DAZ aktuell

Dringender Handlungsbedarf

Impfungen in der Apotheke - ein Plädoyer von Olaf Rose

Die EU hat das Ziel einer Durchimpfung von 75 Prozent der älteren Patienten (≥ 60 Jahre) gegen Influenza vorgegeben. In Deutschland ist die Impfquote für dieses Kollektiv von 47,9 Prozent in der Grippesaison 2008/2009 auf beängstigende 35,3 Prozent in der Saison 2015/2016 gesunken [1]. Damit liegt das EU-Ziel für Deutschland in weiter Ferne. Auch in vielen anderen Ländern ist die Impfquote gegen Influenza unter die nationalen Vorgaben gesunken, in den USA liegt sie bei ca. 40 Prozent der älteren Bevölkerung (Ziel 70 Prozent). Gleichzeitig steigt die Zahl der Sterbefälle stark an, allein in der letzten Saison, die bekanntlich besonders heftig verlief, wurden in Deutschland ca. 1600 Todesfälle eindeutig auf Influenzaviren zurückgeführt, die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher. In der Bevölkerung, selbst in Risikogruppen und bei Gesundheitsberufen, trifft man hingegen auf eine weiterverbreitete Skepsis, die sich mit dem erwiesenen Nutzen der Grippeschutzimpfung nicht in Einklang bringen lässt.

Als Reaktion auf diesen Trend wurde in vielen Ländern seitens der je­weiligen Ministerien versucht, durch konzertierte Aktionen und nachhaltige Programme die Impfquote zu erhöhen. Neben Impfkampagnen und Öffentlichkeitsarbeit wurde inter­national regelmäßig auf Apotheken als niederschwelligem Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen gesetzt. In den englischsprachigen Ländern ist das Impfen durch Apotheker seit vielen Jahren etabliert, in den USA – abhängig von der Region – spätestens seit der Jahrtausend­wende. Durch Äußerungen von Minister Spahn ist das Thema auch in Deutschland in den Fokus gelangt. Während Ärzteverbände verständ­licherweise reflexartig ablehnend auf den scheinbaren Angriff auf ihre extrabudgetäre Leistung reagieren, kann ein Blick auf die vorliegenden wissenschaftlichen Erfahrungen sicherlich einen rationaleren Eindruck verschaffen. Hierbei werden Effektivität und Sinnhaftigkeit der Grippeimpfung als unverrückbar voraus­gesetzt.

Foto: VRD – stock.adobe.com
Verbessert sich die Impfquote in Deutschland durch Angebote in Apotheken als niederschwelligem Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen?

Erhöhung der Impfquote durch impfende Apotheker

Eine Meta-Analyse von Isenor et al. betrachtete 36 internationale Studien zur Verabreichung der Grippeimpfung durch Apotheker [2]. In allen Studien/Ländern kam es durch die Impfung in Apotheken zu einem Anstieg der Impfquote. Eine weitere Meta-Analyse von Baroy et al. untersucht zusätzlich zur Influenza-Impfung auch Studien zu anderen Impfindikationen (z. B. Pneumokokken-, Tetanus-, Zosterimpfung) [3]. Das Ergebnis fällt für die diversen Indikationen zwar unterschiedlich aus, in allen Indikationen zeigte sich aber ein starker Einfluss auf die Impfquote durch die Einführung von Impfungen in der Apotheke, besonders auch für die Grippeschutzimpfung. Die Meta-Analyse kommt auch zu dem Ergebnis, dass das durch Apotheken erweiterte Impfangebot alleine auf Dauer nicht ausreichend ist, sondern dass zusätzlich die Bemühungen bei Impfkampagnen und generell in der Öffentlichkeitsarbeit verstärkt werden müssen. In Kanada wurde in einigen Provinzen zur Grippesaison 2013/2014 erstmals auch auf Apotheken gesetzt, die Änderung wurde wissenschaftlich intensiv begleitet. In der Provinz Novia Scotia stieg im ersten Jahr der Impfung durch Apotheker die Impfquote um 10 Prozent. Nach drei Jahren wurden ca. 30 Prozent der Impfungen von Apothekern durchgeführt, der Rückgang der von Ärzten durchgeführten Impfungen war dabei deutlich unterproportional [4]. Inzwischen sinkt die Impfquote trotz der neuen Dienstleistung in Apotheken in Kanada übrigens wieder. Eine hohe Akzeptanz der apothekerlichen Impfungen zeigt sich besonders in ländlichen Bereichen [5], aber auch gerade in Ballungszentren [3]. Auch wenn es kurzfristig zu einer steigenden Impfquote kommt [6], kann im langfristigen Trend durch einen einfachen Switch von Grippeimpfungen aus der Arztpraxis in die Apotheke die Impfquote folglich stabilisiert werden, es bedarf andernfalls weitergehender, begleitender Maßnahmen.

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Spahn kann es sich vorstellen – Schmidt eher nicht. Beim Thema „Impfende Apotheker“ gehen die Meinungen zwischen Ministerium und ABDA auseinander.

In einer australischen Studie kam es bei 15.621 in der Apotheke durchgeführten Impfungen zu keinem einzigen ernsthaften Zwischenfall [5]. In den USA werden inzwischen 21 Millionen Grippeimpfungen pro Jahr durch Apotheker verabreicht, ohne dass es zu nennenswerten Problemen kommt [7]. In Kanada wurden direkt nach Einführung der Grippeimpfung durch Apotheker 6500 Patienten nach ihren Erfahrungen befragt. Hauptgrund für die Entscheidung, sich die Impfung in der Apotheke verabreichen zu lassen, war mit 50 Prozent die unkompliziertere Erreichbarkeit [8]. Die Hälfte der Geimpften gab an, dass der Service in der Apotheke insgesamt als besser empfunden wurde, weitere 40 Prozent bewerteten ihn als gleich gut wie in der Arztpraxis. Angegeben wurde zugunsten der Apotheke auch das gute Ansehen des Apothekers als Gesundheitsberufler und etwas überraschend das geringere Risiko, sich im Wartezimmer des Arztes anzustecken [2, 9].

Resümee

Bei einer Influenza-Impfquote in der älteren Bevölkerung von inzwischen unter 35 Prozent in Deutschland ist im Sinne der Volksgesundheit dringender Handlungsbedarf festzustellen. Ein „Weiter so“ ist nicht zielführend oder sogar fahrlässig. Auch bei parallel von Apotheken als auch von Arztpraxen angebotenen Grippeimpfungen bleibt anhand der vorliegenden Erfahrungen genügend Luft für Verbesserungen auf beiden Seiten. Immerhin kann der Trend so umgekehrt oder gedämpft werden, jede zusätzliche Grippeschutzimpfung kann potenziell Leben retten. Risiken sind mit der Einführung von Grippeimpfungen in der Apotheke nicht zu erwarten, es handelt sich bei Beachtung bestimmter Ein- und Ausschlusskriterien (z. B. Gerinnungsstörung/Antikoagulation) um einen Vorgang mit niedrigem Risiko. Standesdünkel sind in dieser Situation insgesamt wenig zielführend, eine generelle Verweigerungshaltung der Apothekerschaft ist gegenüber dem Patienten verantwortungslos. Es bedarf vielmehr gemeinsamer Anstrengungen aller Beteiligter, um die Situation in der Bevölkerung zu verbessern. Die Studienergebnisse zeigen aber auch, dass zusätzlich zum erweiterten Angebot von Impfungen in der Apotheke Unterstützungen in Form von Impfkampagnen zwingend erforderlich wären. Insgesamt weist die derzeitige Diskussion zur Grippeschutzimpfung in Apotheken starke Parallelen zur Abgabe der „Pille danach“ in Apotheken auf, wichtig wären aber vielmehr gemeinsame Maßnahmen zur Verringerung der Impfmüdigkeit - wie auch immer! |

Literatur

[1] Robert Koch-Institut (RKI). Epidemiologisches Bulletin 1/2017 2017:8–9. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2017/Ausgaben/01_17.pdf?__blob=publicationFile (accessed 19 Oct 2018).

[2] Isenor JE, Edwards NT, Alia TA, et al. Impact of pharmacists as immunizers on vaccina­tion rates: A systematic review and meta-analysis. Vaccine 2016;34(47):5708-23.

[3] Baroy J, Chung D, Frisch R, et al. The impact of pharmacist immunization programs on adult immunization rates: A systematic review and meta-analysis. J Am Pharm Assoc (2003) 2016;56(4):418-26.

[4] Isenor JE, O‘Reilly BA, Bowles SK. Evaluation of the impact of immunization policies, including the addition of pharmacists as immunizers, on influenza vaccination coverage in Nova Scotia, Canada: 2006 to 2016. BMC Public Health 2018;18(1):787.

[5] Hattingh HL, Sim TF, Parsons R, et al. Evaluation of the first pharmacist-administered vaccinations in Western Australia: A mixed-methods study. BMJ Open 2016;6(9):e011948.

[6] Steyer TE, Ragucci KR, Pearson WS, et al. The role of pharmacists in the delivery of influenza vaccinations. Vaccine 2004;22(8):1001-06.

[7] McConeghy KW, Wing C. A national examination of pharmacy-based immunization statutes and their association with influenza vaccinations and preventive health. Vaccine 2016;34(30):3463-68.

[8] Isenor JE, Wagg AC, Bowles SK. Patient experiences with influenza immunizations administered by pharmacists. Hum Vaccin Immunother 2018;14(3):706-11.

[9] Poulose S, Cheriyan E, Cheriyan R, et al. Pharmacist-administered influenza vaccine in a community pharmacy: A patient experience survey. Can Pharm J (Ott) 2015;148(2):64-67.

Autor

Dr. Olaf Rose, PharmD, Studium der Pharmazie in Münster, Gainesville und Bonn. Apothekeninhaber, Münster und Steinfurt. Forschungsschwerpunkt: Medikationsmanagement und Pharmakotherapie kardiovasku­lärer und neurologischer Erkrankungen. Der vorliegende Bericht wurde auf Grundlage seiner Fakultätszugehörigkeit erstellt.

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