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Digitales für Apotheker

App-warten und Tee trinken?

Hilfe bei Schlafstörungen – „Digitales für Apotheker“ (Folge 5)

Von Ursula Kramer | Wenn nach dem Beratungsgespräch klar ist, dass die Schlafstörungen Ausdruck einer akuten Belastungssituation sind, wie Stress am Arbeitsplatz, und es keine Anzeichen für körperliche Ursachen gibt, greift die Apothekerin meistens zum Beruhigungstee oder dem pflanzlichen Einschlafmittel.

Zukünftig empfiehlt sie ihren Kunden vielleicht auch eine Schlaf-App. Schließlich ist das Interesse und die Offenheit gegenüber digitalen Gesundheitsanwendungen im Allgemeinen [1] und das an Schlaf-Apps im Besonderen [2] sehr hoch, und Schlafstörungen sind ein Problem, das viele Menschen betrifft [3]. Aber können Schlaf-Apps tatsächlich helfen, und wenn ja, wie?

Programme zum Online-Selbstmanagement, die bei Depressionen oder Angststörungen mit Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie arbeiten, sind gut untersucht, nachweislich wirksam und in anderen europäischen Ländern bereits Baustein der Regelversorgung [4]. Erste Chat-Bots für Depressionen zeigen in klinischen Studien Wirksamkeit [5]. Auch bei Schlafstörungen, die länger als vier Wochen andauern, gilt die kognitive Verhaltenstherapie gemäß S3-Leitlinie als Mittel der Wahl [6]. Das Problem: Die derzeit angebotenen Schlaf-Apps für deutschsprachige Verbraucher nutzen diese methodischen Ansätze nur in Teilen [2], keine der Apps ist im Hinblick auf ihre Wirkung bei Schlafstörungen untersucht. Ein zertifiziertes, CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt findet sich ebenfalls nicht unter den Schlaf-Apps, d. h. keine Schlaf-App wird vom Anbieter explizit für die Diagnose oder Therapie von Schlafstörungen vermarktet.

Diagnose und Therapie: Kein Fall für Schlaf-Apps

Im Gegensatz zu den diagnostischen Möglichkeiten im Schlaflabor, wo polysomnografisch Hirnaktivität, Muskeltonus und Augenbewegung aufgezeichnet werden, reichen die mit Schlaf-Apps erfassten Daten für eine umfassende, schlafmedizinische Einschätzung oder zur Dia­gnose einer Schlafapnoe nicht aus.

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Auch die Erfassung von Belastung und Schwere der Schlafstörungen erfolgt nicht mit validierten Fragebögen, die Schlafmediziner z. B. in der Diagnose oder Verlaufskontrolle nutzen. Stattdessen ermitteln Apps aus Schlafverhalten und Vitalparametern Scores, ­deren Verlauf über die Zeit dargestellt wird. Sie haben informellen Charakter für den Nutzer, stellen jedoch keine Basis für Therapieentscheidungen dar.

Wenn Verbraucher und Patienten auf der Suche nach Schlafhilfen im App-Store auf die Suche gehen, treffen sie dort auf Apps, die sich grob in zwei Kategorien einteilen lassen.

  • Einschlafhilfen: Sie spielen Naturgeräusche und meditative Klänge ab, die auch beim Yoga zur Entschleunigung genutzt werden. Mehr aber auch nicht weniger können diese Schlaf-Apps. Quantitativ dominieren diese Einschlafhilfen.
  • Schlaf-Tracking-Apps: Die Möglichkeit, Daten zum Schlafverhalten (Bewegung, Geräusche etc.) aufzuzeichnen, bietet jede vierte Schlaf-App. Diese Apps lassen sich mit smarten Uhren oder Armbändern verknüpfen, die am Handgelenk getragen nachts allerlei Parameter aufzeichnen, z. B. Puls, Temperatur, Haut­widerstand, Sauerstoffsättigung etc. Andere Tracking-Apps setzen ausschließlich auf die Mess-Sensoren des Smartphone (Accelerometer), d. h. sie kommen ohne Fitness-Tracker, Smartwatches oder sonstige, in tragbaren Geräten verbaute Sensoren aus. Diese Apps führen das Ranking der Beliebtheitsskala an. Im Gegensatz dazu weit abgeschlagen sind Apps, mit denen Nutzer ihre Schlafdaten händisch eintragen müssen, diese Form des Trackings ist für Nutzer offensichtlich weniger attraktiv.
Schlaf-Apps: Wo ist das Inte­resse am größten? Untersucht wurden kostenlose, deutschsprachige Gesundheits-Apps in Google Play. Angegeben ist die durchschnittliche Downloadzahl pro App. Stand: Mai 2018, Quelle: HealthOn

Die besonders beliebten Tracking-Apps erfassen Geräusche oder nächtliche Bewegungen des Körpers mithilfe des Smartphones. Dazu wird das Gerät auf die Matratze oder den Nachtisch gelegt, und die App vor dem Einschlafen gestartet. „Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan“ ist ein subjektives Gefühl, das beim Abspielen der gleichmäßig monotonen oder aber auch unregelmäßig lauten Schlafgeräusche am nächsten Morgen vermutlich ebenso entkräftet werden kann, wie die vehemente Behauptung – „Ich schnarche doch nicht!“

Auf diese Weise treffen Erklärungen zu nächtlichen Atemaussetzern, zu Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten sowie schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen einer unbehandelten Schlafapnoe möglicherweise auf offenere Ohren. Schlaf-Apps können auf diesem Weg möglicherweise zur Aufklärung und früheren Diagnose von Schlafapnoe beitragen. Wer gelegentlich schlecht schläft und verstehen will, was sich störend auf den erholsamen Schlaf auswirkt, kann eine Schlaf-App nutzen. Das Aufzeichnen von Schlafgeräuschen und das Analysieren von Lebensstildaten in einem Tagebuch (Gewichtsverlauf, schwere Mahlzeiten vor dem Schlafengehen, Alkohol-, Zigarettenkonsum, Stress, Lärm, unregelmäßige Zubettgehzeit) kann Impulse setzen für eine bessere Schlafhygiene und sensibilisieren für die Gefahren einer Schlafapnoe. Akustische Einschlafhilfen mit entspannenden Naturgeräuschen können helfen, zur Ruhe zu kommen. Anders als Online-Interventionen zur Therapie von Depressionen und Angststörungen (7,8), die zum Teil von Krankenkassen bereits erstattet werden, können die derzeitigen Schlaf-Apps noch nicht als wirksame Selbsthilfemaßnahme zur Therapie von Schlafstörungen gelten. Das wird sich mit der Weiterentwicklung digitaler Therapien perspektivisch ändern. Schon heute können Schlaf-Apps ein Angebot zur Selbstbeobachtung sein. Eine Depressions-App geht sogar schon einen Schritt weiter [9]. Eine Schlafmedizinerin leitet hier gezielt zur Selbsthilfe bei Schlafstörungen an. Leider werden Nutzer hinter der App gegen Depressionen wahrscheinlich keine Hilfe für ihre Schlafstörungen vermuten. Wer Geräusche im Schlafzimmer aufzeichnet, sollte vorher in jedem Fall einen Blick auf Impressum und Datenschutzerklärung werfen. Denn: Wer will schon, dass ­intime Aufzeichnungen in unbefugte Hände gelangen? |

Literatur

[1] Bitkom. www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Fast-jeder-Zweite-nutzt-Gesundheits-Apps.html

[2] Screening Schlaf-Apps 5/2018. HealthOn. Downloads im Vergleich zu anderen Gesundheits-Apps. www.healthon.de/infografiken/2018/03/gesundheits-apps-wo-ist-das-interesse-am-gr%C3%B6%C3%9Ften

[3] Schlack R, Hapke U, Maske U, Busch MA, Cohrs S. Häufigkeit und Verteilung von Schlafproblemen und Insomnie in der deutschen Erwachsenenbevölkerung. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2013;5(6):740-748

[4] Berger T. Internet-based treatments - experiences from Sweden. An interview with Gerhard Andersson. Verhaltenstherapie 2016;23:211-214

[5] Fitzpatrick KK, Darcy A, Vierhile M. Delivering Cognitive Behavior Therapy to Young Adults With Symptoms of Depression and Anxiety Using a Fully Automated Conversational Agent (Woebot): A Randomized Controlled Trial. JMIR Ment Health 2017;4(2):e19.

[6] Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Somnologie 2017;21:2-44. DOI 10.1007/s11818-016-0097-x. Online publiziert: 27.02.2017. www.dgsm.de/downloads/aktuelles/S3%20LL%20Nicht-erholsamer%20Schlaf%20Kap%20Insomnie%20Somnologie%202017.pdf

[7] www.deprexis24.de/professionals.html

[8] www.selfapy.de/

[9] https://play.google.com/store/apps/details?id=de.moodpath.android

Autorin

Dr. Ursula Kramer, Apothekerin. 2011 Gründung der Informations- und Bewertungsplattform für Health-Apps Healthon.de, das größte Portal für deutschsprachige Gesundheits- und Medizin-Apps. Dreimalige Gewinnerin des Präventions­preises des Wissenschaftlichen Instituts für Prävention im Gesundheits­wesen und der Deutschen Apotheker Zeitung.

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