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Therapien im Gespräch
Blutdrucktreibende Angst vor Krebs
Nicht nur kontaminierte Sartane beunruhigen Hypertoniker
Als das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 5. Juli 2018 europaweite Rückrufe für Antihypertonika mit dem Wirkstoff Valsartan ankündigte, weil eine Kontamination mit dem potenziellen Kanzerogen N-Nitrosodimethylamin (NDMA) gefunden worden war, wurde diese Meldung mit düsteren Szenarien begleitet. Sie sollten sich in der Folge leider weitestgehend bestätigen. So wurde relativ schnell bekannt, dass kontaminiertes Valsartan aus der Produktion des chinesischen Herstellers Zhejiang Huahai Pharmaceuticals (ZHP) Anlass für den Rückruf war. ZHP zählt zu den weltweit größten Wirkstoffproduzenten, so dass es nicht verwunderlich war, dass dieser Rückruf weltweit Wellen schlug.
17 Generikahersteller betroffen
Auch bei den pharmazeutischen Unternehmen, die den deutschen Markt beliefern, erfreute sich ZHP ausgesprochener Beliebtheit. Dies offenbarten die zahlreichen Rückrufe: Bis zum 6. Juli hatten in Deutschland zunächst sieben Unternehmen einen Rückruf Valsartan-haltiger Präparate angeordnet. Nach und nach folgten weitere „endfreigebende Hersteller“, sodass am Ende klar wurde, dass nur vereinzelte Generikahersteller nicht auf den Wirkstoff aus der Produktion des betroffenen chinesischen Herstellers zurückgegriffen hatten. Rund 900.000 deutsche Hypertoniker sollen zum Zeitpunkt des Rückrufs mit diesen Valsartan-haltigen Generika behandelt worden sein. Und dann geriet auch noch Ende Juli mit Irbesartan Hormosan ein weiteres Sartan unter Kontaminationsverdacht.
Spurensuche
Wie das potenzielle Kanzerogen in den Wirkstoff gelangen konnte, darüber war von öffentlicher Seite zunächst nichts zu erfahren. Die DAZ hatte daher die pharmazeutische Chemikerin Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe und den Chemiker Dr. Helmut Buschmann gebeten, sich auf Spurensuche zu begeben. Das Ergebnis ihrer Recherche veröffentlichten sie in DAZ 29, S. 72. Ihre durch ein Patent der chinesischen Firma gestützte Hypothese: Der Hersteller hat, vermutlich schon im Jahr 2012, einen wichtigen Syntheseschritt geändert. Und zwar den Schritt, der zur Tetrazolring-Zwischenstufe führt. Abweichend vom ursprünglichen Verfahren wurde die Transformation der aromatischen Cyanogruppe mithilfe von Natriumazid unter Zinkdichlorid-Katalyse im Lösungsmittel Dimethylformamid und Natriumnitrit (zur hydrolytischen Aufarbeitung) vorgenommen (Abb. 1).
Buschmann und Holzgrabe machten deutlich, dass bei dieser Synthesevariante zwei unabhängige Effekte zusammenkommen, die erst im Zusammenspiel die fatale Bildung von NDMA begründen könnten. Zum einen spielt die Verwendung des durchaus üblichen Lösungsmittels Dimethylformamid (DMF) eine Rolle. Auch als Lösungsmittel handelt es sich um eine chemische Substanz, die nur bedingt stabil ist und sich in geringen Spuren zu Dimethylamin zersetzen kann. Die Bildung von Dimethylamin aus DMF sollte per se kein Problem darstellen. Aber die gleichzeitige Anwesenheit von Natriumnitrit führt dazu, dass sich aus dem Abbauprodukt des DMF-Lösungsmittels unter Reaktion von Nitrit-Ionen die Bildung von NDMA bedingt. Ein wahrscheinlicher Reaktionsweg ist in Abbildung 2 dargestellt.
Nicht nur NDMA
Auch wenn die FDA weitere Aufklärung verlangt, scheint die Hypothese von Buschmann und Holzgrabe doch einen wichtigen Hinweis für eine Kontaminationsquelle zu geben. Stichprobenuntersuchungen unter anderem vom Zentrallabor deutscher Apotheker konnten NDMA immer dann nachweisen, wenn die Valsartan-Präparate aus der Produktion des chinesischen Herstellers stammten. Beim Originalhersteller Novartis wurde man ebenso wenig fündig wie bei Wirkstoffen aus anderer Produktion. Fieberhaft wurden weltweit Analysenmethoden zum Nachweis von NDMA etabliert und Kontrollen durchgeführt. Dabei konnte NDMA in Valsarten eines weiteren chinesischen Herstellers (Zhejiang Tianyu) und dem indischen Hersteller Hetero Labs nachgewiesen werden. Die Herstellungsverfahren sollen ähnlich gewesen sein. Doch bei der Kontamination mit NDMA sollte es nicht bleiben. Zunächst wurde in Losartan des Wirkstoffherstellers Hetero Labs N-Nitrosodiethylamin (NDEA) gefunden, dann mussten deswegen Chargen Irbesartan-haltiger Präparate von Aurobindo und Heumann zurückgerufen werden. Und dann wurde auch noch in Valsartan-haltigen Präparaten von Mylan dura NDEA gefunden. Alle entsprechenden Chargen wurden zurückgerufen. Das war für manch einen Patienten doppelt bitter. Denn Mylan-Generika galten bis dahin als sicher, sodass viele Patienten von früher zurückgerufenen Valsartan-Präparaten darauf umgestellt worden waren.
Kein Rückruf auf Patientenebene
Obwohl die Rückrufe wegen Kontaminationen mit potenziellen Kanzerogenen notwendig wurden, erfolgten sie nicht auf Patientenebene. Viele betroffene Patienten hatten von den Rückrufen erst aus den öffentlichen Medien erfahren und waren zutiefst verunsichert. Besonders solche, die schon lange mit Valsartan behandelt wurden und zwischenzeitlich an Krebs erkrankt sind, stell(t)en sich nun die Frage, ob diese Kontaminationen dafür verantwortlich sein können.
Wer gehofft hatte, dass mit den Rückrufen auch bekannt gegeben würde, mit welchen Kanzerogen-Konzentrationen zu rechnen ist, musste lange warten.
Die Risikofrage
In DAZ 30 vom 26. Juli 2018 nahm der Toxikologe Prof. Dr. Ralf Stahlmann anhand erster bekanntgewordener Stichprobenwerte eine Risikoeinordnung vor. Sein Fazit:
„In diesem Fall führt die Verunreinigung von Valsartan mit dem Nitrosamin NDMA zu einer täglichen Aufnahme, die unter Worst-Case-Betrachtung (Chargen mit hoher Kontamination) zu deutlich höheren Expositionen führt, als über die Nahrung oder durch Rauchen!“
Nahezu zeitgleich veröffentlichte die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) auf Basis der ersten offiziell bekannt gegebenen Stichprobenergebnisse des ZL eine eigene Risikoeinschätzung. Sie ermittelte mithilfe des Margin of Exposure (MoE) einen besorgniserregenden niedrigen Wert von 170. Der MoE ergibt sich aus dem Verhältnis einer kanzerogenen Effektdosis – abgeleitet aus der Dosis-Wirkungskurve im Tierversuch – und der abgeschätzten menschlichen Aufnahme. Je weiter ein MoE-Wert unter 10.000 liegt, um so größer wird das Risiko und um so dringlicher sind Maßnahmen zur Risikominimierung. Und so lautete das AMK-Fazit: „Ein derart geringer MoE muss als besorgniserregend eingestuft werden und macht Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Exposition dringend erforderlich.“
Ende Juli 2018 meldete sich auch die FDA in dieser Frage zu Wort. Sie rechnete hoch, dass bei lebenslänglicher Aufnahme von 96 ng NDMA mit weniger als einer zusätzlichen Krebserkrankung pro 100.000 Menschen zur rechnen sei. Nach vierjähriger Einnahme eines mit NDMA kontaminierten Valsartan-Präparates in der höchsten Valsartan-Tagesdosierung von 320 mg sei von einem zusätzlichen Krebsfall bei 8000 so behandelten Patienten auszugehen. Kurze Zeit später kommt die EMA anhand vorläufiger Auswertungen zu einem ähnlichen Schluss: Es könnte zu einem zusätzlichen Krebsfall pro 5000 betroffenen Patienten kommen, die über sieben Jahre täglich das verunreinigte Valsartan in der (höchsten) 320-mg-Dosierung eingenommen haben.
Anhand dänischer Registerdaten wurde retrospektiv untersucht, ob die Einnahme von kontaminiertem Valsartan mit einem erhöhten Krebsrisiko assoziiert ist. Ein erhöhtes Krebsrisiko konnte für den Beobachtungszeitraum von knapp fünf Jahren nicht festgestellt werden – eine vorläufige Entwarnung (DAZ 40, S. 32).
Die Rolle der Behörden
Unabhängig von den detaillierten Ausführungen von Holzgrabe und Buschmann schien man auch auf Behördenseite von einer geänderten Synthese als Ursache für die Kontamination auszugehen. Doch warum wurde diese Kontamination nicht erkannt? Warum konnten die Wirkstoffhersteller trotz geänderter Synthese ein Certificate of Suitability of Monographs of European Pharmacopoia – kurz CEP – vorweisen, das ihrem Wirkstoff Arzneibuchkonformität bescheinigte und ihnen so den Weg in den deutschen Markt ebnete? Hätte das EDQM (European Directorate for the Quality of Medicine), die für die Zertifikatsausstellung zuständige Behörde, das erkennen müssen? Die Behörde weist jegliche Schuld von sich und sieht sowohl den Wirkstoffhersteller als auch die endfreigebenden Hersteller in der Pflicht. Doch das CEP-Verfahren dient dazu, Eigentumsrechte der Wirkstoffhersteller zu schützen, es sieht nicht vor, dass Zulassungs-Antragssteller, -Inhaber oder Inverkehrbringer Einsicht in die Unterlagen erhalten, so Prof. Dr. Markus Veit, Direktor der iDRAS GmbH, Planegg, in DAZ 34, S. 16. Er fordert, dass die Prozesse beim EDQM einer Analyse unterzogen und evaluiert werden müssen. Er stellt auch die Offenlegung neuer, unbekannter Synthesen zur Diskussion.
Die Aufarbeitung ist in vollem Gange. Nach und nach wurden den Wirkstoffherstellern die CEPs für die betroffenen Sartane entzogen. DAZ-Autorin Dr. Helga Blasius hat die Diskussion um die Wirkstoffkontrolle zum Anlass genommen, einen Blick hinter die Kulissen der CEP-Ausstellung zu werfen. Er ist in DAZ 31, S. 20 nachzulesen.
Lungenkrebs durch ACE-Hemmer
Bluthochdruckpatienten, die mit ACE-Hemmern behandelt werden, sollen im Vergleich zu mit Sartanen behandelten Patienten ein um 14% erhöhtes Lungenkrebsrisiko haben. Dieses Ergebnis hatte die Auswertung einer britischen Praxisdatenbank ergeben. Zu beachten ist, dass es sich hierbei um eine reine Beobachtungsstudie handelt, die zwar einen Hinweis liefert, aber nicht den Nachweis erbringen kann, dass die ACE-Hemmer-Behandlung verantwortlich für das höhere Lungenkrebsrisiko ist. Auch die Laienpresse hat dieses Thema aufgegriffen, sodass sich die Deutsche Kardiologische Gesellschaft (DKG) veranlasst sah, diese Studie einzuordnen. Sie weist auf die Schwächen hin und sieht aktuell zunächst keinen Anlass, gut auf ACE-Hemmer eingestellte Patienten umzustellen. Lediglich bei erhöhtem Risiko oder bestehenden Lungenkrebserkrankungen sollten Alternativen erwogen werden. Wie im Fall der unter Kontaminationsverdacht geratenen Sartane wurde auch hier wieder an die Patienten appelliert, die Medikamente keinesfalls einfach abzusetzen. (DAZ 44, S. 24; DAZ 48, S. 31)
Hautkrebs durch HCT?
Patienten, die mit Hydrochlorothiazid (HCT) behandelt werden, sind einem im Vergleich zu keiner HCT-Exposition erhöhten Hautkrebsrisiko ausgesetzt. Das ist das Ergebnis einer großen dänischen Kohortenstudie. Eine Photosensibilisierung durch HCT erscheint plausibel. Auch in diesem Fall mahnt die DKG, die Medikation keinesfalls eigenmächtig abzusetzen, da ein unbehandelter und unkontrollierter Bluthochdruck lebensbedrohliche Konsequenzen haben könne. Allerdings hält die DKG einen Wechsel auf alternative Wirkstoffe bei Patienten mit Hautkrebsvorerkrankung oder nach Auftreten von Hautkrebs für angebracht. (DAZ 29, S. 28; DAZ 46 S. 25) |
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