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Erkennen, ansprechen, Hilfe vermitteln

Was eine demenzfreundliche Apotheke ausmacht

Demenz ist eine Herausforderung – für alle Beteiligten. Über Demenz zu sprechen, ist schwierig. Apotheken können aufgrund ihrer Niedrigschwelligkeit als wichtige Ansprechpartner für Betroffene und deren Angehörige fungieren. Damit stärken sie einerseits ihr Profil als Heilberufler, andererseits binden sie diese Kunden an ihre Apotheke, was nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Konkurrenz durch die Versender immer wichtiger wird.

Bedingt durch den demografischen Wandel, wird in den nächsten Jahrzehnten die Zahl derjenigen spürbar ansteigen, die von einer demenziellen Veränderung des Gehirns betroffen sind. Schon jetzt leben ungefähr 1,7 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung in Deutschland. Schätzungen zufolge könnten es im Jahr 2050 etwa drei Millionen sein. Auch Apotheken spüren diese Entwicklung.

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Verweigerungshaltung Man gerät als Angehöriger von an Demenz erkrankten Patienten, die sich allem verweigern, oft schnell an seine Grenzen. Angehörige sind deshalb froh, wenn die Apotheke sie über Hilfsangebote informiert.

Umgang mit Demenz

Wenn Sie sich als Apotheke bislang nicht angesprochen fühlen, dann könnten Sie über Folgendes nachdenken: Mit Zunahme des ­Altersdurchschnitts der Apothekenkunden steigt auch die Anzahl der Kontakte mit von einer Demenzerkrankung betroffenen Kunden oder mit deren Angehörigen. Die Interaktion mit dementen Menschen ist jedoch nicht immer einfach. Fast jeder, der in der Apotheke arbeitet, kennt entsprechende Situationen. Wichtig ist es jedoch, einen angemessenen Umgang mit den Betroffenen zu erreichen. Das erleichtert die Situation für alle Beteiligten. Kenntnisse über die speziellen Bedürfnisse dementer Menschen sind eine wichtige Voraussetzung dafür.

Demenz ist für viele Menschen ein angstbesetztes Thema. Verdrängung ist häufig die Folge. Wenn sich die Erkrankung nicht mehr verdrängen lässt, wissen viele nicht, an wen sie sich mit Fragen und Problemen wenden können. Ein wichtiges Ziel sollte jedoch sein, die Selbstständigkeit der an Demenz Erkrankten möglichst lange aufrechtzuerhalten, sie zu fördern und zu stärken. Wer die häusliche Pflege eines Demenzpatienten übernimmt, sollte zudem seine eigene Gesundheit nicht aus den Augen verlieren. Schnell kann es zu Situationen der Überforderung mit negativen Folgen für alle Beteiligten kommen. Die Bedarfe sind vielfältig. Hilfsangebote sind ebenso vielfältig vorhanden. Viele Menschen nehmen sie jedoch nicht oder erst sehr spät für sich in Anspruch. Das sollte verbessert werden. Apotheken können hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Demenzfreundliche ­Apotheken Augsburg

In Augsburg entstand diesbezüglich im Jahre 2014 etwas Besonderes, das Projekt „demenzfreundliche Apotheke“. Entwickelt wurde das Konzept vom Augsburger Qualitätszirkel pharmazeutische Betreuung und der Alzheimer Gesellschaft Augsburg. Erkannt wurde damals unter anderem, dass es zwar jede Menge Hilfsangebote gibt, die Menschen aber häufig keinen Zugang dazu finden oder die Angebote erst sehr spät wahrnehmen. Zudem gibt es in Deutschland zwar eine Vielzahl von Demenznetzwerken mit unterschiedlichsten Akteuren, nicht immer sind jedoch Apotheken mit im Spiel. Dabei können gerade sie wichtige Aufgaben im Bereich der Sekundär- und Tertiärprävention übernehmen und als Vermittler in die Netzwerke der Hilfeeinrichtungen fungieren. Diese Grundgedanken wurden vom Augsburger Projekt aufgegriffen.

Hilfsangebote sind viel­fältig vorhanden. Viele Menschen nehmen sie ­jedoch nicht wahr oder erst sehr spät für sich in Anspruch. Apotheken können hier ­einen wichtigen Beitrag leisten.

Ulrich Koczian, Leiter des Qualitätszirkels und Inhaber der Linden-Apotheke in Augsburg, ist mit dem Projekt bestens vertraut und hat in seiner Apotheke das Konzept „demenzfreundliche Apotheke“ umgesetzt. In Augsburg und Umgebung sind inzwischen 52 Apotheken in das Projekt integriert. Koczian verweist auf das Entscheidende des Konzeptes: ­Alleine geht es nicht. „Eine demenzfreundliche Apotheke ist Teil eines Netzwerkes“, so Koczian. Die Vernetzung könne mit Einrichtungen wie regionalen Alzheimer-Gesellschaften, der Caritas, Pflegeeinrichtungen, örtlichen Alten- und Servicezentren oder den Gemeinden geschehen. Darüber hinaus sollte es eine Zusammenarbeit mit Hausärzten und Neurologen geben.

Schulungen nutzen

Nach Anbindung der Apotheke an ein Netzwerk ist die Schulung der Apothekenmitarbeiter wichtig. ­Dafür finden in Augsburg ganztägige Schulungen oder auch Seminare an zwei Abenden statt, deren Kosten von der Bayerischen Landesapothekerkammer und dem Bayerischen Apothekerverband ­getragen werden. Während dieser Veranstaltungen werden die Teilnehmer über die Krankheitsbilder informiert und erhalten Hinweise zum Umgang mit dementen Patienten. Die Vorträge werden von Neurologen beziehungsweise Geriatern und Pflegekräften gehalten.

Im pharmazeutischen Teil der Schulungen steht die Betreuung der Medikation der an Demenz Erkrankten im Fokus. Interessant sind für Apotheken auch Kenntnisse zu sozialrechtlichen Fragen und zu den regionalen Beratungs- und Entlastungsangeboten. Die teilnehmenden Apotheken können sich im Anschluss als „demenzfreundliche Apotheke“ präsentieren und mit dem Logo des Projektes werben. Regelmäßig erhalten die Apotheken zudem Einladungen zu Update-Veranstaltungen, betont Ulrich Koczian von den Augsburger demenzfreundlichen Apotheken.

Demenz erkennen

Kenntnisse über die unterschiedlichen Demenzerkrankungen sind unerlässlich. Nicht jede Demenz ist eine Alzheimer-Demenz, allerdings ist Morbus Alzheimer mit ungefähr 60 Prozent die häufigste irreversible Demenzerkrankung, gefolgt von der vaskulären Demenz und Mischformen der beiden Erkrankungsbilder. Weniger bekannt sind zum Beispiel die Lewy-Körperchen-Demenz und die ­Frontotemporale Demenz. Insgesamt gibt es rund 50 verschiedene Demenzformen. Die Symptome hängen von der Erkrankung ab. Teilweise ähneln sie sich. Gerade aber bei der (eher seltenen) Frontotemporalen Demenz stehen anfangs Persönlichkeitsveränderungen und nicht ein Nachlassen des Gedächtnisses oder der Orientierung im Vordergrund – eine wichtige Erkenntnis auch für die Praxis in der Apotheke.

Nicht alle demenziellen Erkrankungen sind zudem irreversibel. Ursachen können unter anderem die Einnahme bestimmter Medikamente, Alkoholabusus, Normaldruckhydrozephalus (Altershirndruck), Elektrolytverschiebungen oder Depressionen sein. Allein ­diese Tatsachen verdeutlichen die Wichtigkeit einer frühzeitigen ärztlichen Diagnose und einer ­zielgerichteten Therapie. Gerade auch Apotheken können einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung leisten. Sie kennen ihre Kunden häufig gut und können Veränderungen ansprechen, die auf eine Demenz hinweisen. Da liegt es durchaus nahe, eine zielgerichtete Herangehensweise zu etablieren und sich als „Kompetenzapotheke Demenz“ zu profilieren.

Demenz ansprechen

Wie sieht aber die Umsetzung in der Apotheke aus? Was bedeutet es, eine demenzfreundliche Apotheke zu sein? Sensibilisierte Apothekenmitarbeiter haben die Problematik vor Augen und beobachten die Menschen, die in die Apotheke kommen, hinsichtlich dieser Erkrankungsbilder. Dem Erkennen von eventuellen Demenzsymptomen folgt der eigentlich schwierige Teil – das Ansprechen der Thematik. Meist werden es Angehörige sein, mit denen das Apothekenpersonal ins Gespräch kommt. Ruhige Situationen wie eine Inkontinenzberatung können beispielsweise Möglichkeiten zum ­behutsamen Ansprechen bieten.

Manchmal sind es auch die Angehörigen oder die Betroffenen selbst, die das Thema ansprechen. Erleichtert wird diese Gesprächsaufnahme, wenn bekannt ist, dass die Apotheke ein auf Demenz spezialisierter Ansprechpartner ist. Eine weitere Möglichkeit ist das Mitgeben von Flyern. Das kann dezent geschehen und bedrängt die Kunden nicht. So wird es zumindest teilweise zu Rückmeldungen kommen, wenn auch erst zu einem späteren Zeitpunkt. Darauf müssen sich die Apotheken genauso einstellen wie auf eine verweigernde Haltung. Die meisten Menschen werden aber sicher dankbar sein, um einen kompetenten Ansprechpartner zu wissen.

Pharmazeutischer ­Kompetenzpartner

Selbstverständlich für Apotheken ist die pharmazeutische Betreuung der Patienten. Apotheker ­sollten mögliche Unterdosierungen der Antidementiva genauso verhindern wie eine eventuelle unzweckmäßige Anwendung ­dieser Arzneimittelgruppe. ­Wichtig ist auch die Kenntnis der Priscus-­Liste mit demenzbegünstigenden anticholinergen Arzneimitteln. Heilbar sind die irreversiblen ­Demenzerkrankungen bisher nicht. Eine frühzeitige Therapie ist dennoch wichtig. Je eher diese einsetzt, desto eher kann sie den Verlauf der Erkrankung verlangsamen. Apotheken können zudem über Möglichkeiten zur Prävention einer Demenzerkrankung beraten.

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Sicherheit geben und ein gutes Wort Die Interaktion mit dementen Menschen ist nicht immer einfach. Deshalb ist die Schulung der Apothekenmitarbeiter sehr wichtig. Sie lernen dabei u. a. Krankheitsbilder kennen und erhalten Hinweise zum richtigen Umgang mit den Patienten, es werden aber auch die Themen Sozialrechtliches und Hilfsangebote behandelt.

Vermittler ins Hilfsnetz ­Demenz

Was Patienten und ihre Angehörigen zusätzlich brauchen, sind Wegweiser durch die Informationsflut und Hinweise zu Beratungs- und Entlastungsangeboten. Die Angebote sind für viele unüberschaubar. Auch das Vorhandensein eines Alzheimer-Telefons, wo Ehrenamtliche ihre Erfahrungen mit der Pflege eines Alzheimerpatienten mit anderen teilen, ist häufig nicht bekannt. Die Aufgabe einer demenzfreundlichen Apotheke ist die eines Vermittlers in die Demenznetzwerke. Das heißt, die örtlichen Akteure zu kennen und deren ­Kontaktdaten weiterzugeben. Die eigentliche Beratung findet dann dort statt. Das ist eine nicht hoch genug einzuschätzende Erleichterung für die Betroffenen. Besonders wirksam ist diese Herangehensweise, da Apotheken aufgrund ihrer Niedrigschwelligkeit und des Vertrauensvorschusses, den sie ­genießen, prädestiniert für diese Aufgaben sind.

Allianzen bündeln

In Bayern hat die „demenzfreundliche Apotheke Augsburg“ viele Nachahmer gefunden. Dort hat das Wissenschaftliche Institut für Prävention im Gesundheitswesen (WIPIG) der Bayerischen Landesapothekerkammer die Aufgabe übernommen, das Augsburger Projekt in ganz Bayern zu etablieren. In zahlreichen weiteren bayerischen Gemeinden sind nunmehr demenzfreundliche Apotheken zu finden. Auch außerhalb Bayerns gibt es ähnliche Projekte. So hat das Geriatrie-Netzwerk Ostsachsen, angelehnt an das Augsburger Projekt, ebenfalls ein Konzept für demenzfreundliche Apotheken entwickelt. Seit März 2017 haben zehn Apotheken der Stadt Görlitz und einiger umliegender Gemeinden an entsprechenden Schulungen teilgenommen.

Demenz geht uns alle an, denn ­Demenz ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Auch die ­Politik hat das erkannt. So wurde unter anderem 2012 in Zusammenarbeit mit dem Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) und dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) die „Allianz für Menschen mit Demenz“ ins Leben gerufen. Ziel ist die Weiterentwicklung von Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Gleichzeitig soll das Verständnis und die Sensibilität für Betroffene in der Gesellschaft gefördert werden. Bislang gibt es schon zahl­reiche lokale Allianzen, die er­folgreich vor Ort arbeiten. Mit der 2019 gestarteten Entwicklung einer „Nationalen Demenzstrategie“ sollen die Erfahrungen der ­lokalen Allianzen gebündelt werden. Es soll zudem ein Zeichen für eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gesetzt werden. |

Inken Rutz, Apothekerin und freie Journalistin

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