Arzneimittel und Therapie

ASS-Prophylaxe: Mehr Schaden als Schutz

Zwei aktuelle Studien stellen Primärprävention infrage

Seit über 30 Jahren befassen sich randomisierte Studien mit der Frage, ob niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS) zur Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse eingesetzt werden sollte. Ihre Aussagen waren nicht immer einheitlich, und einem kardioprotektiven Nutzen steht ein potenziell erhöhtes Blutungsrisiko gegenüber. Nun wurde in zwei großen Studien ein neuer Anlauf zur Klärung des Nutzen-­Risiko-Verhältnisses unternommen.

Die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte ARRIVE-Studie (A Study to Assess the Efficacy and Safety of Enteric-Coated Acetylsalicylic Acid in Patients at Moderate Risk of Cardiovascular Disease) wurde überwiegend an Hausarztpraxen durchgeführt. An ihr nahmen 12.546 Patienten im medianen Alter von 64 Jahren teil. Die Probanden wiesen ein moderates kardiovaskuläres Risiko auf (mittleres 10-Jahres-Risiko von 10 – 30%), hatten aber bislang noch keine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Patienten mit Diabetes und Probanden mit einem hohen Blutungsrisiko waren ausgeschlossen. Die Studienteilnehmer erhielten fünf Jahre lang entweder einmal täglich 100 mg ASS oder ein Placebo. Der primäre Studienendpunkt war aus mehreren Ereignissen zusammengesetzt, und zwar aus dem ersten Eintreten eines Myokardinfarkts, instabiler Angina pectoris, Schlaganfall, transitorischen ischämischen Attacken oder dem Tod aufgrund eines kardiovaskulären Ereignisses. Die Sicherheitsendpunkte umfassten das Auftreten von Blutungen und weitere unerwünschte Ereignisse.

Foto: Sergey Nivens – stock.adobe.com

Patienten mit moderatem Risiko profitieren nicht

Kardiovaskuläre Ereignisse traten unter ASS und Placebo ähnlich häufig auf: 4,29% der Patienten der Verum-Gruppe und 4,48% der Probanden der Placebo-Gruppe erreichten den primären Endpunkt (Hazard-Ratio [HR] 0,96; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,81 – 1,13). Auch in den Mortalitäts­raten unterschieden sich die beiden Gruppen nicht (2,55% unter ASS vs. 2,57% unter Placebo). Die Gesamtinzidenz therapiebedingter unerwünschter Ereignisse war zwar gering, lag unter ASS jedoch etwas höher als unter Placebo (16,75% vs. 13,54%). Zudem wurden gastrointestinale Blutungen – diese waren meist leichter Natur – unter ASS signifikant häufiger berichtet als unter Placebo (0,97% vs. 0,46%; HR 2,11; 95%-KI 1,36 – 3,28). Schwere Blutungen waren mit insgesamt sechs Fällen in der Studie (vier unter ASS; zwei unter Placebo) sehr selten. Zusätzlich wurde eine Per-Protokoll-Analyse durchgeführt: Hier konnte bei Patienten, welche die Therapie wie geplant befolgt hatten (rund 60% aller Patienten), eine schützende Wirkung der ASS-Therapie gezeigt werden. So führte die ASS-Einnahme zu einer signifikanten Risikoreduktion beim Endpunkt Myokardinfarkt (0,98% unter ASS vs. 1,84% unter Placebo). Im Hinblick auf die Interpretation der Ergebnisse geben die Studienautoren zu bedenken, dass insgesamt deutlich weniger kardiovaskuläre Ereignisse auftraten als erwartet (10-Jahres-Risiko < 10%). Das Risiko der Population sei daher eher als gering und weniger als moderat einzuschätzen.

Kein Netto-Nutzen bei Diabetes

Die ASCEND-Studie (A Study of Cardiovascular Events in Diabetes) ging der Frage nach, ob eine Primärprävention mit ASS bei Patienten mit Diabetes die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse verringern kann. Für die Studie wurden 15.480 Patienten mit Diabetes (94% Typ 2) im medianen Alter von 63 Jahren ausgewählt. Diabetiker besitzen per se ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, die eingeschlossenen Patienten hatten jedoch keine Herz-Kreislauf-Erkrankung in der Vorgeschichte. Sie erhielten entweder täglich 100 mg ASS oder ein Placebo. Der primäre Studienendpunkt war das erste Auftreten eines kardiovaskulären Ereignisses (Myokardinfarkt, Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacken, Tod aufgrund eines kardiovaskulären Ereignisses). Der primäre Sicherheitsendpunkt war das erste Auftreten einer schweren Blutung. Ein weiterer Endpunkt ermittelte die Häufigkeit gastrointestinaler Tumorerkrankungen. Nach einer medianen Beobachtungsdauer von 7,4 Jahren waren in der ASS-Gruppe signifikant weniger vaskuläre Ereignisse aufgetreten als in der Placebo-Gruppe (8,5% vs. 9,6%). Dies entsprach einer relativen Risikoreduktion von 12% (Ratenverhältnis [RR] 0,88; 95%-KI 0,79 – 0,97). Diesem Vorteil standen signifikant mehr Blutungen gegenüber. Diese traten unter ASS bei 4,1% der Patienten auf, unter Placebo bei 3,2%. Relativ betrachtet erhöhte sich das Risiko um 29% (RR 1,29; 95%-KI 1,09 – 1,52). Insgesamt überwiegen bei Patienten mit Diabetes also die Risiken.

Die Ergebnisse auf einen Blick

ARRIVE-Studie: Im Hinblick auf einen möglichen kardiovaskulären Nutzen bei Patienten mit moderatem Ereignis­risiko unterschieden sich die beiden Behandlungsgruppen nicht. Wohl aber bei dem Blutungsrisiko, das unter niedrig dosierter ASS im Vergleich zu Placebo ungefähr doppelt so hoch war. Fazit der Autoren: Vor- und Nachteile müssen im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.

ASCEND-Studie: Beikardiovaskulär gesunden Diabetikernstanden verminderten vaskulären Ereignissen vermehrte gastrointestinale Blutungen gegenüber. Zudem hatte die Supplementation von Omega-3-Fettsäuren keine kardioprotektive Wirkung. Fazit der Autoren: Der positive Effekt einer ASS-Prophylaxe wird durch die erhöhten Risiken zunichte gemacht. Eine Empfehlung zur routinemäßigen Supplementation von Omega-3-Fettsäuren zur Senkung des kardiovaskulären Risikos kann nicht unterstützt werden.

Keine tumorprotektive Wirkung

Ein tumorprotektiver Effekt durch die Einnahme von ASS ließ sich nicht nachweisen. So erkrankten 11,6% der Probanden der ASS-Gruppe und 11,5% der Teilnehmer der Placebo-Gruppe an einem Tumorleiden. Auch bei der Betrachtung einzelner Tumorentitäten zeigten sich keine positiven Auswirkungen einer ASS-Gabe. Gastrointestinale Tumore traten bei 2% jeder Gruppe auf. Dieses Ergebnis stützt die Aussagen vorangegangener Metaanalysen nicht, die einen tumorprotektiven Effekt von ASS bei Darmkrebs gezeigt hatten. Den Studienautoren zufolge war möglicherweise die Nachbeobachtungszeit zu kurz, um tumorprotektive Wirkungen festzustellen. Zudem war die Studie nicht primär für diese Fragestellung konzipiert worden.

Omega-3-Fettsäuren sinnlos

Die ASCEND-Studie ging noch einer weiteren Frage nach und zwar, ob die regelmäßige Einnahme von Omega-3-Fettsäuren das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit Diabetes positiv beeinflusst. Hintergrund dieser Fragestellung ist die Beobachtung, dass regelmäßiger Fischkonsum mit einem reduzierten Risiko für koronare Herzerkrankungen assoziiert ist. Die Sinnhaftigkeit einer Supplementation von Omega-3-Fettsäuren wird jedoch kontrovers diskutiert (s. DAZ 2018, Nr. 25, S. 19 ff). Die Probanden der ASCEND-Studie wurden zwei Gruppen zugeteilt und erhielten täglich eine Kapsel mit 380 mg Docosahexaensäure und 460 mg Eicosapentaensäure oder eine Kapsel mit Olivenöl als Placebo. Der primäre Studienendpunkt war das erste Auftreten eines schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignisses. Die Adhärenz-Rate lag bei 76%. Nach einer medianen Beobachtungsdauer von 7,4 Jahren hatte die Einnahme von Omega-3-Fettsäure-Kapseln keinerlei Wirkung gezeigt: Das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle, transitorische ischämische Attacken oder für kardiovaskulär bedingte Todesfälle war ähnlich wie in der Placebo-Gruppe (8,9% vs. 9,2%; HR 0,97; 95%-KI 0,87 – 1,08). Auch bei einem weiteren zusammengesetzten Endpunkt (schweres vaskuläres Ereignis oder Revaskularisation) war kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen festzustellen (11,4% unter Omega-3-Fettsäuren; 11,5% unter Placebo). |

Quelle

Gaziano JM et al. Use of aspirin to reduce risk of initial vascular events in patients at moderate risk of cardiovascular disease (ARRIVE): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet; doi:10.1016/S0140-6736(18)31924-X

ASCEND Study Collaborative Group. Effects of Aspirin for primary prevention in persons with diabetes mellitus. N Engl J Med 2018; doi:10.1056/NEJMoa1804988

ASCEND Study Collaborative Group. Effects of n−3 fatty acid supplements in diabetes mellitus. N Engl J Med 2018; doi:10.1056/NEJMoa1804989

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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