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Therapien im Gespräch
Ciprofloxacin und Co. auf der Anklagebank
Der Vorwurf: Verantwortlich für dauerhafte Körperschäden in zahllosen Fällen
Zu den bekanntesten Antibiotika aus der Klasse der Fluorchinolone zählen Ciprofloxacin, Levofloxacin, Ofloxacin und Moxifloxacin. Sie zeichnen sich durch ein breites Wirkspektrum gegenüber den meisten gramnegativen und grampositiven Bakterien sowie eine günstige Pharmakokinetik aus – dennoch oder gerade deshalb sollen sie als Reserveantibiotika zurückgehalten werden. Dass sie hierzulande die vierthäufigste Verordnungsgruppe unter Antibiotika ausmachen, lässt annehmen, dass sie auch bei Infektionen zum Einsatz kommen, für die sie eigentlich nicht vorgesehen sind. Die Folgen können im Einzelfall dramatisch sein.
Die Zeugen
Immer mehr Menschen melden sich zu Wort, die nach Einnahme von Fluorchinolonen unter wiederkehrenden oder dauerhaften Körperschäden leiden. In unserem DAZ-Schwerpunkt im Januar stellten wir einige Schicksale vor (DAZ 4, S. 34). Die Betroffenen berichten von Schmerzen an Sehnen und Gelenken, extremer Muskelschwäche, Sehstörungen und Depressionen, die bis zu Suizidgedanken führen. In Selbsthilfegruppen organisiert, kämpfen sie um die Anerkennung ihres Krankheitsbildes und fordern eine bessere Aufklärung von Patienten. Auf der anderen Seite gibt es Ärzte, die Fluorchinolone trotz Indikationseinschränkungen weiterhin unkritisch auch bei banalen Erkrankungen einsetzen. Immer wieder wird ein kausaler Zusammenhang mit den Beschwerden geleugnet. (DAZ 4, S. 48)
Die Fakten
Dabei ist man sich der schädigenden Wirkungen von Fluorchinolonen auf Sehnen und Muskeln seit den 1990er-Jahren durchaus bewusst (DAZ 4, S. 38). Vieles deutet darauf hin, dass das chondro- und tendotoxische Potenzial eng mit dem Mechanismus der antibakteriellen Wirkung verknüpft ist. Für Ciprofloxacin konnten Wissenschaftler mittlerweile nachweisen, dass nicht nur die bakterielle Gyrase, sondern auch die mitochondriale DNA in ihrer Replikation und Transkription beeinflusst wird, was Konsequenzen für Teilung und Differenzierung der Zelle hat. Eine weitere Hypothese besagt, dass die als Chelatbildner berüchtigten Chinolone im Bindegewebe einen Mangel an funktionell verfügbarem Magnesium verursachen und zu Störungen führen können (DAZ 4, S. 42). Auch die psychischen Auswirkungen sind nicht neu: Bereits im Jahr 2004 warnte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vor einem erhöhten Risiko für Depressionen und Suizidalität unter Fluorchinolonen auf der Grundlage von Fällen aus der UAW-Datenbank. Unbekannt war bisher, dass die unerwünschten Wirkungen dauerhaft persistieren können.
Die Richter
In den USA hat man nach Bekanntwerden dieses Risikos Ärzte dazu angehalten, Fluorchinolone insgesamt restriktiver zu verordnen und auch nur dann, wenn es keine Alternativen gibt. Black-Box-Warnungen zieren seither die Gebrauchs- und Fachinformationen von Ciprofloxacin und Co. Außerdem hat man dort dem Kind bereits einen Namen gegeben: Fluoroquinolone-Associated Disability (FQAD). Europa wollte sich nicht ohne Weiteres dem Vorgehen der USA anschließen und startete im Februar 2017 ein eigenes Risikobewertungsverfahren. Den Anstoß gab das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Erst zum zweiten Mal in seiner Geschichte (nach Valproat) führte der Pharmakovigilanzausschuss der EMA (PRAC) eine öffentliche Anhörung durch, zu der Betroffene und Experten geladen waren – mit dem Ziel, die öffentliche Sichtweise auf das Risiko, das mit Fluorchinolonen verbunden ist, besser zu verstehen und die Anwendung sicherer zu machen.
Das Urteil
Die Empfehlungen des PRAC kamen im Oktober und haben damit länger auf sich warten lassen, als geplant. Basierend auf einem eigens angefertigten Review zu potenziell persistierenden Nebenwirkungen sollen Antibiotika aus der Klasse der Chinolone ganz vom Markt verschwinden. In Deutschland sind diese allerdings ohnehin nicht mehr erhältlich. Auf Fluorchinolone kann man indes nicht verzichten, allerdings soll ihr Anwendungsgebiet weiter eingeengt werden. Nicht mehr eingesetzt werden sollen sie:
- bei Infektionen, die möglicherweise selbstlimitierend oder nicht schwerwiegend sind, wie Halsinfektionen;
- zur Vorbeugung von Reisedurchfall oder wiederkehrender Blasenentzündungen;
- bei Patienten, die bereits Nebenwirkungen unter einer Fluorchinolon-Therapie hatten;
- zur Behandlung leichter oder mittelschwerer Infekte – außer in Fällen, in denen die üblicherweise empfohlenen Antibiotika nicht angewendet werden können.
Besondere Vorsicht sollte nach Ansicht des PRAC geboten sein, wenn Ältere, Patienten mit Nierenproblemen, Patienten nach Organtransplantationen oder unter Corticoid-Therapie mit Fluorchinolonen behandelt werden, da unter diesen Bedingungen das Risiko für Sehnenverletzungen erhöht ist. Der Hinweis auf Nebenwirkungen, die die Lebensqualität beeinträchtigen und potenziell dauerhaft sein können, soll in den Fach- und Gebrauchsinformationen nachgerüstet werden. Die Empfehlungen gelten nur für orale, parenterale und inhalative Fluorchinolone, nicht für lokal anzuwendende Arzneimittel wie Augen- oder Ohrentropfen. (DAZ 41, S. 33)
Auch die nächste Instanz, der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP), hat den Empfehlungen bereits zugestimmt. Nun liegt es an der EU-Kommission, ob und wann die neuen Vorgaben rechtlich bindend und von den Behörden auf Länderebene umgesetzt werden müssen.
Der Fall Duogynon
Der Fall Duogynon beschäftigt wieder die Politik. Nach wie vor scheint der Verdacht nicht ausgeräumt zu sein, dass die Anwendung von Duogynon sowohl als Dragee (Ethinylestradiol 0,02 mg, Norethisteronacetat 10 mg) als auch als Injektion (1 ml-Spritzampulle mit Estradiolbenzoat 3 mg und Progesteron 50 mg) zu Fehlbildungen geführt hat. Die beiden Arzneiformen standen in Deutschland von 1950 bis 1981 zur Verfügung und wurden zunächst bei Ausbleiben der Regelblutung und als hormonaler Schwangerschaftstest eingesetzt. Schon in den 1960er-Jahren keimte der Verdacht auf, dass die Duogynon-Anwendung bei bestehender Schwangerschaft schwere embryonale Entwicklungsstörungen hervorrufen kann (s. DAZ 40, S. 62, DAZ 40, S. 70). In retrospektiven Fallanalysen wurde in der Vergangenheit versucht zu klären, ob dieser Verdacht sich bestätigen lässt. Ein kausaler Zusammenhang wurde als unwahrscheinlich eingestuft. Ein Ergebnis, das vor allem die in dem Netzwerk Duogynon vertretenen Betroffenen nicht akzeptieren wollten, aber auch in Großbritannien drängt man auf weitere Aufklärung. Ein neuer Review, demzufolge signifikante Assoziationen zwischen Anwendung des hormonalen Schwangerschaftstests und verschiedenen Fehlbildungen vorliegen, lässt die Betroffenen wieder hoffen. Der Leiter von Reprotox, der reproduktionstoxikologischen Beratungsstelle der Universitäts-Frauenklinik in Ulm, Dr. Wolfgang Paulus möchte diese Ergebnisse ernsthaft diskutieren, gibt aber zu bedenken, dass teilweise schwer zu rekonstruierende historische Daten nicht allein dadurch besser werden, dass man sie gepoolt einer umfangreichen Analyse unterwirft. (DAZ 49, S. 38)
Wiederholungstäter?
Die Negativschlagzeilen reißen nicht ab: Im Oktober hagelte es gleich den nächsten Rote-Hand-Brief zu Fluorchinolon-haltigen Arzneimitteln. Darin informieren mehrere Zulassungsinhaber in Abstimmung mit der EMA und dem BfArM über das erhöhte Risiko von Aortenaneurysmen und -dissektionen. Als prädisponierende Faktoren gelten unter anderem: Aneurysma-Erkrankung in der Familienanamnese, vorbestehendes Aortenaneurysma oder -dissektion, Marfan-Syndrom, vaskuläres Ehlers-Danlos-Syndrom, Takayasu- oder Riesenzellen-Arteriitis, Morbus Behçet, Hypertonie sowie Atherosklerose. (DAZ 45, S. 34) |
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