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Wirtschaft

Was kostet Securpharm die Apotheken?

Ansätze für eine Kostenrechnung

Mit dem Securpharm-Projekt übernehmen die Apotheken wieder einmal eine neue Gemeinwohlaufgabe, erhalten aber kein zusätzliches Geld dafür. Eine Entschädigung für die Kosten zu fordern, liegt nahe. Doch was kostet Securpharm die Apotheken? Die Antworten sind so unterschiedlich wie die Apotheken. Als größter Kostenfaktor wird sich auf die Dauer wohl die nötige Umstellung zuvor optimierter Abläufe erweisen. | Von Thomas Müller-Bohn

Welche Kosten das Securpharm-Projekt in Apotheken verursacht, hängt von den Voraussetzungen in der Apotheke ab. Die Variationsmöglichkeiten sind erheblich. Doch die technischen Grundvoraussetzungen betreffen alle Apotheken.

Jede Apotheke benötigt ein N-ID-Zertifikat, um sich im ­sicheren Netz der Apotheker zu identifizieren. Dies kostet 20 Euro. Außerdem sind monatlich 10 Euro Nutzungsgebühr an die Netzgesellschaft Deutscher Apotheker (NGDA) zu zahlen.

Um die Data-Matrix-Codes zu scannen, benötigt jede Apotheke passende Scanner. Wenn die Apotheke bereits mit ­modernen Scannern ausgerüstet war, ergeben sich keine ­zusätzlichen Kosten. Anderenfalls mussten für jeden Handverkaufsplatz ein Scanner sowie mindestens ein Scanner für den Wareneingang angeschafft werden. Schon bei einer kleinen Apotheke ergibt das mindestens drei Scanner. Je nach Anbieter beträgt der Preis pro Scanner mindestens etwa 270 Euro.

Umstellung der Software

Die Softwareanbieter mussten ihre Programme ergänzen. Einige haben daraufhin die Gebühren für die Apotheken erhöht. Bei Awinta stiegen die Gebühren um 11,50 Euro pro Monat, bei Pharmatechnik um 9,45 Euro pro Monat. Bei ADG war die Umstellung für die Apotheken kostenfrei.

Zum Umgang mit dem Securpharm-System musste das Apothekenpersonal geschult werden. Einige Softwareanbieter haben dafür ohne Zusatzkosten Schulungsvideos oder Online-Seminare angeboten. Doch die Zeit, die die Apothekenteams für solche Schulungen aufwenden, ist Arbeitszeit. Diese Zeit muss honoriert werden und sie fehlt für pharmazeutisch vermutlich sinnvollere Fortbildungen. Die dafür aufgewendete Arbeitszeit ist wahrscheinlich die größte unter den einmaligen Kostenpositionen. Dazu zählt auch die Arbeitszeit für Teambesprechungen. Die Neuerungen mussten durchdacht, im Team kommuniziert und eingeübt werden. Allein diese Arbeitszeit dürfte in durchschnittlichen Apotheken einen Eurobetrag im unteren vierstelligen Bereich gekostet haben. Doch diese Vorgänge sind im Idealfall zumindest vorläufig abgeschlossen.

Belastungen bei der Arzneimittelabgabe

Sie leiten über zu den nachhaltigen Veränderungen, die dauerhaft höhere Kosten und nicht nur einmalige Belastungen auslösen. Dabei geht es um geänderte Arbeitsabläufe. Auf jeden Fall kommt die Zeit für das Scannen bei der Arzneimittelabgabe hinzu. Dafür werden etwa fünf Sekunden pro Packung diskutiert, wovon die längste Zeit für die Suche nach dem zu scannenden Code benötigt wird. Bei durchschnittlich etwa 38.000 Rx-Packungen pro Apotheke und Jahr sind das etwa 53 Stunden pro Jahr oder 1 Stunde pro Woche. Die zusätzlichen Sekunden müssen allerdings nicht kostenrelevant sein. Im Idealfall könnten sie durch den Wegfall von Leerlauf­zeiten aufgefangen werden, wenn die Kunden nicht Schlange stehen.

Erste Erfahrungen aus Apotheken sprechen allerdings dafür, dass eher viel mehr Zeit benötigt wird. Wenn die Software das Scannen nur am Ende des Bedienvorganges zulässt, darf der Kunde die Packung erst dann einpacken. Wenn das Scannen nicht in den Arbeitsablauf integriert werden kann, sondern „angehängt“ werden muss, verlängert es die Gesamtbearbeitungszeit und erhöht damit die Kosten. Das zusätzliche Gespräch mit dem Kunden über das nötige Scannen und das Warten, bis der Kunde die Packungen anschließend eingepackt hat, dauert dann viel länger als das eigentliche Scannen. Außerdem entsteht eine neue Formalie, die von pharmazeutischen Inhalten ablenkt und den Kontakt zum Kunden stören kann. Dies bestätigen die Mahnungen französischer Apotheker, die das Scannen als Belastung der Beziehung zwischen Apotheker und Patient sehen. Eine fortschreitende Technisierung lässt immer weniger Raum für den menschlichen Kontakt.

Belastungen bei Nachlieferungen

Noch größer kann der Effekt bei bisher gut optimierten Arbeitsabläufen im Backoffice sein, insbesondere bei Nachlieferungen, die vom Kunden abgeholt oder im Botendienst zugestellt werden. Inwieweit dort Änderungen nötig sind, hängt davon ab, wie diese Fälle bisher organisiert waren und welche Software die Apotheke verwendet. Entscheidend ist, an welcher Stelle die Software das Scannen einfordert und ob dies zum Ablauf in der Apotheke passt. Zusätzliche Mühe droht besonders, wenn die auszuliefernden Arzneimittel nur ganz am Ende ihrer Bearbeitung gescannt werden können. Denn dann sind sie üblicherweise bereits in Tüten verpackt und müssen nochmals aus- und wieder eingepackt werden. Eine Nachfrage bei einer Landapotheke mit umfangreichem Botendienst ergab, dass allein die veränderten Arbeitsabläufe beim Botendienst und bei den Abholern etwa 45 bis 60 Minuten zusätzliche Arbeitszeit pro Tag, verteilt auf mehrere Mitarbeiter, erfordern. Doch dies kann von der jeweiligen Software abhängen. Noch weitaus stärker dürften Apotheken mit Heimversorgung betroffen sein, weil das Verpacken dann keine Ausnahme, sondern die Regel ist.

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Knackpunkt Schnittstelle – Kostenpflichtig und problematisch kann seit dem 9. ­Februar die neue Verbindung zwischen Kommissionierern und dem Warenwirtschaftssystem sein.

Zusätzliche Hürden für Kommissionierer

Weitere und deutlich größere kostenwirksame Neuerungen und Probleme können sich für Apotheken mit Kommissionierern ergeben. Denn zumindest beim Securpharm-Start am 9. Februar konnten nicht alle Softwareanbieter mit der neuen Schnittstelle zwischen dem Kommissionierer und dem Warenwirtschaftssystem umgehen. Außerdem ist die neue Schnittstelle bei einzelnen Automatenanbietern kostenpflichtig. Ohne die neue Schnittstelle kann es nötig sein, im Wareneingang gescannte Daten des neuen Data-Matrix-Codes von Hand zu übertragen, wenn der Kommissionierer sie nutzen soll.

Wenn die neue Schnittstelle eingebunden ist, hängen die weiteren Folgen wiederum von der Gestaltung der Software ab. In Verbindung mit einem Kommissionierer können die Konsequenzen noch weiter reichen als oben beschrieben. Aufgrund von Anfragen in Apotheken erweist sich ein Aspekt als besonders sensibel: Wenn die Packungen erst kurz vor dem Ende des Bedienvorgangs gescannt werden können, das Rezept erst dann bedruckt werden kann und erst danach ein zweites Rezept für denselben Kunden bearbeitet werden kann, verlängert sich die Bearbeitungszeit erheblich. Denn dann muss erneut auf die Ware gewartet werden und die Rezepte können nicht zeitsparend während der Wartezeiten bedruckt werden.

Wenn die Software daraufhin überarbeitet wird, entstehen wiederum neue Kosten bei den Softwareanbietern. Solche Probleme hätten zudem eher erkannt werden können, wenn alle Komponenten des Systems früher verfügbar und Tests unter realistischen Bedingungen möglich gewesen wären. Das hätte wohl auch Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Softwareanbietern und Apotheken mit Kommissioniern verhindern können. Wenn solche Probleme nun jeweils als Einzelfälle gelöst werden müssen, können wiederum Gebühren für die Arbeitszeit der Techniker anfallen – und damit weitere Kosten für die Apotheken.

Noch unkalkulierbar: Fehlalarme

Eine weitere Kostenposition lässt sich derzeit überhaupt noch nicht einschätzen: die Kosten durch Fehlalarme. Bisher dürfte noch fast keine verifizierungspflichtige Ware in den Apotheken angekommen sein. Der Test, wie oft verifizierungspflichtige Packungen zu Fehlalarmen führen, steht daher aus. Angesichts des drohenden Aufwandes wegen Quarantäne und Ersatzbeschaffung sind die Kosten dafür eine große Unbekannte.

Vorteil im Wareneingang

Den vielen genannten Kosten werden langfristig Einsparungen gegenüberstehen. Wenn der Data-Matrix-Code bereits im Wareneingang gescannt wird, können die Verfalldaten und Chargennummern übernommen werden. Dies spart Zeit gegenüber der manuellen Eingabe oder es erleichtert die Verfalldatenkontrolle und Rückrufe, falls bisher nicht alle Daten gespeichert wurden. Dies wird erst wirksam, wenn viele Packungen mit den neuen Codes in den Apotheken ankommen. Doch der Vorteil erscheint eher gering im Vergleich zu den beschriebenen Nachteilen bei der Arzneimittelabgabe.

Finanzieller Ausgleich fällig

Als vorläufiges Fazit lässt sich feststellen, dass alle Apotheken erhebliche Kosten und Mühen durch das Securpharm-Projekt hatten und haben. Je nach Voraussetzungen ist dafür meistens ein Eurobetrag im unteren vierstelligen Bereich anzusetzen. Nach oben sind die Kosten offen. Denn es ist unklar, ob und wann ungeeignete Programmierungen über­arbeitet werden. So unklar die Gesamthöhe der Kosten bleibt, so klar ist die Grundstruktur des Problems: Der europäische Gesetzgeber hat neue Pflichten erlassen und die Arzneimittelversorgung damit verteuert. Daher sollten die Steuerzahler zumindest die unvermeidbaren Kosten der Umstellung übernehmen. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn
Apotheker und Dipl.-Kaufmann, auswärtiges Mitglied der Redaktion der Deutschen Apotheker Zeitung

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