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Geriatrie

Schmerz bei Demenz

Eine diagnostische Herausforderung

Die Zahl der Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, liegt aktuell bei über 1,3 Millionen – Tendenz steigend [1]. Das Alter stellt dabei den wichtigsten Risikofaktor für die Entstehung einer Demenz dar. Es gibt Berechnungen, nach denen sich die Zahl der Demenz-Kranken bis zum Jahr 2050 verdoppeln könnte [1]. Auch der Schmerz ist ein altersassoziiertes Symptom. Dass ältere Demenz-Patienten Schmerzen haben, ist daher sehr wahrscheinlich. Doch Demenz-­Patienten erhalten oft seltener und weniger Schmerzmittel als gleichaltrige Patienten ohne Demenz. Das liegt auch daran, dass bei Dementen die Fähigkeit, Schmerzen verbal zu äußern, immer mehr abnimmt. | Von Albert Lukas

Der Zusammenhang zwischen Schmerz und dem Alter ist nicht durchgehend einheitlich. Während Nervenschmerz typischerweise mit dem Alter zunimmt, wird der typische Herzschmerz im Alter eher seltener, Muskel-Knochen-Schmerzen dagegen eher mehr. Im Alter leiden bis zu 50% der zu Hause lebenden und bis zu 80% der in einem Pflegeheim lebenden Menschen unter mehr oder weniger Schmerzen [2]. Auch die Kombination von Schmerz und Demenz ist im Alter ein häufiges Ereignis. Genauere Angaben zum gleichzeitigen Auftreten beider Entitäten sind allerdings – nicht zuletzt wegen des erschwerten Assessments durch die Demenz – nur schwer zu erhalten. In der Literatur geht man von bis zu 50% der älteren Menschen aus, die unter Schmerz und Demenz gleichzeitig leiden [3, 4]. Schmerz in Kombination mit Demenz erschwert in erheblichem Ausmaß die Schmerzerkennung [5]. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass Menschen, die unter einer demenziellen Erkrankung leiden, signifikant weniger Analgetika erhielten als solche, die keine kognitive Einschränkung aufwiesen, bei gleichem zugrunde liegendem schmerzhaftem Krankheitsbild. So konnte Morrison et al. in einer Studie mit Hüftfrakturpatienten nachweisen, dass Demenzkranke im Gegensatz zu kognitiv unauffälligen Betroffenen ein Drittel weniger Morphin erhielten. Ähnliche Ergebnisse fanden sich auch bei Schmerzmitteln der Stufe I nach dem WHO-Stufenschema für die Schmerztherapie (Paracetamol) [6, 7]. Hier erhielten Demenzkranke eine um 50% geringere Dosis im Vergleich zu Schmerzpatienten ohne Demenz. Auch eine aktuelle Studie zeigt, dass in den ersten Tagen nach einer Hüftoperation bei Hüftfraktur an einer Demenz erkrankte Betroffene signifikant geringere Schmerzmitteldosierungen erhielten [8]. Dabei führt eine inadäquate Schmerztherapie im Alter zu erheblichen Konsequenzen. Neben einer funktionellen Verschlechterung, die sich in einer Einschränkung der basalen Aktivitäten des täglichen Lebens wie Gehen, Treppensteigen, sich An- oder Ausziehen oder Nahrungsaufnahme zeigt, ist oftmals die Lebensqualität reduziert. Eine ungenügende Schmerztherapie führt zu Depression, Angst, Sturz, Mangelernährung und Schlafstörung [9 – 12].

Physiologische Schmerzwahrnehmung

Schmerzreize, seien sie durch Druck, Hitze oder durch chemische Noxen ausgelöst, führen zu einer Freisetzung von Mediatoren im Bereich der freien Nervenendigungen, den Nozizeptoren, die wiederum das dabei entstehende elektrische Signal ins Rückenmark weiterleiten. Auf Rückenmarks­ebene kreuzen die Fasern zur Gegenseite und werden über aufsteigende Bahnen bis zum Thalamus (= Tor des Bewusstseins) fortgeleitet und dort als Schmerz bewusst empfunden. Auf Ebene des Zentralnervensystems finden sich weitere zahlreiche Kern­gebiete, die an der Schmerzempfindung beteiligt sind. Grob kann man hier zwei Systeme unterscheiden, das laterale Thalamuskerngebiet, verantwortlich für die Schmerzschwelle (die Schwelle, ab der ein Reiz als Schmerz empfunden wird), und das mediale Thalamuskerngebiet, verantwortlich für die Schmerztoleranz (die Schwelle, ab der ein Schmerzreiz als unerträglich empfunden wird) [13]. Neben der Schmerzschwelle werden im lateralen Anteil Aspekte wie Schmerzstärke und Lokalisation (Schmerzintensität) ver­arbeitet, im medialen Anteil Aspekte wie Motivation und affektive Färbung des Schmerzes (Schmerzleiden). Alle Kerngebiete zusammen gehen in die bewusste Gesamtempfindung „Schmerz“ ein. Dies zeigt, was für ein kompliziertes Kon­strukt das Symptom „Schmerz“ ist [14].

Schmerzwahrnehmung im Alter

Eine Reihe von Untersuchungen deutet darauf hin, dass sich die Schmerzschwelle im Alter erhöht, die Schmerztoleranz dagegen erniedrigt ist. Ursachen liegen in einer altersbedingten Veränderung z. B. der Schmerzrezeptoren oder der Nervenfasern. Betagte Menschen spüren so Schmerzreize erst bei einer höheren Intensität, die dann weniger gut durch die körpereigene Hemmung kontrolliert und unterdrückt werden – unter anderem eine mögliche Begründung für ein häufigeres Auftreten von chronischen Schmerzen im Alter.

Schmerzwahrnehmung bei Demenz

Untersuchungen der letzten Jahre konnten zeigen, dass im Rahmen einer Alzheimer-Demenz insbesondere die medialen Thalamuskerne der Schmerzwahrnehmung betroffen sind [13]. Folglich ist im Rahmen einer Alzheimer-Demenz besonders die Schmerztoleranz verändert. Die subjektive Schmerzschwelle scheint dagegen recht stabil zu sein [15 – 19]. So wurde, unabhängig davon, ob nun eine kognitive Einschränkung vorliegt oder nicht, die subjektive Schmerzschwelle bei Probanden gleich hoch gemessen. Schmerzen werden so, unabhängig davon, ob es sich um Betroffene mit oder ohne Demenz handelt, gleich empfunden. Die Schmerztoleranzschwelle scheint dagegen bei Demenz-Kranken uneinheitlich verändert. Benedetti et al. [20, 21] konnten ab­hängig von der Schwere der kognitiven Einschränkung eine signifikante Anhebung der Toleranzschwelle nachweisen. Demenz-Kranke scheinen somit später als kognitiv unauffällige Menschen einen Schmerzreiz nicht mehr zu tolerieren.

Erkenntnisse, wie sie bei einer Alzheimer-Demenz gewonnen werden konnten, sind bei anderen Demenz-Formen noch sehr lückenhaft. Bedenkt man, dass mehr als 100 Erkrankungen unterschieden werden können, die in eine Demenz münden können, ist das nicht verwunderlich.

Welche Selbsteinschätzung für wen?

Die Verbale Rating Skala ist über weite Strecken im Laufe einer kognitiven Einschränkung recht stabil und einfach von Betroffenen als Selbsteinschätzungsinstrument anzuwenden. Sie sollte daher bevorzugt bei älteren Menschen angewendet werden. Nur bei kognitiv nicht eingeschränkten älteren Menschen kann die Numerische Rating Skala zur Anwendung kommen. Der richtige Gebrauch der Verbalen oder Numerischen Rating Skala kann durch einfaches Nachfragen kontrolliert werden, etwa indem der Betroffene gebeten wird, einen mittelschweren Schmerz bzw. gar keinen Schmerz mit dem entsprechenden Schmerzassessment einzuschätzen. Ab einer schweren kognitiven Einschränkung können keine Selbst­einschätzungsinstrumente mehr sicher und zuverlässig angewendet werden, weshalb hier nur noch Fremdeinschätzungsinstrumente angewendet werden sollten.

Neuropsychiatrische Symptomatik bei Schmerz im Rahmen einer Demenz

Schmerz gilt als eine der wichtigsten Ursachen für das Auftreten von neuropsychiatrischen Symptomen wie Aggression, Unruhe, Schlafstörung, Halluzinationen, aber auch Rückzugstendenz und Apathie oder Depression. Im deutschsprachigen Raum werden solche Symptome oft auch als herausfordernde Verhaltensweisen bei Demenz bezeichnet. Menschen mit einer Demenz können möglicherweise ihre Schmerzen und das damit verbundene Leiden nicht verbal äußern und reagieren so mit Verhaltensauffälligkeiten [22]. Es ist dabei oftmals kaum möglich, zwischen Verhaltens­auffälligkeiten im Rahmen von Schmerzen oder aufgrund der zugrunde liegenden Demenz zu unterscheiden [23]. Die Konsequenz ist, dass solche Patienten sehr oft mit Neuroleptika, manchmal sogar mit Fixierungsmaßnahmen anstatt mit Analgetika behandelt werden [24]. Dabei haben gerade Neuroleptika erhebliche kardiovaskuläre Nebenwirkungen, weshalb sie möglichst nur kurz eingesetzt werden sollten, zudem sind ihre Effekte im Hinblick auf herausfordernde Verhaltensweisen begrenzt [25 – 27].

Einige Wissenschaftler konnten zeigen, dass herausfordernde Verhaltensweisen nicht nur im Rahmen von Schmerzen auftreten, sondern dass eine gute analgetische Therapie auch solche Verhaltensweisen reduzieren kann [28]. Besonders eindrücklich sind die Ergebnisse einer Studie von Huseboe et al., in der mit einem abgestuften Analgetika-Management eine signifikante Reduktion von Agitation erreicht werden konnte [29]. Die Effekte waren dabei vergleichbar einer Risperidon-Behandlung. Zukünftig sollte daher mehr auf ursachenbezogene Behandlungen bei herausfordernden Verhaltensweisen geachtet werden. Die Studie von Huseboe et al. kann hier ein erster vielversprechender Schritt in die richtige Richtung sein.

Schmerzassessment allgemein

Vor der Therapie steht die Diagnose des Schmerzes. Erster Schritt ist die sichere Schmerzerkennung. Zahlreiche Barrieren, sowohl auf Seiten des Patienten, aber auch auf Seiten des Arztes, können unterschieden werden. Hierzu zählt das sogenannte underreporting of pain: Betroffene ältere Patienten berichten erst gar nicht bei ihrem Arztbesuch von etwaigen Schmerzen. Sie glauben, dass es normal ist, dass sie im Rahmen ihres hohen Alters unter Schmerzen leiden. Auch Ärzte sind nicht selten der gleichen Auffassung, weshalb Schmerz oftmals kein Thema während des Arztbesuches ist.

Ältere Menschen haben z. B. Angst vor Hospitalisierung, wollen niemandem zur Last fallen. Sie sind es vielleicht leid, nach Hilfe zu fragen. Sie glauben möglicherweise, dass Schmerz den Tod oder die Verschlimmerung einer Erkrankung ankündigt [30, 31].

Schmerzerkennung bei Demenz

Die Schmerzerkennung bei Demenz stellt Ärzte und Pflegekräfte vor besondere Herausforderungen. Demenz-Kranke vergessen ihren Schmerz bzw. haben die Fähigkeit verloren, Schmerzen verbal auszudrücken. Sie verneinen so Schmerzen, selbst auf Nachfrage, obschon sie bei Beobachtung offensichtlich unter Schmerzen leiden. Dennoch gilt als Grundregel des Schmerzassessments – auch bei Demenz-Kranken – die Selbsteinschätzung als Goldstandard. Jeder Patient soll zunächst einmal selbst gefragt werden, ob er Schmerzen hat und wie stark seine Schmerzen sind, bevor ein reines Fremdeinschätzungsinstrument eingesetzt wird, mit dem schmerzassoziiertes Verhalten beobachtet wird. Zur Selbsteinschätzung stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Hier können die visuelle Analog-Skala (VAS), die verbale Rating-Skala (VRS), Smiley-Skala und numerische Rating-Skala (NRS) unterschieden werden (Abb. 1). Nicht jedes der Selbsteinschätzungsinstrumente ist gleich gut geeignet, das gilt für ältere Menschen generell, besonders aber vor dem Hintergrund einer kognitiven Einschränkung. So kann die visuelle Analog-Skala, bei der der Patient seine Empfindung auf einer Skala von 0 (= keine Empfindung) bis 10 (= stärkste vorstellbare Empfindung) einschätzt und auf einer Linie markiert, nicht empfohlen werden, weil ihre Anwendung für ältere Menschen zu schwierig ist. In der Literatur wird insbesondere die verbale Rating-Skala empfohlen. Dabei handelt es sich um eine Einschätzung anhand von Adjektiven wie „kein, leicht, moderat und starker Schmerz“, mit denen der Betroffene seinen Schmerz einschätzen soll. Die numerische Rating-Skala besteht aus einer Skala von Zahlen zwischen 0 für „keinen Schmerz“ bis 10 für „maximal vorstellbarer Schmerz“, anhand derer der Patient seine Schmerzintensität beschreiben soll (Abb. 1). Eigene Untersuchungen zeigten, dass die verbale Rating-Skala recht stabil in über 90% der Fälle von Patienten selbst mit mittelgradigen kognitiven Einschränkungen noch recht sicher genutzt wird. Die numerische Rating-Skala zeigt dagegen bereits bei einer milden kognitiven Einschränkung, dass sie von 25% der Betroffenen nicht mehr sicher genutzt werden konnte – bei moderater kognitiver Einschränkung sogar nur noch von 57%. Smileys werden ebenfalls immer wieder als probates Assessment im Zusammenhang mit Schmerzselbsteinschätzung bei Demenz genannt. Im klinischen Alltag zeigt sich allerdings, dass Demenz-Kranke erhebliche Schwierigkeiten haben, die unterschiedlichen Smileys richtig zu interpretieren und wenn gewünscht in eine geeignete Reihenfolge (aufsteigend nach Schweregrad) zu legen. Insofern kann der Einsatz von Smileys bei der Schmerzeinschätzung von Demenz-Kranken nicht empfohlen werden.

Abb. 1: Instrumente zur Selbsteinschätzung von Schmerzen

In den letzten 20 Jahren sind weltweit über 30 Fremdbeobachtungsinstrumente zur Schmerzerkennung bei Demenz entwickelt worden. All diese Assessmentinstrumente beruhen im Grunde auf sechs Beobachtungskriterien, die 2002 erstmals von der Amerikanischen Geriatrischen Gesellschaft (AGS) beschrieben wurden:

beobachtbare Eigenschaften

  • Körpersprache (angespannt, steif, schlagen)
  • Gesichtsausdruck (Stirn runzeln, Grimassieren)
  • sprachliche Äußerungen (Ächzen, Stöhnen)

Verhaltensänderungen

  • Interaktion (Aggression, Apathie, körperliche Aktivität)
  • Aktivität und Gewohnheit (Essensverweigerung, Rückzug, Unruhe)
  • geistiger Zustand (Weinen, Reizbarkeit, Verzweiflung)

Keines der genannten Assessmentinstrumente erfüllt alle Anforderungen [32]. Zwar gibt es Fortschritte in der diagnostischen Qualität solcher Einschätzungsinstrumente in den letzten Jahren, die psychometrische Qualität ist aber immer noch eingeschränkt. So werden einige dieser Instrumente nur sehr lokal angewendet, z. B. nur in einem Land oder sogar nur in einer bestimmten Region/Einrichtung eines Landes. Viele der Assessments wurden nie auf ein bestimmtes Maß an psychometrischer Qualität (Validität und Reliabilität) hin überprüft.

Zahlreiche Reviews der letzten Jahre beschäftigen sich daher mit der Frage, welches der Instrumente nun empfohlen werden kann [9, 33 – 35]. Nur wenige werden danach weltweit eingesetzt und heben sich gegenüber anderen Instrumenten ab. Im deutschsprachigen Raum gehört die BESD-Skala (Beurteilung des Schmerzes bei Demenz) zu den häufig empfohlenen Instrumenten [33, 36], die nachfolgend genauer betrachtet werden soll.

Die BESD-Skala

Die BESD-Skala (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) ist die deutsche Übersetzung der erstmals von Warden et al. entwickelten Painad-Skala [37, 38, 39]. Bei der BESD-Skala handelt es sich um ein Fremdbeobachtungsinstrument, das bei der zu beurteilenden Person die fünf Kategorien

  • Atmung,
  • Mimik,
  • negative Lautäußerung,
  • Körpersprache und
  • Trost abfragt.

In jeder Kategorie können jeweils 0 bis 2 Punkte vergeben werden, je nach Intensität des beobachteten schmerzassoziierten Verhaltens. Tabelle 1 zeigt die BESD-Skala mit ihren fünf Kategorien und ihren unterschiedlichen Bewertungen, in der Abbildung 2 werden die Mimik-Kategorien anhand von Bildbeispielen verdeutlicht. Maximal können so zehn Punkte erreicht werden. Diese zehn Punkte haben nichts mit den zehn Punkten der numerischen Rating-Skala zu tun und sollten auch nicht mit diesen verwechselt werden. Im einen Fall (NRS) misst man tatsächlich selbsteingeschätzten Schmerz, im anderen Fall (BESD) lediglich ein beobachtetes Verhalten, das häufig, aber nicht immer mit Schmerz assoziiert werden kann.

Tab. 1: Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) Der Patient wird zwei Minuten lang beobachtet und dann die beobachteten Verhaltensweisen angekreuzt. Im Zweifelsfall entscheidet man sich für das vermeintlich beobachtete Verhalten. [Quelle: Deutsche Schmerzgesellschaft e. V., www.dgss.org]
0
1
2
Score
Atmung (unabhängig von Lautäußerungen)
• normal
• gelegentlich angestrengt atmen
• kurze Phasen von Hyperventilation
• lautstark angestrengt ­atmen
• lange Phasen von Hyperventilation
• Cheyne-Stoke ­Atmung
negative Lautäußerung
• keine
• gelegentliches ­Stöhnen oder Ächzen
• sich leise negativ oder missbilligend äußern
• wiederholt ­beunruhigend rufen
• laut stöhnen oder ächzen
Gesichtsausdruck
• lächelnd
• nichtssagend
• traurig
• ängstlich
• sorgenvoller Blick
• grimassieren
Körpersprache
• entspannt
• angespannt
• nervöses Hin- und Hergehen
• nesteln
• starr
• geballte Fäuste
• angezogene Knie
• sich entziehen oder wegstoßen
• schlagen
Trost
• trösten nicht notwendig
• Ablenkung oder Beruhigen durch Stimme und Berührung möglich
• Trösten, Ablenken, Beruhigen nicht möglich
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V., www.dgss.org
Abb. 2: An der Mimik kann auch bei Menschen mit eingeschränkter Kommunikation erkannt werden, ob sie Schmerzen haben

Eine in diesem Zusammenhang immer wieder gestellte Frage ist die nach einem geeigneten Cut-off, einem Wert, ab dem man Schmerzen annimmt bzw. ab dem man eine Schmerztherapie beginnen sollte. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. In der Wissenschaft geht man heute von einem Cut-off von zwei bis vier Punkten aus [40, 41]. An dem Beispiel der Entscheidung des Therapiebeginns bei der BESD-Skala sieht man, dass immer noch Fragen offen und un­geklärt sind. Dies ist angesichts des schwierigen Patienten­gutes mit „Schmerz bei fortgeschrittener Demenz“ letztlich nicht verwunderlich. Die BESD-Skala sollte jeweils in Ruhe und in Aktivität angewendet werden, z. B. bei einem Transfer vom Bett in den Rollstuhl. Dabei demaskiert die Aktivität häufig einen verborgenen Schmerz bei dem Betroffenen. Der Vorteil der BESD-Skala ist, dass für die Einschätzung und Anwendung des Instrumentes zunächst keine weiteren Informationen vom Patienten bekannt sein müssen. Der Beobachter beschränkt sich zunächst rein auf seine Beobachtung. Erst anschließend versucht er mit seiner Fachlichkeit, die erhobenen Beobachtungen in einen Gesamt­kontext (wie etwa das Vorliegen einer typischerweise mit Schmerzen verbundenen Erkrankung z. B. einer Hüftfraktur) einzuordnen und zu bewerten. Insofern eignet sich die BESD-Skala nach unserer Einschätzung vor allem in Akutkliniken und in der Notaufnahme, sie ist aber auch für Hausärzte geeignet. Weitere Informationen finden sich auf der Internetseite der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. (DGSS) unter www.dgss.org.

Zukünftige Entwicklungen

In den letzten Jahren gibt es Bestrebungen, die subjektive Schmerzerkennung in eine objektive zu überführen. Erste Schritte hin zu einer automatisierten Schmerzerkennung stellt auch die Schmerzerkennung auf Grundlage einer automatisierten Auswertung von spezifischen Mimikreaktionsmustern dar [42]. Mimikreaktionen scheinen dabei bei Demenz-Patienten weitaus länger als Kommunikations­kanal erhalten zu bleiben als sprachliche Fertigkeiten. Die Auswertung von Mimikreaktionen könnte eine Alternative zur verbalen Schmerzkommunikation bei Menschen mit Demenz darstellen [43]. Allerdings bedarf der Einsatz des Facial Action Coding Systems, wie die Analyse des Gesichtsausdrucks heißt, eines umfangreichen Trainings, was den Einsatz im klinischen Alltag limitiert.

In der Entwicklung befinden sich Verfahren, die verschiedene Biopotenziale nutzen, wie Elektromyografie, Elektro­enzephalografie, Hautwiderstände und Ähnliches. Die Schmerzerkennung mittels solcher Biopotenziale ist allerdings noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium und wird im Klinikalltag noch nicht angewendet. Zukünftig könnte es so möglich sein, automatisiert Schmerzen zu erkennen. Dies würde die Schmerzerkennung bei Demenz revolutionieren, weil sie damit unabhängig von der Kommunikationsfähigkeit Demenz-Kranker wäre.

Die Schmerzerkennung bei Demenz stellt auf unabsehbare Zeit eine Herausforderung dar. Viele heute empfohlene Assessmentinstrumente und Vorgehensweisen weisen bei genauerer Betrachtung Einschränkungen und Schwächen auf. Vorteile der vorgestellten Verfahren sind allerdings ihr standardisierter Einsatz, das Zulassen von Diskussion im therapeutischen Team und die Wiederholbarkeit im Verlauf. Assessmentinstrumente müssen als Hilfsmittel in der Schmerzerkennung bei Demenz begriffen werden, bei der die fachliche Einschätzung am Ende des Meinungsbildungsprozesses immer eine große Bedeutung spielt. Solange eine objektive Schmerzerkennung unter Umgehung der Kommunikationshindernisse nicht möglich ist, sollte im Zweifelsfall auch einmal ein vorsichtiger Therapieversuch unternommen und die Wirkung abgewartet werden. |

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Der vorliegende Beitrag ist ein modifizierter Nachdruck des Beitrages „Schmerzassessment – Schmerz und Demenz – eine diagnostische Herausforderung“ von Dr. Albert Lukas in DNP – Der Neurologe & Psychiater, 2017;18(11-12):48-54. Mit freundlicher Genehmigung der Springer Medizin Verlag GmbH.

Autor

Priv.-Doz. Dr. med. Albert Lukas

Studium Humanmedizin in Gießen; Habilitation zum Thema „Schmerz­management im Alter“; Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Neurologie, Zusatzbezeichnungen Geriatrie, Palliativmedizin, physikalische Therapie und Balneologie; Mitglied des Arbeitskreises „Schmerz und Alter“ der Deutschen Schmerzgesellschaft, dort auch langjähriger stellvertretender Sprecher; Sekretär des „Wissenschaftsforums Geriatrie“; Forschungsschwerpunkt: Schmerz im Alter, Schmerz bei Demenz; Chefarzt am Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard, Bonn

Literaturtipp

Da kann man doch nur durchgreifen, oder ...

Demenzkranke sehen die Welt mit eigenen Augen und können sich nur noch begrenzt den Alltagssituationen anpassen oder eine pflegerische Maßnahme einsehen. Das führt im Pflegealltag oft zu Stress:

  • Was machen Sie, wenn sich Demenzkranke gegen Ihre Pflege wehren?
  • Wie gehen Sie damit um, wenn Pflegebedürftige Essen und Trinken ablehnen?
  • Was sollten Sie tun, wenn Bewohner sich und andere in Gefahr bringen?

Lernen Sie, wie Sie schwierige Situationen in den Griff bekommen. Verlassen Sie den Teufelskreis, denken Sie um und gestalten Sie durch biografiebezogenes Handeln eine sichere und vertraute Umgebung. Mit Hilfe dieser Handreichung wird das notwendige Handwerkszeug für den Umgang mit schwierigen Situationen vermittelt.

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102 S., 21,0 × 29,7 cm, Kartoniert, 24,80 Euro 
ISBN 978-3-8047-1984-2 
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