- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 38/2018
- Wenn „komplementär“ ...
Arzneimittel und Therapie
Wenn „komplementär“ zur schlechten Alternative wird
Erhöhte Sterblichkeit bei Ablehnung konventioneller Methoden
Besonders unter onkologischen Patienten ist die Anwendung komplementärer oder alternativer Heilmethoden weit verbreitet. Eine Verbesserung der Lebensqualität konnte für verschiedene Verfahren belegt werden, die Auswirkungen auf die Lebenserwartung sind jedoch weitgehend unbekannt. Eine kürzlich publizierte Studie ging der Frage nach, inwiefern Methoden wie Homöopathie, Phytotherapie, traditionelle chinesische Medizin, spezielle Diäten usw. die Therapieadhärenz sowie das Gesamtüberleben onkologischer Patienten beeinflussen. Dazu analysierten die Autoren um Skyler B. Johnson von der Universität Yale die Daten von fast zwei Millionen Patienten mit Brust-, Lungen-, Prostata- oder Darmkrebs, deren Fälle in der US-amerikanischen National Cancer Database dokumentiert waren. Aus dieser Kohorte wurde bei 258 Patienten nachweislich ein komplementärmedizinisches Verfahren angewandt. Für jeden dieser Patienten wurden vier in Bezug auf Krebsart, Alter, Einkommen, Ethnie, Versicherungstyp und Erkrankungsstatus möglichst ähnliche Fälle in die Kontrollgruppe eingeschlossen und die beiden Gruppen hinsichtlich verschiedener Parameter verglichen. Die Patienten, die komplementäre Methoden anwendeten, waren tendenziell jünger, weiblich, gebildeter und von höherem sozioökonomischem Status als die Patienten der Kontrollgruppe.
„Verweigerer“ im Nachteil
Zwar war in beiden Gruppen die Zeit zwischen Diagnosestellung und dem Beginn einer konventionellen Therapie ähnlich (29 vs. 28 Tage), bei Einsatz komplementärmedizinischer Verfahren verweigerten die Patienten jedoch zu einem deutlich höheren Anteil weitere konventionelle Therapien wie Operationen (7,0 vs. 0,1%), Chemotherapie (34,1 vs. 3,2%), Strahlentherapie (53,0 vs. 2,3%) oder Hormontherapie (33,7 vs. 2,8%). In der Gruppe, in der komplementärmedizinische Verfahren angewendet wurden, war die Fünf-Jahres-Überlebensrate (82,2%) geringer als in der Kontrollgruppe (86,6%). Nachdem Faktoren wie Krebsart, Erkrankungsstatus, Alter, Geschlecht, Einkommen und Bildungsstand herausgerechnet wurden, ergab sich im Vergleich zur Kontrollgruppe ein etwa doppelt so hohes Mortalitätsrisiko. Wurden die Ergebnisse jedoch auch hinsichtlich des Ablehnens oder des Hinauszögerns einer konventionellen Therapie adjustiert, waren die Unterschiede nicht mehr signifikant. Es ist also davon auszugehen, dass der Grund für das schlechtere Abschneiden der Patienten nicht in der Komplementärmedizin selbst, sondern im Verzicht auf das vollständige Spektrum konventioneller Methoden liegt.
Die Studie weist jedoch mehrere Limitationen auf: Zum einen werden die unterschiedlichen Komplementärverfahren nicht differenziert betrachtet. Zum anderen scheint der Prozentsatz (0,01%) der Patienten, die komplementärmedizinische Methoden anwendeten, nicht realistisch, da Schätzungen zufolge mehr als die Hälfte aller Krebspatienten derartige Verfahren nutzen. Es ist also nicht auszuschließen, dass sich auch Patienten der Kontrollgruppe komplementärmedizinisch behandeln ließen. Dokumentiert wurde dies jedoch nicht und ist retrospektiv nicht mehr zu überprüfen.
Therapieoptionen ausschöpfen
Dennoch zeigt die Studie einen deutlichen statistischen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft zur Anwendung von Komplementärmedizin und der Ablehnung konventioneller Therapien, was Ärzte und Apotheker den Autoren zufolge veranlassen sollte, die Patienten aktiv nach komplementärmedizinischen Methoden zu fragen und ihnen bei heilbaren Krebserkrankungen dringend zur zeitgerechten Einhaltung aller zur Verfügung stehenden konventionellen Therapien zu raten. |
Quelle
Johnson SB et al. Complementary Medicine, Refusal of Conventional Cancer Therapy, and Survival Among Patients With Curable Cancers. JAMA Oncol 2018; doi:10.1001/jamaoncol.2018.2487
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.