in der nächsten Folge der DAZ-Serie „Digitales für Apotheker“. |
Quellen:
[1] Bitkom 2017. Nutzung von Gesundheits-Apps; https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Fast-jeder-Zweite-nutzt-Gesundheits-Apps.html
[2] Lucht M, Boeker M, Donath J, Güttler J, Leinfelder D, Kramer U. (2015). Gesundheits- und Versorgungs-Apps. Hintergründe zu deren Entwicklung und Einsatz. Universitätsklinikum Freiburg und sanawork Gesundheitskommunikation, Freiburg. Verfügbar unter: https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/724464/Datei/143238/Studie-Gesundheits-und-Versorgungs-Apps.pdf (11.05.2018)
[3] Albrecht U.-V. (2016a): Kapitel Kurzfassung. In: Albrecht, U.-V. (Hrsg.), Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA). Medizinische Hochschule Hannover, 2016, S. 14–47. urn:nbn:de:gbv:084-16040811173. http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=60004
[4] https://www.HealthOn.de/de/2015/09/29/klage-gegen-medizin-app-die-sehkraft-verbessern-soll
[5] Wolf J, Moreau J, Akilov O. et al. (2013). Diagnostic Inaccuracy of Smarthphone Applications for Melanoma Detection, in: JAMA Dermatol., 149 (4). S. 422-426.
[6] Semigran Hannah L, Linder Jeffrey A, Gidengil Courtney, Mehrotra Ateev (2015). Evaluation of symptom checkers for self diagnosis and triage: audit study BMJ 2015; 351 :h3480
[7] Plante TB, Urrea B, MacFarlane ZT, et al. Validation of the Instant Blood Pressure Smartphone App. JAMA Intern Med. 2016;176(5):700-702. doi:10.1001/jamainternmed.2016.0157.
[8] Deutscher Ethikrat. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Stellungnahme, 30. November 2017. http://www.ethikrat.org/themen/forschung-und-technik/big-data
[10] Internisten sichten und klassifizieren Gesundheits-Apps. Deutsches Ärzteblatt. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/92003/Internisten-sichten-und-klassifizieren-Gesundheits-Apps
[11] BDP verabschiedet Gütesiegel für psychologische Gesundheitsangebote im Internet. http://www.bdp-verband.org/bdp/presse/2017/03_guetesiegel.html
[12] Kramer U, Wie gut sind Gesundheits-Apps? Was bestimmt Qualität & Risiko? Welche Orientierungshilfen gibt es? Aktuel Ernahrungsmed 2017; 42(03): 193-205 DOI: 10.1055/s-0043-109130; 03/2017
[13] HONcode Qualitätskriterien. https://www.healthonnet.org/HONcode/German/
[14] HON Facts: Certified Websites https://www.hon.ch/HONcode/Patients/Visitor/visitor.html
[15] Gesundheits-Apps: Ehrenkodex mit sieben Regeln. Ärzte Zeitung, Oktober 2012; https://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/w_specials/gesundheitsapps2011/article/823309/gesundheits-apps-ehrenkodex-sieben-regeln.html
[16] https://www.healthon.de/health-app_dashboard Nur wenige Gesundheits-Apps haben mehr als 50.000 Downloads.
[17] GAPP-Studie 2014. https://www.healthon.de/blogs/2014/11/28/gapp-studie-hohe-erwartungen-und-offenheit-f%C3%BCr-gesundheits-apps
[18] GAPP2-Studie 2017. https://www.healthon.de/marktstudien/2017/07/gapp2-ergebnisbericht-072017
[19] Kramer U, Zehner F (2016). Diabetes-Management mit Apps: Derzeitige und zukünftige Nutzung, Einstellungen, Erfahrungen und Erwartungen von Diabetikern. Online-Befragung von Diabetikern. Diabetologie und Stoffwechsel 2016, 11 – P118
[20] Kassenverträge für Gesundheits-Apps: Per aspera ad astra? https://www.healthon.de/blogs/2017/08/09/kassenvertr%C3%A4ge-f%C3%BCr-gesundheits-apps-aspera-ad-astra
[21] Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz, am 19.02.2018 vorgestellt. https://www.nap-gesundheitskompetenz.de/
[22] Vollmar et. al 2017. Position Paper of The AG Digital Health DNVF on Digital Health Applications: Framework Conditions For Use in Health Care, Structural Development and Science Gesundheitswesen. 2017 Dec;79(12):1080-1092. doi: 10.1055/s-0043-122233. Epub 2017 Dec 29.
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