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Praxis

Rund um die Uhr

Arzneimittelversorgung in Nacht- und Notdiensten

Wenn ein Patient mit einem Rezept die öffentliche Apotheke vor Ort aufsucht, möchte er in der Regel sofort versorgt werden. Vor allem bei dringenden Arzneimitteln wie Antibiotika oder starken Schmerzmitteln soll die Behandlung möglichst zeitnah beginnen. Dies stellt hohe Anforderungen an die Vorratshaltung in den öffentlichen Apotheken, die aber vom weitaus größten Teil der öffentlichen Apotheken mithilfe modernster EDV- und Lager-Technik ausgezeichnet gemeistert wird. Eine Lieferfähigkeit von über 90 Prozent ist in den Apotheken keine Seltenheit – trotz ständig wechselnder Rabattverträge. Schon aus Wettbewerbs-gründen unternehmen die öffentlichen Apotheken dazu große Anstrengungen. | Von Christian Bauer

Den öffentlichen Apotheken ist nach § 1 ApoG (Gesetz über das Apothekenwesen) die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten übertragen worden. Damit erfüllt die öffentliche Apotheke vor Ort Gemeinwohlpflichten des Staates. Diese Übertragung beinhaltet sowohl Rechte (z. B. die Arzneimittelpreisverordnung [AMPreisV] oder die Apothekenpflicht) als auch Pflichten (z. B. Notdienste, Beratung, Vorschriften für den Betrieb einer Apotheke). Eine weitere Pflicht ist eine ausreichende Vorratshaltung in der Apotheke. Nach § 15 Abs. 1 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) hat der Apothekenleiter sicherzustellen, dass Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte in einer Menge vorrätig sind, die dem durchschnittlichen Bedarf für eine Woche entsprechen. Es ist also nicht zulässig, nur ein extrem kleines Warenlager in der Apotheke zu besitzen und erst bei Nachfrage beim pharmazeutischen Großhändler zu bestellen. Dies würde nicht dem Versorgungsauftrag der Apotheke entsprechen. Übrigens trifft das auch auf Apotheken mit einer Versandabteilung zu.

Wie lässt sich das praktisch umsetzen?

Darüber hinaus listet § 15 Abs. 1 ApBetrO bestimmte Arzneimittel und Medizinprodukte auf, die jede Apotheke verpflichtend vorrätig halten muss, auch wenn sie nicht oder nur selten benötigt werden.

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Der durchschnittliche Wochenbedarf an Arzneimitteln und Medizinprodukten ist von Apotheke zu Apotheke verschieden, abhängig von den örtlichen Gegebenheiten. So wird eine Apotheke mit benachbartem Augenarzt sicherlich wesentlich mehr Augentropfen vorrätig halten als eine Apotheke, für die der nächste Augenarzt 15 km entfernt ist. Das entscheidende Kriterium ist die Lieferfähigkeit bzw. eine niedrige Defektquote. Ein ständig überquellendes Nachlieferungsregal sollte Anlass zum Handeln geben. Jede Apotheke in Deutschland sollte ihren Versorgungsauftrag (auch im Katastrophenfall!) sehr ernst nehmen und eine möglichst niedrige Defektquote anstreben:

  • Dazu gehört, dass eine Akutmedikation sofort beliefert wird. Die akute Versorgung des Patienten hat Vorrang vor einem eventuellen Rabattvertrag – dafür gibt es das Sonderkennzeichen „Akutversorgung“. Es ist nicht mit einer ordnungsgemäßen und heilberuflich verantwort­lichen Arzneimittelversorgung vereinbar, wenn z. B. ein dringend benötigtes Antibiotikum, ein Glucocorticoid oder ein starkes Schmerzmittel, nicht abgegeben werden, obwohl mehrere vergleichbare Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff im Kommissionierautomaten oder in den Schubladen lagern.
  • Dazu gehört auch, dass man sich für Nacht- oder Not­dienste an Sonn- und Feiertagen ausreichend mit den voraussichtlich benötigten Arzneimitteln bevorratet. Hat ein am Ort ansässiger Facharzt (z. B. Kinderarzt) mit einem größeren Einzugsgebiet Dienst? Wenn ja, dann wäre z. B. der Bestand an Antibiotika-Säften zu erhöhen. Sind die Telefonnummern der umliegenden dienstbereiten Apo­theken griffbereit (um sich aushelfen zu können)? Ist die Notfallnummer des Großhandels vorhanden, damit die Apotheke auch am Sonntag ein dringend benötigtes Arzneimittel besorgen kann (z. B. bei einem Meningitis-Fall)?

Daneben hat die Apotheke noch Arzneimittel nach § 15 Abs. 1 ApBetrO vorrätig zu halten (s. Kasten „§ 15 Abs. 1 ApBetrO – ‚Vorratshaltung‘„), auch wenn diese vielleicht nie benötigt werden (früher das „Notfalldepot“). Es empfiehlt sich, diese Liste zu kopieren, die jeweilig vorrätigen Arzneimittel darauf zu vermerken und diese Liste auszuhängen. Der Kasten „Welche Arzneimittel und Medizinprodukte gehören in das ‚Notfalldepot‘?“ auf der nachfolgenden Seite zeigt mögliche Beispiele von Arzneimitteln.

§ 15 Abs. 1 ApBetrO – „Vorratshaltung“

  • Analgetika
  • Betäubungsmittel, darunter Opioide zur Injektion sowie zum Einnehmen mit unmittelbarer Wirkstofffreisetzung und mit veränderter Wirkstofffreisetzung
  • Glucocorticosteroide zur Injektion
  • Antihistaminika zur Injektion
  • Glucocorticoide zur Inhalation zur Behandlung von Rauchgas-Intoxikationen
  • Antischaum-Mittel zur Behandlung von Tensid-Intoxikationen
  • medizinische Kohle, 50 Gramm Pulver zur Herstellung einer Suspension
  • Tetanus-Impfstoff
  • Tetanus-Hyperimmun-Globulin 250 I. E.
  • Epinephrin zur Injektion
  • 0,9 Prozent Kochsalzlösung zur Injektion
  • Verbandstoffe, Einwegspritzen und -kanülen, Katheter, Überleitungsgeräte für Infusionen sowie Produkte zur Blutzuckerbestimmung

Präparate-Beispiele finden Sie im folgenden Kasten.

Welche Arzneimittel und Medizinprodukte gehören in das „Notfalldepot“?

  • Analgetika: Dies erfüllt sicher jede Apotheke ohne Probleme mit der Vielzahl der Wirkstoffe von NSAR, Metamizol über Tilidin bis Tramadol.
  • Betäubungsmittel: zur Injektion Morphin 10 mg 5 Ampullen; zur unmittelbaren Freisetzung Morphin Tabletten oder auch Tilidin Tropfen; mit veränderter Freisetzung Morphin 10 mg oder 30 mg retard Tabletten, Oxycodon 10 mg oder 20 mg retard Tabletten. Zusammen mit den sicherlich vorrätigen fentanylhaltigen transdermalen Systemen (siehe auch § 15 Abs. 2 Nr. 11 ApBetrO) ist damit jederzeit auch eine Notfallversorgung, z. B. am Wochenende, von Palliativpatienten möglich (nach Rücksprache mit dem Arzt).
  • Glucosteroide zur Injektion: Zur Behandlung eines anaphylaktischen Schocks sind erforderlich: 1000 mg Prednisolon i.v. (Prednisolut®, Solu-Decortin® je 250/500/1000 mg); Dexamethason 40 – 100 mg i.v. (Fortecortin®); Triamcinolonacetonid 200 mg i.v. (Volon A ® sol. 80 mg). Diese Dosierungen sind bei der Auswahl eines geeigneten Präparates zu berücksichtigen. Niedrig dosierte Glucocorticosteroide zur Injektion erfüllen die Anforderungen von § 15 ApBetrO nicht.
  • Antihistaminika zur Injektion: Fenistil® 5 Amp., Tavegil® 5 Amp.: Dos 1 Amp. i.v.
  • Glucocorticoide zur Inhalation bei Rauchgas-Intoxikationen: Ventolair® 100 mg Dosieraerosol (!) oder Beclometason ratio® DA, akut 4 Sprühstoße. Es ist ein Dosieraerosol mit Druckgasinhalation erforderlich, da bei einem Pulverinhalator u. U. der benötigte Atemzug nicht mehr ausreicht.
  • Antischaummittel bei Tensid-Intoxikation: Lefax® Pump Liquid akut 10 – 20 ml, sab simplex® Suspension.
  • Medizinische Kohle: 50 g Pulver, Ultracarbon®. Kohle Compretten® sind nicht geeignet – eine Comprette enthält nur 250 mg Kohle.
  • Tetanus-Impfstoff: Tetanol® Amp.; bei Verletzung und schlechtem Impfstatus 1 Amp.
  • Tetanus-Hyperimmunglobulin 250 i.E.: Tetagam® Amp. (Doku nach TFG beachten)
  • Epinephrin zur Injektion: Suprarenin® 6 × 1 ml Amp.; akut 1 ml 1:10 verdünnen
  • 0,9% Kochsalzlösung zur Injektion: Kochsalz 10 × 2 ml; 10 × 5 ml Amp; oder besser als Miniplasco 10 × 5 ml, 10 × 10 ml; (Tipp: diese werden auch gerne zur Inhalation verwendet).
  • Verbandstoffe: normalerweise kein Problem
  • Einwegspritzen und Einwegkanülen: Hier sollten verschiedene Spritzen 1 ml, (2 ml, 5 ml, 10 ml) und Kanülen (z.B. Gr. 1, 2, 12, 18, 20) in ausreichender Anzahl vorhanden sein (Verfalldatum beachten).
  • Katheter: Einmal- und Ballonkatheter mit CH 14 und 16. Gerade im Notdienst braucht der Pflegedienst schnell einen Katheter bei Blasenstau.
  • Überleitungsgeräte für Infusionen: Intrafix Air®, Butterfly® 21 und 23 G, Braunülen wie Vasofix® G 20 und G 22 in aus­reichender Zahl.
  • Produkte zur Blutzuckerbestimmung: Hier dürften ge­nügend Geräte vorhanden sein.

In jeder Apotheke sollten ferner alle Utensilien zum Legen einer Infusion und zur Verabreichung einer Injektion vorhanden sein. Bei einem Notfall in einer Praxis oder auf Nachfrage eines Notarztes ist nichts peinlicher, wenn zwar das benötigte Arzneimittel, aber nicht das dazu notwendige Hilfsmittel vorhanden ist und dann eine dringende Behandlung nicht eingeleitet werden kann.

Fazit

Die öffentliche Apotheke vor Ort erfüllt mit der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung einen äußerst wichtigen Part in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Dazu gehört neben der Beratung oder der Herstellung von individuellen Arzneimitteln eine ausreichende Bevorratung mit Arzneimitteln, um möglichst sofort und zuverlässig die Kunden versorgen zu können. Damit zeigt die öffentliche Apotheke vor Ort der Gesellschaft, dass sie unersetzbar ist und andere Vertriebsformen keine Alternative darstellen. |

Autor

Pharmazierat Christian Bauer, Inhaber der Löwen-Apotheke, Burglengenfeld, und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands (APD)

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